—7 Nach den 'Beschlüssen des -Reichstags ist nunmehr für den zu 500 Mill. Mark berechneten und von der Reichstagsmehrheit anerkannten Fehlbedarf des Reichs die Deckung in der folgenden Weife geschäffen: Bier IAO Mill., Branntwein 80 Mill., Tabak 45 Mill., Beleuchtungsmittel (Kohlenstifte, Glühlampen und Glühstrümpfe) 20 Mill., Zündwaren (Zündholzsteuer) 25 Mill., Kaffee- und Teezollerhöhung 35 Mill., Schaumwein 5 Mill., Grundstücksumsatzstempel und spätere Wertzuwachssteuer 40 Mill., Effektenstempel 23 Mill., Scheckstempel und Bankquittungen 12 Mill., Wechselstempel 8 Mill., Talonsteuer 28 Mill., Nichtermäßigung der Zuckersteuer 35 Mill., Aufrechterhaltung der Fahrkartensteuer 20 Mill. und Erhöhung der Matrikularbeiträge 25 Mill. Mark, zusammen Süll Millionen Mark.
Berlin, 16. Juli. Der Kaiser und die Kaiserin hatten sich für Donnerstag abend beim Fürsten und der Fürstin Bülow zum Diner angesagt. Hiezu hatten Einladungen erhalten: Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg, Generaloberst und Generaladjutant v. Plesse, die kgl. Staatsminister Frhr. v. Rheinbaben, Delbrück und v. Moltke, der kommandierende General des Gardekorps, General der Infanterie v. Löwenfeld, Staatssekretär Frhr. v. Schön. — Der Kaiser wird am Freitag abend nach Kiel reisen, um von dort aus seine Nordlandreise anzutreten.
Berlin, 14. Juli. Der Kaiser und König hat an den Reichskanzler Fürsten Bülow folgendes Handschreiben gerichtet: „Mein lieber Fürst! Aus Ihrem erneuten Gesuch habe ich zu meinem schmerzlichsten Bedauern ersehen, daß Sie entschlossen sind, von Ihren verantwortungsvollen Aemtern als Reichskanzler, Präsident des Staatsministeriums und Minister der auswärtigen Angelegenheiten zurückzutreten. So schwer es mir fällt, auf Ihre bewährte Kraft bei der Leitung der Reichs- und Staatsgeschäfte zu verzichten und das Band vertrauensvollen Zusammenwirkens, das mich so viele Jahre mit Ihnen verbunden hat, zu lösen, habe ich doch in Würdigung der gewichtigen Gründe Ihren Entschluß gebilligt und glaube, Ihrem dringenden Wunsch mich nicht länger verschließen zu dürfen. Ich habe daher Ihrem Antrag entsprechend Ihnen die erbetene Entlassung gewährt. Es ist mir aber ein Bedürfnis des Herzens, Ihnen bei dieser Gelegenheit für die Hingebung und Aufopferung, mit denen Sie in den verschiedenen Aemtern und Stellungen Ihrer ehrenvollen und segensreichen Dienstlaufbahn meinen Vorfahren, mir und dem Vaterlande so hervorragende Dienste geleistet haben, meinen wärmsten Dank auszusprechen. Gott der Herr schenke Ihnen nach einem so taten- und arbeitsreichen Leben noch viele Jahre ungetrübten Glücks. Indem ich Ihnen als äußeres Zeichen meiner Dankbarkeit, Anerkennung und Zuneigung den hohen Orden vom Schwarzen Adler mit Brillanten und die Insignien desselben hier- neben zugehen lasse, verbleibe ich Ihr stets wohlgeneigter, dankbarer Kaiser und König Wilhelm I. R. Berlin, im Schloß, den 14. Juli 1909."
