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Schwarzwkklder Tageszeitung „Aus de« Tannen"
Nr. 301
Eine Entschließung der Stadt Trier j
Trier» 23. Dez. Auf einstimmigen Beschluß der Stadt- ! verordnetenversammlung hat der Oberbürgermeister der Stadt Trier dem Reichsminister für die besetzten Gebiete ^ eine Entschließung übermittelt, in der die Besatzung als ° das gefährlichste Hindernis für einen Erfolg der Verständigungspolitik bezeichnet wird. Grell beleuchtet, so s heißt es weiter, wird diese Gefahr durch den Lan-s dauer Spruch. Die Bevölkerung des besetzten Ge- s bietes fühlt sich vogelfrei, wenn Angehörige der Be- , satzungstruppen selbst in Zivil ungestraft Deutsche ver- j wunden oder gar töten können. Die Stadt Trier, die be- ! sonders schwere Lasten trägt, fordert von der Reichsre- ' gierung tatkräftige Betonung unserer vertraglichen Rechte ; auf den A b z u g d e r B e s atz un g. s
Erregung in Germersheim
Germersheim, 23. Dez. Die französische Kom- ^ mandantur hat, um Ausschreitungen der erregten ! Bevölkerung zu verhindern, angeordnet, daß die Woh- i nung des f r e i g e s p r o ch e n e n Rouzier bis r zu dessen Abreise aus Germers he im durch; Eendarmerieposten bewacht wird. Eendar- l merie durchstreift auch die Straßen der Stadt und die Lo- ^ kale. Die Bevölkerung zeigt tiefste Erre-j gung über das Urteil.
Das rheinische Zentrum an Dr. Bell -
Köln, 23. Dez. Die rheinische Zentrumspartei hat an ^ den Minister für die besetzten Gebiete, Dr. Bell, folgende ^ Erklärung gerichtet: -
Das rheinische Zentrum spricht Ihnen seinen Dank aus i für die Erklärung zu dem unerhörten Fehlurteil des fran- ? zösischen Kriegsgerichts in Landau. Mit Ihnen Md der ^ Reichsregierung erwartet die rheinische Bevölkerung nicht i nur die Revision des Urteils, sondern auch dieEntfer- ; nung der Besetzung vom Rhein, damit solche i Schäden für die Politik der Verständigung unmöglich und : dem Rheinland Recht und Freiheit wiedergegeben werden. °
Havas über die Revision des Landauer Urteils ^ Paris, 23. Dez. Zu der von den drei vom Kriegsge- ) richt in Landau verurteilten Deutschen eingereichten Revi- ^ sion berichtet Havas, diese Berufung werde vom Revi- ; sionsgericht, das seinen Sitz in Paris habe und aus höhe- , ren Offizieren besteht, geprüft werden. Der Revisions- s gerichtshof habe sich die Prüfung sämtlicher Urteile vorbe- ^ halten, die von den Kriegsgerichten bei den in Aktion ^ befindlichen Truppen (also auch im besetzten Gebiet) ge- : fällt werden. Es befinde lediglich über die rein juristische j Seite der Angelegenheit und nicht über die Angelegenheit ' selbst. i
Neue Anweisungen an Hösch s
Berlin, 23. Dez. Das „Berliner Tageblatt" will wis- ^ sen, daß Botschafter von Hösch nach seinem Besuch bei Berthelot von den zuständigen Stellen der Reichsregierung ' angewiesen worden sei, bei der französischen Regierung in ^ dem Sinne vorstellig zu werden, daß sie im Falle Rouzier ! einen Modus finden möge, der der berechtigten Entrü- stung in Deutschland im Sinne einer Genugtuung Rech- j nung trägt. Die Reichsregierung selbst habe keine Vor- ^ schlüge gemacht, weil sie die Auffassung vertrete, daß es s Sache Frankreichs sein müsse, eine Lösung zu finden, die s auf eine Wiedergutmachung hinauslaufe. ;
Der Eindruck in Paris s
Paris, 23. Dez. Die Stellungnahme der Reichsregis- s
rung und der deutschen Öffentlichkeit zum Landauer Urteil hat in Paris tiefen Eindruck gemacht und in politischen Kreisen starke Nervosität hervorgerufen Es hat den Anschein, als wäre man an amtlicher Stelle eher geneigt, durch einen Begnadigungsakt den Eindruck des Landauer Urteils zu verwischen, als nochmals den ganzen Prozeß durch eine höhere Instanz aufrollen zu lasten.
