schusses schriftlich aufgefordert, sich innerhalb acht Tagen zu erklären, ob sic ihre Verpflich­tung zur Schadlos Haltung der Gläubiger an­erkennen und ob sie dieselbe Verpflichtung den Aktionären gegenüber einräumen.

Kamekn, 7. Nov. Heute Morgen ist der nördliche Flügel der Wesermühle eingestürzt; mehrere Arbeiter, sowie Bewohner des Nach­barhauses sind verschüttet worden. Der Ma­gistrat erbat Hilfe von dem Pionierbataillon in Minden.

Audapest, 7. Nov. Baron Moritz Hirs ch hat den Entschluß gefaßt, an sämmtliche in Europa wirkende israelitische Wohlthätigkeits- Anstalten 100 Millionen Francs zu verteilen. Baron Hirsch hat ein Verzeichniß bereits zu­sammenstellen lassen und sein Sekretär Vene- trani hat die Verteilung bereits mit der Be­reisung Rußlands begonnen.

Aus Kärnten, 4. November. Am 1. und 2. Nov. ist im Miesthale durch anhal­tenden Regen und Schneeschmelze Hochwasser eingetreten, wobei die Mies aus den Ufern trat, Bäume entwurzelte, Brücken zerstörte, in Prävali die Tclephonverbindung zerriß und den Damm der dortigen Lokalbah arg beschä­digte. In Pravaii wurden bereits Häuser ge­räumt, da ein Dammbruch drohte, der zum großen Glücke nicht erfolgte.

Karis, 7. Nov. Vor dem neueröffnete» glänzenden Bierlokal Zinncrs, eines Elsässers, auf dem Boulevard Monmartre fand gestern Abend ein großer Menschenauflauf statt, bei welchem gegen das deutscheBier protestirt wurde. Von der Polizei zerstreut, erklärten die Manifestanten, sie würden wieder kommen. Bei dem Turnfest, welchem als Vertreter des Kriegsministers Ferron General Jeanningros präsidirte, kam es zu keinem Skandal, nicht einmal bei der Ueberreichung der von Dcrou- lsde gestifteten Preise.

Wom, 5. Novbr. Die Cholera kann, wie amtlich berichtet wird, in ganz Italien als erloschen bezeichnet werden, da der letzte Be­richt in ganz Italien blos zwei neue Erkrank­ungsfälle, den einen in einer der Landgemein­den Messinas, den zweiten ebenfalls in einer Landgemeinde der Provinz Reggio bei Cala­bria aufweist.

Am 6. d. M. wurde in Iurkn ein Denkmal für Garibaldi, in Intra ein Denkmal für Viktor Emanuel feierlich enthüllt.

Wellinzona, 6. November. Vorgestern kam ein junges Pärchen aus Mailand in Ai- rolo an und stieg im Gasthof ab; sofort, nach­dem sie ein Zimmer bezogen, feuerte der junge Mann zwei Schüsse aus einem Revolver auf seine Begleiterin und tötete sich selbst. Die junge Dame ist nicht tot, aber es bleibt wenig Hoffnung, sie zu retten.

Stockholm, 7. Nov. Der zweite Direk­tor der Stockholmer Handelsbank, Hugo von Nyström, wurde gestern wegen Veruntreu­ung von 290,000 Kronen verhaftet.

Petersburg, 7. Nov. Soeben verstarb hier an den Folgen einer Operation Friedrich Junker, Chef des gleichnamigen Bankhauses in Petersburg und Moskau. (Der Verstor­bene war ein Bruder des gleichnamigen Afri­kareisenden Dr. Junker.

(Stürme in England.) Aus London, 2. November, wird geschrieben: Der Sonn­tagssturm ist gestern mit erneuter Heftigkeit zurückgekehrt, hat ganz Großbritanien mit Re­gengüssen überschwemmt und die Küsten mit Strandgut bedeckt. Im St. Georgs-Kanal zwischen England und Irland tobte er am wütendsten, gefährdete die Postdampfer und riß in der Nachbarschaft der Landungsstation Holyhead den Eisenbahndamm halb weg. In

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Mersey trieb er losgerissene Schuner gegen die Brücken; bei Cardiff zerstörte er eine Menge kohlenbeladener Küstenschiffe; vor Plymouth entankerte er das PanzerschiffConqueror" und unterwühlte den Eisenbahndamm. Von allen Seiten laufen ähnliche Berichte ein.

