Zur politischen Lage.
Das Echo, das die wiederholten Friedenskundgebungen des deutschen Reichskanzlers im feindlichen Ausland, namentlich in England und Frankreich, gesunden haben, erweckt im ersten Augenblick den Eindruck, als wollten die Alliierten erstrccht jetzt von einem Frieden nichts wissen, weil sie nun Deutschland und seine Verbündeten für erschöpft halten. Die deutsche Regierung hat um der Menschheit Willen nun schon zum vierten Mal das Risiko auf sich genommen, friedensbedürftig zu scheinen, indem sie den Feinden unter gewissen Bedingungen Frieden angeboten hat, weil sie das weitere Schlachten für unnötig hält. Jedesmal aber war die Antwort, daß erst Frieden gemacht werde nach dem endgültigen Sieg der Entente. Nach England und Frankreich tritt nun auch Rußland mit Kundgebungen hervor, die seinen festen Willen zur Wetterführung des Kampfes bezeugen sollen; aber die von der Regierung, der Duma und der polnischen Fraktion gegebenen Erklärungen erscheinen uns doch zu demonstrativ, gewissermaßen als Widerlegung der Sonderfriedensgerüchte der letzten Zeit, als daß wir sie als untrügliches Zeichen russischer Willensbekundung ansehen möchten. Im Grunde genommen besagt die Erklärung ver Petersburger Regierung nicht viel, daß sie gewillt sei, ein Königreich Polen zusammen mit den Alliierten zu schaffen, das alle Polen umfasse. Weng sie damit auch die zu den Zentralmächten gehörigen polnischen Gebiete meint, so es -gerat-so naiv, wie das Märchen vom verteilten Bärenfell, dessen Besitzer man noch nicht hatte. Ebenso schief r,t die Behauptung Rußlands, daß die Schaffung eines polnischen Heeres völkerrechtswidrig sei, weil die Einwohner des besetzten Gebietes nicht zum Kriegsdienst gezwungen werden dürfen Bekanntlich ist bei Schaffung des Königreichs Polen ausdrücklich erklärt worden, daß,es den Polen anhcimgestellt ist, freiwillig eine polnische Armee zu schaffen. Aber im Grunde genommen ist mit der Bereiterklärung der russischen Negierung, ein polnisches Königreich zu schaffen, doch eher eine Annäherung als eine Entfernung bezüglich der Wünsche der Zentralmächte im Osten zu konstatieren. Viel wichtiger dürfte für die Russen das Problem der Dardanellen sein, das doch das eigentliche Kricgsziel Rußlands darstellte. Ls wurde halbamtlich bekannt gegeben, man wolle zur Beruhigung des russischen Volkes in nächster Zeit die Abmachungen Rußlands mit England und Frankreich bezüglich Konstantinopels und der Dardanellen veröffentlichen, aber England und Frankreich scheinen im jetzigen Stadium des Krieges noch gar kein Interesse an dem Bekanntwerden dieses voraussichtlich glänzenden Beweises der „Fiirsorgetätigkeit" der Entente gegenüber den kleinen Staaten zu haben. Oder sollten die englischen Zugeständnisse gar nicht für Rußland jene Bedeutung haben, die dis russische Volksmeinung ihnen zuschreibt? Jedenfalls wäre es interessant, wenn die beiden Weltmächte ihren Widerstand gegen die Veröffentlichung aufgeben würden, und man könnte den Inhalt des Vertrages erfahren. Die Dardanellen im Besitz Rußlands würden aber den Russen letzten Endes doch auch nicht vtel nützen, wenn sie, was für die Zukunft nicht außerhalb des Bereichs der Möglichkeit liegt, gezwungen sein so"^en, mit dem englischen Freunde von heute Krieg zu führen. England würde sich einfach mit seiner starken Flotte vor den Dardanellen festsetzen, und der Bosporus wäre nach wie vor geschlossen. Das wird man sich, ehe man no^ mehr Opfer für diese Idee bringt, mit der Zeit auch sagen müssen, besonders wenn eine Verständigung mit der Türkei in Bezug guf die Dardanellenfrage möglich ist. Und das wissen die Russen heute schon, der Vierbund wird eine Festsetzung Ruß
lands am Bosporus unter gnädiger Erlaubnis Englands niemals zulassen, und daß die Vierbundmächte die Kraft besitzen, sich diesen Plänen cntgegenzustemmen, - bat man in Rußland wohl heute schon eingesehen, wenn das auch noch nicht zugcstanden wird. Mit der Einsicht aber, daß Rußlands erstes Kriegsziel nicht erreicht werden kann, fällt auch der Grund zu weiterem Kriegführen für die Rußen.
