Die Krise des Parlamentarismus
DaS deutsche Volk verlangt Führer.
CS geschehen vielsagende Zeichen. Der Abgeordnete Lam- «rers verzichtet ans sein Mandat, weil ihm der Parlamcn» tarismus von heute nicht mehr behagt. Der Reichskanzler Müller und der frühere Kanzler Wirth fühle» sich ebenfalls zu Erklärungen über das heutige Parlamentsgctriebe gedrängt, in denen eine verzweifelte Stimmung zum Ausdruck kommt. Eine Neichstagsfraktion drängt stürmisch nach Verfassungsänderung, von der sie sich eine Festigung der Negierung verspricht, und der frühere Minister Dr Külz scheut sich nicht, sich durch einen offenen Brief an den Reichskanzler naheliegenden Verdächtigungen auözuietzcn, ln dem ehrlichen und anständigen Bestreben, den augenblicklich führenden Staatsmann in Deutschland zu einem tatkräftigen, von keiner Rücksicht auf die Fraktionen beeinflußten Vorgehen zu ermutigen.
Alle diese Vorgänge sichen im unmittelbaren Zusammen, sang mit einer wachsenden Sturmflut des Unwillens in den l-reiteste» Schichten der Bevölkerung aller Parteischattierun- icn gegen diesen Parlamentarismus, der uns in die ver- »ängniovollsie Lage unserer ganzen Geschichte gebracht hat. Ls ist ein tragischer Vorgang, bah der größte weltpolitische «nd weltwirtschastSpolitische Vorgang, die endgültige Festsetzung der deutschen Kriegstributzahlung in Paris, über uns dahinbraust, unter einer Negierung, von der Deutschland und die Welt wissen, bah sie mit verbundenen Augen, Händen und Fähen dasichen muß, als trauriges und unwahrhaftigeS Bild der Wehrlosigkeit und Hilflosigkeit eines 60 Millionen. Volkes mit ungestümer Lebens- und Schaffenskraft.
Minister Külz hat mit seiner Meinung vollkommen recht, daß es tn Deutschland genügend Männer für die Bildung einer .tarken und arbeitswilligen Negierung gibt, daß man sie nicht in den Fraktionen des Reichstages zu suchen braucht, sondern daß auch außerhalb des Parlaments alle Parteien über verantwortungsfreudige und tatgewillte Persönlichkeiten verfügen. ES gibt keine Verfasiungsbcstimmung, nach der die Minister vom Parkett des Parlaments auf die Regie- rungSbank steigen müßten. Der Reichspräsident ernennt den Kanzler und bestätigt die Minister, die dieser ihm als die neue Regierung vorstellt. Wenn ein deutscher Kanzler heute mit einer Negierung auS verantwortungsbewußten Persönlichkeiten vor dem Parlament erscheinen würde, dann dürfte kein Reichstag das Wagnis unternehmen, einer sol- chen Negierung das von der Verfassung geforderte Vertrauensvotum vorzucnthalten. Ein solcher Reichstag müßte vor dem Unwillen des gesamten Volkes seinen Platz räumen.
Man hat sich daran gewöhnt, das deutsche Volk für unpolitisch zu erklären. Das ist nur sehr bedingt richtig. Gewiß ist unsere Bevölkerung viel zn arbeitsam und zu stark auf persönliche Liebhabereien abseits der Politik eingestellt, als daß sie dieser einen wesentlichen Teil ihrer Mußezeit widmen würde. Es darf aber nicht vergessen werden, daß sich das politische Bewußtsein unseres Volkes gerade heute schwer zur Geltung bringen kann, weil ihm im Gegensatz zu früher die Möglichkeiten einer Kontrolle des Reichstages und der einzelnen Volksvertreter infolge des Listcnwahlsystems und der parlamentarischen Arbeitsmethoden beschnitten sind. Heute sieht der Wühler nicht mehr die Persönlichkeit, die durch die Ausübung seines Wahlrechts in den Reichstag gelangt, denn gewählt wird fa nicht eine Persönlichkeit, ein Mann, der sich in offener Wahlschlacht seinen Sitz im Par- lament erkämpft, sondern eine Liste von Namen, von denen die meisten Wühler nicht beurteilen können, ob dahinter Persönlichkeiten stecken. Die Entscheidung über die Gesetzgebung hat der Parlamentarismus von heute aus der öffentlichen Vollversammlung völlig in die Abgeschlossenheit der nichtöffentlichen, zum Teil sogar nicht einmal den übrigen NeichstagSmitgliedern zugänglichen Ausschußberatnngen verlegt. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Verödung der Vollversammlungen unserer Parlamente und die Ein- fchrumpsung der Berichterstattung darüber. Es ist ausschließlich Schuld der Parlamente und nicht der Zeitungen, wenn die Sitzungsberichte nur im Falle von Tumulten einigen Ilmfang gewinnen. Die öffentliche Meinung nimmt nicht gern Kenntnis von Selbstverständlichkeiten, und jedermann weiß, daß in den Vollsitzungen von heute eben nur Selbst. Verständlichkeiten geboten werden, daß die öffentliche Durch, beratnng auf keinen Fall mehr eine Änderung der schon bekannt gewordenen Ausschußbeschlüsse bringen kann.
