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Zum Rücktritt des italienischen Mini­sterpräsidenten Crispi, der selbstverständlich alle politischen Kreise der Reichshauptstadt auf das Tiefste bewegte, verlautet, daß der­selbe den hiesigen maßgebenden Persönlichkeiten vollständig unerwartet gekommen ist. Crispi galt als eine der festesten Stützen des mittel­europäischen Dreibundes, dieser großen Frie­densschöpfung des ersten deutschen Reichskanz­lers, als dessen gelehrigsten Schüler man Crispi wohl bezeichnen kann. Wenn man nun auch den Dreibund durch den Sturz Crispi's nicht für unmittelbar gefährdet hält, so mahnt derselbe doch unwillkürlich daran, sich nicht zu viel auf die politischen Bündnisse mit fremden Staaten zu verlassen, sondern eher seiner eigenen Stärke zu vertrauen. Die Worte des Generalfeldmarschall v. Moltke klingen unwillkürlich wiever in unser Ohr, welche der greise Stratege im vorigen Som­mer zur Motivierung der geforderten Verstär­kung unserer Armee sprach. Die friedliche Lage, die Bündnisse mit den benachbarten Staaten entbinden uns nicht der Verpflichtung, unsere eigene Rüstung möglichst zu vervoll­kommnen, den nübe rNacht kann sich die Lage ändern, die Bündnisse der Völker können sich lösen, aber die eigene Wehrhaftigkeit bleibt undderjenige Mann ist der Stärkste, der allein steht".

U Nach demBerl. Tgbl." wurde General v. Witt ich Generalstabschef.

Bei der Beerdigung eines in Bielefeld verstorbenen achtzehnjährigen sozialdemokrati­schen Agitators, der in einem Nachruf als Hoffnungsstern der Partei bezeichnet war, folgte hinter dem Sarge eine große Anzahl von jungen Burschen mit brennender Cigarre, in langen Stiefeln, Breithüten mit roter Schleife, in ihrer Mitte eine umflorte rote Fahne.

Im Lehrerseminar zu Kothen hat, wie derFrkfr. Ztg." geschrieben wird, eine Disziplinaruntersuchung gegen Schüler der zweiten Seminarklaffe wegen sozialdemokrati­scher Umtriebe begonnen. Die Schüler, im Durchschnitt 1920 Jahre alt, sind verdäch­tig, sich durch Anteilnahme an sozialdemokra­tischen Versammlungen, durch Bezug sozialde- kratischer Schriften, sowie durch Agitation innerhalb des Seminars an der sozialdemo­kratischen Propaganda praktisch bethätigt zu haben.

Zürich, 5. Feb. Heute Vormittag 11 Uhr wurden in Rüli (Kanton Glarus) 22 Holz­arbeiter von einer Lawine verschüttet. Einige wurden gerettet.

iL Brüssel, 3. Febr. Jetzt wird zugestan­den, daß die in dem Palast des Grafen von Flandern herrschende Krankheit die schwarzen Pocken sind. Je eine Hofdame, ein Diener und ein Palastbeamter sind gestorben wie Prinz Balduin; deshalb geht Prinz Albert nach dem Süden, wohin Prinzessin Henriette, sobald sie transpörtabel ist, nachfolgt. Prinz Balduin starb an nach innen zurückgetretenen Pocken

k Ilom, 6. Feb. Die Verhandlungen Ru- dinis mit Nicotera führten zur Verständigung, worauf der König Rudini mit der Kabinets- bildung beauftragte. Rudini übernimmt die Präsidentschaft und Aeußeres, Nicotera Inne­res. Das Programm des neuen Kabinets wird wesentlich erhöhte Ersparnisse und eine dementsprechende Modifizierung der Gesamt­politik anstreben.

M Ueber das Ende des früheren Sultans von Mit», Fumo Bakari, erfährt die Frkf. Z, daß derselbe an Gift starb, das ihm sein Bruder und jetziger Nachfolger aus Rache für langjährige Gefangenschaft beibrachts.

UatkchaltknLks.

Geheimrats Lilli.

Von Otto Richard.

(Nachdruck verboten.)

I.

Blondkopfet, blauauget,

A Grüberl im Gesicht;

Ma kann Der net feind sein, Weil'st gar so liab bist.

Der Professor der Physiologie, Geimrat Dr. Reimann, bewohnte ein hübsches Haus, das schon lange in dem Besitz seiner Familie war. Es lag in einem schön gepflegten Garten auf einer Terasse über dem User es Flusses; der schlingest sich in vielen Win­dungen als Hütte er gar keine Eile in dieser Gegend durch die Bleichiviesen und Obstgärten, welche die am Berg hinaufgebaute kleine Universitätsstadt im halbmondförmige" Kreis umgeben. Der Hauptstraße der Stadt, der großen Verkehrsader, in welcher ab r eigentlich nur di' bunlbemützten Studenten bei Tag und auch bei Nacht einen lebhaften Pulsschlag bringen, dreht das gelbe Haus in stolzer Verachtung nur seine Schmalseite zu. An den Garten grenzt zur rechten Seite ein kleiner Raum, in dem der Nachbar des Herrn Geheimrats, der ehrsame Töpfermeister Jrden- berger, die Produkte seiner Kunst dem wohl- thätigen Einfluß von Luft und Licht aussetzt; in einer kleinen Ecke dieses Raumes wachsen auch die notwendigen Suppenkräuter für Frau Jrdenberger.

