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Württemberg.

Die Nachricht, daß der deutsche Kaiser nach den bayrischen Manövern auch nach Würt­temberg kommen und u. A. dem Cannstatter Volksfest beiwohnen werde, ist gänzlich unbe­gründet. Da der Kaiser mit seinen Reisen, wo es sich nicht um formelle Akte zu handeln hat, meistens militärische Inspektionen ver­bindet, so sprechen auch schon äußere Gründe gegen die oben genannte Nachricht Findet doch in Württemberg Heuer gar kein Korps­manöver statt, denn es manöveriren die Divi­sionen nur für sich. Dagegen ist im nächsten Jahre Korpsmanöver, dort erscheint cs nicht ausgeschlossen, daß wir den Besuch des Kai­sers zu erwarten haben.

Stuttgart, 4. Juli. Zur Hebung des landwirtschaftlichen Hauptfestes in Cannstatt werden auch dieses Jahr 70 000 Lose u

1 ./tl ausgeg.ben. Die Generalagent»,.- wurde wieder Eberhard Fetzer übertrage», welcher mit dem Versandt der Lose Mitte Juli beginnen wiid

Stuttgart 5. Juli. Die beiden Knaben Max Spangeubeigs, des früherenBeob­achter" Redakteurs, läßt, wie dieH. Z." mitteilt, die Volkspartei erziehen. Es ist zu diesem Bchufe setzt schon ein Kapital angesammelt, wozu Frhr. v. Münch 1000 ^ beisteuerte. Spangenbergs junge Witwe geht als Lehrerin ans ihre alte Stelle nach Berlin zurück.

Die etwa 600 Seelen zählende Gemeinde Wesenfeld, O.-A. Frendenstadt, die bisher zur Kirchengemeinde Göttelsingen gehörte, wird nunmehr zu einer selbstständigen Pfarrei erhoben mit einem eigenen Geistlich!».

Aeutkingeu, 6. Juli. Großes Aufsehen erregt hier die Nachricht, daß der bei der Kreis­regierung angestellte Regicrungssekretär K. mit einer Frau W. das Weite gesucht hat und nun bereits auf dem Wege nach Amerika ist. K., der Urlaub genommen hatte, soll schon längere Zeit mit besagter Frau ein Verhältnis gehabt haben; Frau W., von welcher bereits von Antwerpen aus ein Brief an ihren Mann einging, dessen Inhalt die schünoliche That an das Licht brachte, läßt ihren Mann und

2 Kinder, Sekretär K. seine Frau und 4 Kin­der zurück, welche allgemein bedauert werden.

Kkilöronn. Ein Fall bübischer Sach­beschädigung kam gestern vor der hiesigen Straf­kammer zur Aburteilung. Der ledige Sattler- Karl Burgy von Freiburg i. B. riß im Juni d. I. auf der Straße von Pforzheim nach Mühlacker an 15 dort angepflanzten Obstbäu­men die Krone weg, wodurch ein Schaden von 123 Mk. entstand, und bettelte am gleichen Tage in der Gemeinde Enzberg, welcher diese Bäume zum Teil gehörten. Dafür erhielt er ein Jahr Gefängniß und Absprechung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von

3 Jahren, sowie drei Wochen Haft, welche an der erlittenen Untersuchungshaft abgehen. Möge dieser Fall allen mutwilligen Beschüdigern zur Warnung dienen!

Ulm, 8. Juli. Die Gemüter der Be­wohner des benachbarten bayerischen Ortes Wullenstetten wurden heute durch die Nachricht, der praktische Arzt und dessen jugendliche Gattin seien tot im Bette aufgefunden wor­den, in Aufregung versetzt. Der 28-jährige, sich in der ganzen Umgegend großer Beliebt­heit erfreuende Arzt litt an Morphiumsucht und nahm wahrscheinliu, eine zu starke Dosis; seine Gattin, erst 22 Jahre alt, welche den leblosen Zustand ihres Mannes erst später bemerkt zu haben scheint, entnahm dann aus der Hausapotheke Blausäure und starb frei­willig an der Seite ihres Gatten.