Diese Entwickelung des Parlamentarismus steht im denkbar stärksten Widerspruch zu der volkstümlichen Vorstellung von einem Reichstage. Das Volk will sehen, was geschieht und wissen, daß überhaupt etwas geschieht; bas Volk verlangt eine Führung, deren Wirken es in einer steten und gesunden Innen- und Außenpolitik tatsächlich spürt und deren Leistung durch das Parlament gefördert aber nicht be- hindert wird. Es verlangt eine feste Negierung und ein arbeitswilliges Parlament, namentlich in diesem Augenblick, da Deutschland vor innen- und außenpolitischen Schwierigkeiten steht, deren Überwindung ganze Männer erfordert. Diese Männer sind da. Sie müssen kommen und werden sich auch gegen Fraktionen durchsetzen, falls diese sich der schwer, sten Stunde unserer politischen Gegenwart nicht gewachsen zeigen sollten.
Ministerbesuche in Genf
Chamberlaiu bei Strcsemana.
Der englische Außenminister Chamberlain erschien am Donnerstag im Hotel Metropol und stattet« Dr. Strcse- mann einen Besuch ab. Ueber die einstünüige Unterredung wird in der üblichen Weise nur mitgeteilt, daß die Reparationen, -i« Rheinlandbesctzung und die Minderheitenfrage besprochen worden sind. Ob an diese erste Besprechung sich eine weiter« anknüpfen wird, steht noch nicht sest. Auch sollen »wischen den beiden Außenministern die bisherigen Ergebnisse der Sachverstän-digenarbeiten tu Paris, sowie der weitere Verlauf der Pariser Arbeiten erörtert worden sein. Die Unterredung habe ausschließlich den Charakter eines aklge. mein«» informatorische« Gedankenaustausches getragen und
sei i» der gleichen Linie wie die Unterredung zwtiche» Dr. Strcscmann und Briand verlaufen.
Von englischer Seite wird ferner mitgeteilt, baß Strcse- mann im Laufe der Unterhaltung seinen Dank für die Rettung der Deutschen auS Kabul ausgesprochen habe.
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Die Berliner Presse zum Minderheitenkompromitz.
Das in der Minderheitenfrage in Genf beschlossene Kompromiß wird ron den Berliner Blättern im allgemeinen nicht günstig beurteilt. — Die »Börsenzettu n g" sagt, man könne nicht behaupten, daß die Zusammensetzung des Drcicrkomitces die Hoffnung auf wirkliche Besserung der Lage der nationalen Minderheiten haben könne. — Die »Deutsche Tageszeitung" spricht von einem faulen Kompromiß, hält es aber für einen Trost, daß das befürch
tete DegrävniS der deutschen und kanadischen Vorschläge für diesmal noch verhindert worden sei. Es werde nun Sache der Minderheiten sein, die Zeit bis zum 15. April zu nutzen. — Die »Germania" nennt das Ergebnis eine Enttäuschung. — Die „Vosstsche Zeitung" schreibt, es sei aber auch vom rein Genfer Standpunkt aus gesehen nicht zu ver- stehen, daß sämtliche Mitglieder des Rates sich zu einem so kurzsichtigen und unklugen Schritt Hütten verleiten lassen. — Der „Vorwärts" sagt, die auffallend schnelle Erledigung des deutsch-kanadischen Vorstoßes durch Annahme einer Koin- promißresolution binnen 18 Stunden mute wie ein Abivür» gungsversuch an. Briand und Chamberlain seien es gcwe- scn, die nur allzu deutlich die Widerstände Polens und der Kleinen Entente gegen eine herzhafte Behandlung des Min- derheitenproblems unterstützt hätten.
