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seit Wochen ihren kranken Bruder beherberge. Obschon sie denselben treu gepflegt habe, sei der Friede zwischen Beiden doch nicht groß gewesen, denn oft seien laute und drohende Worte in der Dachwohnung vernehmbar gewesen. Es habe sich Niemand im Hause darum ge­kümmert, denn die Nähterin fei wenig beliebt. Da sei sie, die Erzäh­lerin, vorhin durch einen Schuß, der über ihr gefallen, aufgeschreckt und gleich darauf sei das Mädchen blutend zu ihr in das Zimmer gekommen, fei zusammengebrochcn und habe nur noch gerufen, daß ihr Bruder auf sie geschossen habe. Mit Müh; habe sie die Verletzte auf's Bett gebracht, ihr Kind zum Arzte geschickt, und sie selbst sei hierher geeilt, um Hilfe zu holen, denn der Bruder des Mädchens habe gedroht, Jeden, der das Zimmer betrete, zu erschießen.

So verworren dies hervorgebracht war, so forschte Efchebach doch nicht weiter, sondern eilte, von einem Polizeidiener begleitet, zu dem bezeichneten Hause, um möglicherweise noch weiteres Unheil zu verhüten. Die Frau folgte ihm und führte ihn zunächst in ihre Wohnung. Die Verletzte lag noch auf dem Bette und schien sehr unruhig zu werden, als fie den Polizeibeamten eintreten sah. Die Verletzung war durch­aus keine gefährliche, denn die Kugel war nur durch das Fleisch des Oberarmes gefahren.

Eschebach richtete mehrere Fragen an sie und es fiel ihm auf, daß fie denselben auszuweichen suchte, fie stellte sich viel schwächer, als sie sein konnte. Auf die Frage, wer auf fie geschossen habe, schwieg fie erst, und suchte es dann so dar­zustellen, als ob eine Unvorsichtig­keit vorliege. Auf den Einwurf, daß fie zu der Frau, in deren Zimmer fie sich befinde, ganz anders ge­sprochen habe, er- wiederte fie, den Kopf auf das Bett zurückbiegend, fie wisse nicht, was fie gesagt habe, weil fie sehr er­schrecktgewesensei.

Eschebach gab es auf, weiter in sie zu dringen, er rief einen Mann herbei und befahl ihm, die Verletzte zu bewachen und nicht zu gestat­ten, daß sie das Zimmer verlasse.

Dann begab er sich mit dem Po­lizeidiener hinaus, um den, der auf das Mädchen ge­schossen hatte, aufzusuchen. Die zur Dachwohnung führende Treppe war mit neugierigen Frauen und Kindern dicht besetzt, so daß er nur mit Mühe sich den Durchgang verschaffen konnte. Er erfuhr, daß der, den das Mädchen als ihren Bruder bezeichnet hatte, daS Zimmer noch nicht verlaßen habe. Zwanzig Hände streckten sich gleichzeitig aus, um ihm die Thüre dieses Zimmers zu bezeichnen. Die Furcht vor dem Manne hatte die Neugierigen zurückgehalten, weiter auf der Treppe vorzudringen. Einige Frauen riefen ihm zu, von dem Zimmer ferne zu bleiben, denn Jeder, der in dasselbe eintrete, werde niedergefchoffen.

Eschebach hörte auf diese Ruse nicht, er wußte aus Erfahrung, daß rasches, entschlossenes Handeln in solchem Falle das Sicherste ser. Schon mehr als einen gefährlichen Verbrecher hatte er durch uner­schrockenes und schnelles Vordringen entwaffnet.

Sie folgen mir I" rief er dem Polizeibeamten zu, sprang die Treppe empor und riß die Thür auf.

Das kleine, ärmliche Zimmer war durch eine auf dem Tische stehende Lampe nur spärlich erleuchtet, in dem Bette lag regungslos ein Mann.

