Nr. 151.
Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 91. Jahrgang.
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Samstag, den 1. Juli 1918.
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Englands letzte Mittel.
Der Gewährsmann der „Voffischen Zeitung" in London erfährt die interessante aber keineswegs Erstaunen erregende Nachricht, daß
die englische Negierung mit Vertretern der neutralen Länder verhandele wegen der Einstellung jeglicher Ausfuhr an die Mittelmächte. Die SsM>tralrn sollen dadurch entschädigt werden, daß England die Ernten und Ausfuhrwaren der Neutralen für sich und seine Verbündeten ankauft. Die Neutralen mühten sich aber verpflichten, die Waren mit eigenen Schiffen nach England und Frankreich zu liefern und auf der Rückfahrt englische Güter mitnehme«. Falls die Neutralen auf die englischen Bitten nicht eingehen sollten, werden ihnen Repreffivmaßregeln angedroht.
Das ist also der letzte Ausweg, den England plant, um Deutschland niederringen zu können, im Falle daß die neueste Eeneraloffeiisive nicht das bringt, was man von ihr erhofft. Die Entente glaubt diesen unerhörten Eingriff in die Rechte der Neutralen wagen zu dürfen, denn die Vereinigten Staaten von Amerika sind wirtschaftlich nicht neutral; sie haben kein grosses Interesse daran, ob ein kleiner Teil ihrer bann- listenfreien Ware nach Deutschland und den Ländern seiner Verbündeten geht, weil sie ihr Hauptgeschäft doch mit der Bannware und mit den Alliierten machen. Die europäischen Kleinstaaten sind im einzelnen machtlos, und zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Gewaltpolitik haben sie sich poch nicht auftaffen können. So haben sie sich gegen die ihnen aufgezwungcnen Eiufuhrtrusts unter der Kontrolle der Entente verstehen müssen, die ihnen nur soviel Rohstoffe und Lebensmittel zugrstauden hat, als nach ihrem Gutdünken der Verbrauch des eigene« Landes benötigt. Auf diese Weise wurden die kleinen Staaten vollständig.in die Gewalt der Entente gebracht, namentlich im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung, um sie bei etwaiger „Renitenz" sofort in Vcrsorgungsschwicrigkeiten zu bringen, die selbstverständlich in Bezug auf die Wehrfähigkeit eines Staates einen großen Einfluß ausüben würden. Die Beschränkung der Lebens- milteleinfuhr hat schon in den meisten Staaten, die hauptsächlich darauf angewiesen siiid, zu großen Unzuträglichkeitcn geführt. In Holland, Rumänien und Griechenland sind teilweise Unruhen wegen der Lebensmittelnot und der daraus sich ergebenden Teuerung entstanden. Griechenland hat man durch die Abschnürung seines Handels ja vollständig niedergedrückt. Jetzt will man also, scheint es, eine offene Stellungnahme der noch nicht wirtschaftlich vollständig erdrosselten Staate« herbeiführen, indem man sie vor die Alternative stellt, entweder schließt ihr eure Grenzen gegen den Vierbund ab, oder es wird euch jegliche überseeische Zufuhr abgeschuit- ten, und womöglich auch die überseeische Ausfuhr beschlag- Mhmt, soweit das nicht schon bisher geschehen war. Inwieweit je nach der Haltung der Neutralen auch militärische: Druck in Anwendung kommen könnte, wie er bei Holland gedacht war, ist noch nicht zu sagen, doch darf man nach allem annehmen, daß die Entente im jetzigen Stadium des Krieges auch nicht vor den letzten Gewalttaten zurückschrecken würde, wenn sie in der Lage zu sein glaubt, die kleinen Neutralen einschüchtern zu können, um sie für ihre Zwecke gefügig zu machen. Mit welcher Rücksichtslosigkeit man hier vorgeht, das zeigt das Beispiel mit der Schweiz. Auch dort ist bekanntlich der famose Wirtschaftstrust eingeführt, durch den die Schweiz ihre überseeischen Bedürfnisse befriedigen kann. Wie aber überall, so läßt auch hier dieser Trust bei weitem nicht soviel Ware herein, als man zu einer geregelten Wirtschaft nötig hätte. Da sich die Schweiz bekanntlich wie die andern kleinen Staaten auch verpflichten mußte, keinerlei vom Vieroerband durchgelasscne Ware nach Deutschland und den Ländern seiner Verbündeten weitergehcn zu lassen, so hat selbstverständlich Deutschland gegenüber diesem Zurückweichen der Schwiz vor den unneutrnlcn Ententeforderungen ebenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen muffen. So ist wie auch mit andern Ländern der bekannte Kompensationsverkehr zustande gekommen, der dahin zu verstehen ist, daß Deutschland an solche von der .Entente wirtschaftlich fast vollständig abhängige Staaten nur s
