einem jugendlichen Erstlingswerk, an die Oeffent- lichkeit. Dann falzte bis in die 90er Jahre eine Reihe größerer und kleinerer Romane und Erzählungen, in denen eine realistische, oft bittere Darstellung mit frischem, echten Humor und traumhafter Phanstatik sich verband. Von 1862—70 lebte Wilhelm Raabe eine Zeitlang in Stuttgart, um dann in Braunschweig feinen dauernden Aufenthalt zu nehmen. Zu seinem 70 Geburtstag im Jahre 1901 wurde er von der Universität Göttingen zum philosophischen Ehrendoktor ernannt.
Berlin 15. Nov. Das große Loos der preußischen Klassenlotterie ist heute auf die Nummer 83078 in eine Charlottenburger Kollekte gefallen. Es wurde in lauter Achtel gespielt. Die halbe Million ist in Hände gefallen, die sie gut gebrauchen können. Das Loos wurde u. a. von einem Bahnarbeiter, einem Polizeibeamten und einem Rechnungs- rat gespielt. Sämtliche Gewinner sind in Charlottenburg und Halensee ansässig.
— Vor einigen Wochen fand die Ziehung der Brüsseler Weltausstellungslotterie statt. Alle glücklichen Gewinner strömten herbei, ihre Gewinne einzuheimsen. Nur für den 1. Gewinn mit 200 000 Frcs. wollte sich kein Eigentümer zeigen. Da ging das Gerücht: ein junger Bergmann habe wenige Tage vor der Ziehung ein Los gekauft. Der Aermste war inzwischen tötlich verunglückt durch fallende Steine und nach Bergmanns' Brauch in seiner besten Montur beerdigt worden. Mit obrigkeitlicher Genehmigung wurde die Leiche ausgegraben und in der Westentasche des Toten fand man das Los, auf das der erste Treffer gefallen war. Welche Ironie des Schicksals!
Genf, 11. Nov. Ein armer Krüppel mit einem Holzfuß passierte, sich mühsam fortbewegend, des öfteren die schweizerisch-italienische Grenze bei Ponte Chiasso. Da er immer den gleichen Weg zu machen hatte, fiel die Geschichte den Zollwächtern aus. Man brachte ihn ins Zollhaus und die Leibesuntersuchung ergab, in dem ausgehöhlten künstlichen Fuß geschickt verpackt, 50 silberne Schweizeruhren. Man hat dem Schelm das Geschäft vorderhand verpfuscht, indem das künstliche Bein auf der Zollwache mit Gips gefüllt wurde.
Innsbruck, 15. In Südtirol ist gestern Schneefall eingetreten. Auf dem Gardasee und im Pustertal herrschen furchtbare Stürme.
Tula, 15. Nov. Der Zustand des auf der Station Astapowo erkrankten Grasen Tolstoi wird von den Aerzten als sehr ernst bezeichnet.