Berlin, 14. Juli. Aus Hamburg wird gemeldet: Der Chefredakteur des „H.Korresp." hatte eine Unterredung mit dem Fürsten Bülow über die politischen Tagesfragen. Fürst Bülow erklärte u. a.: „Niemand bedaure mehr als er, daß die Erweiterung der Erbschaftssteuer gefallen sei. Die Folgen der Ablehnung dieser vernünftigen und gerechten Steuer werden sich in ernster Weise bemerkbar machen. Auf den Grund seines Rücktritts übergehend, erklärte der Fürst: „Ich habe mich zum Rücktritt entschlossen, weil durch die Haltung der konservativen Partei eine politische Konstellation herbeigeführt worden ist, welche unter Trennung von den Liberalen und sogar von den Waffenbrüdern des alten Bismarck'schen Kartells die Konservativen zum engsten Bund mit dem Zentrum und mit den Polen geführt und dadurch das Zentrum wieder zur ausschlaggebenden Partei gemacht hat. Die Folgen dieser Haltung der Konservativen und der hierdurch herbeigesührten Konstellation haben mein Verbleiben im Amt unmöglich gemacht. Jedermann weiß, wie fern mir auf konfessionellem Gebiet Ungerechtigkeit, Vorurteile und Voreingenommenheit liegen. Wir
waren von der Möglichkeit eines Kulturkampfs nie weiter entfernt, als während meiner Amtszeit, aber daß eine Partei, die auf konfession- 'eller Basis steht, durch konfessionelle Gesichtspunkte zusammengehalten wird und die konfessionelle Minderheit vertritt, daß diese Partei den ausschlaggebenden Einfluß ausübt im deutschen Reichstag, und diesen Einfluß mißbrauchen kann, wie das am 13. Dezember 1906 der Fall war, das halte ich allerdings für einen schweren Schaden. Ich glaube, das ist kein Glück für die religiösen Interessen der katholischen Kirche in Deutschland, und ich glaube, daß es ein Unglück ist für die politischen Interessen des ganzen Landes."
Berlin, 15. Juli. Die Nordd. Allg. Ztg. widmet dem zurücktretenden Kanzler Fürsten Bülow einen längeren warmen Abschiedsartikel, in dem es u. a. heißt: Eigenartig mag es wohl den Fürsten Bülow berührt haben, daß er in die Lage gekommen ist, am gleichen Kalendertage, dem 26. Juni, und ebenfalls in Kiel dem Herrscher sein Entlasfungsgesuch zu unterbreiten, an dem er vor 12 Jahren, damals noch Botschafter v. Bülow, mit der Leitung des Auswärtigen Amtes betraut wurde. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die zwölfjährige Amtsdauer des Fürsten Bülow länger gewesen ist als die irgend eines anderen leitenden Staatsmannes Preußens und des neue» Deutschen Reiches, mit alleiniger Ausnahme der Wirksamkeit Bismarks und Hardenbergs. In welchem Geiste Herr von Bülow die Geschäfte zu führen entschlossen war, ergebe sich aus dem Umstande, daß er nach seiner Berufung an die Spitze des Auswärtigen Amtes sich mit dem damaligen Reichskanzler Fürsten zu Hohenlohe von Kiel nach Friedrichsruhe begab, um dem Fürsten Bismarck einen Besuch abzustatten.
(Mpst.)
Zm Stuttgarter Waffermsargimg.
Professor Dr. H. Jäger-Koblenz beschäftigt sich im Medizinischen Korrespondenzblatt mit der unlängst von der Stuttgarter Stadtverwaltung herausgegebenen Denkschrift über die verschiedenen Projekte für die durchzuführende Neugestaltung der Wasserversorgung in Stuttgart:
Das Bodenseeprojekt glaubt der Verfasser aus hygienischen Gründen nur dann empfehlen zu können, wenn wirklich Grundwasser in ausreichender Menge und einwandfreier Beschaffenheit nicht aufzutreiben sein sollte.
Mit Bezugnahme auf die von verschiedenen Seiten angeregte Mitbenützung des filtrierten Neckarwassers meint Dr. Jäger: Wenn die Stadt ganze Arbeit machen will, und dazu hat sie offenbar den ernsten Willen, so wird sie besser daran tun, auf das Neckarwasser ganz zu verzichten.
Mit dem Teil der Denkschrift, der sich mit der Besprechung und — Ablehnung — des Jllerwasferprojekts beschäftigt, ist Dr. Jäger nicht zufrieden. Er glaubt, daß die aus einer mangelhaften bakteriologischen Technik gezogenen Schlüsse die Begutachter des Jllergrundwassers zu schwerwiegenden hygienisch-hydrologischen Fehlschüssen verleitet habe. Sein Urteil faßt der Verfasser wie folgt zusammen:
1. Das Enztalprojekt schafft nach den Aufstellungen der Denkschrift ausreichende Wassermenge nur bis 1926 (also wenn man 4 Jahre Bauzeit rechnet, nur für etwa 12 Jahre). Ob auch für diese Frist die berechnete Wassermenge wirklich sich ergeben wird, ist zweifelhaft und wird von hydrologischer Seite entschieden bestritten. Das Wasser aus dem Enztal ist auf Grund der gemachten Erfahrungen hygienisch nicht einwandfrei (Erfahrungen Pforzheim). Das Enztalprojekt bedroht die Wildbader Thermalquellen.
2. Das Bodenseeprojekt sieht Oberflächenwasser vor und ist deshalb nicht zu wählen, weil einwandfreies Grundwasser in ausreichender Menge höchstwahrscheinlich beschafft werden kann.