gewisse Waren liefert, (die sie wo andres nicht oder doch nur schwer bekommen können), wenn es dafür andere Waren erhält, die es benötigt. Nun besteht das System der Entente darin, Schwierigkeiten zwischen Deutschland und der Schweiz zu schaffen, und so verbietet sie Len Schweizern einfach willkürlich, diesen oder jenen Ausfuhrartikel auszuführen, weil er als „Kriegsmaterial" angesehen wird, und wenn er auch noch so weit von diesen Begriffen entfernt ist, wie etwa Frauen- und Kinderschuhe, Grammophone, Stickereien, Korsette u. s. f. So hat die Entente auch jetzt wieder die Einwilligung zur Ausfuhr von durch Deutschland bestellten Waren verweigert, sodaß sich die deutsche Regierung veranlaßt sah, an die Schweiz eine ernste Note zu richten, in welcher sic die Lieferung der Ware fordert, als Gegenleistung für 17 Millionen schon im Voraus geleistete Ware. Die Schweizer sind arg in Bedrängnis, und haben eine Kommission nach Paris geschickt, um die Entente zum Nachgeben zu veranlassen. Wie heute gemeldet wird, ist di« Entent« aber nicht dazu geneigt. Wenn nun nicht noch ein Ausweg gefunden wird, so wird Deutschland eben zu Repreffivmaßregeln greifen muffen, die natürlich, wie etwa der Entzug von Kohle, die Schweiz in große Schwierigkeiten bringen könnte.
So arbeitet der Vierverband also planmäßig mit seiner Idee der wirtschaftlichen Erdrosselung fort; wir muffen uns da noch auf manches gefaßt machen. Die Hauptfrage wird allerdings sein, inwieweit sich die Neutralen noch unter diese'. Joch beugen werden. Für uns wird es aber bald eine Grenze geben muffen, bis zu der diese Nachgiebigkeit zugclaffen werden kann. Wird diese Grenze nicht eingehalten, dann wird eben der rücksichtslose U-Bootkrieg seinen Anfang nehmen muffen. o. 8.
Die Lage auf den Kriegsschauplätzen.
Die deutsche amtliche Meldung.
Englische und französische Angriffe auf dem rechten Flügel der Westfront abgewiese«.
(WTB.) Großes Hauptquartier, SV. Juni. (Amtlich.) Westlicher Kriegsschauplatz. Auch gestern und im Laufe der Nacht schlugen unsere Truppen englische und französische Vorstöße an mehrere» Stellen bei Richcbourg durch sofortige Gegenangriffe zurück. Die feindlichen Gasangriffe werden ergebnislos fortgesetzt. Die starke Artillerietätigkeit hielt mit einiger Unterbrechung an. Südöstlich von Tahure und beim Gehöft Maison de Champagne vorgehende französische Abteilungen wurden blutig abgewiesen. Links der Maas wurden an der Höhe 391 von uns Fortschritte erzielt, rechts des Flusses gab cs keine Znfanterictätigkeit. Die Gesamtzahl der bei unser« Erfolgen vom 23. Juni und bei Abwehr der großen französischen Gegenangriffe eingcbrachten Gefangenen beträgt 79 Offiziere, 3289 Mann. Hauptmann Volke schoß am Abend des 27. Juni beim Gehöft Thiau- mont fein 19. feindliches Flugzeug ab, Leutnant Parschau nördlich von Peronne am 27. Juni das S. In Gegend von Voureuilles (Argonncn) wurde ei» französischer Doppeldecker nichts Wesentliches zu berichten.
Ocstlichrr Kriegsschauplatz. Abgesehen von einem für »ns günstigen Erfechte nördlich des Jlsensees (südwestlich von Dünaburg) ist vom nördlichen Teil der Front nichts Wesentliches zu berichten.
Heeresgruppe des Generals von Linsingen: Südöstlich von Liniewka blieben Gegenangriffe der von unser» Truppen erneut aus ihren Stellungen geworfenen Russen ergebnislos. Es wurden über 199 Gefangene gemacht, 7 Maschinengewehre erbeutet.
Valkankriegsschauplatz. Nichts Neues.
Oberste Heeresleitung.
Der österreichisch-ungarische Tagesbericht.
