sei es, um das Land einfach zu annektiren. In beiden Fällen wäre der Berliner Ver­trag zerrissen. Europa schuf einen tür­kischen aber keinen russischen Vasallenstaat in Bulgarien, jedenfalls wollte es nicht, daß sich Rußland bis zum Balkan ausdehne. Die Frie­densmächte ermuntern jetzt den Fürsten Ale­xander zum Ausharren, es fragt sich aber, wie lange er im Stande sein wird, diesem Rathe Folge zu leisten. Es muß hier konstatirt wer­den, daß Fürst Alexander einen viel schwieri­geren Kampf kämpft, eine mannhaftere Haltung beobachtet und größere Gewandtheit bekundet, als man bisher in der europäischen Presse all­gemein angenommen, aber er steht doch nur allein auf seinem überaus exponirten Posten unter den denkbar kritischsten Verhältnissen, und er hat es obendrein mit Rußen, mit vielen Rußen, ja mit Rußland selbst zu thun. Aber die Partei scheint sich einigermaßen anders zu gestalten; es heißt vielleicht bald: Europa ge­gen Rußland nicht mehr: Fürst Alexander gegen die Rußen.

Berlin, 10. Sept. Der Kronprinz von Portugal ist heute Vorm. 11 Uhr hier einge­troffen. Derselbe wurde auf dem Bahnhof, wo eine Ehrenkompagnie mit Musik und Fahne aufgestellt war, von dem Kronprinzen empfangen und nach dem königl. Schloße geleitet. Der Kaiser stattete dem Kronprinzen von Portugal sofort nach dessen Ankunft einen Besuch ab, der gleich darauf erwidert wurde. Nachmittags fin­det ein großes Essen beim Kaiser statt, an welchem der Kronprinz von Portugal, die Mit­glieder des Königshauses, der Herzog und die Herzogin von Connaught, die Mitglieder der portugiesischen Gesandtschaft und andere Per­sonen von Rang theilnehmen.

In Spandau ist dieser Tage von den Behörden eine Zigeunerbande, welche die Stadt mit ihrem Besuchebeehrte" im abgekürzten Verfahren schleunigst wieder auf den Schub gebracht worden. Nachdem man am Samstag Nachmittag die Anführer in Haft genommen hatte, wurden am Nachmittage desselben Tages auch die andern männlichen Mitglieder ver­haftet, und da sie angaben, nur auf der Durch­reise nach Belgien sich zu befinden, ihnen be­deutet, sofort die Reise dorthin anzutreten. Ihr angeblicher Geldmangel schwand sofort, als man Anstalten machte, ihre Pferde zu ver­kaufen. Von ihrem Gelde wurde ein Waggon gemiethet, in welchem Männer, Frauen, Kin­der, Bären und Pferde friedlich neben einander hausten und mit dem nächsten Zug der Lehrter Bahn dampfte die ganze Bande der belgischen Grenze zu.

Ausland.

Wien, 9. Sept. Der König von Spanien ist, wie schon kurz gemeldet, heute Abend 9 V 2 Uhr hier eingetroffen und ans dem Westbahnhof von dem Kaiser, dem Kronprinzen, den Erzher- zögen Albrecht, Wilhelm, Eugen und von dem

gesammten Personal der spanischen Gesandt­schaft, sowie von dem kommandirenden General und dem Polizeipräsidenten empfangen worden. Bei der Ankunft des Zuges stimmte die auf­gestellte Ehrenkompagnie die spanische National­hymne an. Der Kaiser schritt auf den Waggon zu, in welchem sich der König befand, und be­grüßte denselben wiederholt durch Umarmung und Kuß aufs herzlichste. Der König wurde hierauf auch vom Kronprinzen und den Erzher- zögen begrüßt, besichtigte die aufgestellte Ehren- Compagnie und begab sich mit dem Kaiser nach erfolgter Vorstellung des beiderseitigen Gefolges zu Wagen nach der Hofburg.

Morgen sind es 200 Jahre, daß die Tür­ken vor Wien geschlagen wurden.

Agram, 10. Aug. Samstag Nachmittag warf der Pöbel die Fensterscheiben eines Kaffee­hauses und mehrerer Wohnhäuser von israeli­tischen Besitzern ein und bewarf die einschreiten­den Truppen mit Steinen, worauf das Militär feuerte, ohne jedoch Jemanden zu verletzen. Es erfolgten viele Verhaftungen; um zwei Uhr war die Ruhe wieder hergestellt. Die auf heute anberaumten Gemeinderathswahlen wurden auf unbestimmte Zeit vertagt. Vom Lande wurden Zusammenstöße zwischen Bauern und Gensdar- men gemeldet. Einige Bauern wurden getödtet, andere verwundet.