— Einer der gewaltigsten Tresors ist wohl die Goldkammer im Hauptschatzamte Washington, von deren Entstehen A. Oskar Klaußmann in „Ueber Land und Meer" eine fesselnde Schilderung gibt. Zunächst gilt es, Vas Fundament gegen die Angriffe moderner Einbrecher zu sichern, die mehr als einmal in jahrelanger Arbeit ganze unterirdische Gänge gebaut haben, um zu den großen Tresors zu kommen und sie von unten mit Dynamit oder Nytroglycerin zu sprengen. Auf massiven Felsen trotzt in Washington die Festung, die Milliarden umschließt. Viele Meter tief muß der Spaten den Boden aushöhlen; mannshohe Betonschichten werden eingebaut, riesige Eisenträger dazwischen gelegt, dann wieder Betonschichten, mächtige Blöcke von Granit und Marmor deren Fugen sorgsam, mit Zement ausgefüllt werden Aber auch dies genügt noch nicht, wieder kommt eine Schicht gewaltiger Eisenkonstruktion, dann eine Decke von massiven Steinen; nun endlich ist die Sicherung „nach unten" ausreichend, und man kann an die Errichtung des eigentlichen Tresors denken. Die vier Wände, die den Schatzraum umschließen, sind gewaltige Festungswälle von mehr als 3^/- m Dicke. Außen liegt eine dicke Panzerplatte, dann folgen mächtige Steinblöcke, die sorgsam vermauert werden, an dies Granitmassiv schließt sich ein zweiter Stahlpanzer, und dann folgt ein Hohlraum. Doch dies ist erst die Hälfte der Mauer, wieder türmen sich Stahlplatten, schwere Granitblöcke werden geschichtet, und eine besonders starke Stahlpanzerung beschließt dann die Mauer. Der Hohlraum in der Mitte dieses Walles aber wird mit kunstvoll abgedrehten Stahlkugeln gefüllt, die frei beweglich bleiben. Dem Werkzeug des Einbrechers bieten sie dadurch keinen Widerstandspunkt, sie drehen sich, und jeder Angriff prallt von ihnen ab. Die Deckenwölbung des Tresors besteht wieder aus zyklopischen Stahlpfeilern, jdie nicht nur der Kunst des Einbrechers trotzen, sondern auch bei dem Einsturz des ganzen Gebäudes nicht erschüttert werden und die größten Lasten tragen können. Doch mit diesen Verteidigungsmitteln der Technik läßt man es nicht genügen. Tag und Nacht patrouillieren Wächter und Beamte durch einen Gang, der die Schatzkammer umschließt. Da der moderne „Tresorknacker" vorzugsweise mit flüssigen Explosiv
mitteln arbeitet, kommt alles darauf an, die geringsten Oeffnungen zu vermeiden, durch die die flüssigeu Sprengmittel eingegossen werden könnten. Darum befindet sich im Schatzraum auch kein elektrisches Licht, weil die Drahtleitungen kleine Oeffnungen bedingen würden, durch die Nytroglycerin zugeführt werden könnte. Nur Oellampen erhellen den Raum. In den meisten Fällen würde der Einbrecher seine Arbeit auf die Tür konzentrieren, und daher ist die Herstellung eines Tresortores eine Hauptaufgabe der Techniker. Die Schatzkammer in Washington hat nur einen Eingang, aber der ist durch 5 Türen geschützt. Die erste von ihnen wiegt allein 120 Zentner. Durch ein sinnreiches Uhrensystem, das auch in der deutschen Geldschrankindustrie seine Rolle spielt, schließt sich das Schlüsselloch zu einer bestimmten Zeit automatisch. Drei elektrische Uhren regulieren diese Arbeit, drei, weil immer die Gefahr bleibt, daß einmal eine der Uhren versagt, und dann wäre der Zutritt zu dem Tresor rettungslos verschlossen. Die drei Uhren werden auf eine bestimmte Zeit eingestellt, in der Regel auf die Vormittagsstunde, in der die Bank geöffnet wird, und ist der Schlüssel einmal abgezogen, so kann er vor der bestimmten Stunde nicht mehr eingefügt werden, auch nicht von dem Besitzer des Schlüssels. Ein kompliziertes System von Alarmglocken würde zudem jede Berührung des Riegels durch laute Signale bei allen Polizeistationen Washingtons und in allen Räumen des Schatzamtes geräuschvoll ankündigen. Bei vielen großen europäischen und amerikanischen Banken ist man noch weiter gegangen, hat die Tresor- lüren mit giftigen Gasen gefüllt, die bei jedem Sprengversuch ausströmen und den Einbrecher betäuben, ja in einem großen amerikanischen Tresor besteht eine Verrichtung, durch die der Gang um die Schatzkammer sich automatisch mit Wasser füllt, so daß ein nächtlicher Eindringling einfach ertränkt wird. Und eine deutsche Geldschrankfabrik hat Tresortüreu konstruiert, bei denen jeder Unbefugte automatisch durch ein Fangnetz festgehalten wird, dem er sich nicht mehr entwinden kann.