Unser Vicü zeigt die Ervjfuungssitzung der Ratstagung:
Nr. 1 Ncichdaußenminister Stresemann, Nr. 2 Briand, Nr. 8Natspiäsident Scialoja (Italien).
Das Minderhcitenproblcm in Genf.
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Englands Absichten auf Ostafrika
Ter erste Schritt zur Einverleibung OsiasrikaS in de« englischen Kolonialbesitz.
TN London, 8. März. Das englische Kabinett hat, wie der politische Korrespondent der „Morningpost" erfährt, den Teil des Berichts der Hilton Aoung-Kommission für einen engeren Zusammenschluß der britischen Besitzungen und der Mandatsgebiete in Ost- und Zentralafrika gebilligt, in dem Vorschläge für sofortig« Durchführung von Reformen ge. macht werden. Die Vorschläge der Kommission sehen vor, daß sofort ein Obcrkvmmissar für Kenya, Uganda und Tanga, nyika ernannt werden soll. Die Ernennung eines Ober, kommissars für die drei Gebiete soll nur einen Auftakt für die spätere Einsetzung eines Generalgouverneurs für Ost- asrika darstellen, dem umfangreiche Vollzugsgewalten und die Kontrolle der gesetzgebenden Körperschaften In den drei Gebieten gegeben werden soll. Als erster Oberkommissar für die drei Gebiete ist eine führende Persönlichkeit deS Kolonialministeriums mit langen Erfahrungen in der oft- afrikanischen Verwaltung in Aussicht genommen.
Um den Reichshaushalt
Bayerische Volkspartel «nd HauShaltSsrage.
TN. München, 8. März. Wie der Bayerische Kurier ans Berlin erfährt, will die Bayerische Volkspartei im Zusammenhang mit der Abstimmung im Reichsrat Neichspostmini- ster Schätzet im Augenblick noch nicht auS dem Kabinett zurückziehen. Falls jedoch auch im Reichstag dieKürzung der Länderüberwelsungen und die Erhöhung derBiersteuer beschlossen werben sollte, würde die Bayerische Volkspartei ohne Zweifel ihren Minister aus der Neichsregierung znrückziehen. Augenblicklich glaube man jedoch bei der Bayerischen Volkspartei, daß die Verhandlungen -wischen den Neichstagsparteien doch noch zu einer an- deren Gestaltung deS Haushalt- und der Deckungsvorlage führen würden. Die Parteien der gegenwärtigen Reichs- regierung sollen bestrebt sein, der Bayerischen Volkspartei soweit als möglich entgegenzukommen und die drohende Ge- fahr zu vermeiden.
Kleine politische Nachrichten
Polnische Kulturpropaganba in Sachsen. Das polnische Komitee für Sozialfürsorge in Leipzig hat in Polen einen Aufruf veröffentlicht, der zum Bau eines »Polnischen Hauses" in Leipzig auffordert. Die Notwendigkeit der Errichtung eines solchen polnischen Hauses wird u. a. wie folgt begründet: »Das Banner der polnischen Kultur in der Fremde müsse hoch gehalten werben, in der Zukunft, wie in der Vergangenheit. Namentlich die Kinder polnischer Eltern in der Fremde müßten vor der Entnationalisierung bewahrt wer- d^n. Alles, was polnisch sei. müsse zur Sicherung der Wiedergeburt der polnischen Kolonie in Sachsen und Thüringen beitragen."
Landvolkknndgebunge« in Schleswig-Holstein. Aus Ham. bürg wird gemeldet: An 10 verschiedenen Orten der Provinz Schleswlg-Holstein fanden groß« Landvolkkundgebungen statt. Ueberall wurden Nothilfen ins Leben gerufen, welch« die Interessen des Landvolkes, vor allem gegenüber dem Staat wahrnehmen sollen.
Eine Nechtsopposition anch innerhalb der kommunistischen Internationale. Wie aus Moskau gemeldet wird, hat sich neben dem HauptvollzngsauSschuß der russischen kommunistischen Partei nunmehr auch innerhalb der kommunisti- schen Internationale eine Nechtsgruppe mit Bucharin an der Spitze gebildet, die ihr« Umbildung und die Entfernung Stalins und seiner Anhänger verlangt.
Der belgische Spionage-Slbwehrdienst soll «e« gebildet werden. Die belgische Kammer setzt« die Aussprache über den Fall Frank-Heine fort. Die Besprechungen der sozialistischen, ka- tholischen und liberalen Parteien bewegen sich tm Sinne der
Regierungserklärung. Alle drei Parteien verlangen di« Neubildung deS belgischen Splonage-AbwehrdiensteS. So. dann genehmigte die Kammer die Tagesordnung und sprach d«r Negierung ihr Vertrauen aus.