Rom, 8. Septbr. Durch einen heftigen Regen sind gestern die Baracken in Casamicciola überschwemmt worden; man hat den Unglück­lichen Wachsleinwand zum Schutze geschickt. Die Aktion des Centralkomits's wird schärfstens getadelt. Die Baracken sind für die primitivsten Anforderungen ungenügend u. werden in Jahres­frist verfallen sein.

London, 9. Septbr. Die vom Pariser Figaro" veröffentlichten angebrachten Punkta­ttonen, welche zwischen Challemel-Lacour und dem Marquis Tseng vereinbart sein sollen, (die­selben betreffen die Regelung der Frage der Suzeränetät China überAnam, die Feststellung der Grenzlinien eventuell mit Errichtung einer neutralen Zone an gewissen Punkten) sind gutem Vernehmen nach unrichtig. Die Verhandlungen sind bei Weitem noch nicht so vorgeschritten, und obwohl man in der diplomatischen Welt die Aussichten auf eine Verständigung gestiegen glaubt, so verhehlt man sich doch nicht, daß noch große Schwierigkeiten zu überwinden sind, da China bisher ziemlich fest auf seinem Aus­spruch beharrt, daß ihm allein die Suzeränetät über Anam gebühre.

Belgrad, 9. Sept. Infolge heftiger Regengüsse hat in dem Westen Serbiens eine große Ueberschwemmung stattgefunden; der durch dieselbe angerichtete Schaden ist sehr bedeutend.

Konstantinopel, 10. Sept. Der deutsche Botschafter v. Radowitz hatte am Frei­tag eine glänzende Audienz beim Sultan, der man eine außerordentliche Bedeutung beimißt. Es heißt, der Sultan habe, um den entgegen­stehenden Gerüchten den Boden zu entziehen,

offiziell dargethan, daß er unentwegt zur deutsck- öiterreichischen Politik halten werde.

Handel «ud Verkehr.

Stuttgart, 10. September. (Landes­produktenbörse.) Das veränderliche Wetterder letzten 8 Tage müssen wir als günstig bezeich­nen, denn die wenigen Niederschläge konnten wir für unsere Herbstbestellung nothwendtg brauchen und dabei war es doch möglich, die Reste unserer Futter- und Getreideernte in guter Beschaffenheit nach Hause zu bringen. Auch die Wein- und Hopfenproduzenten können sich nicht beklagen, denn dem Wemstock hat Feuchtigkeit noth gethan u. die Hopfen können ohne Schwierig­keit geerntet und getrocknet werden. Im Ge­treidehandel hat sich nichts verändert, das Ge­schäft geht aller Orten ruhig und ohne beson­deres Animo seinen Gang. Die Hopfenpreise sind sehr zurückgegangen und bewegen sich auf dem Markt in Nürnberg zwischen 160 und 180 Mrk. per Ctr. Entsprechend der allgemeinen Stimmung im Getreidehandel blieben auch unsere heutigen Geschäfte ziemlich beschränkt, doch ge­nießt unser eigenes Erzeugniß der neuen Ante Beachtung und kann zu guten Preisen an den Mann gebracht werden.

Wir notiren per 100 Kilgr.:

Weizen, neu öfter. I«.. 22 M. 75 bis M.

dto. bayer. . . 21 M. 25 bis M.

dto. rufst fax. . 21 M. 70 bis 22 M. 50

dto. Ungar. . . 23 M. 75 bis M. -

Dinkel neuen . . 14 M. bis 14 M. 60

Gerste Ungar, neu . 20 M. 50 bis M. -

Stu ttgart, 10. Sept. (Mehlbörse.) Auch in der vergangenen Woche haben sich in den Mehlpretsen keine wesentliche Aenderungen ein­gestellt und ist der Verkehr wiederholt als ein sehr ruhiger zu verzeichnen. An heutiger Börse sind von inländ. Mehlen 850 Sack als verkauft zur Anzeige gekommen zu folgenden Preisen:'! Mehl Nr. 0 . . 34 M. - bis 35 M. 50

Nr. 1 . . 32 M. - bis 33 M.-

Nr. 2 . . 30 M. - bis 31 M. -

Nr. 3 . . 27 M. 10 bis 29 M. -

Nr. 4 . . 22 M. 50 bis 24 M. 50

In ausländ. Mehlen wurden 200 Sack verkauft in verschiedenen Sorten und zu verschiedenen Preisen.

Stuttgart, 11. Septbr. (Kartoffel- Obst- und Kr aut markt.) Leonhardtsplatz: 400 Säcke Kartoffeln 5. 2 M. 70 Pfg. bis 3 M. 20 Pfg. pr. Ctr. Wilhelmsplatz: 600 Säcke Mostobst a 3 M. 50 Pfg. bis 3 M. 80 Pfg. pr. Ztr. Marktplatz: 3000 St. Filderkraut L 15 M. bis 18 M. pr. 100 Stück.

