einer Devastation jener Täler gleich und nicht nur die „reichen Fabrikbesitzer," sondern der ärmste Hausvater würde darunter zu leiden haben. An diesem Punkt setzt die juristische Frage ein und diese wiederum steht im engsten Zusammenhang sowohl mit der Geld- als mit der Zeitfrage. Die Enztäler sind entschlossen, sich bis auf das äußerste zu wehren; die Bewohner des Würmtales, die bis jetzt noch nicht zu merken scheinen, daß es auch auf ihr Wasser abgesehen ist (das dem Quellwasser erst die richtige Mischung beiführen soll), werden sich gewiß anschließen, und wenn je die maßgebenden Behörden ein Projekt genehmigen würden, das nur auf 30 bis 40 Jahre berechnet ist, so würden sie dies jedenfalls nicht leichten Herzens tun; es würde also jedenfalls Jahre lang dauern, bis mit dem Enztalprojekt auch nur begonnen werden könnte. Sodann aber hat Professor Dr. Sauer, wenn er das Enztalprojekt als das billigere bezeichnet, in seine Rechnung gewiß nicht eingestellt, was den Enztälern an Schadenersatz zu leisten ist. Die Dutzende von Triebwerken, welche an der Enz liegen, würden nicht nur im Umfang ihrer Wasserkräfte geschmälert, ja gerade in den Zeiten, wo am wenigsten Wasser vorhanden und am meisten verbraucht wird (im Hochsommer), nahezu trockengelegt, sondern ihre Werke, die auf die äußerste Ausnützung des vorhandenen Triebwassers eingerichtet sind, wären nicht mehr brauchbar, wobei es sich um Millionen handeln würde, welche bisher nicht in Rechnung gestellt sind. Würde gar noch das Heilwasser von Wildbad vernichtet — eine Möglichkeit, die nach dem Urteil Sachverständiger gar nicht entfernt liegt —, so wäre neben dem ideellen der materielle Schaden so groß, und könnte der Stadt Stuttgart eine Rechnung gemacht werden, daß der Bürgerschaft die Augen übergingen. Wenn also je die Ausführung des Bodenseeprojektes vom rein technischen Standpunkt aus einige Millionen höher zu stehen käme — was noch durchaus nicht bewiesen ist — so würde sich dies aus- gleichen durch die Freiheit von jeder Entschädigungspflicht; es würde vor allem die Notwendigkeit wegfalleu, das ganze Werk in den von Professor Dr. Sauer angenommenen 30 bis 40 Jahren zu amortisieren, und endlich würden der Stadt erbitterte Kämpfe und das Bewußtsein erspart den Wohlstand einer ganzen Landschaft ihren Interessen geopfert zu haben, nur um ein Stückwerk auf ein Menschenalter zu erreichen. Wenn ich so die rechtlichen Gesichtspunkte in ihren Grundzügen hervorgehoben habe, so bin ich mir bewußt, daß hier noch eine ganze Reihe von Neben- und Eventualfragen nicht berührt find. Diese sämtlichen Fragen können nur auf anderem Felde ausgetragen werden; dafür aber, daß die Rechtsfrage im wesentlichen so liegt, wie ich sie hier herausgehoben habe, stehe ich ein, und glaube nicht nur meinen Klienten, sondern vor allem auch meinen Mitbürgern einen Dienst zu erweisen, wenn ich das vorliegende Projekt bekämpfe.
Rechtsanwalt I>«. Kielmeyer.
Lokotes.
):( Wildbad, 15. Februar. Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb ließ der Vorstand des Eisklubs am gestrigen Sonntag Nachmittag ein Eisfest auf dem Schwanensee steigen. Obwohl am Samstag versucht worden war, durch liebevolle Behandlung die spröde Eisfläche etwas gehobelter und manierlicher zu gestalten, sie blieb recht ungefügig und holperig. So war denn der Genuß des Eislaufs leider kein ganz ungetrübter trotz herrlich warmen Sonnenscheins, trotz der frischen, trefflichen Weisen unserer Feuerwehrkapelle, trotz des guten Glühweins und der einladenden Leckereien, die Herr E. Rometsch spendete. Aber eine- weg verlief das Fest ganz vergnüglich für diejenigen , die trotz der weniger guten Bahn dem gesunden Sport gestern huldigten und für die vielen Zuschauer, die offenbar an dem anmutigen Bild, an dem guten Konzert und an den warmen Sonnenstrahlen ihre Freude hatten.