3. Das Jllertalprojekt ist auf Grund unzulänglicher Untersuchungsmethoden nach der hygienischen wie nach der hydrologischen Seite unrichtig beurteilt. Vielmehr ist es als höchst wahrscheinlich zu bezeichnen, daß Stuttgart aus
dem Jllergebiet auf viele Jahre hinaus mit einwandfreiem Grund - wafser versorgt werden kann.
4. Gründliche, unbedingt sachkundige Nachprüfungen aller drei Projekte von hygienischer wie von hydrologischer Seite sind unerläßlich. Die hygienische Frage ist zweifellos die wichtigste: um dieser willen sollen die vielen Millionen ausgegeben werden.
i MnterHälflendss.
Er soll dein Herr sein.
Erzählung von C. Aulepp-Stübs.
(Forts.) (Nachdruck verboten.)
Bei einem Glase echtemMünchner taucht der Gedanke in ihm auf, feiner guten Frau eine Freud, durch das Geschenk eines Schmuckstückes zu bereiten, dessen wundervolle künstlerische Ausführung neulich in einem Juwelierladen ihr Wohlgefallen erregt hat. Sie tauften damals für Hildegard eine zwar einfach gehaltene, aber kostbare Brosche. Das Juweliergeschäst war ein sehr bedeutendes aus Berlin und hielt während der Saison hier eine Filiale offen. Die Sachen waren durchweg herrlich ausgeführt und geriet sein Frauchen in eine wahre Begeisterung bei ihrem Anblick. Er wollte ihr etwas kaufen, doch sie wehrte ab —, sie war eben zu bescheiden und wollte ihn zu keiner so großen Ausgabe veranlassen.
Das alles fährt ihm beim ersten Glas Münchner durch den Sinn, beim zweiten überlegt er, ob er die Brosche, die seine Agnes hübsch fand, nicht kaufen solle, beim dritten weiß er es ganz genau und beim vierten nimmt er den Hut vom Nagel, trinkt aus, zahlt und begibt sich schnurstracks zum Juwelier. Eine Weile darauf verläßt er, sehr zufrieden mit sich und seiner Großmut, den Laden und schlendert langsam, die Hand zuweilen auf seine Brusttasche drückend, als wolle er sich vergewissern, daß er das darin befindliche Etui auch nicht verloren habe, nach dem Hotel zurück. Dort begibt er sich gleich hinauf zu seiner Frau, denn es ist inzwischen Zeit geworden, daher sie abholt. Als er die Tür öffnet, steht sie gerade vor dem Spiegel und setzt das kleine heliotrot- farbene Kapotthütchen auf das hochfrisierte, wellige Haar. Sie dreht sich um und nickt ihm freundlich zu, dann steckt sie vorsichtig die Hut-. nadel ein.
„So, nun bin ich fertig, nur noch die Handschuhe und den Schirm." Sie deutet auf die zwei fertig gepackten Koffer. „Bin ich nicht fleißig gewesen? Ich Hab mich auch tüchtig geeilt, damit Du nicht zu warten brauchtest."
„So? Nun, dafür Hab' ich Dir auch etwas mitgebracht," erwidert der Geheimrat lächelnd, zieht das kleine Lederetui au§ der Tasche und hält es ihr dicht vor die Augen.
Freudig erschrocken steht sie bald ihn, bald das Etui an.
„Aber Heimchen, was soll denn das heißen?" fragt sie erstaunt.
„Das soll heißen, daß Du stets meine engelsgute, liebe Frau bist! Und nun nimm's doch auch und wachs mal auf!"
Er gibt ihr das Etui in die Hand und sieht ihr dann zu, wie sie bedächtig auf die Feder drückt und öffnet. Ein leiser Ruf des Entzückens entfährt ihren Lippen, als sie die außerordentlich schöne Brosche sieht, dann sagt sie halb vorwurfsvoll, halb freudig überrascht:
„Nein, aber Helmchen, wer wird sich denn bloß so in Unkosten stürzen!"
„Ja, stehst Du, es ist eine bekannte Tatsache — Alter schützt vor Torheit nicht! Du mußt doch eine kleine Entschädigung für dleje zwei Wochen haben, die -wir sonst noch h^ geblieben wären!" , ,
„Ach, Du bist doch wirklich zu gut," sagt sie gerührt. „Dafür bekommst Du auch emm recht schönen Kuß. Aber nimm Dich in Acht, daß Du mir die Frisur nicht verschiebst."
Sie hebt sich auf die Zehenspitzen und beui ihrem Mann die Lippen da. Dieser lachb macht einen spitzen Mund und küßt sie, ohne sie anzufassen.
„So war's brav! Nun, was meinst Du, werde ich gleich Staat mit der Brosche machen-