(WTB.) Wien, 30. Juni. Amtliche Mitteilung vom 30. Juni, mittags:
Russischer Kriegsschauplatz. Nordöstlich von Kirlibaba schlugen unsere Abteilungen russische j Angriffe ab. Vei Pistyn, nordwestlich von Knty. kam
es gestern neuerlich zu erbitterte« Kämpfe», Infolge des Druckes der hier angesetzte« überleg» nen feindlichen Kräfte wurden unsere Truppe» in den Raum westlich und südwestlich von Kolom« zuriickgenomme«. Nördlich von Obertyn brachen mehrere russische Neiterangrifse unter schweren Verlusten in unserem Feuer zusammen. Westlich von Sokul am Styr versuchte der Feind vergebens, die Tags zuvor von den deutschen Truppe» eroberte« Stellungen zurückzu- gewinneu.
Italienischer Kriegsschauplatz. Die Kämpfe im Abschnitt der Hochfläche von Do- berdo dauern fort und waren nachts im Räume von San Martina besonders heftig. Unsere Truppen schlugen wieder alle Angriffe der Jtali» ener ab. Nur östlich von Selz ist die Säuberung ein, Niger Gräben noch im Eange. Der Eörzer Briickenlops stand unter starkem Geschütz- und Minenwerserseuer. Versuche der feindlichen Infanterie, tzegen unsere Pod- gorastellung vorwärts zu komme«, wurden vereitelt. An der Kärntner Front scheiterten gegnerische Angriffe auf den Großen und Kleinen Pal, sowie auf den Freikofel. Im Pustertal stehen die Orte Sillian, Jnniche« und Toblach unter dem Feuer weittragender schwo-v« Geschütze. Im Ranme zwischen Brenta und Etsch hat sich das Vild der Tätigkeit der Italiener nicht ge» ändert. Stärkere und schwächere Abteil« n, gen griffen au zahlreichen Frontstellungen fruchtlos an. Bei einem solchen Angriff auf unsere Boracola-Stellung feuerte die italienische Artillerie kräftig in ihre zögernd vorgehenden Jnfanterie- linien. Die gestrigen Kämpfe brachten unseren Truppen 300 Gefangene, darunter 8 Offiziere, 7 Maschinengewehre und 400 Gewehre ein.
Südöstlicher Kriegsschauplatz. An der unteren Vojusa Vorpostengefechte. Sonst nichts von Belang. ^
Der Stellvertreter des Chefs des Eeneralstabs: von Höser, Feldmarschalleutnant.
Die Phantasiczahlen der russischen Berichte.
(WTB.) Wien, 30. Juni. Aus dem Kriegspreffequartier wird gemeldet: Schon Lei der Veröffentlichung des ruffischen Berichts vom 18. Juni wurde der von dem russischen Eencral- siab geübte Brauch, mit ungeheuren Gefangenen- und Beulezahlen zu prunken, ins richtige Licht gerückt. Wenn nunmehr der Petersburger Bericht vom 27. Juni schlechtweg mitzu- tcilen weiß, daß durch die Streiter Brussilows insgesamt 191041 Gefangene, 219 Geschütze und 644 Maschinengewehre eingebracht worden seien, so kann dies nach allen Erfahrungen, die in zweijähriger Kriegszeit mit der Berichterstattung aller unserer Feinde gemacht wurden, wahrlich nicht mehr in Erstaunen setzen. War es nach der ersten Kampfwoche angesichts des Umfanges der Kämpfe erfahrungsgemäß schwer möglich, ein unbedingt zutreffendes Vild über unsere Verluste zu bekommen, so ließen sich seither alle wünschenswerten Einzelheiten feststellen. Und wenn daran erinnert wird, daß im modernen Kampf die Eesamtvcrluste von mehr als 25 Prozent keineswegs zu den Ausnahmefällen gehören, so bietet die Mitteilung, daß unsere Kampftruppen in drei Wochen schweren Ringens an Toten, Verwundeten und Gefangenen eine Einbuße von 12 bis höchstens 20 Prozent zu verzeichnen höben» Lei aller Einschätzung jeden einzelnen Menschenlebens gewiß keinerlei Anlaß zur. Beunruhigung. Von dieser Verhältniszahl entfällt aus den letzten mitgeteilten Gründen ein wohl ziemlich großer Teil auf die Verluste an Gefangenen und Vermißten, aber es ist leicht zu berechnen, wie sehr sich die Eefangenenzahlen unter den Schrcib- federn russischer Berichterstatter vervielfacht haben muffen. Wenn wir wirklich 299 999 Mann an Gefangenen eingebüßt hätten» so könnt« uns bei Zurechnung einer entsprechenden Quote an blutigen Verlusten weder in Wolhynien noch am Dujestr auch kein einziger Soldat mehr übrig geblieben sein. An Geschützen moderner Konstruktion fielen 36 Stück in die Hände de« Feindes. Sie waren gesprengt oder vernichtet.