Wildbad, 12. Febr. Dem „Schw. M." wird von hier geschrieben: Ein interessantes Phänomen wurde heute an unserer Bergbahn festgestellt. Schon während des Bergbahnbaus behaupteten einige Arbeiter, daß an der oberen
Bergbahnstation Felsspalten seien, denen warme Lust entströme. Die Behauptung fand aber wenig Glauben. Bei einer heute von Stadtschultheiß Baetzuer mittelst Thermometer vorgenommenen Untersuchung ergab sich aber, daß tatsächlich aus einer in einer Höhe von 710 m ü. d. M. gelegenen Felsspalte ein warmer Luststrom kommt. Nach 5 Minuten langem Hineinhalten stieg das Thermometer um etwa 10 Grad. Wenn man bedenkt, daß unsere Thermen bei 420 w Meereshöhe der Talsohle Lagen von etwa 390 m Höhe entspringen und daß der warme Luststrom also etwa 320 m höher und 800 m von den Bädern entfernt zu Tage tru so gibt der Befund doch zu denken. Wenn man auch noch nicht zu hoffen wagt, daß weitere warme Quellen, die bisher unbe- nützt irgend wohin abstießen, vorhanden sind, so beweist der Fund jedenfalls aufs neue die starke Zerklüftung unseres Gebirges und wirft damit auf eine mögliche Gefährdung unserer Heilquellen durch die geplante Stuttgarter Wasser- versorgung ein neues Schlaglicht."
Hinter. HcrOendes.
Der schwarze Koffer.
Autorisierte Uebersetzung aus dem Englischen
von Emmy Becher.
(Nachdruck verboten.) (Forts.)
Ich glaubte unverb, chlich an seine Offenheit und Wahrheitsliebe, und er mußte das Verbrechen in einem Zustand von Bewußtlosigkeit begangen haben, einem Zustand, in den ihn Alkohol und Chloral versetzt hatten. Diese Erklärung war allerdings etwas seltsam, aber nicht unglaublich. In meinem Beruf hatte ich die Trunkenheit in den verschiedenen Gestalten kennen gelernt und wußte sehr genau, welch wunderliche Erscheinungen der Alkoholgenuß bei nervös erregbaren Naturen und Leuten von starker Einbildungskraft Hervorrufen kann. Auch einen Fall von ganz unregelmäßiger Gehirntätigkeit, die durch Chloral hervorgerufen war, hatte ich erlebt, und hatte einen Mann in diesem Zustand Handlungen begehen sehen, von denen er am nächsten Tag keine Rechenschaft geben konnte. Darum fand ich Austin Harveys Auffassung ganz einleuchtend, umsomehr, als er verwandte Fälle aus seines Bruders Vorleben angeführt hatte. Auf der einen Seite war ich also vollständig überzeugt, daß Philipp seine Tante umgebracht hatte, auf der andern glaubte ich unbedingt, daß er sich der Tat nicht bewußt war. Irgend eine Erklärung mußte ja gefunden werden, und diese erschien mir immerhin annehmbar.
Gleichzeitig mußte ich mir sagen, daß englische Geschworene schwerlich bereit sein würden, darauf einzugehen. In Frankreich wäre viel mehr Aussicht auf Freisprechung vorhanden gewesen; man hätte Charcot als Sachverständigen berufen, und die Franzosen glauben an jedes psychologische Wunder, wenn Charcot es ihnen mundgerecht macht. Und für Charcot, der sich all-den meSmerifchen und magnetischen „Schwindel") an den kein Arzt glauben wollte, bis ein Arzt ihm den zünftigen Stempel aufgedrückt hatte, so geschickt angeeignet und zurecht gemacht hat, für den gibt es auf dem Gebiet der Psychologie kein Wunder mehr, und das „Unmögliche" geschieht da alle Tage. Aber zwölf nüchterne, vierschrötige Engländer, wie sollte man denen beibringen, es habe einer einen Mord begangen, ohne selbst darum zu wissen? Ueberdies war dieser Philipp ja so töricht ehrlich, zuzugeben, daß er mit seiner Tante Streit gehabt und sie aus dem Zimmer gestoßen habe. Ich war ganz Austins Meinung, das beste, was der Arme tun konnte, war, die Flucht zu ergreifen. Heute früh beim Erwachen war ich entschlossen gewesen, ihn sofort verhaften zu lassen. Der Familie Geld abzuzwacken, das hatte ich längst aufgegeben, ich wollte mich nur mit Ruhm bedecken, indem ich den Behörden und der Welt Bericht abstattete über meine Nachforschungen und meine Erfolge. Nun entschloß ich mich, auch darauf zu verzichten, und zwar kostete mich das einige Ueberwindung, aber ich fühlte mich unwillkürlich zu dem unglücklichen Mörder hingezogen.
wenn er auch ein leichtsinniger Mersch und ein Trinker war, oder vielmehr, mein Gerechtigkeitsgefühl ließ mich wünschen, daß der Mann nicht über Gebühr gestraft werde. Ich wollte alles daran setzen, ihn zu retten; die Familie konnte hernach meine Dienste lohnen, wie es beiden Teilen angemessen erscheinen würde.