Dann haben die Russen aber auch noch einen anderen Grund, sich nicht völlig zu verausgaben. In gr ßen Kreisen des russischen Reiches dämmert schon lange die Einsicht, daß Rußland heute eigentlich nur für die englischen Pläne Krieg führt, und immer mehr in wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von England gerät. Es sind deshalb auch Kräfte an der Arbeit, dem russischen Volk darüber Aufrrä- rung zu geben. Und ebenso denken große Teile des französischen Volkes. Ein hervorragender französischer Diplomat sagt darüber: Exotze Teile des französischen Volkes gehen so weit, eine französisch-russisch-deutsche Verständigung ins Auge zu fassen, um unset Land von den Engländern zu befreien. Die Furcht, daß die- Engländer Calais nicht mehr verlassen und aus ihm ein neues Gibraltar machen könnten, herrscht in weiten Kreisen des französischen Volkes vor. „Wir haben uns", sagte der Diplomat in einer Unterredung, deren Inhalt nicht geheim blieb, „langsam davon überzeugt, daß England einen Krieg führt, der nicht der seiner Verbündeten ist, und weitreichende Pläne hat. Zahlreiche Franzosen gehen so weit, die Möglichkeit einer französisch-russisch-oeutschen Verständigung ins Auge zu fassen, falls England beim Frieden durchaus eine Sonderrolle spielen will. Wenn die Franzosen eine solche Möglichkeit ins Auge fassen, so liegt der Grund dafür in der Anwesenheit der Engländer aus französischem Boden. Falls Rußland einen Sonderfrieden beabsichtigt, muß es Frankreich hinter sich haben. Erklärt dann Frankreich, Rußland dränge es zum Frieden, so kann England deshalb nicht gegen uns Vorgehen. Beha- t es aber bei seinem Willen der. Kriegsfortsetzung, so hätte ^ranlreich die im Ost-n freigcwordenen deutschen Truppen an seiner Seite, um das französische Land von de» Engländern zu befreien."
So denken sehr viele Franzosen übe: England, wenn heute auch die beiderseitigen Negierungen in bester Harmonie verbunden zu sein scheinen, und die beiden Heere gegen Deutschland ankämpfen, das vielleicht in nicht allzuferner Zukunft von den Franzosen einmal um Befreiung von dem englischen „Bruder" angerufen werden wird. Bis aber der Zeitpunkt eingctreten ist, in dem die Einsicht zum Entschluß gelangt, werden wir noch schwer weiter kämpfen müssen. Und je stärker wir uns in der nächsten Zeit erweisen, umso rascher wird sich auch ein solcher Umwandlungsprozeß vollziehen. So wird auch das Hilfsdienstgesetz dazu beitragen müssen, unsere Kraft noch weiter zu spannen, und wir sehen auch schon, wie die feindliche Presse in nervöser Unruhe die energische und einig» ° Willenskundgebung des deutschen Volkes zu höchster Kraftanflrengung verfolgt. Das neutrale Ausland aber bringt angesichts dieses Schrittes die gebührende Achtung vor dem deutschen Siegerwitten zum Ausdruck. O- 8-
Eine Erklärung der russischen Regierung zur Proklamierung des polnischen Königreichs.
Berlin, 16. Nov. Aus Haag wird dem „Berliner Lokalanzeiger" gemeldet: Die russische Regierung erklärt offiziell: Die deutsche und die österreichische Negierung haben, von der Besetzung eines Teiles des russischen Bodens Gebrauch machend, eine Trennung des
kl« Vs» Z«rm vs« ckrr Gsrmkante.
von Ä. rv. Zacovr
62. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)
Sechzehntes Kapitel.
