Welches Interesse man allerorts diesem Unternehmen entgegenbrachte, geht daraus hervor, daß nicht weniger als 877 junge Leute, darunter solche aus Amerika, England, Rußland usw., sich für die Lustschifferschule beim deutschen Lustflottenverein angemeldet haben, von denen nur 9 berücksichtigt werden konnten. Man wählte Leute mit Mittelschulbildung und sah deshalb von solchen mit höherer Schulbildung ab, weil darauf Bedacht genommen worden, daß diese Leute mit Hammer und Feile, also praktisch technisch ausgebildet werden müssen, bevor sie zur Führung von Luftschiffen Verwendung finden können. Durch 2jährigen Schulunterricht erhalten die Kadetten die notwendige wissenschaftliche Vorbildung. Hieran schließt sich der 2jährige Militärdienst beim Luftschifferbataillon. Einjährige. Dienstzeit kommt beim Luftschiffkadetten nicht in Betracht. Das preußische Kriegsministerium hat d erLuftscknfferschule weitestgehende Unterstützung in Aussicht gestellt. Nach abgeleisteter Militärdienstzeit kann der Kadett als Motorluftschiffer bei der Truppe verbleiben. Sein Gehalt steigt bis zu 5000 Mk. im Jahr und sichert so eine gute Lebensstellung. Er ist seinem Rang nach Mittelglied zwischen Beamten und Soldat. Der Kadett kann aber auch in den Zivil dienst zurück und zur Führung von Motorluftschiffen und Flugapparaten im Verein angestellt werden. Bei der Auswahl des Ortes, wo die Lustschifferschule errichtet werden sollte, konnten nur 2 Plätze, Berlin und Friedrichshafen in Betracht kommen. Der deutsche Luftslottenverein entschloß sich für Friedrichshafen, weil hier die Lebensbedürfnisse billiger find und weil eine Kleinstadt für die Erziehung der Kadetten zu charakterfesten und pflichttreuen Menschen mehr geeignet ist, als eine Großstadt. Zudem soll das ideale hohe Vorbild des edlen Grafen Zeppelin den Idealismus bei den jungen Leuten erhalten. Die Stadt Friedrichshafen habe der Schule in liebenswürdiger Weise die günstigsten Vorbedingungen (schöne Räume, Wohnungen) gewährleistet und auch geboten. Der Redner schloß seine hochinteressanten Ausführungen mit der Bitte an die Einwohnerschaft, den jungen Kadetten, die alle in einem einzigen Haus untergebracht, trotzdem aber nicht einem strengen Zwang unterworfen sind, in wohlwollendster Weise Führer zu sein. Durch die Verlegung der Schule nach Friedrichshafen sei diese Stadt aufs neue als Luftschifferstadt gestempelt, er hoffe, daß die Stadt recht bald eine Bildungsanstalt für Luftfchiffingenieure, die Lustschifferakademie, erhalte, damit diese dann neben der Luftschiffwerft zum Wohl des Vaterlandes.tätig sein kann.
Pforzheim, 12. Okt. Aus der Goldwarenindustrie wird gemeldet: Tie Hanauer Goldarbeiter streiken nicht. Die gestern unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters in Hanau stattgefundenen Verhandlungen zwischen Vertretern des Arbeitgeberverbands und der Arbeitnehmer endigten mit der Annahme einer Arbeitsordnung mit dreijähriger Dauer und vierteljähriger Kündigung. Damit ist der Streik beigelegt, was im Interesse des Friedens in der Hanauer, Pforzheimer und Gmünder Goldwarenindnstrie zu begrüßen ist.
Pforzheim. Frederic Lamond, gegenwärtig wohl unbestritten der größte lebende Beethoven-Spieler, hat sich entschlossen, am Samstag, den 23. Oktober im Museum-Saal hier einen Klavierabend zu veranstalten, dessen Programm ausschließlich obigem Meister gewidmet sein wird. Den Kartenverkauf besorgt die Buch- und Musikalienhandlung von Otto Riecker in Pforzheim.