Böblingen, 9. Septbr. Die Hopfen­ernte ist hier im vollen Gang und wird iw Durchschnitt auf eine halbe Ernte gerechnet. Die Qualität läßt nichts zu wünschen übrig, in ca. 8 Tagen dürften trockene Hopfen vorräthig sein.

Rottenburg, 9. Sept. (Hopfen.) Die Witterung in der ersten Erntewoche war M

Londoner Geheimnisse. («-4^ Verben.)

Erzählungen einer englischen Geh e imp oli z ist i n von D. 6-otks.

(Fortsetzung.)

Als die Gräfin mich am Abend gegen 8 Uhr zur Toilette rief, hatte ich mich bereits zum Ausgehen angekleidet, und ich gewahrte, daß ihr dieser Umstand zur Befriedigung gereichte. Kaum war der Wagen mit der Gräfin davongerollt, so verabschiedete ich mich von Miß Southon und verließ ebenfalls das Haus.

Ich hatte von Jack, dem kleinen Reitknecht, gelegentlich erfahren, daß der Kutscher, wenn er den Wagen leer nach Hause fahre, seinen Weg durch eine wenig belebte Gaffe zu nehmen pflegte und in einer dortigen Schankwirthschaft, deren Besitzer einst seine Schwiegereltern werden sollten, ein Glas Grog oder Bier zu trinken und ein Viertel­stündchen mit seiner Braut zu kosen und daß Jack, der stets mitfuhr, alsdann die Pferde beaufsichtigte. Auf diesen Umstand hatte ich meinen Plan gebaut.

In der That blieb der Kutscher auch heute seiner Gewohnheit

treu.-Kaum war er in das Haus getreten, so kam ich eilig die

Gasse herauf. Jack stand bei den Pferden, die halb abgesträngt waren. Er sah und erkannte mich, als ich, mein Notizbuch hervorziehend und öffnend, inner der nahen Gaslatcrne einen Augenblick stehen blieb.

Ah, Miß Taylor!" rief er mir zu.Wohin denn so eilig?"

Sie sind es, Jack?" entgegnete ich, mich überrascht anstellend; das trifft sich ja herrlich! Sie können mir einen Gefallen thun, lieber Jack. Ich habe hier in der Gegend eine Erkundigung einzuziehen und doch bleibt mir wegen eines andern sehr notwendigen Geschäfts keine Zeit dazu übrig. Wollen Sie die Erkundigungen für mich einziehen und mir morgen im Hotel Bescheid sagen?"

Recht gern, Miß Taylor; wenn ich nur die Pferde ohne Aufsicht laßen dürfte."

Der Bursche, welcher dort kommt, wird gern für ein kleines Trinkgeld Ihren Posten auf eine halbe Viertelstunde übernehmen, und so lange bleibt Mr. John gewiß noch bei seiner Braut." Ich druckte bei diesen Worten einen Schilling in die Hand des Knaben.

Ja, Miß Taylor; wenn der Bursche es will ?"

Der Betreffende kam eben heran und erklärte sich auf meine Frage sogleich bereit, für einen halben Schilling, den er sofort von mir erhielt, die Pferde auf kurze Zeit zu beaufsichtigen.

Ich bezeichnete Jack irgend ein Haus in einer nahebelegenen Straße und ertheilte ihm den Auftrag, daselbst zu fragen, ob eine Mw L. ich nannte einen beliebigen Namen dort wohne. .

Jack lief schnell von dannen; und auch ich that, als ob rch uny in entgegengesetzter Richtung eilig entferne.

Kaum war jedoch der Knabe um die nächste Straßenecke gebogen, als ich zu dem Wagen zurückkehrte und zu Jacks Stellvertreter sagte-

Es ist nicht nöthig, daß Sie hier noch länger naß werdem -- (Es fiel nämlich ein feiner Regen.) Die Pferde sind ja durchaus ruhig. Gehen Sie nur nach Hause." . . .

Der bereits bezahlte Bursche ließ sich das nicht zweimal sagen. Schnell gteng er seines Weges.

Es war im November zwischen 9 und 10 Uhr; daher war denn augenblicklich kein Mensch in der ohnehin wenig belebten Gasse zu sehen. Diesen Moment benutzte ich, um ungesehen in den Wagen zu schlupfen, wo ich mich in eine Ecke drückte. ^ ^

Bald kehrte Jack zurück. Er schimpfte auf seinen Stellve.treie, der sein Wort so schlecht gehalten.