Rundschau.

München, 6. Juli. Das Eisenbahnun­glück von Eggolsheim ist, wie jetzt amtlich und nicht amtlich festgestellt worden ist, durch die Verlegung des Hauptgeleises herbeigeführt worden. Man scheint die verlegten Schienen für das Durchfahren des Zuges nur ganz locker verfertigt zu haben.

In Angelegenheit des Eggols- beimer Unglücksfalles erhält die Nut. Z. eine weitere Zuschrift von Herrn Paul A. Wolfs aus Berlin, in welcher namentlich die Beschwerden nicht allein über die Kopf­losigkeit der Beamten, sondern auch über ihre Unfreundlichkeit zum Ausdruck kommt. Hr. Wolfs hat in München geeignete Schritte gethan, um Verschleierungen vorzubeugen, wie sie durch die Angabe versucht wurden, daß die Geleise durch Regen unterwasche» gewesen seien. Es sind ferner direkte Vor­stellungen von Reisende» au den Prinzregen- tcn gerichtet worden, die darauf hinausgehen, daß bei diesem Uuglücksfall nicht tores ma- ssurs, sondern strafbarer Leichtsinn die Ur­sache gewesen.

München, 7. Juli. Der Abgeordnete von Vollmar erwicderte in der gestrigen sozialdemokratischen Wählerversanimluug auf die Angriffe der Berliner Versammlungen. Er hielt unter lebhaftem Beifall seine frü­heren Ausführungen aufrecht. Die sozial­demokratische Partei müsse praktisch Mitar­beiten an der Gesetzgebung; wer das nicht wolle, müsse hinansgebeii, die Revolution vorbereiteu und das Messer schleifen. Ueber den Dreibund hätten früher Bebel und Lieb­knecht offiziell ähnlich gesprochen w>e er. Die Berliner Hetze gehe von einer Seite aus, die allgemein verlacht werde. Die Versamm­lung brachte Vollmar ein stürmisches Hoch dar.

Äb'ln, 7. Juli. Großes Aufsehen erregt hier die gestern Vormittag erfolgte Verhaftung einer Wittwe. Die Frau machte ein Gewerbe daraus, Kinderdiskreter Geburt" und sonstige Kinder in Pflege zu nehmen. Schon eine Zeit lang' schwirrten in der Gegend allerlei Gerüchte über das Treiben der Frau, welcher so auf­fallend viele Kinder, für deren Pflege sie be­zahlt wurde, starben. Dem Gerücht nach sollen in den letzten Monaten von 14 bei ihr in Pflege gewesenen Kindern 6 gestorben sein. Die letzten Wochen hatte sie vier kleine Kinder in Pflege, von welchen eins vor 14 Tagen, ein zweites vorgestern starb. Nachbarn, welche die Frau beobachtet und denen das Aussehen der Kleinen aufgefallen war, hatten, wie die K. V. Z." hört, bei der Polizei den Ver­dacht ausgesprochen, daß die Frau eineEngel­macherin" sei. Die Leiche des zuletzt gestor­benen Kindes wurde vorgestern auf Veran­lassung der Staatsanwaltschaft amtlich unter­sucht und es stellte sich heraus, daß das Kind, welches ganz abgezehrt war, aus Mangel an Nahrung gestorben ist. Die Person, welche beschuldigt wird, durch mangelhafte Ernährung den Tod des Kindes herbeigeführt zu haben, wurde heute dem Gefängniß übergeben. Die Kriminalpolizei forscht eifrig nach, um festzu­stellen, ob die Frau auch den Tod der früher verstorbenen Kinder in ähnlicher Weise ver­anlaßt hat

In Kisftngen ist laut Würzb. I. die dort zur Kur weilende Fürstin Hanna Liech­tenstein. geb. Klinkosch, die Gattin des bekann­ten östreich. Antisemitenführers Fürst Alois Liechtenstein infolge einer schweren Erkrankung ^gänzlich erblindet.

