Württemberg.

Rückblick auf die Landtagsarbeit.

Der Landtag ging, wie wir berichteten, am Sams­tag in die Ferien. Er wird vermutlich erst im Herbst wieder zusammentreten. Das, was er in der Zeit vom 21. Januar bis 2. Mai, deren Arbeitstage unterbrochen waren von einer 3wöchigen Osterpause, geschaffen hat, ge­hört nicht zu den großen gesetzgeberischen Aktionen, aber zu den politischen Aufgaben, die viel Arbeitsamkeit von den Volksboten fordern.

Von den Gesetzen, die die Zweite Kammer beriet, sind zu nennen das Lichtspielgesetz, das Pensionsgesetz, das Unfallfürsorgegesetz für Körperschasstsbeamte, ein kleineres Gesetz, das die Anpassung des württ. Erb­schaftssteuergesetzes an die neue Reichserbschaftssteuer bezweckt, ein Sperrgesetz für den Denkmalschutz, ein Ge- setzchen Uber die zeitliche Zuruhesetzung zweier Profes­soren der Kunstgewerbeschule, diekleine Gemeindesteuer­reform", während der neue Entwurf eines Gesetzes betr. die Gebäudebrandversicherung die 1. Kammer durchlau­fen und in der 2. Kammer die erste Lesung erfahren hat; ein Denkmalschutzgesetz und die neue Wegordnung sind in dieser einer allgemeinen Beratung unterzogen worden. In 6 Nachtragsetats wurden Mittel verwilligt zur Schaffung einer Landespolizeizentrale, für die not- leidenden Weingärtner, für Linderung der Unwetter­schäden, für Ausstellungszwecke, für neue Landgerichts­direktoren und für die neu organisierte Kunstgewerbe­schule. Fast 3 Tage beriet man über die Albllberschien- ungen; dazu traten Anträge und Anfragen betr. Fil- derbahn und Neckarkanal. Eine Unmasse Eingaben, An­träge, Anfragen, wurden verarbeitet, u. a. über die Ar­beitslosenversicherung, das Submissionswesen, die Son­derversicherungsanstalt für die Arbeiter der Verkehrs­anstalten, über Beschaffung staatlichen Kredits für den Mittelstand, Mehl- und Eetreidetarife, MUHlenumsatz- steuer, Fahrkartensteuer, Lernmittelfreiheit, Waffen­tragen, Erhitzungszwang der Sammelmolkereien, Ka­minfegerordnung, Weinzollordnung, Diätenregulativ, Wahlrecht, Eesindeordnung, Radiumbeschaffung, Ent­schädigung für dreijährige Dienstzeit, Erundstückshandel usw., nebst einer Anzahl kleinerer Angelegenheiten. Das ist eine reiche Fülle von Arbeitsstoff, mehr, als der Leser der Landtagsberichte im ersten Augenblick sich ins Gedächtnis zurückrufen könnte und er wird geneigt sein, dem Landtag in Bezug aus seinen Fleiß die Note gut auszustellen. Seine politische Zusammensetzung ist am Schluß dieser Frühjahrstagung: Zentrum 25, Konser­vative 20, Volkspartei 19, Sozialdemokratie 17, Deutsche Partei 11 Sitze.

5V Jahre württ. Landesfeuerwehrverband.

Reutlingen, 4. Mai. Der am 3. September 1863 in Stuttgart gegründete württbg. Landesfeuerwehrver­band feierte gestern, wie kurz gemeldet, das Jubiläum seines 50jährigen Bestehens. Mehr als 2000 Feuer­wehrleute aus etwa 165 Korps der verschiedensten Stadt- und Landgemeinden hatten sich eingefunden. Nach der Festsitzung und dem Festbankett am Samstag, bei dem Bezirksfeuerlöschinspektor Johs. Eisenlohr die Ka­meraden und Oberbürgermeister Hepp die Gäste begrüßte und 4 Mitglieder mit dem Ehrenzeichen für 25-, 10 für 18jährige treue Dienstzeit mit dem Diplom ausgezeich­net wurden, und ferner der frühere Landesvorsitzende, Fabrikant E. Türk-Schwenningen, der ebenfalls sein 50jähriges Jubiläum im Dienste der Feuerwehr feiern konnte, zum Ehrenmitglied der Freiw. Feuerwehr Reut­lingens ernannt wurde, legten am Sonntag vormittag die hiesige Feuerwehr und die Sanitätskolonne bei einer straffen Angriffsübung im Verein mit der Bru­

derhausfeuerwehr Proben ihrer Schlagfertigkeit und gu­ten Disziplin ab. Bei der Uebung wurden 14 Strahl­rohre und alle Gerätschaften verwendet. Nach der Probe gings im Zuge durch die innere Stadt und beim Markt­platz machten die Feuerwehren von Stadt und Bezirk einen Parademarsch.