Eschebach sprang zum Tische, erfaßte die Lampe und leuchtete dem Daliegenden in's Gesicht. Erschreckt fuhr er zurück, die Lampe entfiel fast seiner Hand, denn die starren, abgezehrten, hohlen Züge Hercher's blickten ihm entgegen. Das Bett und die Brust des so lange Gesuchten waren mit Blut überströmt, die auf dem Bette ruhende Rechte, welche

Zndianer bei der Bereitung des Ahornzuckers. (S. 152 )

einen Revolver noch krampfhaft umschlossen hielt, verrieth ihm aus den ersten Blick, was geschehen war: der unglückselige Mensch hatte, da er der Entdeckung nicht mehr entgehen konnte, durch einen Schuß seinem Leben ein Ende gemacht.

In der Aufregung hatte Niemand im Hause den Schuß gehört, durch den Hercher sich das Leben genommen.

Eschebach deckte ein Tuch über das Gesicht des Todten, ließ die neugierigen Hausbewohner, die in das Zimmer zu dringen suchten, durch den Polizeibeamten zurückweisen und gab dann Befehl, daß die Nähterin, welche ein herbeigeeilter Arzt während der Zeit verbunden hatte, in das Zimmer geführt werde.

Bleich und zitternd trat das Mädchen ein, der Kommissär gestattete ihr, daß fie sich auf einem Stuhle niederließ. Erst jetzt erfuhr sie den Tod des Mannes, den sie gepflegt hatte, und sie bedurfte einer geraumen Zeit, ehe sie im Stande war, aus Eschebach's Fragen zu antworten.

Sie gab ihren Namen an, derselbe war Julie Behrend. Eschebach's Frage, ob ihr der Name des Todten bekannt sei, beantwortete sie dahin, fie kenne ihn bereits seit längerer Zeit, er sei Lehrer und sein Name sei Walther Hendel.

So heißt er nicht," fiel Eschebach ein.Er heißt Wilhelm Hercher, und war auch nicht Lehrer, sondern Ingenieur."

Ungläubig schüttelte die Getäuschte mit dem Kopfe.

Seit wann ist der Mann bei Ihnen'?" forschte der Kommissär weiter.

SchonseitWo- chen. Er pochte eines frühen Mor­gens an meine Thüre und als ich öffnete, tau­melte er fast ohn­mächtig in's Zim­mer. Er war am Beine verwundet und nicht mehr im Staude, sich aufrecht zu halten. Er bat mich, ihn aufzunehmen und bei mir zu ver­bergen. Er habe am Nachmittage ein Duell gehabt, bei dem er seinen Gegner erschossen, er selbst sei ver­wundet. Um der Strafe zu ent­gehen , sei er ge­flohen, die Polizei suche ihn, er sei verloren, wenn er entdeckt werde, ich solle ihm nur so lange eine Zu­fluchtsstätte ge­währen, bis er wieder hergestellt sei, dann werde er fliehen und nie vergessen, welchen Dienst ich ihm geleistet habe."

Sie glaubten ihm?"

Ja. Er war in der That verwundet. Dennoch weigerte ich mich, ihn hier zu behalten, allein er bat so dringend, er stellte mir vor, daß mich nicht die geringste Verantwortung treffen könne, Niemand werde Verdacht schöpfen, wenn ich ihn den Hausbewohnern gegenüber als meinen Bruder ausgebe, er versprach mir, mich zu heirathen, so­bald er wieder genesen und in Sicherheit sei, und als ich auch da noch schwankte, gab er mir dies Versprechen schriftlich."

Haben Sie das Schriftstück noch?" fiel Eschebach ein.

Ja."

Das Mädchen nahm aus einer Kommode ein beschriebenes Papier. Dasselbe enthielt in der That das schriftliche Versprechen, sie zu h»- rathen, und war unterzeichnet:Walther Hendel, Lehrer." Die Schnst war unzweifelhaft von Hercher's Hand. Der Schlaue^ hatte in klu^r

Berechnung auch die Anfangsbuchstaben seines eigenen Namens gewählt Auf Eschebach's Aufforderung erzählte die Nähterin weiter, ratz jener vermeintliche Lehrer Hendel, der ihre Hilfe erbeten, an semer Verletzung schwer gelitten habe. Sie habe es nicht an Pflege stylen lassen, dennoch sei die Wunde von Tag zu Tag schlimmer geworden, gleichwohl sei er mit größter Entschiedenheit dagegen gewesen, daß su einen Arzt rufe oder irgend Jemand zu Rathe ziehe. Je mehr stw