10 Jahre Versailler Vertrag
Ein Manifest der Regierung znm 28. Juni.
TU Berlin, 11. Juni. Die „Germania" meldet: Verschiedene Organisationen und Verbände beabsichtigen aus Anlaß -er zehnjährigen Wiederkehr der Unterzeichnung des Vertrages von Versailles am 28. Juni größere Kundgebungen. Auch an Mitglieder der Reichsregierung sind bereits Einladungen zu solchen Kundgebungen ergangen. Daher hat, rvie verlautet, das Neichskabinett eine Stellungnahme her- beigeführt, wonach sich die Regierung an Veranstaltungen, die von privaten Organisationen ausgehen, nicht zu beteiligen gedenkt. Auch der Reichspräsident hat eine Einladung der vaterländischen Verbände zu einem Mafsenprotest im Stadion abgelehnt. Dagegen ist für den 28. Juni ein Manifest zu erwarten, das sich an die Gesamtheit des deutschen Volkes wendet und das von der Reichsregierung oder möglicherweise auch vom Reichspräsidenten ausgehen wird.
England zur Rheinlandräumung bereit
— London, 11. Juni. I« Regiernngskreisen hört mau, daß «ach Ansicht der führende« Persönlichkeiten die Rhein- landränmnng am 1. September beginne« «nd am 10. Januar beendet sei« könnte. Die britische« Truppen würde» in jedem Fall in der zwischen diese« beide« Termine« liegenden Zeit zurückgezogen werden, auch wenn Franzose« «nd Belgier nicht znr Räumung bereit feie«. I« der Reparationsfrage hofft der Ministerpräsident Macdonald, die anderen Regiernngen bewegen z« könne«, eine internationale Konferenz in London abznhalte«. Macdonald gedenkt ans dieser Zusammenkunft, die im Juli oder August stattfinde« würde, de« Vorsitz zu übernehme« in -er Art, wie er ihn während der erste« Länbcr-Daweskonferenz im Jahre 1924 geführt hat. _
Französischer Widerstand gegen die Aufrollung der Saarfrage
— Paris, 11. Juni. Der Gedanke einer Erörterung des Saarproblems in den Madrider Besprechungen zwischen Dr. Stresemann und Briand wird von allen Berichterstattern der Pariser Presse auf das bestimmteste zurückgewiesen. Man verschanzt sich hinter dem Versailler Vertrag und erklärt, daß jenen Bestimmungen, in denen eine Entscheidung über die Saarfrage erst für 1985 vorgesehen ist, unter allen Umständen Rechnung getragen werden müsse. Im „Matin" wird das Problem als fast unlöslich bezeichnet. Welches auch immer die Gefühle der Saarländer gegenwärtig seien, so könne man doch auf die Volksabstimmung auf keinen Fall verzichten. Sie auf einen früheren Zeitpunkt anzusetzen, würde dem Geist des Versailler Vertrages zuwiderlaufen. Auch die Möglichkeit, Deutschland zu gestatten, die Saarkohlengruben vor dem Jahre 1935 zurückzukaufen, weist der „Matin" ab. „Eine solche Lösung wäre zulässig, meint das Blatt, wenn es sich nur um die Festsetzung der Kaufsumme handele. Aber wenn wir Deutschland für die sechs letzten Jahre zur vollständigen wirtschaftlichen Vorherrschaft tm Saarlande verhelfen, so wird das Ergebnis der Volksabstimmung gefälscht. (!) Zudem ziehen die französische Industrie «nd der französische Handel große Gewinne aus unseren Beziehungen zum Saarland, und man kann von den französischen Industriellen nicht verlangen, ohne Entschädigung während sechs Jahren darauf zu verzichten." Nach der Auffassung des „Matin" sind die Schwierigkeiten der Saarfrage so groß, daß Dr. Stresemann wohl darauf verzichten werde, die Frage in Madrid anzuschneiden.
Die Koalilionsfrage in Preußen
Die DVP. lehnt ernent ab.
TU Berlin, 11. Juni. Die Nationalliberale Korrespon- j denz meldet: Ministerpräsident Dr. Braun hat den Abgeordneten Stendel zu sich gebeten, um an ihn die Frage zu stellen, ob die Landtagsfraktion der Deutschen Bolkspartei ihren ablehnenden Standpunkt zu einer Erweiterung der preußischen Regierung aufrecht erhält, bei der die DVP. den Handelsminister und einen Reichsminister als preuß. Staatsminister ohne Portefeuille erhalten würde. Die Lanü-
kagSfraktio» Ser DVP. hak einstimmig erklärt. Saß sich an ihrer Ablehnung eines solchen völlig ungenügenden Vorschlages nichts geändert hat.