Man geht in Paris so weit, Poincare als den Inspirator des Landauer Urteils zu bezeichnen, der auf diesem Wege versucht hätte, die Vriandsche Außenpolitik zu desavouieren.
Die sozialistische Protestaktion gegen Landau
Berlin» 24. Dez. Beim Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands traf gestern abend folgendes Telegramm aus Paris ein als Antwort auf das Telegramm, das tags zuvor von den deutschen Sozialisten Müller, Wels und Crispien an den französischen Parteivorstand gerichtet worden war: „Wir haben die Intervention sofort eingeleitet und haben gute Hoffnungen auf einen Erfolg. gez. Paul Faure, Leon Blum."
Neues vom Tage.
Doch eine Reise Stresemanns
Berlin, 23. Dez. Wie die „B. Z." erfährt, wird Reichsaußenminister Dr. Stresemann nach den Feiertagen dou^ einen kürzeren Erholungsurlaub antreten. Wahrscheinlich wird er einen Platz in der Südschweiz zum Aufenthalt wählen. Reichskanzler Dr. Marx reist heute nach Düsseldorf/ wo er die Feiertage verbringen wird.
Deutsch-französische Vereinbarung über das Ausgleichsverfahren
Berlin, 23. Dez. Gestern abend ist durch Notenaustausch zwischen dem Auswärtigen Amt und der französischen Botschaft eine deutsch-französische Vereinbarung über die Beschleunigung des Ausgleichsverfahrens in Kraft gesetzt worden. Es handelt sich um ein umfangreiches, zahlreiche technische Einzelpunkte behandelndes Abkommen, über das im Oktober ds. Js. eine Einigung erzielt worden ist. Bei dieser Gelegenheit hat die französische Regierung die Erchlärung abgegeben, daß sie das auf Grund des Versailler Vertrages unter Sequester gestellte deutsche Eigentum, soweit dessen Liquidation am 30. Oktober noch nicht eingeleitet worden war, freigibt.
Französische Militärmatznähmen an der Alpengrenze
Paris, 23. Dez. In der „Liberte" schreibt Jacques Bain- oille: Nach dem Besuch, den der italienische Botschafter nach seiner Rückkehr aus Rom Vriand abgestattet hat, ist die üble Sackgasse, in der die französisch-italienischen Beziehungen geraten waren, durchschritten worden. Nichtsdestoweniger ist es wahr, daß, um jeden Zwischenfall zu vermeiden, die französische Regierung an der Alpengrenze wichtige Militärische Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat. Man geht so weit, zu behaupten, daß 200 000 Mann zwischen Nizza und Grenoble verteilt sein Zollen.
Großer Aktienbetrug
Berlin, 24. Dez. Wie die „Vossische Zeitung" meldet, ist eine umfangreiche Aktienfälschung aufgedeckt worden. Dem Blatte zufolge handelt es sich um die Fälschung von Aktien der Ealizischen Karl Ludwig-Bahn. Einer der Verkäufer der durch Stempelentfernung wertvoller gemachten Aktien ist gestern in einer Berliner Bank angehalten und verhaftet worden.
Aus Stadt und Land-
Altensteig, den 24. Dezember 1926.
Amtliches. Ernannt wurde zum Oberlehrer in Besoldungsgruppe 9 Vartholomäi in Stuttgart-Botnang; zu Oberlehrern (Gruppe 8) die Hauptlehrer Hanselmann in Durrweiler, Hayer in Untermusbach, Kern in Tumlingen, Otto in Vaiersbronn und Rehm inTeinach.
Schneefall. Weihnachten kann man diesmal bei Schnee und Eis feiern. Gestern und in letzter Nacht war es tüchtig kalt und heute vormittag wirbeln die Schneeflocken lustig vom Himmel und bringen echte Weihnachts- stimmuM für Jung und Alt. An Gelegenheit zum Rodeln und Schneeschuhlaufen wird es über die Weihnachtsfeiertage voraussichtlich nicht fehlen.
