auch seine Tätigkeit in der engeren württember- gischen Heimat, insbesondere bei der Schaffung des neuen Volksschulgesetzes. Die Fraktion beklage das Ausscheiden Hiebers, der einer ihrer Besten war, der stets ein versöhnliches Element bildete und sich in wichtigen Momenten als niemals versagender Führer bewährte. Es wurde dem Gefeierten als Abschiedsgeschenk eine große französische Bronze, Moses darstellend, überreicht. Professor Hieber dankte in bewegten Worten. Er scheide nicht gerne aus dem ihm liebgewordenen parlamentarischen Leben; indessen mache sein neues Amt dieses Ausscheiden erforderlich. Er werde aber auch in feinem Amte die Ideale pflegen, die er bisher vertreten habe; er werde die nationalen und freiheitlichen Ideen Hochhalten. Dann sprach im Namen der preußischen Landtagsfraktion Geh.-Rat Friedberg, der namentlich oarauf hinwies, daß Hieber es verstanden habe, auch die guten Beziehungen zwischen Landtags- und Reichstagsfraktionen durch seine konziliante Natur, durch sein stets vermittelndes und freundliches Wesen auf das beste zu fördern. Späterhin sprach noch Professor Wetzel in zierlichen Reimen auf den Scheidenden. Reickstagsabg. Dr. Osann gedachte in schwungvollen Worten der Gattin Hiebers. Der immer Leidtragende bei der Politik sei die Frau des Politikers, nun aber werde Hieber völlig seiner Familie und seiner Heimat wiedergegeben.
Berlin, 12. Mai. Es wird im Kriegs - Ministerium erklärt, daß am Samstag eine Unterredung des Kriegsministers mit dem Grafen Zeppelin ftattgefunden hätte, in der die jetzt schwebenden Fragen behandelt wnrden, und die ans beiden Teilen anscheinend recht befriedigend verlaufen fei. Vor allem habe Einigkeit darüber bestanden, daß die Erfahrungen und Kenntnisse des Grafen von der Heeresverwaltung ihre volle Verwertung finden sollen. Man hört, daß es durchaus unrichtig sei, wenn behauptet werde, daß dem Grafen Schwierigkeiten gemacht worden seien, um mit dem Kriegsminister eine Unteredung zu bekommen. Im Gegenteil, nachdem festgestellt worden sei, an welchem Tage der Gras über seine Zeit hier in Berlin ganz verfügen könnte, hatte der Kriegsminister mit dem Grafen die Unterredung vereinbart. Nach dieser Feststellung möchte man wohl annehmen, daß die Wiedergabe der Aeuße- rungen des Grafen Zeppelin bei dem Souper bei Prinz Schönaich-Carolath starke Entstellungen aufweist. Man muß daher abwarten, bis in allen Punkten Klarheit geschaffen wird.
— (Rundschreiben des Vereins Deutscher Zeitungsverleger gegen die Schmutz- und Schwindelanzeigen.) Vor einigen Tagen hat der Vorstand des Vereins Deutscher Zeitungsverleger, Sitz Hannover, ein Rundschreiben an alle Mitglieder des Vereins verschickt, in dem er gegen die Veröffentlichung von unreellen und unsittlichen Anzeigen in der Presse entschieden Stellung nimmt. Der Verein empfiehlt seinen Mitgliedern — und diese Bitte sei hiermit auch an die Blätter gerichtet, die dem Verein noch nicht angehören — sämtliche Anzeigen, die als unreell oder unsittlich ohne weiteres erkennbar sind, von der Veröffentlichung auszuschließen. Besonders wendet sich das Rundschreiben gegen die Aufnahme der sogenannten Blutstockungsanzeigen. Es kann zwar nicht als die Aufgabe der Zeitungsverleger angesehen werden, dem Publikum die Prüfung abzunehmen, ob ein zweifelhaftes Angebot auch vorliegt oder nicht — das Publikum muß in dieser Beziehung selbst eine gewisse (Kritik üben — aber jeder Zeitungsoerleger, dem sein Ansehen und guter Ruf, sowie der der deutschen Presse am Herzen liegt, wird doch alles tun, was in seinen Kräften steht, um derartige Angebote von dem Leserkreise seines Blattes fernzuhalten.
— Professor Adolf Wagner, der vom Verband der evangelichen Arbeiter-Vereine zum Ehrenmitglied ernannt worden ist, hat an den Vorsitzenden des Verbandes einen Brief gerichtet, in dem sich folgende bemerkenswerte Stelle findet: „Die Ziele und die Wege der evangelischen Arbeiterbewegung billige ich und wünsche den besten Erfolg Maßhalten ist auch hier das Richtige. Die Arbeiterschaft hat Recht, ihre Interessen zu vertreten, Anteil zu nehmen und zu fordern an den materiellen und kulturellen Fortschritten, aber sie hat sich dabei auch stets bewußt zu bleiben, daß auch der Arbeiter ein Glied des nationalen und geeinten Ganzen ist, des Ganzen, dessen Wohl und Wehe auch die seinen sind."