König Fuads Einzug in Berlin
Mit festlichem Gepränge tst König Fuad l. von Ägypten am Montag in der Reichshauptstadt empfangen worden. Staats- und kommunale Behörden wetteiferten, den Einzug so imposant als möglich zu gestalten. Reichspräsident von Hindenburg empfing den gekrönten Gast am Lehrter Bahnhof an der Spitze der Reichsregierung und Vertreter der obersten Behörden. Unser Bild zeigt den Reichspräsidenten und den König (X) vor dem Lehrter Bahnhof. Rechts steht mau die ägyptische Kolonie, die sich zur Begrüßung ihres Staatsoberhauptes eingefunden hatte.
Prüfung des Aoung-Plans in Washington
TU Neuyork» 11. Juni. Die amerikanischen Kabinetts- Mitglieder unterwerfen den Boung-Plan zur Zeit einem eingehenden Studium, besonders den Abschnitt über die zu gründende internationale Bank. Man rechnete ursprünglich in Washington mit einer unverzüglichen Besprechung zwischen Hoo-ver und Morgan. Jetzt besteht aber scheinbar die Neigung, zunächst die Ankunft Owen Aoungs und der amerikanischen Abordnung abznwarten. In Regierungskreisen wird aber stets ausdrücklich betont, daß die amerikanische Regierung das Problem der interalliierten Schulden auch in Zukunft als eine von der Kriegsentschädigungsfrage völlig unabhängige Angelegenheit ansehen werde.
Ausstand in Persien
TU Sonstautinopel, 11. Juni. Wie aus Teheran gemeldet wird, ist in Schiras ein Ausstand gegen die persische Regierung auSgebrochen. Die Aufständische« haben 10 000 Mann und besetzten die Städte Schiras und Sarwitan. Die Aufständischen erklärten, daß sie mit der Politik Mhtza Khans nicht einverstanden seien und protestierten gegen di« allgemeine Wehrpflicht. Die persische Regierung hat sofort Truppen entsandt, um den Aufstand zu liquidieren.
Der Ueberfall auf Curacao
Der Ueberfall aus Caracas wird von der holländischen Regierung amtlich bestätigt. Darnach sind zwei Offizier« getötet und ein Offizier, sowie mehrere Soldaten verwundet worden. Aus Grund dieses Zwischenfalles geht das holländische Kriegsschiff „Kortonaer" nach Curacao ab, während der Kreuzer „Herzog Hendrik" in Bereitschaft liegt. Gegenwärtig herrscht aus dem Gelände der Petroleumindustrie-Gesellschaft in Curacao Ruhe. Der Gesandte von Venezuela hat bei der holländischen Regierung bereits vorgesprochen und vorläufige Unterredungen über den Raub, überfall gehabt.
Borwürfe gegen die holländische Regierung.
Die Tatsache, daß eine verhältnismäßig kleine Räuberbande den wichtigsten Hafen von Curacao so leicht überrumpeln konnte, hat in Holland scharfe Mißbilligung hervorge
rufen. Man wirft Ser Negierung vor, Saß st« Sei ihrer Flok» tenpolitik es zu sehr auf eine Hochseeflotte abgesehen habe und sich zu wenig darum kümmere, die Kolonien durch eine entsprechende Küstenflotte zu schützen.
Kleine politische Nachrichten
Wahlen in Waldeck. Am Sonntag fanden in Waldeck die durch die Angliederung an Preußen notwendig gewordenen Wahlen zum preußischen Landtag und zum Kommunallandtag statt. Bei der Zusatzivahl zum preußischen Landtag wurden auf die am 20. Mai 1928 gültig gewesene Liste bei 35 354 Wahlberechtigten, insgesaurt 8517 gültige Stimmzettel abgegeben. Nach den bisherigen Ergebnissen wird keine der Parteien eine» Landtagssitz erhalten.
Der zweite Antonomistcnprozetz vor dem Schwurgericht in Besancon hat begonnen. Die Anklage gegen den elsäs- stschen Autonomisten Noos, die in allen Punkten mit der im Kolmarer Prozeß gegen ihn erhobenen übercinstimmt, hat inzwischen eine Erweiterung erfahren. Man wirft Roos vor, mit den im Reich lebenden Elsässern und ins. besondere mit dem Schutzbund in engster Beziehung gestanden zu hüben.
Gtudentenansschreitnnge« in Pose«. In Posen ist eS zu Studentenansschreitungen gekommen, da ein« von Le» ada- -enrischen Verbindungen beabsichtigte große Protestkundgebung gegen die Regierung verboten wurde. Es bildete sich ein Zug, an dem sich etwa 2000 Studenten beteiligten. An der Schloßstraße wurden die Schaufenster der Geschäfte ein- geschlagen. Die Kundgeber wurden von berittener Polizei zerstreut. 30 Studenten wurden verhaftet.