Das Hauptinteresse der Feuerwehroffiziere richtete sich auf die in derBundeshalle" stattfindende Fest­sitzung, bei der Ministerialdirektor v. Scheurlen die Grüße und Glückwünsche des Staatsministers des In­nern, v. Fleischhauer überbrachte und die allerhöchsten Auszeichnungen bekannt gab, wonach dem Vezirksfeuer- löschinspektor Johs. Eisenlohr-Reutlingen und dem Kom­mandanten Gustav Binder- Heilbronn das Ritterkreuz 2. Kl. des Friedrichsordens, dem Vizekommandanten Bahn-Hall die Verdienstmedaille des Friedrichsordens verliehen wurde. Namens der K. Kreisregierung gratu­lierte Regierungspräsident v. Hofmann zum Jubi­läum, für die Stadtverwaltung Oberbürgermeister Hepp und im Auftrag der Feuerwehren von Stadt ! und Bezirk Reutlingen hieß Bezirksfeuerlöschinspektor ! Johs. Eisenlohr die Kameraden herzlich willkom- ! men. Der Landesverbandsvorsitzende Fr. Eychmül- ^ ler - Ulm brachte den Königstoast aus und hielt so- ! dann die Festrede. Ein großes Verdienst an der blühen- > den Entwickelung des württb. Feuerlöschwesens kommt ! der am 25. August 1865 errichteten Zentralkasse für das württ. Feuerlöschwesen zu, die bis zum 1. Januar 1914 insgesamt 5 629 884 ausbezahlt hat: 4 348 104 Mark an Gemeinden und Feuerwehren des Landes zur Errichtung von Wasserleitungen und zur Anschaffung von Geräten und Ausrüstungsgegenständen, 816 615 an 5541 verunglückte oder zu Schaden gekommene Feuer­wehrleute und 465 265 -N an Hinterbliebene von Feuer­wehrleuten in 1467 Fällen. Mittags 1412 Uhr war im Hotel Kronprinz Festesten mit Konzert der Stadtkapelle, Reden und Toasten. Heute unternahmen die Gäste Ausflüge.

Flottenverein.

Aus der Hauptversammlung des württembergischen Landesverbandes des Deutschen Flottenvereins wurde sestgestellt. daß die Mitgliederzahl am 31. Dezember 1913 14 333 Einzelmitglieder und 84 Vereine mit 12 540 Mitgliedern betrug. Im Jahr zuvor waren es 14 258 Einzelmitglieder und 88 Vereine mit 13 700 Mitglie­dern. Die zum 70. Geburtstag des Präsidenten des Deutschen Flottenvereins, Großadmiral v. Köster, ver­anstaltete Sammlung für das Alters- und Jnvaliden- heim ergab 155 000 ^t. Württemberg allein brachte 23 000 »il auf, doch soll die Samnilung hier zu Lande fortgesetzt werden, bis 25 000 beisammen sind.

Württembergischer Ausstellungspark.

Unter dem Vorsitz von Kommerzienrat Kächelen in Stuttgart trat dort nunmehr ein Unternehmen ins Leben, das bezweckt, einen württembergischen Ausstel­lungspark zu schaffen. Auf dem Wasen wird eine Aus­stellungshalle gebaut werden, die 1 Million Mark kosten wird und zu der die Stadt 400 000 ^11, Freunde des Ge­dankens 300 000 <tl aufwenden, während der Rest er- sammelt wird. Die Halle soll schon beim nächstjährigen Deutschen Bundesschießen benützt werden; sie wird so groß, daß 3000 Personen in ihr Platz finden.

10. Württemberg. Abstinententag.

In Ulm hält der Landesverband württembergischer Abstinenten gegenwärtig seine Tagung ab. Der Ver­band wurde vor 10 Jahren mit 90 Mitgliedern gegrün­det, heute zählt er 1200. Eine Reihe öffentlicher Äuf- klärungsvorträge und Nebenversammlungen (abstinenter Pfarrer, Offiziere, Lehrer, Frauen und Jugendlicher) sind

mit der Tagung verbunden. In der geschäftlichen Sitzung wurde u. a. die Forderung nach gesetzlicher Regelung des Handels mit likörhaltigen Konditoreiwaren aufge­stellt, ferner nach Erlassung von Landesvorschriften, nach denen die Bestimmungen Uber den Wirtshausbesuch Ju­gendlicher auch auf Automatenrestaurants und Erfrisch­ungsräume von Warenhäusern ausgedehnt würden. Ein anderer zur Annahme gelangter Antrag wünscht die Schließung aller Gastwirtschaften (mit begründeten Ausnahmen) Sonntags während der Hauptgottesdienst­zeit. Der Geschäftsbericht betonte, daß die Arbeit des Verbandes im letzten Jahr nur sehr unzulänglich sein konnte, weil der besoldete Geschäftsführer nicht mehr gehalten werden konnte. Die Tagung wurde von Pro­fessor Froriep - Tübingen geleitet.

