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den Abgrund gestürzt hätte, zerschunden und blutend gelangte ich endlich an die Oesfnung des Schachtes. Hier lag ich, in todtenähnlichen Schlaf versinkend, mehrere Stunden und schleppte mich dann, oder kroch vielmehr bis zur nächsten Hacienda, wo ich Fuhrwerk nach Lauricocha fand. Noch am Mittag desselben Tages setzte ich die Eingabe an den mir. persönlich bekannten Distriktsbeamten auf, mir das MuthungS- recht für die Halde der Inkas zu gewähren, und bat gleichzeitig Sennor Peranni um meine sofortige Entlastung. Schon am Abend händigte mir Ersterer in höchsteigener Person das Dokument nicht ohne einige Spottreden auf meine voraussichtlich verlorene Liebesmühe aus, und mein bisheriger Prinzipal schickte mir mit einigen höflicken Worten des Bedauerns über meinen Unfall die gewünschte Entlastung. Als ich beides in Händen hatte, war ich verständig genug, um vor Allem erst an meine Gesundheit zu denken, und ich befand mich denn auch in vier Wochen wieder glücklich auf den Beinen. Nach weiteren vierzehn Tagen sprach ganz Mexiko von nichts Anderem, als von dem neuen Silberfunde auf der Halde der JnkaS, und ich erzielte, beiläufig bemerkt, schon im ersten halben Jahre eine Ausbeute von nahezu drei- malhunderttausend Franken."
Renner war der Erzählung des Freundes in athemloser Spannung gefolgt. Jetzt sprang er auf und drückte jenem herzhaft die Hand. „Glück im Unglück, Camill — wie so oft im Leben! Aber nimm meinen innigsten Glückwunsch, Du bist ja ein kleiner Krösus!"
Venaggio lachte, aber sein Lachen klang herb und bitter.
„Ich leugne nicht, daß der Besitz mich freute, weil er mir die Möglichkeit schuf, den Kampf um mein Recht aufzunehmen, das mir und meiner Mutter erbarmungslos entzogen worden war, und mich gleichzeitig vondemVer- Verdacht befreite, als ob ich um schnöden Mammons willen einen gehässigen Streit vom Zaune brechen könnte. Aberhöre weiter.
Es war, als ob das Glück mir den Reichthum, den es mir so lange entzogen, recht sichtbar mit vollen Händen in den Schoß schleudern wollte. Da ich das ausschließliche Muthungsrecht auf der ganzen Halde besaß, und' man natürlich vermuthete, wo ich Silbererz gefunden habe, müßten noch weitere Schätze verborgen sein, riß man sich plötzlich um die in meiner Hand ruhenden Kuxe und bot mir Gold über Gold für die Abtretung von Theilstrecken. Nicht genug damit, schlugen mir einige Spekulationen, zu denen ich fast gezwungen wurde, um mein Geld nicht brach liegen zu lasten, mit bedeutendem Erfolge ein, kurz, ich galt bald für einen sehr reichen Mann. Ich will wenigstens beiläufig erwähnen, daß man mir Seitens des Sennor Peranni und seiner Tochter noch in letzter Stunde einige Fallen stellte und Sennora Juanita gar nickt abgeneigt erschien, ihren geliebten Don Ouilca zum zweiten Male fahren zu lasten, aber ich dankte für die mir nach Lanoes- fitte oder Unsitte ziemlich offenkundig angetragene Ehre, ich hatte genug an dem einen tief schmerzenden Streich, den die Falsche meinem Herzen versetzt halte.
Bis Mitte vorigen Jahres weilte ich in Mexiko, dann benutzte ich eine günstige Gelegenheit, die sich mir bot, einen tüchtigen deutschen Ingenieur als meinen Stellvertreter zu engagiren, und reiste von Veracruz als Marquis Venaggio ab, um in Genua als Graf Stolzenhagen zu landen.