Aus aller Welt
In 7 Stunde« über de« Bodensee geschwommen.
Am letzten Sonntag haben zwei jüngere Damen von Friedrichshasen den Bodensee von Manzell bei Friedrichs- Hafen aus nach Romanshorn durchschrvommen, ohne jemanden vorher in Kenntnis zu setzen. Ohne irgendwelche Begleitung begaben sich die zwei mutigen Schwimmerinnen ins Wasser und kamen nach 7 Stunden ziemlich erschöpft am Schweizer Ufer an. Durch das Auffinden ihrer Kleider am deutschen User und ihr langes Ausbleiben tauchte die Ver» mutung aus, daß ihnen ein Unglück zugestoßen sei. Di« Polizei suchte sofort mit Motorbooten den See ab, konnte sie jedoch nicht ausfruden. Erst als die beiden Damen nach ihrer Ankunft in Nomanshorn nach Friedrichshasen um ihre Kleider telefonierten, war das Rätsel ihres Ver- schwindens gelöst.
Ein verunglücktes Renne« im Aermelkanal.
Bon Dover starteten 69 Motorboote zu einem Renne» über den Kanal Das Rennen endete, wie erfahrene Seeleute voraussagten, mit einer Katastrophe. Nur 2 Boote erreichten Calais. 2 weitere wurden von Roodwtn-Booten ausgenommen) 30 sind nach Dover zurückgebracht worden und von den andern wurde der größte Teil ans hilfloser Lage gerettet. S Teilnehmer werden vermißt und sind, wie mau vermutet, ertrunken. Der Start war bei ziemlich ho. hem Seegang und dichtem Nebel erfolgt und zahlreiche Teilnehmer waren wicht einmal in der Lage, den richtigen Kurs ei-nzunehmen.
Znsammensioß beim Snnstflng.
Ein furchtbarer Unfall ereignet« sich bei einer Flugver- anstaltmrg in Toulouse i« Anwesenheit des französischen LuftfaHrtmtniste-rS. Zwei Einsitzer, die Kunstslüge vollführ- ten, streiften sich und verfingen sich mit den Tragflächen ineinander. Einer der Flieger versuchte bei dem gemeinsamen Absturz vergebens, von feinem Fallschirm Gebrauch zu machen. 50 Meter voneinander entfernt, zerschellte» die Flugzeuge aus dem Boden. Beide Militärflieger waren ans der Stelle tot.
Ueverfällige Fischerboote.
An der litauischen Küste bei Po lange« ereignete sich «t» -schweres Bootsunglück. Eine große Anzahl von Fischer- booten war in See gegangen, die in der Nacht von einem schwere« Sturm überrascht wurden. In -er Brandung des Hafens kentert«« zwei Boote. 9 Fischer ertranken.
Der goldene Mantel.
Roman von Heinz Welten.
Loxzaägkr RonranciicoU Qizo, V 30 .
(4S. Fortsetzung.)
„Einen Handel, der am Rabenstein endet, Herr Deutschen."
Der Wechsler schüttelt den Kopf. „Die Gefahr ist nicht groß. Einige achtel Loszettel, ihrer fünfzig bis sechzig müssen wir natürlich haben, damit wir den Betrieb erhalten und sie in Nürnberg nicht mißtrauisch werden. Die ersten Lose, die verkauft werden, müssen echt sein. Dann ist weiter keine Gefahr; denn es braucht zweihundert Jahre, bis alle Lose mit einem Gewinn gezogen sind. So lange müssen auch jene sich bescheiden, die unsere Loszettel besitzen. In zweihundert Jahren haben wir keinen Rabenstein mehr z« fürchten."
Ulpianus antwortet nichts mehr. Ein maßloses Erstaunen hat ihn ergriffen. So spricht Herr Deuschltn, der reichste Mann der Stadt! Der Eidam eines Bürgermeisters, der Gatte der Jacobe« I So spricht der Mann, von dem alle Welt glaubt, daß er keine anderen Gedanke« kennt als solche, die vom Essen und Trinken handeln! Von Schekmenstücklein, die den Hals kosten können, spricht er mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit, als ob er zeitlebens unter Malifikanten gehaust hätte! Ist sein sattes, dickes, stets zufriedenes Gesicht nur eine Maske gewesen? Ulpianus steht nicht, daß die Maske längst nicht mehr auf dem Gesicht des Herrn Deuschltn liegt, daß sein Gesicht gelb und schmal geworden tst, baß die Leidenschaften es zerfressen haben. Für ihn tst Herr Deuschltn immer noch der dicke Deuschltn, an dessen Tisch er gesessen, mit dem er an manchem Abend lustig polnlieri und geplaudert hat. Darum ist seine Uber- raschnvüüLLt jt> ükW.