Der König kommt nach Reutlingen.

Der König hat sein Erscheinen bei dem vom 13. bis 15. Juni in Reutlingen statlfindenden Krieger­bundesfest nunmehr bestimmt zugesagt.

Frost.

Ulm. In der Nacht zum Sonntag ging hier das Thermometer bei scharfem Ostwind auf 1 Grad unter Null herab Morgens lag starker Reif auf den Wiesen und Dächern, doch scheint der Frost l der üppig blühenden Vegetation keinen besonderen ^ Schaden gebracht zu haben. Leonberg. Auch i hier gab cs in der Nacht vom Samstag auf den ! Sonntag einen empfindlichen Frost, der an den Bäumen, die noch nicht verblüht hatten, ziemlich jviel Schaden anrichtete. Im Lause des Sonntags zeigte sich an den Blüten jene verhängnisvolle rost­braune Farbe, an der zu erkennen ist, daß die Hoff­nungen auf die Obsternte an jenen Bäumen auch dieses Jahr vergeblich waren. In den Weinbergen scheint die bis 3 Erad unter Null gesunkene Tem­peratur weniger Schaden angerichtet zu haben.

Owen-Teck. 4. Mai. Der seit 30 Jahren in den Diensten der Firma C. Leuze stehende Fuhrmann Christian Vatter fuhr am Samstag mit einem mit Kisten beladenen Wagen von der Fabrik zum Bahn­hof. Unterwegs fiel eine Kiste vom Wagen, wodurch die Pferde scheu wurden. Vatter wollte die Pferde aufhalten, kam aber zu Fall und wurde von einem ausschlagenden Pferd so heftig an den Kopf getroffen, daß sein Tod sofort erfolgte.

Jagstzell OA. Ellwangen, 4. Mai. Der von dem Unterlehrer Kirchmaier schwer verletzte Ober­lehrer Kienzler, der Vater von 7 Kindern ist, schwebt immer noch in Lebensgefahr. Der Täter, der nun­mehr im Ellwanger Untersuchungsgefängnis seiner Verurteilung entgegensieht, stammt aus einer acht­baren Familie, wo er eine gute Erziehung genossen hatte. Sein Vater ist Vorarbeiter bei der Holzwerk­zeugfabrik Baldauf in Neckarsulm.

Aus Welt «nd Z-kt.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 4. Mai.

Die Verhandlungen waren der Beratung des Ge­setzentwurfs zur Aenderung der die Konkurrenz­klausel betreffenden Bestimmungen des Handelsge­setzbuches gewidmet. Bei den Kommissionsverhandlun­gen hatten sich drei Differenzpunkte mit der Regierungs­vorlage ergeben. In dem einen dieser drei Punkte" nämlich, daß die in dem Vertrag festgesetzte Entschädi­gung an den Angestellten mindestens die Hälfte der Be­züge des Angestellten betragen solle die Regierung hatte ein Drittel vorgesehen hat sich Staatssekretär

Das IischermSdchen.

48) Novelle von Björnstjerne Björnlon.

Da dies aber nur um so ärger wurde, je länger sie wartete, mußte sie sich also beeilen so lehnte sie sich denn plötzlich ganz vor die Fensterscheiben. Ein lauter Schrei ertönte aus dem Zimmer. Signe, die in einer Sofaecke ge­sessen hatte, stand im Nu mitten im Zimmer und wehrte mit beiden Armen das Schreckbild von sich ab, wild, entsetzt floh sie aus dem Zimmer. Diese Gestalt am Fenster und im Mond­schein, diese rücksichtslose, widerwärtige Kühnheit, das vom Mondlicht scharf hervorgehobne Gesicht erhitzt, glühend Pe­tra begriff es selbst im Nu, daß ihr unglückseliger Einfall allein schon Abscheu hatte verursachen müssen, ja daß ihr Bild fortan für Signe vielleicht eine ständige Schreckgestalt sein würde sie verlor das Bewußtsein und stürzte mit einem durchdringenden Schrei hinab. Die Leute im Hause waren auf Signes Schrei herbeigeeilt, fanden aber niemand, hörten jetzt den neuen Schrei, und der ganze Hof kam auf die Beine; man suchte, man rief, ohne jemand zu finden, und es war der reine Zufall, daß der Propst in Signes Zimmer aus dem Fenster sah und im Mondschein Petra zusammengedrückt zwischen den Büschen liegen sah. Eine große Angst bemäch­tigte sich ihrer alle, es kostete Mühe, sie freizumachen und aufzuheben: sie wurde in Signes Zimmer getragen, da das der Haushälterin kalt war, sie wurde entkleidet und ins Bett ge­legt, wo man ihre Hände und ihren Hals, die ganz von den Dornen zerrissen waren, badete, während andere das Zimmer traulich warm und hell machten. Als sie wieder ganz zu sich gekommen war und um sich gesehen hatte, bat sie, man möge sie allein lassen.

