Deitage zur „Witdbuder Gkronik."
Uro. 7S.
Samstag, den 28 September
ISST.
Unterhaltendes.
Die Mslermühl'e.
Eine Dorfgeschichte von Hermann Robolsky.
(Nachdruck verboten.)
s3j (Fortsetzung.)
Schon als Knabe ging der Müllersohn in dem Hause des greisen „Paganini", wie die in das Dorf kommenden Städter scherzweise den Alten nannten, ein und aus. Dort fanden sich Abends oft die Landkinder zusammen, und wenn der gutmütige Mann die Geige von der Wand nahm und Tänze darauf spielte, fing die kleine Gesellschaft an zu hopsen und zu springen, daß es eine wahre Freude war, die vergnügten Knaben und Mädchen sich erlustigen zu sehen.
So hatte es Heinrich Pahl schon vor einer Reihe von Jahren gemacht, und jetzt war's noch nicht anders mit dem jungen Nachwuchs.
Des Musikanten einzig Töchterlein, die schmucke Anna mit den braunen Augen und dem kastanienfarbenen Haar, sah allerdings nur noch dem lustigen Gebühren der kleinen hampelnden Schaar zu und stiftete Ordnung, wenn es not that. Früher war sie auch tüchtig dabei gewesen.
Mittwoch und Sonnabends Nachmittags fanden sich bei der wirtschaftlichen Jungfrau kleine Mädchen ein, denen sie, gegen eine geringe Entschädigung, Unterricht im Stricken erteilte.
Die Leute im Dorfe meinten, zwischen dem rotwangigen Müllerburschen und der vielleicht drei Jahre jüngeren Tochter Walthers existire ein geheimer Liebesbund, der gewiß längst an die Oeffentlichkeit gelangt sei, wenn der Stiefvater Heinrich's nicht ein entschiedener Gegner der Musikantenfamilie wäre.
Und woher stammte diese Feindschaft untereinander? Verleumderische Zungen hatten es dem Müller ins Ohr geblasen, daß sein Sohn ganz in den Netzen der allerdings sehr hübschen Geigertochter gefangen sei. Dort setze man auch alle Hebel in Bewegung, ihn, den gesetzlichen Mühlherrn, aus seinem Besitztum zu vertreiben, damit die „povere Dirne" nur bald an den Mann komme.
In seinem grenzenlosen Mißtrauen glaubte der unfreundliche Stiefvater all' dieses Geschwätz, an dem in Wirklichkeit auch nicht ein zutreffendes Wort war. Eine kindliche Freundschaft herrschte wohl zwischen den beiden jungen Leuten, indes von Liebe schien ihr Herz nichts zu wissen. Verwunderung hatte es allerdings hie und da erregt, daß Anna dem jungen Lehrer des Nachbardorfes, der um sie angehalten, artig ausgeschlagen.
Zu beneiden war Hartwig schon um den Besitz der Elstermühle; so schön lag sie. Aber man sagte, es laste eine böse Verwünschung auf dem Besitztum, und es stürbe schon lange kein Eigentümer desselben eines natürlichen Todes. Vor über hundert Jahren — so lautet die Legende — sei eine arme Magd von dem damaligen Müller beschuldigt gewesen, ein goldenes Ohrgehänge entwendet zu haben. Trotz ihrer Unschuldsbeteuerungen wurde die Verzweifelnde, weil zu viel Verdachtsmomente gegen sie Vorlagen, zu Gefängnisstrafe verurteilt. Als das Mädchen wieder frei kam, stürzte es sich, halb wahnsinnig in den Mühlenkolk, wo es den gesuchten Tod fand. Bald
darauf ließ der Eigentumsherr eine nahe am Wasser stehende Pappel fällen, in deren äußersten Spitze sich ein Elsternest befand. Zu Aller Erstaunen entdeckten die Arbeiter im Horst des diebischen Vogels einen vermißten Schmuck. Das hatte sich der harte Mann später zu Gemüte gezogen und schließlich erhängte er sich in tiefer Schwermut — Ein merkwürdiges Zusamentreffen mußte man es allerdings nennen, daß Heinrichs Vater von einem hoch beladenen Wagen gestürzt und tot gefahren wurde. Der Großvater hatte beim Pflügen in Folge Durchgehens der Pferde ein plötzliches Ende gefunden, und nun fehlte natürlich der Weissagung des Volksmundes die Begründung nicht. Von jener alten Zeit her sollte die Besitzung auch „Elstermühle" heißen.
Das Mahlhaus bestand nur aus einem schlichten, einstöckigen Gebäude, das noch nach alter Weise mit Stroh gedeckt war. Unmittelbar an den kleinen Hausgarten grenzte ein großer Teich, unterirdisch von nicht sichtbaren Quellen gespeist. Eine breite Holzrinne leitete das Wassir von dem weiten Becken auf das große Rad, und dies selbst wieder befand sich unter einem Bretterdache, damit ihm gegen die kalten Winierstürme und gegen überstarken Schneefall Deckung wurde.
Herrliche Buchen und Eichen rahmten das still träumende Wasser auf zwei Seiten ein. Der Uferrand, welcher nahe dem Hause durch eine Rasensäumung des Fahrweges gebildet wurde, war noch heute von gewaltigen Pappeln bestanden, und in den schwankenden Spitzen der Bäume nisteten auch jetzt noch die nicht zu vertreibenden Elstern. Hartwig hatte es schon mehrere Male versucht, die reiserwulstigen Brutstätten mittelst Schrot herauszuschießen; die Kugeln drangen aber nur bis an die im Nest befindliche Lehmschicht und durchschlugen diese nicht.