Scharfe Schüsse aus Streikende in Griechenland. Nach einer Meldung auS Athen ist in Eleusts ein Streik auS- gebrochen. Die Polizei nahm 14 Verhaftungen vor. Darauf zogen die Aufständischen vor die Polizcistation und verlangten die sofortige Freilassung der Verhafteten. AlS der Po- lizeichef sich weigerte, dem Verlangen nachzukommen, unternahmen die Streikenden einen Angriff ans die Polizei, wo. bei die Beamten mit Steinen beworfen wurden. Die Poli- zei schoß in die Menge. Dabei wurden 2 Personen getötet und 8 verwundet. Auch von den Polizisten wurden mehrere verletzt.
Aus oller Welt
Der Mörder -es Theosophcn Dr. Uuger kommt in eine Heilanstalt.
Wie aus Nürnberg berichtet wird, hat die Untersuchung des Mörders Dr. Ungers, Wilhelm Krüger, in der Psychiat- irischen Abteilung des Nürnberger Untersuchungsgefängnisse» ergeben, daß Krüger nicht nur für seine Tat nicht verantwortlich gemacht werden kann, sondern als gemeingefährlich bezeichnet werben muß. Er dürfte deshalb vom Städtischen Krankenhaus, in das er nach Abschluß der Untersuchung überführt worden war, in die Heil, und Pflegcanstalt Er- langen verbracht werden. Eine Strafverfolgung bzw. An- klageerhebung gegen Krüger durch dte Staatsanwaltschaft Nürnberg ist somit hinfällig geworden.
Ankauf des Flugplatzes Staaken durch die Stabt Berlin.
Der Berliner Magistrat beschloß, den Flugplatz Staaken für die Stadt zu erwerben. Es wird nicht nur der eigentliche Flugplatz in Größe von 263 Hektar erworben, sondern e» werden auch hinzugekauft die sämtlichen Bau. und Jndustrie- gelände -wischen den Hallen und dem Slaakener Bahnhof. Das ganze Flugplatz, und Jndustriegelände kommt durchschnittlich auf 2 Rin. pro Quadratmeter. Die Stadt hat bet der Auflassung eine halbe Million Mark anzuzahlen und einr weitere halbe Million Mark am 1. Oktober d. I. zu entrichten. Der Nest deS Kaufgcidcs wird auf eine längere Reihe von Jahren stehen bleiben. Die Ankäufe bestätigen die Sicherstellung eines Flughafens für Zeppclinluftschisfe im zentralen Europa.
Eine Liebestragödie
ereignete sich in dem kleinen Harzstädtchen Seesen. Der Oberprimaner Göpel aus Dortmund, der dort seit etwa acht Jahren dte Oberrcalschule besucht, hat mit seiner 18 Jahre alten Geliebten, der Stieftochter eines dortigen Kaufmanns, auf den Bahngleisen der Strecke Seescn-^Krcienscn Selbstmord begangen. Göpel unterhielt mit der 18 Jahre alte» Fcldmann seit längerer Zeit ein Liebesverhältnis. Nunmehr sollte der Oberprimaner Seesen verlassen, weil ihm sein Vater die Mittel zum Studium nicht mehr geben konnte. Dieser Grund scheint die jungen Leute bewogen z» habe», gemeinsam in den Tob zu gehen. Man fand beide völlig zerstückelt auf dem Bahnkörper auf. Sie hatten sich mit Riemen «nd Draht zusammengebunden und so aneinander gefesselt ihr grauenvolles Schicksal erwartet.
Freitod eines Liebespaares.
In einem Gasthof von Wiener-Neustadt verübte etn a«O Wien angekommenes Liebespaar Selbstmord durch Einatmen von Leuchtgas. Durch den Gasgeruch wurde das Personal aufmerksam und versuchte tn das Zimmer einzudriugen. Hierbei brachte ein Hotelangestellter ein brennendes Zündholz dem Schlüsselloch zu nahe. Sogleich erfolgte eine heftig« Explosion, die die Tür sprengte «nd die Wände deS Zin»> mcrS zertrümmerte. 3 Personen erlitten schwere Verletzungen. Gleichzeitig brach ein Brand auS. DaS Liebespaar selbst fand den Tod, allerdings nicht durch die Explosion, so», dein schon vorher durch di« Gasvergiftung. Dte Papiere der beide» waren verbrannt.