Die trauliche Stille des Zimmers, die feinen weißen Stoffe, mit denen die Fenster, der Toilettentisch, das Bett, die Stühle geschmückt waren, erinnerten sie in ihrer Zartheit an Signe. Sie gedachte ihrer reinen Lieblichkeit, ihrer sanften Stimme, die einen so milchweißen Ton hatte, ihres feinen Gefühls für die Gedanken andrer, ihres zarten Wohlwollens. Von dem allen hatte sie sich jetzt ausgeschlossen; bald mußte sie aus dem Zimmer hinaus, wie sie auch wohl aus dem Hause hinausmußte. Und wohin sollte sie dann? Zum drit­tenmal wird man nicht von der Landstraße aufgelesen, und selbst wenn das geschehen konnte, so wollte sie es nicht mehr, denn es würde nur auf dieselbe Weise enden. Kein Mensch konnte Vertrauen zu ihr haben, was auch die Ursache sein mochte, sie fühlte, daß es so war. Sie war ja noch nicht einen Schritt vorwärts gelangt, und sie würde niemals einen Schritt weiterkommen, denn ohne das Vertrauen der Menschen ging das nicht. Wie sie betete, wie sie weinte! Sie warf sich umher, sie krümmte sich in ihrer Seelenqual, bis sie gänzlich erschöpft war und cinschlief.

Im Schlafe wurde gleich alles schneeweiß, immer höher wurde es über ihr; nie zuvor hatte sie so hoch hinaufgesehen und in ein so Helles Schimmern von Millionen von Sternen.

Noch als sie schon erwacht war, war sie hoch oben. Die Gedanken des verflossenen Tages, die sofort auf sie einstürm­ten, wollten ihr dahinauf folgen, aber sie wurden von etwas, das die ganze Luft erfüllte, gefangen genommen und getragen es waren die Glockenklänge des Sonntagsmorgens. Sie sprang auf und kleidete sich an, sie schnitt sich ein wenig Früh­stück in der Speisekammer, packte sich sorgfältig ein und eilte

hinaus einen solchen Durst nach Gottes Wort hatte sie noch niemals gehabt! Als sie ankam, hatte der Gottesdienst gerade begonnen, und die Tür war verschlossen. Es war ein kalter Tag, die Finger brannten ihr, als sie den Schlüssel anfaßte, um ihn herumzudrehen. Der Prediger stand gerade am Altar, sie. wartete unten an der Tür, bis er geendet und der Küster ihm das Meßgewand abgenommen hatte, dann ging sie nach dem sogenannten Bischofsstuhl hinauf, der auf dem Chor stand, und vor dem Gardinen waren. Der eigentliche Stuhl für die Familie aus dem Pfarrhause war auf der Empore, hatte man aber den Wunsch, aus irgendeinem Grund un­beachtet und allein zu sein, so nahm man seine Zuflucht zu dem Bischofsstuhl. Als sie ihn erreicht hatte und eben leise hineintreten wollte, sah sie Signe schon dort in dem hintersten Winkel sitzen. Sie trat einen Schritt aus dem Stuhl zurück, aber gerade da wandte sich der Propst am Altar und ging an ihr vorüber in die Sakristei; sie kehrte schleunigst in den Stuhl zurück und setzte sich ganz an den Eingang; Signe hatte ihren Schleier fallen lassen. Das tat Petra weh. Sie sah hinaus über die Gemeinde weg, die in den hohen hölzernen Stühlen dasaß, die Männer zur Rechten, die Frauen zur Linken; ihr Atem lag als ein schwebender Nebel über ihnen; die Fenster waren mit zolldickem Eis bedeckt, die schwerfällig geschnitzten hölzernen Heiligenbilder, der schleppende, langsame Gesang, die eingepackten Menschen das alles gehörte zueinander, es war hart und fremdartig; sie mußte an die Natureindrücke an jenem Nachmittag denken, als sie Bergen verlassen hatte; auch hier war sie nur eine angsterfüllte Durchreisende.

(Fortsetzung folgt.)