Khicago, 7. Nov. Bei Untersuchung der Zellen der verurteilten Anarchisten wurden in Linggs Zelle sechs gefüllte Bomben gefunden, unter Zeitungen verborgen. Strengere Maß­regeln bezüglich des Verkehrs mit den Gefan­genen wurden getroffen. Der Referent des Obergerichts von Illinois hat den Repräsen­tanten der Union und den größten Zeitungen Europüs den Text der Verhandlungen des Anarchistenprozesses zugestellt, um das Verfah­ren des Gerichtshofes darzulegen.

Der Kampf mit dem Toten.

Unter dieser auffallenden Ueberschrift er­zählt in der WienerNeuen Freien Presse" eine deutsche Frau aus Mexiko einen Vorfall, dessen Wahrscheinlichkeit uns einigermaßen zwei­felhaft erscheint. -Doch ist die Begebenheit dem genannten Blatt selbst derartig interessant er­schienen, daß es dieselbe zum Abdruck gebracht hat, Fachleuten die Entscheidung darüber an­heimstellend, ob die Sache überhaupt denkbar sei oder nicht. Die Frau schreibt aus Chihu­ahua in Mexiko, was folgt:

Wir befinden uns in Chihuahua, einer Stadt von 20 000 Einwohnern im Norden Mexikos. Es leben und wirken Deutsche dort. Eines Morgens stirbt ein junger Deutscher, plötzlich hinweggerafft von einer namenlosen Krankheit, welcher unvorsichtige Frem.de, die sich der heimatlichen Lebensweise, des Bieres zumal und aller geistigen Getränke nicht ent­wöhnen können, so leicht zum Opfer fallen. Der verstorbene Landsmann wurde so würde­voll wie möglich zur Ruhe gebettet. Der Totengräber Juan Gonzalez gräbt nur die Gräber, die man ihm bezahlt, und diesmal ist das Trinkgeld sehr gut ausgefallen. Gleich­wohl hat er schlechte Arbeit dafür gethan, denn als der Sarg in die Erde gesenkt werden soll, stellt es sich heraus, daß das Grab zu kurz für ihn ist. Man will ihn hineinzwängen, allein es geht nicht. Die Träger setzen sich auf den Deckel, treten darauf, um den Sarg hineinzudrücken; der Deckel zerbricht, löst sich los, der Sarg neigt sich schief und ein allge­meiner Schrei des Entsetzens gellt plötzlich durch die Luft. Der Tote, ein breitschulteriger Mann, ist herausgefallen, mit Frack und weißer Hals­binde festlich geschmückt, die Arme über der Brust gekreuzt, bereits schrecklich anzusehen. Alles wendet sich ab, indes Juan Gonzalez das Grab verlängert, erweitert und dabei das Innere der benachbarten Ruhestätte mit der Hacke aufwühlt. Endlich ist das schauerliche Werk vollendet und der fremde, stille Mann, dem ein Freund in der Sprache der Heimat ein letztes Lebewohl zuruft, kann jetzt der ewi­gen Ruhe genießen. Bis in's Innerste er­schüttert, verläßt alles den Friedhof. Juan Gonzalez schaufelt gleichgiltig ein neues Grab. Noch ist es bei ihm nicht bestellt worden, er will es eben in Vorrat haben. In der fol­genden Nacht glaubt ein in der Nähe des Friedhofes wohnender alter Mexikaner einen herzzerreißenden Hilferuf zu vernehmen. Ein furchtbares Gewitter ist losgebrochen. Der Regen gießt in Strömen nieder, der Sturm heult, als ob die Thore der Hölle aufgesprungen wären. Blitze zucken durch die schwarze Nacht. Und mitten in dem schauderhaften Getöse der markdurchdringende Ruf einer Menschenstimme! Was soll das heißen? Der alte Mexikaner