— Ueber den Wert der Monarchie hatte der sozialdemokratische „Vorwärts" in einer Würdigung des Königs Eduard u. a. geäußert, daß er als König kraft seines Herrscheramtes die Möglichkeit besaß, auf den Gang der auswärtigen Politik großen Einstuß auszuüben. Er war der Bleibende, während die Minister wechselten und daher durch die Kontinuität seines Amtes in der Lage, stetig, und ununterbrochen den Gang ver Ereignisse zu verfolgen. Schon die Natur der auswärtigen Politik, die so oft eine Politik auf lange Sicht ist, bringt die Notwendigkeit einer größeren Beständigkeit ihrer obersten Leitung mit sich, und dies besonders in Zeilen, wo neue Pläne, neue Unternehmungen zu verwirklichen find. — Dazu wird von konservativer Seite bemerkt: Der Wert der Monarchie wird von der Sozialdemokratie selten so unbefangen wie hier gewürdigt. Gleichzeitig enthalten die Ausführungen des „Vorwärts" einen bemerkenswerten Beitrag zur Kritik des Erfurter Programms, das unter den „zunächst" aufgestellten Forderungen Entscheidung über Krieg oder Frieden durch die Volksvertretung verlangt.
Karlsbad, 13. Mai. Gestern nachmittag gegen 5 Uhr ging ein fürchterliches Unwetter über Karlsbad nieder, das in den herrlichen städtischen Waldanlagen großen Schaden anrichtete. Im Revier Stadtgut fielen 4000, im Revier Plomben 6000 Bäume dem Sturme zum Opfer.
— Der Fund eines versteinerten Riesensauriers wird aus Comodoro Rivadavia in der argentinischen Republik gemeldet. Etwa 10 Meilen von dieser Ortschaft entfernt, entdeckten die Herren Sisto und Carles Earcia bei systematisch vorgenommenen Nachgrabungen das versteinerte vollständige Gerippe eines vorsintflutlichen Riesen- Jguanodonte-Kängeruhs aus der Familie der Saurier. Es mißt nicht weniger als 22 Meter und da bisher von diesem Tier der Urzeit noch kein vollständiges Skelett vorhanden war, dürfte der wertvolle Fund für die Wissenschaft von ganz besonderer Bedeutung sein.
Newyork, 13. Mai. Marc Twain hat ein Vermögen von 720000 Mk. hinterlassen.
Lokales.
Wildbad, 17. Mai. Ueber die beiden Pfingst- feiertage wurden mit der Bergbahn 5061 Personen befördert und eine Einnahme von 2600 Mark erzielt.
— Die Zahl der Unfall-, Invaliden- und Alters-Rentner beträgt in Wildbad 121, in Neuenbürg 142, in Calmbach 94; im ganzen Oberamts- bezirk Neuenbürg zusammen 1351.
Hln! erhaltendes
Das Familienkreuz
Roman von M. Gräfin v. Bünau.
(Fortsetzung) (Nachdruck verboten)
Käthe zuckte zusammen. Es war ihr, wie wenn eine kalte Hand ihr Herz umklammere. „Wie kommst du jetzt darauf?" Ihr Ton klang sehr abweisend. „Ist am Begräbnistage meiner Mutter die passende Zeit an dergleichen zu denken?"
„Warum nicht? Das ist doch nicht pietätlos gegen die Verstorbene. Ich mutz morgen nachmittag wieder zurück und würde vorher gern mit deinem Vater sprechen, ob und was wir zu erwarten haben."
„Ich bitte dich, das nicht zu tun. Es würde den Vater verletzen."
„Aber weshalb denn nur? Ich muß doch deine Rechte vertreten."
„Du hast gar nichts zu vertreten! Bei uns ist das nicht Sitte. Wenn wir etwas erben, wird mein Vater uns das auch ohne eine Mahnung deinerseits nicht vorenthalten. Ich bitte dich also dringend, diese Taktlosigkeit nicht zu begehen."
„Taktlosigkeit?"
„So würden es alle bei uns auffassen."
„Merkwürdige Moden und Ansichten!" entgegnen Hartung verstimmt.
Er sagte nichts mehr und reiste am anderen Nachmittag ab, ohne daß noch ein Wyrt über die Angelegenheit zwischen ihm und seiner Frau gewechselt wurde.
Käthe wollte noch einige Zeit in Lukow bleiben, Alice und Paula beabsichtigten, später herüberzukommen, um den Nachlaß der Mutter zu ordnen, denn Käthe erklärte, sie würde ohne das Beisein der Schwestern die Sachen nicht anrühren.