Am nächsten Morgen war er bereits frühzeitig wachs er trat vor die Tür und sog mit Entzücken die frische, vom Duft der Fichtennabeln erfüllte Luft ein.
Den Zwischenfall im Wirtshaus „Zum Frohsinn" hatte er schon halb vergessen und er träumte bereits von der Zeit, da er vernünftigerweise ins Leben und zu seiner Käthe zurückkehren könnte. Er machte einige Schritte in das Gehölz hinein und fühlte nach seiner Pfeife, als er sich erinnerte, daß Fräulein Nade- macher sie wahrscheinlich als dauernde Erinnerung an ihn bewahren würde. Dann setzte er sich auf einen frisch gefällten Baumstamm und gab sich seinen Träumereien hin, bis der alte, ruhelose Mann vor der Tür des Hauses erschien und ihn zum Frühstück rief.
„Ich dachte schon, Sie wären davongelaufen," sagte sein Wirt mürrisch.
„Da habt Ihr eben was Falsches gedacht," sagte Dlohm und zog seine Börse heraus. „Hier sind vierzig Mark von den hundert, die ich Euch versprochen kabe; den Rest werde ich zahlen, wenn ich fortgehe."
Der alte Mann nahm das Geld und preßte seinen schmalen, harten Mund so zusammen, daß die Lippen
fast ganz verschwanden. „Mehr Geld als Verstand," bemerkte er dabei liebenswürdig, als der Schiffer das Portemonnaie wegsteckte.
Blohm erwiderte nichts. Ueber einem Holzfeuer brieten einige derbe Scheiben Speck; das kräftige Aroma des Tannenwaldes und die scharfe Morgenluft hatten ihm so großen Appetit gemacht, wie er ihn seit seinem erzwungenen Müßiggänge nicht mehr verspürt hatte. Er rückte seinen Stuhl an den gebrechlichen kleinen Tisch, der mit einem fleckigen Wachstuch bedeckt war, schlug einige Eier über den Speck und machte sich dann eifrig darüber her.
„Solche Eier kann ich in Hamburg nicht kriegen," sagte er zu der alten Frau.
Die Alte bückte sich zu ihm herüber, prüfte die Schalen und hatte dann ein Wort der Anerkennung für die Hennen, von denen die Eier kamen und deren Stammtafel sie mit solcher Genauigkeit aufsagte, daß das Heroldsamt darüber in Erstaunen geraten wäre; die Herkunft der Eier wurde jedoch von dem alten Mann aufs heftigste bestritten, da er behauptete, sie wäre dadurch unterbrochen, daß seine Frau einst, vor mehreren Hühnergenerationen, drei Eier im Dorfladen gekauft hätte.
„Ihr habt hier wirklich ein hübsches Anwesen," sagte Blohm, der der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben wünschte, da er fand, daß sie zu persön
polnischen Gebiets von Rußland und dessen Erhebung zu einem selbständigen Staat proklamiert. Unsere Feinde bezwecken offenbar, durch russisch-Polnische Rekruten ihre Armes aufznfüllen. Die russische Negierung erblickt in dieser Tat von Deutschland und Oesterreich- Ungarn eine grobe Verletzung der Grundsätze des internationalen Völkerrechts, das verbietet, Bewohner eines besetzten Gebietes zu'zwingen (!), die Waffen gegen ihr eigenes Vaterland (!) zu erheben. Die russische Regierung erachtet die Proklamation als wertlos. Rußland hat sich seit Beginn, des Krieges zweimal über das polnische Problem ausgesprochen und plant die Bildung eines Königreichs Polen, das sämtlich« Gebiete umfassen soll.
Zur Eröffnung der russischen Duma.
(MTV.) Petersburg. 16. Nov. Die „Petersb. Tel..-Ag." meldet unter dem 11. d. M.: Das ganze diplomatische Korps wohnte der Wiederaufnahme der Tagung der Duma bei. Ä Der Dumapräsident Rodzianko hielt eine Rede, in der er u. a. sagte: Der Feind ist bereits niedergeworfen, aber er leistet noch mit verzweifelter Erbitterung Widerstand und fühlt seine Niederlage voraus. — Der Redner ^ rderte dann auf, in diesem Augenblick, da sich der Sieg vorbereite, noch größere Anstrengungen zu machen, um die große Sache der Befreiung der Welt zu einem guten Ende zu führen. Der Präsident schlug der Duma vor, Rumänien, den neuen Verbündeten, herzlich zu begrüßen und alle Abgeordneten riefen dem rumänischen Gesandten lebhaft zu und brachten darauf den Vertretern der verbündeten Länder Kundgebungen dar.