Ich komme damit zum zweiten Theile meiner Laufbahn. Aber komm, mein alter lieber Freund, laß uns zunächst einmal die Gläser
Ter neue Justizpalast in Brüssel. sS. 198)
füllen und anstoßen: auf Dein und Deiner Schwester Wohl! Sie ist ein schönes Mädchen geworden, die liebe Gerts, die ich so oft auf meinen Knieen geschaukelt, und der ich die ersten Laute nieiner schönen Muttersprache beibringen durfte."
Renner sah sinnend in die leuchtende Krhstallschale. „Ja, sie ist schön und, was mehr sagen will, klug und gut. Der Himmel bescheere ihr ein glückliches Loos! Aber weiter, Camill, weiter!"
„Ich muß um Jahrzehnte zurückgreifen," Hub der Graf abermals an. „Mein Großvater mütterlicherseits, der nach dem Verkauf des letzten seiner Güter in Rom in ziemlich mißlichen Verhältnissen ge starken war, hatte sein einziges Kind der Obhut einer alten, selbst fas mittellosen Tante überlasten müssen. Bei ihr, die wie so viele U kömmlinge altadeliger Geschlechter Italiens als letzten Besitz nur noch einen jener weitläufigen, altersgrauen Paläste besaß, an denen unsere Städte so reich find, und sich davon nährte, seine öden Räume an reiche Fremde zu vermiethen, wuchs meine Mutter auf, bei ihr lernte sie meinen Vater kennen. Er war ein deutscher Maler, Dilettant wohl mehr als Künstler, der einzige Sohn eines reichen Majoratsherrn, Graf Stolzenhagen war sein Name.
Meine gute Mutter muß ihn sehr geliebt haben, und mir, dem Sohne, steht es nicht an, ihn zu verurtheilen, daß er ihr Loos nicht für die Zukunft sicher stellte. Wer kann auch heute noch die Verhältnisse beurtheilen, die das Unheil damals herbeiführten, und alle Zukunftspläne meines Vaters über den Haufen warfen. Ich will kurz sein. Ein alter Geistlicher vom Kloster San Martina, ein Bekannter der Familie meiner Mutter, traute die Eltern, und sie verlebten zwei Jahre ungetrübten Glücks, bis Plötzlich das Unglück hereinbrach. Ich war gerade ein Jahr alt, als der Vater an einer Lungenentzündung schwer erkrankte; kaum genesen, warf ihn die Malaria auf's Neue auf's Kransollte. Meine den Vater oft
kenlager, das nur zu schnell sein Todtenbett werden Mutter, so erzählt sie in ihren Aufzeichnungen, hatte anaefleht, sich mit den Seinigen über seine Heirath zu verständigen; wohl sagte er eS dann zu, aber immer und immer wieder mußte sich die entscheidende Mittheilung verzögert haben, augenscheinlich hatte er den Stolz seines Vaters, desten Abneigung gegen eine fremde Schwiegertochter gefürchtet. Als dann die Krankheit gefährlich wurde, benachrichtigte ein Freund, welcher der Gesandtschaft attachirt war, den Majoratsherrn. Er kam umgehend und fand den todkranken Sohn — und besten Familie.
Dennoch muß sich überraschend schnell eine glückliche Verständigung mit dem Großvater angebahnt Hecken, denn wie hätte der alte Herr auch dem Liebreiz, der Herzensgüte meiner Mutter widerstehen können, wie dem Flehen eines geliebten Sohnes, der mit dem Tode kämpfte d Aber wie ja fast nie ein Unglück allein kommt: kaum war mein Vater dem heimtückischen Fieber erlegen, so erkrankte der Großvater, und wenige Tage nur nach seiner Ankunft schloß auch er die Augen für immer. Meine Mutter stand allein. Ein entfernter Verwandter der gräflichen Familie, der nächste Agnat des Majorats nach meinem Vater, kam nach Rom, die Leichen nach der Heimath überzuführen; er war nicht wenig erstaunt und noch weniger angenehm berührt, in meiner Mutter die Gattin seines Neffen, in mir den berechtigten Erben der Herrschaft Stolzenhagen zu sehen.
Erst mit verletzend herablassendem Wohlwollen, dann mit brutaler