Als die schlauen Vögel erst gemerkt, daß es auf sie abgesehen war, wurden sie noch vorsichtiger wie bisher, und sonderbarer Weise stahlen sie von da ab auf dem nahen Mühlenhofe nicht das Geringste mehr, sondern holten meistens ihre Beute aus dem seitab gelegenen Dorfe. Behaupten doch viele Naturforscher, daß der böse Räuber klüglich fast immer die Höfe von seinen Brandschatzungen verschone, wo er sein ungewünschtes Heim aufgeschlagen.
Während Heinrich Pahl sich bei den Mahlkunden einer gewissen Beliebtheit erfreute, gingen die Leute dem „von unten auf glupen- den" Besitzer der Mühle gern aus dem Wege. Hartwig selbst mied es, mit Fremden Zusammentreffen. Nie hatte er für irgend Jemand ein freundlich Wort und oft gab er den etwa fragenden Gästen gar keine Antwort, sondern zeigte nur mit der Hand auf das Burschenzimmer, in dem der junge Gesell zu walten pflegte. Galt es aber, irgendwie den Herrn herauszustreichen, so that es der Müller in ziemlich brutaler Weise. Wehe dann dem Stiefsohn, wenn dieser Veranlassung zu solchem Akte gegeben! Dann wies der Brummbär dem thätigen Menschen rücksichtslos jedesmal die Thür und es setzte einen wahren Hagel von Vorwürfsn und Grobheiten.
Heinrich ließ solch häusliche Stürme still über sich ergehen, und es war das erste Mal, daß er seinem bösen Vater die Spitze geboten, als wir ihn Eingangs der Erzählung gehört.
Mit seinen Feldnachbarn lag der Müller alle Nase lang im Grenz-Prozeß. Jetzt hatte
er wieder den Dorfstellmacher verklagt, der einen Streifen von seinem Rübenacker abgepflügt haben sollte. Das Gericht entschied jedoch zu Gunsten des Beschuldigten. Der Kläger mußte nun die bedeutenden Kosten tragen und wurde selbst in der Berufs-Instanz abgewiesen. Um sich aber an dem Gegner zu reiben, hatte der Erboste auf die Grenze einen hellgrauen Stein setzen lassen, der in schwarzer Schrift die Worte trug: „Bis hierher und nicht weiter!"
Als Sachführer bei seinen Streitereien diente dem prozeßsüchtigen Manne ein „Anwalt", wie sich der kleine verwachsene Winkeladvokat selber nannte, der schon die mannigfachsten Beschäftigungen durchgemacht, aber verlottert war und jetzt den Leuten gegen Zahlung seinen Rechtsbeistand angedeihen ließ. „Die Sache muß äußerst schneidig betrieben werden, wenn wir etwas ausrichten wollen!" Das war die stehende Redensart des Gnomen, womit er seine Klienten teils aufzumuntern suchte, teils sich selbst aber auch damit als den Mann hinstellte, der so etwas fertig brachte. — Wurde später der Prozeß doch nicht gewonnen, dann beschuldigte der Mensch die Richter der Parteilichkeit, oder er verdächtigte die Zeugen des Meineides.
Diese obskure Person genoß sonderbarer Weise in hohem Grade das Vertrauen des unfriedlichen Müllers Kam der Rechts-Konsulent mit seiner Frau und den vier Kindern auf den Mühlhof, so zeigte sich Hartwig als ein ganz biegsamer und schmiegsamer Hauswirt, wenn er auch den Blick nicht recht vom Boden zu erheben vermochte.
(Fortsetzung folgt.)
L i t t e r a r i s ch e s.
Ueberaus glanzvoll verspricht der neue, neunte Jahrgang der schönen Familienzeitschrift „Vom Fels zum Meer" zu werden, nach dem ersten Hefte zu schließen, das uns jetzt vorliegt. Das gediegene Journal hat stets den Charakter der liebenswürdigen Vornehmheit bei Tiefe und Reichtum an Stoff sich zu wahren gesucht, in diesem Jahrgang scheint es jedoch sich zu einer Höhe emporzuschwingen, die seine bisherigen Leistungen weit übertrifft. Es liegt etwas außerordentlich Lebensvolles und Frisches in dem neuen reichhaltigen Hefte, das fast einen stattlichen Band repräsentiert. Romane wie W. v. Hillern's großangelegtes Werk „Am Kreuz", H. Bauer's „Läuterungen", Novellen wie Rosentahl-Bonin's „Meisterschuß", Barack's „Der waise Mabbi". Essays, wie jener über Goethes Eingreifen, dem deutschen Volke eine Art weltliche Bibel zu verschaffen; Eckstein's „Rom unter Nero" mit Bilder; Beck's „Münchener Malerateliers" mit Abbildungen der Künstlerwerkstätten nach Photographien; Reise- und Landschaftsschilderung von der Art der Ferienreise in die Eifel, und eine Fahrt durch die zauberhaften Grotten bei Canzian — beide musterhaft schön illustrirt, dürften zu den besten und feinsten gehören, was auf diesem Gebiet geleistet wird. An den sehr liebenswürdigen und unterhaltenden Beigaben dem Sammler, den prächtigen Vollbildern und was sonst noch alles dieses Heft bringt, sehen wir gleichfalls einen großen Aufschwung. Das Abonnement ist außerdem wirklich auffallend billig, so daß man kein Prophet zu sein braucht um „Vom Fels zum Meer" die rückhaltlose Anerkennung des Publikums vorauszusagen.