Dieser recht plebejische Raum war eigent­lich der jungen Frau Professorin im Anfang ihrer Ehe mit dem mehr als doppelt so alten Inhaber der physiologischen Lehrkanzel ein rechter Greuel gewesen; doch mit der Zeit hatte sie sich gerade so daran gewöhnt wie der Professor selbst, der früher verschiedene vergebliche Versuche gemacht hatte, das kleine Territorium sogar für schweres Geld anzukaufen. Der Töpfermeister hatte eben das kleine Plätzchen sehr nötig; und wenn er es auch nicht nötig gehabt hätte, so hatte er doch seinen Bürger- und Töpferstolz gerade so gut wie der Herr Professor seinen Professoren- und Gelehrtenstolz. Die anfänglich gereizte Stimmung wurde aber allmählich besser und besser, und daran war wie überhaupt Kinder so oft unbewußte Friedensengel sind Professors kleine Lilli schuld, die es der Frau Jrdenberger angethan hatte. Die Frau konnte dem kleinen Balg nicht genug Zucker­werk durch das Geländer zustecken; und als die kleine Lilli größer und mutwilliger wurde, da durchbrach sie in ihrem Herzensdrang die aste Grenze und schlüpfte tagtäglich durch die Bresche, die sie sich in den Gartenzaun ge­schlagen hatte, hinüber zu Jrdenbergers, um mit ihren kleinen Singern in dem weichen Thon zu kneten und sich allerhand Männer und Frauen und kleines Puppengeschirr selbst zu fabrizieren. Es half kein Machtgebot des Professors-, das er doch nie ernst meinte, und keine Reparatur an der Grenze; die alte Feindschaft der Welfen und Waiblinger hatte anfgehört, und bald sah man sogar die Frau Professor der Mann wurde zu ihrer Ver­wunderung und Bekümmnernis erst viel zu spät Geheimrat öfter an der Landesgrenze stehen in traulichem Zwiegespräche mit der Frau Töpfermeister, welche in der Schürze die ge­pflückte Petersilie hatte und auf ihrem Herzen eine ganze Menge der interessanten Stadt­neuigkeiten. Professor Reimann aber, ein großer Blumenfreund, hatte die gesetzlich not­wendige Erlaubnis von seinem Nachbar er­

halten, ein Gewächshaus zu bauen, das mit einer Wand an das Hintergebäude des Mei­sters lehnte, in welch' letzterem sich unten ein Warenmagazin und oben zwei Studentenzimmer befanden.

Bei Jrdenbergers, die keine Kinver hatten, wohnten immer Studenten zur Miete, und diese befanden sich in der Pflege der Fran Jrdenberger so wohl undmollig", daß unter dem Regiment derselben noch nie ein Zimmer leer gestanden hatte. Zog einer der Studen­ten aus, nach beendetem Staatsexamen oder um das Bier einer andern Hochschule zu pro­bieren, so hatte sich schon lange vorher um die Nachfolge in der Wohnung ein Freund beworben, der von den guten Fleischtöpfen der Frau Jrdenberger hatte singen und sagen hören. Für 50 Pfennig, welche Taxe keine Steigerung der Fleisch- und Marktpreise hatte umwerfen können, bereitete die Frau Jrden- b rg.r ihren akademischen Hausgenossen ein Mittagsmahl, das an Güte und dauerhafter Nachwirkung von keiner Hoiel- und Restaura­tionskost in der Stadt erreicht werden konnte.

Sorgte die stets muntere und gemütliche Frau nur für ihreHerren Studenten" mit echter Menschenfreundüchkeii und Herzensgute so blieb doch ihrAugapfel" ihrStolz" uns ihrAlles" die kleine Lilli, auf die sie de» ganzen Fonds, der jedem weiblichen Wesen angeborenen Mutterliebe verschwendete, die sie an keinem eigenem Kinde bewähren konnte. Das Professorstöchterlein wurde auch nicht stolz, als es größer wurde und in die Schule ging und allerhand Dinge dort lernte, die über den Horizont der Frau Jrdenberger hin­ausgingen und welche die gute Frau, wenn sie davon hörte, in nicht geringe Verwun­derung versetzten. Als aber Llli, nachdem sie konfiermiert war und noch ein Jahr die Sekca besucht hatte, nach dem Wunsch der Mama, die ihren eigenen Bildungsgang für den allein richtigen hielt, in ein französisches Pensionär reisen sollte, da wurden in dem bürgerlichen Töpferhaus sicher ebensoviel und viel dickere Thränen vergossen als in dem des nunmehrigen Geheimrats Reimann.

Und wenn Du nicht schreibst, mein Herz­blatt Geschriebenes kann ich ja ganz gut lesen," schluchzte Frau Jrdenberger in ihre Peterfilienschürze,wenn Du nicht schreibst, dann Hab ich keine Ruh, dann komm ich selbst nach nach der Stadt in Frankreich ich kann den Namen nicht in Acht behalten, aber finden thu ich Dich nein, thu mir das Leid nicht an, ich versalz ja alle Suppen in der Zeit. Ach Gott, wer hätte das ge­dacht? So weit weg in das fremde Land, als ivenn man hier nicht genug lernen könnte. Und die Franzosen sollen so schlimm sein auf uns seit dem Krieg, den der Napoleon doch selbst angefangen hat. Ach du lieber Gott! und sie preßte ihren Liebling noch einmal an sich und die Thränen tropften auf das gold­blonde Haar des Köpfchens, das sich noch einmal fest und innig an die treue Brust der alten Freundin lehnte.

II.

Grau, treuer Freund, ist alle Theorie.

Der Professor Reimann war entschieden kein lumsn. Sein Vater und Großvater waren schon Professoren gewesen, also hatte er auch Professor werden müssen. Reimann hatte genug Geld, um sich als Privatdozent habilitieren und um auf den Abgang des be­jahrten Professors, der gerade auf dem phy, siologischen Lehrstuhl saß, warten zu können. Die Regierung des kleinen Staates, dem die Universität gehörte, war konservativ, und ihren Sinn konnte sie nicht besser bethätigen, als