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gedrungene vorsichtig weiter; er schien mit der Räumlichkeit nicht un­bekannt zu sein. Am Tische angelangt, fuhr seine Hand suchend um­her, denn sie warf ein Weinglas um. Wenige Sekunden lang blieb Alles still, selbst ein leiser Athemzug war nicht zu vernehmen. Der Eingedrungene schien gefunden zu haben, was er suchte; das Licht eines Streichholzes blitzte auf.

Dankmann hatte durch die kaum halbgeöffnete Thür den Ein­gedrungenen noch nicht sehen können, der Einbrecher hatte indessen ein Licht angezündet und nahte sich langsam dem Schreibsekretäre Harport's.

Plötzlich zuckte Dankmann wie vom Blitze getroffen zusammen. Ha! Hercher! Hercher!" rief er und stürzte in die Stube.

In demselben Augenblicke verlöschte das Licht, Stühle wurden umgeworfen, der Tisch mit den Flaschen und Gläsern klirrte, man hörte das Gestöhn zweier in Verzweiflung Ringender, dann ertönte die Stimme des Bildhauers:Ich habe ihn ich habe ihn! Ernst, Licht, Licht!"

Und als Ernst vor Erregung und Schreck zitternd endlich Licht gemacht, fiel sein Blick auf die von den starken Armen des Bildhauers fest umklammerte Gestalt Hercher's, des Mörders seines Vaters. Er trat an ihn heran und leuch­tete in ein blasses, verzerrtes Gesicht.

Haben Sie Mitleid!" stöhnte der fast Erdrückte.

Mitleid mit einem Raub­vogel, der sich selbst in einer Falle gefangen!" rief Dank­mann.Wie kommen Sie hierher? Was suchen Sie hier?"

Hercher antwortete nicht, er schloß die Augen und schien kaum im Stande zu sein, sich aufrecht zu halten.

Was suchen Sie hier?" wiederholte Dankmann.Sie wissen, daß Herr Harport in diesem Sekretär sein Geld aufbewahrte, Sie wollten denselben erbrechen und das Geld rauben?"

Ja," gab Hercher mit matter Stimme zur Antwort.

Die Verzweiflung hat mich dazu getrieben. Als Mörder bin ich verhaftet und ange­klagt, die Beweise sprechen gegen mich und doch bin ich unschuldig. Es war mir unerträglich, daß ein solcher schmachvoller Verdacht auf mir haftete ich bin aus dem Gefängnisse entsprungen, ich wollte fliehen, weit weit in ein fremdes Land, ohne Mittel war mir dies nicht möglich mein eige­nes Vermögen ist ja in den Händen des Gerichtes da führte die Verzweiflung mich hierher ich wollte mir nur das Nöthigste verschaffen!"

Und Sie scheuten sich nicht, den Ort wieder zu betreten, an dem Sie ein so schändliches Verbrechen begangen!" rief Ernst.

Ich habe es nicht begangen," sprach Hercher.Fühlen Sie Er­barmen und geben Sie mir einen Schluck Wasser!"

Hercher sank krastlos zusammen, Dankmann ließ ihn auf einen Stuhl gleiten; mit auf die Brust niedergesunkenem Kopfe saß der Un­glückliche da.

Wasser!" flehte er noch einmal mit matter Stimme.

Ernst trat in das Schlafgemach, um Wasser zu holen, Dankmann hatte dem Erschöpften den Rücken halb zugewandt, denn es widerstrebte ihm, in das blaffe, verzerrte Gesicht desselben zu blicken.

Ta schnellte Hercher plötzlich empor und ehe der Bildhauer noch im Stande war, sich zu wenden, hatte er bereits einen so heftigen Stoß empfangen, daß er taumelnd zur Seite stolperte. Mit einem einzigen Sprunge hatte Hercher das noch offenstehende Fenster erreicht, in der nächsten Sekunde war er bereits im Garten verschwunden.