Siam uns Umgebung
Neuenbürg. (Aus der Bezirksratssitzung vom 14. Nov. 1910.) Jakob Beuerle, Bierbrauer in Wildbad erhält die Erlaubnis zur Wiederaufnahme ^ des Betriebs der Gastwirtschaft zum grünen Hof in Wildbad. !
Herren alb, 14. Nov. Reichstagsabgeordneter ^ Schweickhart referierte am letzten Sonntag abend in der Halle der Bahnhofrestauration über seine Tätigkeit im Reichstag. Die Erschienenen folgten mit gespanntem Interesse den klaren Darlegungen des Redners, der auch über so manche schwebende Fragen der Reichspolitik erschöpfende Auskunft gab. Er begann mit einem Rückblick auf die Lage seit der Auflösung des Reichstags, legte dar, wie . der Kampf gegen Zentrum und Sozialdemokratie' notwendig sei und behandelte besonders eingehend die leidige Reichsfinanzreform. Wehr-, Tabak-,' Branntwein-, Talon- und Börsensteuer wurden' auf Wirkung und Erfolg geprüft; die Erbschaftssteuer sei an dem Widerspruch der Agrarier gescheitert, welche befürchten, die Einführung dieser Steuer würde ihr Vermögensverhältuisse zu scharf beleuchten. Auch die Frage der Veteranenfürsorge und des Kaligesetzes wurde in liberalem Geiste besprochen. Dankenswert waren die Aufklärungen des Abgeordneten über seine Tätigkeit in den Kommissionen, für die er durch eine ausgedehnte und tiefgehende Sachkenntnis hervorragend befähigt ist. Hr. Schweickhardt hat durch seine Tätigkeit im Reichstag bewiesen, daß er der richtige Vertreter unseres Bezirkes ist. Durch seine maßvolle Haltung hat er sich überall Sympathien erworben.
UiMlbalteliaes.
Der Prinr-Semahl.
Roman von Henriette v. Meerheimb.
(Forts.) (Nachdruck verboten.)
Der Kleine umklammerte Ängstlich den Hals der Kinderfrau: „Nein — nein — Bubi hat Angst!" rief er.
„Schäm' dich!" Anne-Marie zog die Stirn kraus. — „Geben Sie ihn sofort her, Frau Jensen!"
Die Wärterin wußte nicht recht, was sie tun sollte. Sie redete dem Kinde leise zu, aber Jobst brach in ein so lautes Angstgeschrei aus, daß das Pferd unruhig rückwärts trat.
„Du bist ein feiger Bursche!" schalt Anne- Marie ärgerlich.
Georg stieg rasch von seinem Pferde herunter. Der Reitknecht fing die hingeworfenen Zügel auf. „Komm zu mir, mein Junge!" sagte er sanft und
nahm das weinende Kind in seine Arme und küßte das tränennasse Gesichtchen.
„Glaubst du, daß er bei dir mehr Mut zeigen wird?" fragte Anne-Marie gereizt.
„Das will ich gar nicht versuchen, sondern ihn ins Haus bringen", entgegnete Georg kurz, und ohne auf Anne-Maries Einwände zu hören, trug er das Kind ins Schloß zurück.
Anne-Marie nagte unmutig an ihrer Lippe. Sie warf ihr Pferd herum und ritt in schlankem Trabe zum Hof hinaus.
Nach wenigen Minuten hörte sie Hufschlag dicht hinter sich. Sie drehte sich aber nicht um und stellte auch keine Frage, obgleich sie sehr gern wissen wollte, ob das Kind sich beruhigt hätte.
Schweigend und mißgestimmt ritten sie durch das Dorf, dann einen schattenlosen Weg, der sich an den Feldern entlangschlängelte. Der Roggen stand hoch im Halm, die Gerste schimmerte seiden. grün. Dazwischen leuchteten goldgelbe Repsstreisen. Der Lerchenjubel schwebte über dem reisenden Korn
„Ich möchte dich dringend bitten, Anne-Marie solche gefährlichen Versuche mit dem Kinde snichl noch einmal anzustellen", sagte Georg endlich.