DiesozialdemokratischePar tei hat ein neues Programm ausgegcben Dasselbe unterscheidet sich von dem alten vor allem dadurch, daß es nichts mehr von den Grundsätzen Lassalles enthält. Es fehlen die Berufung auf das eherne Lohngesetz, das Verlangen nach Produktivzenossenschaf- ten mit Staatshiife, es fehlt ferner die Betonung des nationalen Charakters der Arbeiterpartei. Im Entwurf heißt es viel­mehr, die Befreiung der Arbeiterklasse sei nicht eiue nationale, fondern soziale Aufgabe; zugleich wird erklärt, daß die Sozialdemo­kratie nichts gemein habe mit dem Staats­sozialismus, der die Macht einer ökonomischen Ausbeutung mit einer poltischeiiUnterdrückuiig des Arbeiters vereinige. A s gegenwärtige Forderung wird u. a. aufgestellt: gleiches Wahlrecht für Männer und Frauen, Refe­rendum an das Volk in der Gesetzgebung, Achtstundentag, Gleichstellung der landwirt­schaftlichen und gewerblichen Arbeiter und endlich noch die Forderung »ach Vergesell- schaftlichung von Grund und Boden. Cha­rakteristisch für den Programmentwurf ist, 'daß er hinsichtlich der Organisation des ! Zukunftsstaates noch dürftiger ausgefallen ist als das Gothaer Programm, hinsichtlich der gegenwärtig im Interesse der Arbeiter zu stellenden Forderungen aber weniger ra­dikal als bas Elftere erscheint.

Karis, 5. Juli.Gil Blas" ver­öffentlicht eiue lange Unterredung mit einem ungenannten Senator, der nach der ganzen Beschreibung nur der frühere Minister des Auswärtigen Barthelemy Saine Hilaire sein kann. Er greift ein französisch-russisches Bündnis aufs heftigste an. Der Dreibund welcher die berechtigte Verteidigung der Zivi­lisation gegen die moskowitische Barbarei bedeute, richte seine Spitze keineswegs gegen Frankreich. Auch wenn, wie zu erwarten, England sich dem Dreibunde auschließe, sei das kein Grund zu Befürchtungen. Das neutrale Frankreich habe nichts zu fürchten und müsse ein Bündnis mit Rußland zn- rückweisen, da dessen Sieg mit dem Siege der Barbarei gleichbedeutend sei. Auch könne es durch einen solchen Verrat an der Zivi­lisation keinen Vorteil erreichen. Geschlagen, werde es das Sckncksal Polens teilen, siegen, zwar Elsaß-Lothringen, vielleicht auch das linke Rheinufer erhalten, aber auf alle Zeiten dem russischen Barbarenstaat unterthan sein. Die Blätter scheinen dieses Interview tot- schweigen zu wollen.

Windsor, 6. Juli. Heute nachmittag fand in der St. Georgskapelle des Schlosses die Vermählung der Prinzessin Luise zu Schles­wig-Holstein mit dem Prinzen Ariberl von Anhalt statt. Die Teilnehmer an der Feier, worunter das Kaiserpaar und die Königin, begaben sich in 5 glänzenden Zügen in die Kapelle; Gardisten in Gala-Uniform bildeten Spalier. Der Prinz von Wales betrat die Kirche mit der Kaiserin am Arme, der Kaiser, welcher die Uniform des preußischen 1. Gac- dedragonerregiments angelegt hatte, folgte mit der Prinzessin von Wales. Nach der Trau­ung fand im Schlosse Empfang statt. Die Neuvermählten reisen heute abend nach Cle- veoen am Themse-Ufer, dem Landsitze des Herzogs von Westminster, ab. Der Feier wohnten auch Prinz Eduard von Sachsen- Weimar , der Herzog und die Herzogin von Teck, Lord und Lady Salisbury bei.

Windsor, 8. Juli. Bei dem gestrigen Galadiner, das bis gegen Mitternacht dauerte, trug der Kaiser die Gala Uniform der Garde- ducorps. Die Königin, sämtliche Orden und