Füttert die hungernden VLgell Es ist Winter geworden, Schnee deckt Feld und Wald. Für die Vögel und das Wild des Waldes beginnt eine schwere Zeit, die für manche Kreatur den Tod bedeutet. Wenn an Weihnachten Menschen Liebe ihrxn Nächsten gegenüber üben, so darf man auch der Vöglein und des Wildes unserer Wälder nicht vergessen. Es herrschte und herrscht teilweise noch heute im Norden der Brauch, daß der Bauer Mr Wrist- nacht bei der Scheune eine Stange aufrichtet, an der, eine Garbe Hafer befestigt ist, damit auch die Vögel die Wohltat des Weihnachtsfestes erfahren. Darauf beziehen sich auch die Verse des schwedischen Dichters Vjerregaard: Kommt herein, ihr sorgenlosen Vögelein! — Korntische laden euch bei den Scheunen ein; Weihnachten kommt,
Dann sollt ihr holen
Nahrung von goldgelben, brotbeschwerten Halmen.
Fahrplan-Aenderung der Kraftposten. In Anpassung an den veränderten Eisenbahnfahrplan an Tagen vor Sonn-u. Feiertagen und an Sonntagen (Ankunft in Altensteig 5.38 anstatt 6.44 nachm., Abfahrt 6.20 statt 7.10 nachm.) werden die Fahrpläne der Kraftposten voM 24. Dezember ab wie folgt geändert:
Kurs Simmersfeld: Sonntags
Simmersfeld ab 5.20 nachm. Altensteig PA. 5.50 nachm. „ Bhf. an 6.00 nachm.
Kurs Dornstetten:
an Tagen vor Fest- u. an Sonntagen
Altenst. Bhf. ab 6.15 nachm.
„ PA. ab 6.25 nachm. Simmersfeld an 7.00 nachm.
an Tagemvor Fest- und an Sonntagen
Altensteig Bahnhof ab 6.30 nachm.
Altensteig, Postamt ab 6.40 nachm.
Pfalzgrafenweiler an 7.10 nachm.
Pfalzgrafenweiler ab 7.15 nachm.
Dornstetten, Bahnhof an 8.00 nachm.
— Keine Steuerfreiheit für Weihnachtsgratifikationen.
Vom Landesfinanzamt wird mitgeteilt: Die auch in der Presse verbreitete Nachricht, daß die Weihnachtszulagen der öffentlichen Beamten vom Lohnsteuerabzug befreit seien, ist nicht richtig. Selbstverständlich entfallen damit auch jene vielfach aus dieser falschen Nachricht gezogenen Schlußfolgerungen, als seien Weihnachtsgratifikationen der Privatangestellten in diesem Jahr steuerfrei. Alle diese Zuwendungen unterliegen dem Steuerabzug nach Maßgabe des Paragraphen 73 des Einkommensteuergesetzes. Nur soweit zweifellos feststeht, daß das Jahreseinkommen unter Einrechnung dieser Sonderzuwendungen den Betrag von 1200 Mark nicht übersteigt, sind diese Sonderzuwendungen steuerfrei auszu- bezahlen.
W eihnachtctt
Sieh, in dunkler Winternacht Kommt ein Licht gegangen,
Tausend Herzen sehnsuchtsvoll Nach ihm heiß verlangen.
Nicht die laute Welt mag wohl Dieses Licht begreifen.
Nur die stille Seele darf Ihm entgegenreifen.
Schaum und eitles Glanze« fließt,
Von dem Baum der Zeiten;
Nur ein ew'ges Sehnen kann Dich als Kern geleiten.
Za, in voller Einsamkeit Mutzt der Stimm du lauschen,
Und du hörst der Ewigkeit Friedensströme rauschen.