„In Beziehung auf die Bücher kann ich Sie jetzt schon aus der Uugewißheit reißen," sagte ich. „Sie sind da. Ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Ein Wandschrank im Zimmer Ihrer verstorbenen Tante ist gänzlich damit angefüllt."
Ich hatte nicht erwartet, daß diese Mitteilung den jungen Mann so gänzlich aus dem Gleichgewicht bringen werde, und seine Aufregung machte mir zur Genüge deutlich, daß er mit allen Fasern seines Wesens an der Möglichkeit hing, seine Unschuld beweisen zu können, und sich nur mit äußerstem Widerstreben der von seinem Bruder aufgestellten Theorie unterwerfen würde.
„Dann ist alles aus," stammelte er. „Dann hat Austin recht und ich muß fort."
Mühsam erhob er sich; auf seiner Stirn stand der Schweiß in dicken Tropfen.
„Doch nicht jetzt. Wo wollen Sie denn hin?" sagte ich. „Sie müssen die Rückkehr Ihres Bruders abwarten."
Schon war er in der Nähe der Tür, obwohl er sich wie ein Blinder vorwärts tasten mußte; mit einemal blieb er stehen.
„Wird meine Flucht den Verdacht gegen Edith erschweren?" fragte er mich. „Hundertmal lieber den Strick, als sie in Not bringen."
„Fräulein Simpkinson schwebt in keiner ernsten Gefahr, denn man kann keine greifbaren Beweise ihrer Schuld aufbringen, und sobald Sie drüben sind, können Sie auch jeden Schatten eines Verdachts von ihr nehmen. Aber jetzt können Sie nicht fort, das Tagschiff ist bereits abgefahren. Heute abend können Sie bis Calais kommen, von dort gehen Sie nach Marseile und machen den Versuch, sich nach irgend einer der südamerikanischen Republiken einzuschiffen, wie Ihr Bruder Ihnen vorschlug."
„Es wird ihm mcht gelingen," sagte ich mir im stillen mit einem Seufzer. „Wenn die Polizei nur halbwegs die Augen offen hält, gelingt es ihm nicht."
Er ließ sich wieder auf seinen Sitz zurückführen und bat mich, ganz zerschlagen und hinfällig wie er war, ihm etwas Geistiges zu verschaffen.
„Nein," erklärte ich rundweg, „Sie müssen Ihre fünf Sinne und all Ihre Kraft beisammen haben, und Kraft verleiht der Branntwein nicht, wenn Sie sich das auch einbilden. Sprechen wir die Sache noch einmal durch; zehn Stunden Zeit haben Sie noch bis zur Abreise, und je ruhiger Sie sich bis dahin verhalten, desto besser."
Zu meinem eignen Befremden hatte ich mich mit einemmal in den Freund und Beschützer des Menschen, dem ich seit vier Tagen nachjagte, verwandelt und seine Flucht lag mir, so gering meine Hoffnung auf ihr Gelingen auch war, wirklich am Herzen.
„Wir müssen Sie fortschaffen," sagte ich, „und Sie selbst müssen das Ihrige dabei tun."
Neunzehntes Kapitel.
Der Hauptschlüssel.
Und so saßen wir von Mittag an bei einander, warteten den Abend ab und sprachen über den Mord. Von Zeit zu Zeit brachte ich auch einen andern Gegenstand aufs Tapet, aber es ging nicht; der Mord ließ uns nicht los.
Philipp erzählte mir, daß sein Verhältnis zu der Tante vielfachen Schwankungen unterworfen gewesen sei. War sie ihm böse gewesen, io hatte sie sehr hart sein können, war sie ihm gut gewesen, so hatte sie ihm große Zärtlichkeit gezeigt. Sie mußte eine heftige, leidenschaftliche Natur gewesen sein, die aber, wie mir aus einigen Zügen hervorging, inr Grund ihres Herzens eine geheime Vorliebe für den Taugenichts von Neffen gehabt hatte, während sie es für Pflicht hielt, dem gesitteten und ehrbaren Bruder ihre Anerkennung zu