— In seiner Rede fortfahrend, sagte Rodzianko: Rußland wird seine Verbündeten nicht verraten und mit Entrüstung jeden Gedanken an einen Sonderfrieden zurückweisen. — Der Abgeordnete Schildowsky verlas im Namen des Fortschrittlichen Blocks eine Erklärung, in der es heißt, die Duma möge in diesen Tagen der Prüfung bekräftigen, daß der Krieg zu einem guten Ende geführt werden müsse und daß eine andere Lösung unmöglich sei. Der Redner sagte zum Schluß, daß Rußland zu seinen Verbündeten, besonders z« dem großen England, tiefes Vertrauen hege und richtete einen Gruß an das polnische Volk, das die Freiheit nur in enger Verbindung mit den Alliierten wiedergewinnen könne.
Die Polen in der russischen Duma.
(WTV.) Petersburg, 15. Nov. Die Duma ist nach feierlichem Tedeum in Gegenwart des Kabinetts eröffnet worden.
Bei der Eröffnung der Duma las der Führer der polnischen parlamentarischen Gruppe, Garoussevio, eine Erklärung vor, in der es heißt: In dem Augenblick, wo der Krieg in vollem Gange ist, hatten die deutschen Mächte die Kühnheit, das Geschick nicht nur Polens, sondern ganz Mitteleuropas vorwegzunehmen. Das durch die Deutschen geschaffene Königreich Polen wird in vielen Beziehungen abhängig sein von den d<7 ,chen Mächte. Das polnische Volk wird di.ser brutschen Lösung der Frage nicht zustimmen, die allen seinen Bestrebungen widerspricht. Laßt uns kräftig Einspruch erheben. - Es war ein Deutscher, der die Teilung Polens betrieb, es ist ein Deutscher, der die historische Notwendig'eit der polnischen Einigung zu verhindern strebt. Die Folgen der deutschen Handlungsweise drohen den wirklichen Willen des polnischen Volkes zu entstellen. Diese Handlungsweise sucht augenscheinlich einen Zwist zwischen Polen, Rußland und seinen Alliierten zu erzeugen, um in den Augen der zivilisierten Welt die empörende Rekrutierung zu rechtfertigen.
Wir sind sicher, so schloß Garoussevio, daß in dieser tragischen Lage das polnische Volk nicht verlassen sein wird, daß das Vorgehen der deutschen Kaiserreiche nicht ohne Nachwirkung
lich zu werden drohte. „Ist es hier aber manchmal nicht etwas langweilig?"
„Das kann ich nicht sagen," erwiderte die alte Frau; „ich habe eine ganze Menge zu tun und er kramt ja auch überall umher. Was Richtiges schafft er ja nicht, aber ihm machts Spaß und mir tuts nicht weh."
Der Gegenstand der Liebenswürdigkeiten nahm dieselben als etwas Alltägliches hin. Nachdem er den Stummel einer Zigarre vom letzten Abend aufgelesen und mit seinem Messer zerschnitten hatte, stopfte er die Neste in seine Tonpfeife und schmauchte behaglich. Blohm fand in seiner Tasche noch eine einsame Zigarre, eine von der guten Sorte aus dem „Frohsinn", und rauchte sie schweigend, während sein Blick traumverloren von der großen Truhe auf der einen Seite des Zimmers zu dem alten Porzellanhündchen auf dem Herdsims auf der anderen Seite wunderte.
Zu der Mittagszeit kam der Alte mit Neuigkeiten nach Hause. Das Dorf sei voll von den Ereignissen des gestrigen Tages. Ueberall hätten sich Streifpartien gebildet, um nach ihm zu suchen, deren Eifer durch eine ausgesetzte Belohnung von vierzig Mark derart angespannt sei, daß viele ihre nüchterne Landarbeit darüber vernachlässigten.
(Fortsetzung folgt.)