K. W.
Heiligabend
Heiligabend! — Wie war es doch? — Du standest da, ein unfertiges Ding. Der Tod hatte dir zum ersten Male seine unerbittliche Größe gezeigt. Ein frischer Grabhügel vor der Stadt barg, was dein Kindesherz in manchen Jahren gelallt, gestammelt, gejauchzt und noch nicht bis ins Tiefste verstanden hatte: den Vater. Und es wollte nicht Heiligabend werden ohne ihn. — Im Abenddämmer rufen die Glocken zur Christvesper. Du greifst das schwarze Hütchen und die dünne Jacke und stürmst der
Mutter nach, die schon eilend der nahen Kirche zustredt. Die Feier hat bereits begonnen. Ihr steigt auf den Zehen die schmale Treppe zur Orgel empor. Lautloses Tllr- schwingen. Und ihr steht mitten im Brausen der Orgel, und die Stimmen im Kirchenschiff schwingen darein: „Lobt Gott, ihr Christen, allzugleich!" — All-zu-gleich! Das soll eine Botschaft an dich sein! Du bleibst stumm. Es will kein Ton aus deiner Kehle. Die zwei großen Lichterbäume am Altar verschwimmen vor deinen Augen. Du bist dir selbst fremd geworden. Du fühlst dich ausgestoßen. Und Wort und Lieder gleiten wie Wellen an dir vorbei. Nun tönt es plötzlich drunten von Mädchen und Buben allein, froh herbeirufend: „Ihr Kinderlein kommet!" Du lauschst. Hinter dir singt in den Chor der Kinder hinein eine zitternde Männerstimme, unbekümmert, falsch, zerrissen. Es stört dich. Beinahe unwillig wendest du den Kopf und ziehst ihn darauf scheu zurück. Ein Greis, dem Grabe näher als dem Leben; grau im Gesicht und Kleid; verwahrlost, hungrig, arm — unsäglich arm. Wo kam er her? Wann ist er hinter dich getreten? — Dein junger Leib erschrickt unbewußt vor solchem Verfall! Und doch! Siehst du nicht die alten, bald gebrochenen Augen mit dem Kinderstaunen darin, wie sie eben jetzt gläubig nach oben schauen, während die Lippen formen: „O beugt, wie die Hirten, anbetend die Knie!" Die Adern am abgezehrten Halse schwellen in äußerster Anspannung, um in einer Gemeinschaft zu singen, die er bald verlieren wird. Heiß quillt es in deinem Herzen aus. In Mitleid um ihn? — Ist es nicht Angst um dich selbst, daß er etwas besitzt, woran dir heute mangelt? Der alte Mann beschämt dich. Er hat gewiß mehr im Leben verloren als du, die du jung und voller Kraft bist. Er singt sein letztes Weihnachten. Und als der Schlußgesang ertönt, da ringt sich deine junge Stimme durch und mischt sich erst zaghaft, dann freudiger in die zittrige des Greises i und in die aller Gläubiger: „O du fröhlige, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!" — Und du fühlst dich freier und den Menschen neu verbunden unter dem Schein
der Thristnacht. Durch den Alten. — Du hast das Gefühl, ihm danken zu müssen. Abermals wendest du dich: Er ist verschwunden. — Und fester klammerst du dich heimwärts an den Arm der Mutter. — Und daheim brennen doch ein paar Kerzen.
> Nachts, in deinem Bett, denkst du noch einmal des Al- ! ten: Friert er draußen? — Ist keiner der ihm heute ein
l liebes Wort sagt?-Du hast es versäumt. Er steht
- vielleicht schon an der Himmelstür. —
Vergessen! Ausgelöscht! Zwanzig Jahre sind däMber verstrichen. Das Leben hat dich in die Hand genommen. Deine Seele weint. Und wieder will es Weihnacht werden. Glocken rufen. Du hörst sie nicht mehr.
Auf einmal ersteht vor deinen Augen das Bild -jenes Greises. Die Eefichtszüge, die du damals so schnell erfaßt und so schnell vergessen hattest, plötzlich leuchten sie dir heute auf. Ein unbeschreibliches Erinnern! Dem sie angehörten, der ist längst zu Staub geworden. Aber vielleicht war es seine einzige Sendung, dir zu predigen: ... Es sind alles nur Stufen, die wir durchlaufen in Sehnsucht und Torheit. Unser Herz wehrt sich, und doch liegt im Untergang unsere einzige Hoffnung. Wohl uns, wenn wir unerkannt, alles äußeren entkleidet, verlassen — von allen Wünschen fern — über uns selbst hinaus in das letzte Halleluja mit einstimmen können! Daß wir am Rande der Erkenntnis die Bitternis von uns stoßen und demütig — dankbar zum Abgesange bereit sind:
Kein Hälmlein wächst auf Erden, der Himmel hats betaut,
Und kann kein Blümlein werden, die Sonne hats erschaut, z Dann sproßt, was dir indessen
i als Keim im Herzen lag.
? So ist kein Ding vergessen,
z ihm kommt ein Blütentag.