— Vorder Strafkammer Karlsruhe gelangte wieder einmal ein umfangreicher Pforzheimer „Goldschnipflerprozeß" zur Verhandlung. Von den früheren gleichartigen Straffällen unterschied er sich dadurch, daß er auch nach Württemberg hinüberspielt. Angeklagt waren wegen Diebstahls die 28 Jahre alte Ehefrau Emilie Kiefer geb. Nolp aus Gräfenhausen, wohnhaft in Ottenhausen, wegen Anstiftung zum Diebstahl und wegen Hehlerei deren Ehemann, der Fässer und Händler Gottlob Kiefer aus Ottenhausen, wegen Diebstahls der in Pforzheim wohnende Schmelzer Christian Friedrich Braun aus Ottenhausen und wegen Hehlerei der Goldarbeiter Ludwig Wolfinger aus Obernhausen,
wohnhaft in Pforzheim, der Presser Karl Friedrich Spiegel aus Oberhaustu, wohnhaft in Ottenhausen, und die Juweliere Jacques Zimmer, 64 Jahre alt, aus Genf, und Julius Zimmer, 28 Jahre alt, aus Stuttgart, beide in Stuttgart wohnhaft. Wie aus der gegen diese Angeschuldigten durchgeführten Verhandlung hervorging, hat die Angeklagte Kiefer vom Jahr 1904 bis Mitte März ds. Js. in Pforzheim ans dem Fabriklokal der Firma Baisch und Wößner, bei der sie als Kettenmacherin arbeitete und als solche eine Art Vertrauensposten einnahm, nach und nach goldene Ketten, Colliers und Schlößchen im Gesamtwert von vielen tausend Mark — wie die Anklage annimmt von mindestens 40 000 Mk. — entwendet. Zu diesen Diebstählen war si von ihrem Mann, dem Angeklagten Kiefer, angestiftet worden. Das entwendete Edelmetall, sowie Gold, welches von Braun bei der Firma Weiß ^und Feßler in Pforzheim und von einem inzwischen nach Amerika durchgebrannten Goldarbeiter Schmidt gestohlen worden war und Kiefer für geringes Geld an sich gebracht hatte, veräußerte dieser teils selbst, teils durch die Angeklagten Wolfinger und Spiegel, die wußten, woher das Gold stammte an die Juweliere Zimmer iu Stuttgart. Auch den beiden Zimmer war es kein Geheimnis, daß das von ihnen eingekaufte Edelmetall auf jstrafbare Weise in den Besitz des Kiefer gekommen war Das Gericht verurteilt auf Grund des heutigen Verhandlungs- ergebnisseZ die Ehefrau Kiefer zu 2 Jahren 6 Monaten Gefängnis. Gottlob Kiefer zu 4 Jahren 7 Monaten Zuchthaus und 5 I. Ehrverlust, Braun zu 10 Monaten Gefängnis, Wolfinger zu 1 Jahr 2 Monaten Zuchthaus und 3 Jahren Ehrverlust, Spiegel zu 5 Monaten Gefängnis, Zimmer Vater zu 3 Jahren Zuchthaus'und 5 Jahren Ehrverlust und Zimmer Sohn zu 1 Jahr 4 Monaten Zuchthaus und 3 Jahren Ehrverlust. Bei der Ehefrau Kiefer kamen 6 Monate, den beiden Zimmer je 5 Monate, Wolfinger 4 Monate, Kiefer, Braun und Spiegel je 3 Monate Untersuchungshaft in Abzug.
Mannheim, 12. Okt. Heute nachmittag kurz vor 1 Uhr konnte man in einigen Straßen Mannheims ein interessantes, neuartiges Gefährt beobachten. Ein findiger Kopf hatte sich an einem gewöhnlichen Fahrrad von der Lenkstange nach vorn gehend ein Gestänge konstruiert, an dessen Ende ein ca. st. Meter im Durchmesser betragender Zweiflügelpropeller saß, der vom Kettenrad aus durch eine Kombination von Kette und Kardan seinen Antrieb erhielt. Das Fahrrad wurde somit einzig und allein durch die Luftverdrängung des in ca. 75 Ctm. Entfernung vor dem Fahrer angebrachten Propellers znr Fortbewegung gebracht. Die neue Art des Antriebes dürste jedoch in ihrer jetzigen Gestalt keine besondere Kraftersparnis für den Radfahrer bedeuten, denu es fiel auf, daß dieser trotz kräftiger Muskelarbeit nicht rascher als ein mäßig trabendes Pferd vorwärts kam. Dabei konnte auch das dem Luftschiffbeobachter wohlbekannte Surren deutlich vernommen werden.
München, 14. Okt. Das Luftschiff Parseval III traf gegen II Uhr, von Nymphenburg kommend über der Stadt ein, fuhr über die Residenz und beschrieb über ihr einen Kreis. Dann beschrieb es um die Frauentürme zweimal eine Schleife, fuhr in einem großen Bogen über die ganze Stadt und nahm darauf seinen Kurs uach dem Exerzierplatz Oberwiesenfeld, wo die Landung um st-12 Uhr glatt erfolgte. Dort erwartete eine große Menschenmenge das Luftschiff. Nach 2 Uhr fuhr das Luftschiff nach Augsburg zurück. Am Freitag wird sich dasselbe nach Stuttgart begeben und Nachmittags auf dem Cannstatter Wasen eintreffen.
Bonn, 11. Okt. Für hervorragende Leistungen in seinem Beruf wurde nach früher bestandener technischer Prüfung dem Maschinenschlosser Karl Nowotnick dahier von der Kgl. Prüfungskommission für Einjährig-Freiwillige zu Köln in der wissenschaftlichen Prüfung die Berechtigung zum einjährig -freiwilligen Dienste zuerkannt. Er hat ohne fremde Hilfe in Ueber- stunden verschiedene Entwürfe und Zeichnungen gefertigt und eine zweizylinderige Dampfmaschine mit Kesselanlage gebaut.
