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Leipzig, 19. Nov. Ein Student stürzte sich in vergangener Nacht vom Viadukt der Thüringer Bahn auf einen durchfahrenden Zug und wurde zermalmt.
Leipzig, 21. Nov Auf Ansuchen der Staatsanwaltschaft ist der Inhaber der falliren Birma Bernh. Sandbank u. Co., Bankier Sandbank, verhaftet worden. Die Angelegenheit steht im Zusammenhang mit der Leipziger Diskontogesellschaft. Es handelt sich angeblich um Wechselfälschunnen.
Wien, 20. Nov. Die meisten Zeitungen folgern aus den Berliner Nachrichten über den Besuch des Czaren, daß derselbe doch große politische Tragweite gewinne. Die französischen Vorgänge finden auch hier lebhafte Beachtung; die Blätter sagen: Seit Mac Mahon bestand keine gleich ernste Krisis in Frankreich. Grevys baldiger Rücktritt wird fast ausnahmslos als unvermeidlich vorausgesagt. Das offiziöse „Fremdenblatt" wendet sich mit scharfen Worten gegen die verhetzenden Lügen französischer Blätter, speziell auch gegen die „Republique sranyaise", welche bald Oesterreich, bald Italien verdächtigen wollen, und deutet an, daß jene systematischen Lügenberichte kauin französischen Federn entstammen
Griest, 20. Nov. Der in Conegliano ansässige östreichische Bankier Aron Pollak wurde gestern um 5 Uhr Abends in seinem Bureau ermordet und gänzlich ausgeplündert. — Die kais. Dampf-Pacht „Greif", auf welcher sich die Kaiserin von Oestreich auf der Rückreise von Korfu befand, hat in der Nacht vom 17. zum 18. Nov. bei Rovigno das italien. Schiff „Nuova Corinna" in den Grund gebohrt Ein Schiffsjunge ist ertrunken, während die 6 Matrosen der Corinna vom Greif nach Mi- ramar gebracht wurden.
Aern, io. Nov. Das Kriegsgericht der 3. Division in Bern hat heute den Füsilier CH. Hürst, der bei einer Gefechtsübung seines Regiments am 7. Okt. einen gegenüberstehenden Kameraden durch einen Schuß tötete und einen anderen schwer verletzte, zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Verhandlungen nahmen unter großartigem Zudrang des Publikums zwei volle Tage in Anspruch. Der erst 23 Jahre alte Verbrecher ist ein geistig beschränkter, aber nicht unzurechnungsfähiger Mensch.
Naris, 20. Nov. Das Ministerium ist durch eine Koalition von 169 Intransigenten und 148 Monarchisten gestürzt; trotzdem bleibt der Regierung die frühererepublikanischeMajori- tät, so daß es Grevy nicht an einer Basis für die Neubildung des Kabinets fehlt. Grevy konferirte bis jetzt nur mit Freycinet. Grevy erklärt um so fester auf seinen Posten verharren zu wollen, je offener die heutigen Morgenblätter angesichts der gestrigen Kammermajorität zugestehen, daß das Votum eigentlich verfassungswidrig gegen ihn selbst gerichtet war. — Zum Untersuchungsrichter in der Affaire Wilson ist Appellrat Horteloup, angeblich ein Freund der Grevy'schen Familie, ernannt.
Wrüsses, 21. Nov. Der hier gestorbene Geschichtsmaler Louis Gallait hat über vier Millionen Francs hinterlaffen.
Netersöurg, 20. Nov. Das „Journal de St. Petersbourg" hebt heevor, daß der Empfang der russischen Majestäten in Berlin ein überaus herzlicher gewesen sei. Die tief empfundene Sorgfalt, mit welcher Kaiser Wilhelm persönlich über die Vorbereitungen zu dem Empfange wachte, zeigten aufs neue seine Anhänglichkeit an die monarchischen Traditionen sowie für die Familienbande, die ihn mit dem russischen Kaiserhause verknüpfen. Die schmerz
lichen Besorgnisse wegen der Gesundheit des Kronprinzen, denen die. russischen Majestäten sich von ganzem Herzen anschlossen, brachte es mit sich, daß den Monarchen die Beobachtung eines ermüdenden Ceremonials erspart und der Charakter einer Familienzusammenkunft gewahrt wurde, die um so herzlicher war, als die Umstände auf die gegenseitigen Sympathien besonders hinwiesen. Die Bekundung dieser Gefühle, die sich stärker als alle Prüfungen gezeigt haben, wird sicherlich beiden Souveränen teuer gewesen sem. Wir sind überzeugt, daß die russische Gesellschaft daran teilnehmen wird und dürfen gern glauben, daß auch die deutsche Nation sich in derselben Weise an den von gegenseitiger Zuneigung getragenen Intentionen ihres Monarchen beteiligen wird. Mögen diese guten Eindrücke sich treu in den Beziehungen der beiden großen Reiche widerspiegeln.
London, 20. Nov. Der Dampfer „Schölten", von Rotterdam nach Newyork unterwegs, stieß Sonnabend Abend während starken Nebels mit dem Dampfer „Rosa Mary", von Hartlepool, in der Nähe von Dover zusammen. Der „Schölten" erlitt sehr schwere Havarie und begann zu sinken. Die meisten Passagiere, welche sich auf dem Vorderdeck befanden, drängten nach der Kommandobrücke, wo sich schreckliche Scencn abspielten. Die Passagiere schienen vom Schrecken wahnsinnig geworden zu sein. Mehrere Rettungsboote wurden hinabgelassen; allein der „Schölten" lief so rapid voll Wasser, daß zur Rettung zu wenig Zeit blieb. Von den Passagieren und der Mannschaft wurden ungefähr 80 gerettet und in Dover gelandet, etwa 130 Menschen sind ertrunken.