„Natürlich nicht!" stimmte Paula ihr bei. „Du kannst ja nicht wissen, wie Mütterchen alles geordnet haben wollte."
Sie zogen dann Käthe überhaupt nicht zu Rate bei der Verteilung, sondern beschenkten die Leute mit den einfachen Toiletten und Wäschesachen nach Gutdünken.
„Wenn du dir von den wollenen Kleidern noch welche nehmen willst, Käthe", meinte Paula, „so suche sie dir selber aus." Die anderen schenke ich dann Mutters Jungfer und der Pflegerin. Die seidenen Kleider kannst du doch wohl nicht brauchen?"
„Jedenfalls verzichte ich darauf", antwortete Käthe kurz. Sie ließ die Schwestern weiter kramen und ging, von ihrem Hund, der sich sehr bald seiner alten Herrin wieder anschloß, gefolgt durch das Dorf dem Walde zu.
Ein langer einsamer Spaziergang beruhigte immer am besten ihre Aufregung. Auch heute legte sich die Stille, die weiche Lust lindernd auf ihre erregte Seele.
Sie saß lange im Walde auf einem umgehauenen Baumstumpf und sah zwei Eichkätzchen zu, die in neckischem Spiel um eine Eiche herumjagten.
Der Hund knurrte leise, ließ sich aber durch ihren Befehl beruhigen, die niedlichen Tierchen ungestört zu lassen. In der Ferne hackte ein Specht am Baum, — es klang wie leise, monotone Hammerschläge —, im Holz versteckt gurrte eine ' Wildtaube. Die Sonennstrahlen ließen das junge Buchenlaub grüngoldig glänzen. Auf der Wiese blühten unzählige lichtgelbe Primeln.
Käthe pflückte einen großen Strauß, den wollte sie vor der Mutter Bild stellen.
Als sie zu Hause ankam, ging sie sofort in das Wohnzimmer und ordnete ihre Blumen in einer flachen Schale. Die Tür zum Schlafzimmer ihrer verstorbenen Mutter stand offen. Sie hörte die Stimmen der Schwestern lebhaft miteinander
Zuerst achtete sie nicht darauf, allmählich aber ivurde sie aufmerksamer. Sie hob den Kops und lausckte.
„Diese Perlenkette mit dem Brillantenschloß mußt du nehmen, Alice. Ich habe die Sponeck- schen Familienperlen, ich brauche sie also nickt. Dafür nehme ich Mutters Brillantstern und den Halbmond aus Brillanten. Das wird sich aus- gleichen," sagte Paula.
„Gut, Paula, das ist mir sehr recht. Ich habe noch gar kein Kollier. Um die zwei Brillantnadeln können wir ja losen," antwortete Alice.
„Nein, Alice, die gehören dir. Mütterchen wollte sie dir immer schenken."
Die Schwestern schienen den Schmuck der Mutter unter sich zu teilen. Es ging noch ein Weilchen so hin und her, wer dies oder das haben sollte.
Plötzlich lachte Alice leise auf. „Aber Paula Wir vergessen ja ganz Käthe. Die muß sich doch auch etwas aussuchen."
Paula blieb eine Minute still, dann sagte sie scharf: „Unsinn! Was soll Käthe als Frau Doktor Hartung wohl mit Perlen und Brillanten anfangen? Natürlich lassen wir die Sachen taxieren und zahlen ihr ihren Anteil in Geld aus. Das wird ihr ain liebsten sein und ist auch in ihren Verhältnissen viel richtiger."
(Beide Schwestern erschrocken, als Käthes schlank schwarze Gestalt plötzlich vor ihnen stand. Alice kniete vor einem Schubfach der Rokokokommode. Paula saß im Lehnstuhl mit mehreren rotledernen Etuis im Schoß. Beide sahen im ersten Moment etwas verlegen aus.
„Wir haben uns vorläufig ausgesucht, was wir von Mamas Schmuck gern hätten", meinte Alice in begütigendem Ton. „Natürlich mußt du deine Zustimmung geben, Käthe."
„Diese habt ihr" sagte diese mit erzwungener Ruhe. „Nehmt alles, was ihr wollt. Ich mache auf nichts Anspruch."
„Das dachte ich mir schon", fiel Paula rasch ein. „Das ist auch sehr verständig von dir. Selbstredend bekommst du deinen Anteil von uns in Geld Ein Juwelier soll die Sachen taxieren."
„Gib dir keine Mühe, Paula, ich lasse nm nicht wie eine arme, lästige Verwandte mit Geld abfinden." In Käthes Augen funkelten zornige Tränen. „Schämst du dich nicht, das mir — deiner Schwester — anzubieten?"
„Das ist doch nur gerecht," begütigte Allst
„Nein — es ist unverschämt!" fuhr Käthe aus
„Unverschämt? Du vergißt wohl, wo du bih- und zu wem du sprichst." Paula stand auf.