Bildhauer schrie fast auf, er raffte sich zusammen, setzte dem Entflohenen nach, als er indessen den Garten erreicht hatte, stand er wie geblendet da. Nach welcher Seite hin sollte er dem Flüchtigen folgen? Er erlte dem Eingänge zu, er stürzte dann zu der kleinen

Pforte, die auf die Wiese führte, er sah nicht einmal mehr Hercher's Gestalt. Ernst gesellte sich zu ihm, sie durchforschten den ganzen Garten ohne Erfolg.

Dankmann konnte sich noch immer nicht fassen.

Ich werde es mir nie vergeben, daß ich mich in so plumper Weise habe überlisten lassen!" rief er.Ich hatte es in der Hand, den Menschen zu erdrücken, und jetzt lacht er über mich und auch Andere werden lachen!"

Hat er nicht auch mich getäuscht!" warf Ernst beruhigend ein. Er erschien so schwach, daß er sich nicht aufrecht halten konnte!"

Verstellung niederträchtige Verstellung! An dem Stoße, den er mir versetzt hat, fühle ich jetzt noch, daß seine Kraft nicht gebrochen ist. Aber er darf nicht entkommen! Bleiben Sie hier, suchen Sie nach einer Waffe, denn ich traue dem Menschen Alles zu ich eile zur Polizei, sie muß Alles aufLieten, des Mörders wieder habhaft zu werden!"

Er wartete Ernst's Antwort nicht ab, sondern eilte fort der Stadt zu. Auf dem ersten Polizeibureau zeigte er Hercher's Flucht an, dann stürmte er weiter zu Eschebach. Aufgeregt, ungestüm verschaffte er sich

Eintritt in das Haus und eilte in das Zimmer des Kommissärs. Hier war er kaum im Stande, das Ge­schehene zu erzählen.

Eschebach blickte ihn er­staunt und prüfend an. War Dankmann berauscht oder er­zählte er das Gebilde eines tollen Traumes? Als der Bildhauer indessen ruhiger wurde und wiederholt ver­sicherte, daß er Hercher selbst mit eigenen Armen umschlun­gen habe, da sprang er erregt auf und kaum zehn Minu­ten später eilte er, von Dankmann begleitet, zum Gefängnisse.

Hercher's Flucht war dort noch nicht bekannt, als er sich zu der Zelle des Ver­hafteten führen ließ, war dieselbe leer. Wie der Ver­brecher entflohen war, zeigte das losgeriffene Eisengittel des kleinen Fensters und der noch am Fenster hän­gende, aus der Bettdecke ge­wundene Strick. Ein Räthsel blieb es freilich immer noch, wie es Hercher gelungen war, die starken EisenM des Gitters loszulösen, da er allem Anscheine nach kem Instrument dazu benutzt hatte, und der Wärter versicherte, noch am Abend zuvor das Gitter untersucht und dasselbe durchaus fest gefunden zu haben. Nur die Verzweif­lung konnte dem Verhafteten die Kraft verliehen haben, das auszuführen, was vielleicht schon Mancher vor ihm versucht hatte.

Auch die weitere Ausführung der Flucht verrieth die größte Kühn­heit; Hercher hatte sein Leben gewagt, um die Freiheit zu erlangen, er war sich freilich bewußt gewesen, daß sein Leben ohnehin ver­wirkt sei.

Mit dem aus der Bettdecke angefertigten Stricke war Hercher nur bis auf das steilabfallende Dach eines Nebengebäudes gelangt, wie e von diesem die Erde erreicht hatte, blieb noch ein Räihsel. Eschebach verlor keine Zeit damit, dies zu erforschen, sondern traf soflrt pl Verfolgung des Flüchtigen die umfassendsten Anordnungen. MH während der Nacht war der Telegraph nach allen Seiten hin thätig- Mochte Hercher auch den Vorsprung weniger Stunden haben, so komm er doch noch nicht weit gelangt sein, da es ihm an allen Mitteln feM-

Der Morgen graute kaum, als Eschebach sich zu Harport s -Be­sitzung gab; ein Polizeibeamter begleitete ihn. Die Straßen wareu noch leer, nur dann und wann begegnete ihnen ein Arbeiter, der PH frühzeitig an sein Tagewerk begab.

(Fortsetzung folgt.)

Karl Goldmark. (S. 148)

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