Newyork, 18. Nov. Johann Most wurde heute dem Potizeirichter vorgeführt. Er erklärte sich nicht schuldig und wurde gegen Stellung von Kaution freigelaffen. Die Schlußverhandlung findet am 22. November statt. (Most ist am 17. d. M. verhaftet worden, weil er am vorigen Sonntag anläßlich der Hinrichtung der Chicagoer Anarchisten eine Brandrede gegen die Behörden, Geschworenen rc. von Chicago gehalten hat: zwei deutsche Polizeiagenten sollen die Rede stenographiert haben.
Mewyork, 18. Novbr. Nachrichten aus Memphis zufolge wurden durch eine große Feuersbrunst 13 200 Ballen Baumwolle ein Raub der Flammen. Der Verlust wird auf 750 000 Dollar geschätzt. Ein beträchtlicher Theil Baumwolle war zur Abfuhr bestimmt.
Tnirrhalirndks.
Z)ev tolle Jonas.
Wilderergeschichte von Hermann Robolski 16) (Schluß).
Dort war aber nichts zu sehen und zu spüren. Wohl fand der Gutsherr auf dem brennesselübeczogenen Schutt einen roh aus Schaffell angefertigten Tabaksbeutel; auch ein abgenagter Rehkopf mit wundervoller Krone wurde aus dem Dickicht hervorgezogen, von der Anwesenheit eines menschlichen Wesens jedoch gab sonst nichts Kunde.
„Wenn die Sache nur nicht auf einem Irrtum beruht!" meinte abfällig Herr v. Mi- chowski. „Ich sollte denken, der Frevler wäre nun in das unzugänglichste Dickicht des Waldes geflohen. Am Ende hat irgend ein Holzschläger zufällig die Stelle des Waldes passiert."
Diese Ansicht fand indessen allseitige Widerlegung. Drei, vier Personen wollten den
plötzlich Verschwundenen deutlich gesehen und in ihm den tollen Jonas erkannt haben.
Der Major schüttelte den Kopf. „Wenn das gewiß ist," sagte er immer noch zweifelnd, „dann müßte der Verbrecher geradezu in die Erde geschlüpft sein. Hier oberhalb hätten wir ihn ja gefunden."
Und das wäre auch nicht unmöglich!" warf einer der jungen Forstleute ein. „Wir wollen gleich mal die Probe machen."
Der Grünrock nahm einen rundlichen großen Feldstein und rollte ihn wie eine Kegelkugel über die in der Mitte der Trümmer befindliche kleine freie Rasenfläche.
„Hier drunter ist's hohl!" sagte er bestimmt. „Jetzt handelt es sich nur darum, den Eingang in das unterirdische Reich zu finden."
Jeder Dornenstrauch und Busch in der Runde wurde durchsucht, aber immer noch ohne Erfolg. Da nahten sich ein paar Treiber spähend der alten Kaminwand. Mühsam entfernten sie einen Teil des Stechpalmengestrüppes und stießen nun auf die hochstehende Steinplatte.
„Wollen das Ding mal wegbringen!" meinte der Eine der Knechte und schob die Fliese mit kräftigem Ruck seitwärts.
„Ist nichts!" sagte der Andere und betrat den frei gewordenen kleinen Raum. In demselben Moment aber schrie der Nichtsahnende: „Halt still!" und versank spurlos in die Tiefe.
Acht bis zehn Männer eilten dem Notschrei nach und starrten verwundert in die unterirdische Höhle. Doch als wären Dämonen der Hölle hinter ihm her, kam der Versunkene auf allen Vieren wieder heraufgeklettert.
„Er ist drin! Er ist drin!" sprang der Geängstigte wie besessen umher. „Herrgott! — hätte er mich umgebracht!" —
Nun wurde beratschlagt, wie man den Verfolgten an die Oberfläche locken könne. Zu ihm in den Keller steigen wollte Niemand.
Einzelne meinten, der Flüchtling müsse auSgeräuchert werden; wieder andere waren der Ansicht den Wildschütz ordnungsmäßig zu belagern und aushungern zu lassen.
„Das führt Alles gar nicht oder zu langsam zum Ziele!" sagte energisch der Major. „Wer Mut besitzt, der folge mir!
Damit machte der beherzte Mann Anstalt, die gespannte Büchse in der Hand, in das dunkle Versteck herunterzusteigen. Drei Förster folgten ihm auf dem Fuße.
Kaum hatte sich jedoch der Gutsherr dem Eingänge genaht, so geschah eine Explosion, die mehrere der umstehenden Männer zu Boden warf. — Rauch und Staub wirbelten dick empor und das Einschlüpfloch sank vollständig in sich zusammen. Die Kaminmauer war nach innen gestürzt, hatte die Kellerwölbung von oben durchschlugen, und ein großer Haufen von Steinen und Mörtel zeigte nur noch die Stelle an, wo früher das Versteck gewesen. Der tolle Jonas hatte sein Asyl in die Luft gesprengt.
Von den Menschen da draußen war glücklicherweise Niemand erheblich verletzt. Als mehrere Mann sich anschicken wollten, den Schutt wegzuräumen, sagte Herr von Michowski abwehrend :
„Laßt Alles wie es ist! Lebend wird der Verbrecher doch nicht mehr zu Tage gefördert. Mag er dort unten und hier tief im Walde seine Ruhestätte behalten, die er sich selbst gesucht. Was nützt uns auch der Leichnam des Bösewichts. — Wild und Heerden werden jetzt wieder Ruhe haben."
Auf einer Tragbare wurde der verwundete Förster in das Dorf gebracht, wo ihm der Arzt die Kugel aus dem Körper entfernte.