Erst als sie sich ein wenig gelegt hat, kommen chm andere Gedanken. Auf dem besten Wege ist er gewesen, seiner Schulden ledig zu werden. In wenigen Jahren hat er hoffen können, all seine Verpflichtungen zu tilgen.
Und jetzt!-Alles tst vergebens, alles ist nutzlos
gewesen. Deutlich sieht er den Versucher vor sich, und sieht in seinen Händen die Schlinge. Aber muß er seinen Kopf in die Schlinge stecken? Kann er nicht einem anderen, einem Senator den Handel antragen? Sie werden nicht alle in Rothenburg fein, wie Herr Deuschltn ist. Es gibt chm einen Stich ins Herz. Jacobea! Wenn sie das wüßte! Ader er wird ihr nichts sagen. Niemals! Nur sorgen wird er für sie, aus sie achten und auf jeden ihrer Schritte, damit sie nicht in die Schlingen fallen kann. Denn der Böse geht einher und suchet ein Opfer, auf daß er es verschlinge.
Er springt plötzlich auf und eilt zur Türe. „Gehabt Euch Wohl, Herr Deuschltn. Ich will es als einen Scherz nehmen, was Ihr geredet habt, als einen Weinscherz. Ihr habt heute gut gespeist. Ich komme wieder, wenn Euch die Weingeister verlassen haben. Meinen Gruß an Eure Hausfrau."
Er stemmt sich gegen die schwere Eichentüre; chm ist nicht geheuer, so lange des Wechslers Auge auf chm liegt.
Ein lautes „Halt! Wartet noch" bannt ihn auf die Schwelle. „Bleibt. Bin noch nicht am Ende mit Euch. Geister des WetneS sind in mir nicht lebendig. Doch eines merkt Euch. Mein Haus schließt sich Euch für immer, wenn Ihr jetzt geht. Wovon wclllt Ihr lebe», wenn ich die Hand von Euch ziehe?"
UlpianuS starrt ihn an. „Wovon — ich — lebe« — will? Ich? Hübe ich jemals von Euch gelebt? Schulde ich Euch etwa-? Bin ich nicht selbst-
„ein reicher Mann" ergänzt Deuschltn und lacht hell
«ü, daö der Dvtt» Geradeso dach*-
nachts der Venettaner. „Ihr seid em sehr reicher Mann. Ich weiß es, ich kenne die Mär. Ihr wiederholt sie oft genug. Aber ein reicher Mann stellt keine Schuldscheine aus und zahlt nicht alte Darlehen mit neuen. Ein reicher Mann tst nicht der ganzen Stadt verschuldet. Ihr nahmt vom Magister Uckelsheimer und zahltet ihm mit dem, was Euch der Textor gab. Und den Textor zahltet Ihr mit dem, was Euch der Böheim gab."
Da sinkt Ulpianus zusammen. „Woher — wißt — Ihr? Es ist nicht-"
„Hab selbst Eure Schuldscheine gesehen, Herr Doktor Ulpianus. Denn die Leute, die Euch Geld liehen, gaben oft mehr, als sie entbehren konnten. Dann kamen sie zu mir, um zu entlehnen auf Pfand und Handschrift und Eure Schuldscheine gaben sie als Pfand. So erfuhr ich es. Setzt Euch hin, Herr Ulpianus. Wir haben noch viel zu bereden."
NlpiannS hockt wieder auf dem Schemel. Er hat die Knie hochgezogen, stützt die Ellenbogen aus und legt das Gesicht in die Hände. Er hat jetzt kaum mehr die Größe eines sechsjährigen Kindes. Als er das Gesicht freigidt, tst es naß. Und noch immer fließen die Tränen ans seinen Augen. Ru» ist alles z» End«.
„Geschworen haben sie mir, auf daS Sakrament haben sie geschworen, die Meineidigen," stammelt er mit schwerer Zunge.
Deuschltn lacht. „Ihr seid ein Papist. Da gilt der Md nicht."
UlpianuS faltet die Hände und senkt das Haupt; so müde, so sterbensmüde tst er plötzlich geworden. Eine eiskalt« Hand greift ihm ans Herz. Jacobe«. Sie ist das Weib des Wechslers «nd dieser hat alles gewußt!
„Alle wissen, wie es um mich steht; auch Frau Jacobea weiß eS," wimmert er mit tonloser Stimme.