weckt seine Söhne, und wohlbewaffnet suchen sie die ganze Gegend ab. Sie finden nichts Verdächtiges. Es muß ein Irrtum gewesen sein, eine bei solchem Unwetter leicht begreif­liche Sinnestäuschung . . . Doch am nächsten Morgen stürzen zwei Bekannte des Mexikaners totenbleich in seine Hütte. Sie hatten sich frühzeitig auf das Campo Santo begeben, da sie für einen in der Nacht verstorbenen Freund ein Grab graben wollten, aber sie waren als­bald von einem unnennbaren Schreckensgesicht in die Flucht gejagt worden; Juan Gonzalez, den Totengräber, erzählen sie, sich vielfach be­kreuzend, habe ein Toter gepackt, und der Tote habe ven Lebenden fest umklammert und in der Umklammerung erwürgt. Die Polizei wurde gerufen, Aerzte herbeigeholt. Zagend betrat man den Friedhof, und Alle blieben wie ge­lähmt am Eingang stehen, so grauenhaft war das Bild, das sich ihnen darbot.Sie riefen Juan Gonzalez", erzählt die Schreiberin des Briefes,ja, er war es, sein Gesicht konnten sie freilich nicht seh«i, denn der große Tote, der dort an der Mauer stand, hatte seine Arme fest tim Juan Gonzalez geschlungen und Juan Gonzalez' Gesicht lag an des Toten Brust und Juan Gonzalez gab keine Antwort. Die Sonne schien hell, sie sahen ein offenes Grab, die Schaufel lag daneben, dicht daneben ein zweites offenes Grab, auch ein leerer Sarg. Wie aber kam das? Wie geriet Juan Gonzalez in diese Stellung? Die Antwort ergab sich von selbst. Ter Totengräber war schon einmal wegen Leichenraubes bestraft worden. Offenbar hatte es ihm der neue schwarze Anzug des toten Deutschen angethan. Der Mann faßt den Entschluß, den schönen schwarzen Frack zu rau­ben. Ein Gewitter droht am Himmel, als er sich nächtens auf den Kirchhof schleicht. Rasch will er vor Ausbruch desselben seinen Ent­schluß ausführen. Das locker zugeschüttete Grab ist bald geöffnet; die unheimliche Arbeit schreckt ihn nicht, der Tod ist ja sein Geschäft, er lebt vom Tod; schon liegt auch der Leich­nam blosgelegt vor seinen Augen, seine Finger­spitzen tasten über die sonntägliche Gewandung, wie glatt, wie fein das Tuch! aber die Arme sind über die Brust fest geschlossen, als ob sie krampfhaft das schöne Kleid halten woll­ten ; auf welche Weise kann er den Widerstand brechen? Richtig, so geht es wohl am schnell­sten, wenn er den Toten dorthin in die Mauer- Ecke stellt, da kann er nicht fallen, da kann er bequem entkleidet werden. Gedacht, gethan. Juan Gonzalez ist riesenstark, mit beiden Hän­den biegt er die Arme des Leichnams weit auseinander, um dann, dicht am Toten stehend, schnell den Rock ihm auszuziehen. Aber / o Graus, noch schneller klappen die Arme wieder herunter, kreuzen sich über seinem Rücken, pressen ihn wie mit eisernen Klammern Brust an Brust. Vergebens sucht er sich frei zu machen, der Tote hält den Lebendigen fest und läßt ihn nicht los. Ein entseelter Körper ist ja des­halb noch kein kraftloser Körper, und mit dem letzten Atemzug entschwindet nicht plötzlich alle Muskelstärke. Die sogenannte Totenstarre gleicht vielmehr einer letzten Lebensthätigkeit, bei welcher alle im Körper angesammelte Kraft noch einmal wirkt und in einer äußersten An­strengung sich auflöst. In einem solchen Au­genblick wurde der Leichenräuber von der Leiche erfaßt. Umsonst ringt er mitten in der Nacht mit einem toten Menschen. Wie stark er auch ist, der Tote ist stärker als er. Er windet und krümmt sich in der schrecklichen Umarmung, der Angstschweiß strömt ihm von der Stirn, er stöhnt und keucht, er stößt einen Hilferuf aus und als einzige Antwort fährt ein fahler Blitz mit Donnergekrach durch die Finsternis.