Frankfurt, 11. Okt. Die „Frkf. Ztg." meldet aus New-Dork: Pearys Veröffentlichungen betr. Cook stehen bevor. Die Eskimos, welche den letzteren begleiteten, sollen separat vernommen worden sein und erklärt haben, Cook habe lediglich einige unweit Kap Hubbard gelegene Inseln besucht. Cook sei nicht weit nordwärts gekommen. Er habe einige kurze Ausflüge gemacht, sei aber, wenn er offene Stellen inr Eis antraf, stets zurückgekehrt. Peary will bei den Verhören der Eskimos nicht zugegen gewesen sein, damit sie unbefangen blieben. Ihre Aussagen wurden indessen vom Kapitän Bartlett, Professor Mac Millan, Borut und Hansen gehört.
— Der Radbrucher Wunderdoktor Schäfer Ast ist fälschlich tot gesagt worden. Ast ist einer der „größten" kn seinem Fache. Vom Schäfer hat er es bis zum Rittergutsbesitzer und zum vielfachen Millionär gebracht. Seine Diagnosen waren einfach genug. Er unsersuchte die Haare des Kranken und verschrieb dann Arzneien. Die Kenntnisse Asts erstreckteil sich auf vier Mittel, die alle harmlos sind. Und dennoch waren die Tage nicht selten, an denen tausend und mehr Patienten bei ihm Hilfe suchten. Zn den letzten Jahren ist seine Praxis zurückgegangen. Erst als vor kurzem auf seinem Gute ein Einbruch verübt wurde, erinnerte sich die Oeffentlichkeit seiner. Aber auch trotz der Verminderung seiner Gläubigen hat Ast immer noch genug Zulauf, um davon ein mehr als behagliches Leben führen zu können. Das einzige, was dem „Wunderdoktor" gegenwärtig Kopfschmerzen macht, ist das neue Kurpfuscher- gesetz, das Ast jedoch durch Engagement eines studierten Arztes als Assistenten umgehen zu können hofft. Ob er einen Arzt findet der die Assistentenstelle anzunehmen sich nicht scheut, ist allerdings eine andere Frage.
— Ein Raub im Eisenbahnzug wurde auf der Strecke Duisburg—Müuster verübt. Eine alleinreisende Lehrerin wurde durch ein Riechpulver betäubt und sodann um 1000 Mark beraubt. Die Dame wollte ihrem verstorbenen Bruder mit diesem Betrag ein Grabdenkmal setzen lassen
Berlin, 13. Okt. Der neulich in Berlin verhaftete Postassistent Bornemann aus Dirschau, der dort nach Unterschlagung von 30000 Mk. flüchtig geworden war, hat in Berlin in Gesellschaft von 3 sogenannten Damen an einem Tag mehr als 10 000 Mk. verjubelt. Die Polizei fahndet nun auf diese Frauenzimmer.
— Die deutsche Armee-Verwaltung läßt einen Offizier im Aeroplan-Fliegen ausbilden. Es soll später ein Wrightscher Apparat erworben werden.
— Der Gastwirt Zinkow in Heiligensee bei Berlin hatte zum Kaffeemachen Haveb wasser genommen, in dem noch Froschlaich schwamm, und noch andere Schmutzereien begangen und das seitdem „geflügelte" Wort geprägt: Für die Berliner ist alles gut genug. Er wurde vom Gericht zu einer mehrmonatlichen Gefängnisstrafe verurteilt. Jetzt wollen die Gastwirte der Havel-Ausflugsorte Zinkow sogar für den Schaden haftbar machen, der durch das Ausbleiben des Berliner Publikums infolge jener Vorgänge verursacht werden.
— Die eiserne Hochzeit stierten in Unna die Eheleute Danecker. Der Mann steht nn 93., die Frau im 88. Lebensjahr. Beide sind noch frisch. ,
Alrrier hcrttenöes.
fierrlor.
Erzählung von S. CH. von Sell.
(Fortsetzung^ (Nachdruck verboten !
„Mir scheint, das Entbehren wird mit jedem
Tage größer", sagte sie. „Die Zukunft liegt ff öde vor mir. Er war mein Alles und aucy mein Einziges auf der Welt."
„Liebes Kind", erwiderte Frau Reichmanm „so dürfen Sie nicht sprechen. Sie haben nocy Ihre lieben Eltern und zwei reizende neu Geschwister und damit einen schönen und geM neten Wirkungskreis." g,...
„Meine Mutter ist tot", erwiderte fttt v schroff. „Mein Vater bedarf meiner nicht u> jene Kinder kann ich nie lieben."