Bei der Anrede ihres Mannes zuckte Anne- Marie ärgerlich die Schultern. „Gefährliche Versuchest" Das klang wegwerfend. „Mit kaum drei Jahren bin ich schon jeden Tag auf meinem Pony geritten."
„Möglich. Aber Jobst ist zart, sogar ein Schreck kann ihm schaden. Außerdem ist es unvorsichtig, ein kleines Kind mit aufs Pferd zu setzen. Du kannst nicht wissen, ob das Tier nicht plötzlich scheut. Das größte Unglück könnte passieren"
„Wenn ich auf dem Pferd sitze — gewiß nicht. Ich werde mein Kind schon festzuhalten wissen."
„Ein Stoß genügt, um einem kleinen Kinde weh zu tun."
„Ich als Mutter werde wohl besser wissen, wie du, was einem Kinde zuträglich ist. Nichts ist schrecklicher als Feigheit. Ich will, daß Jobst ein tüchtiger Junge wird."
„Wenn das nicht in seiner Natur liegt, kannst du's nicht erzwingen. Außerdem ist es Unsinn, jetzt schon von feige oder mutig zu sprechen. Jobst ist noch kein „Junge", sondern ein kleines Kind."
„So etwas zeigt sich früh.
„Wenn er nicht gern reiten lernt, läßt er's bleiben. Das ist auch weiter kein Unglück."
„Ich will aber stolz auf meinen Sohn sein können! Aus einem weichlichen Waschlappen mache ich mir nichts."
»Ich — ich — ich!" wiederholte Georg bitter. „Kannst du nicht eine Persönlichkeit anerkennen, auch wenn sie zufällig nicht geuau der deinen nach» artet? Vielleicht hat die Natur Jobst mehr mit meinem, wie mit deinem Bilde gestempelt."
„Mein Junge soll und muß ein schneidiger Mann werden! Von heute an setze ich alles daran, um das zu erreichen."
Um jeden Widerspruch zu verhindern, trabte Anne-Marie wieder an. Der Weg wurde zu schmal, sie mußten hintereinander reiten. Georg sah mit finsterem Blick auf die schlanke, kräftige Gestalt seiner jungen Frau, die so sicher im Sattel saß. Die blonden, festgesteckten Zöpfe flimmerten in der Sonne.
An dem verabredeten Kreuzweg wartete Herr v. Jagow bereits.
„Haben wir lange warten lassen, Jagow?" rief Georg.
„Nicht der Rede wert. — Welch schönes Pferd Sie reiten, Frau Gräfin! Eigene Zucht? Nein — da sehe ich ja den Graditzer Brand."
„Wir ziehen nur Arbeitspferde in Lehmin", Anne-Marie rückte ihren Hut ein wenig tiefer in die Stirn. „Gern hätte ich längst ein Gestüt eingerichtet, aber ich kann nicht alles bewältigen. Hier ist ein gutes Gelände, unsere Pferde find frisch, jetzt machen wir einen langen Galopp und nehmen dabei die Gräben."
Mit weit ausgreifendem Sprung gings über das flache Weideland. Die Pferde schnauften. Schaum flog in weißen Locken auf Anne-Maries dunkelblaues Reitkleid. Ihre Wangen glühten, ihre Augen glänzten vor Lebenslust.
Ueber die ersten trockenen Gräben setzten alle drei Pferde in fliegendem Sprung.
„Hier müssen wir abstoppen", meinte Jagow. „Hinter dem Weidenbusch wirds unsicher. Der Graben ist sehr breit, und der Boden sumpfig- Die Pferde haben keinen guten Absprung und scheuen auch leicht, weil Wasser in dem Graben fließt."
„Desto besser, da lernen die Pferde Wassergräben springen!" Anne-Marie hob sich im Sattel.