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Schwarzwälder Sonntagsblatt

Nr. 36

irdischen Dinge, ihr Erdenleid und Erdenglück! Ihm war das Herz so voll, so weit von seinem Sternenhimmel! lieber aller Erdengröße sah er unendliche Ewigkeiten sich breiten. So fremd fühlte er sich unter den Menschen, als gehöre er selbst der Erde nicht an. Am liebsten wanderte er aus sei­ner Hütte über die grünen Felder bis weit hinein in den großen dunklen Wald, der sich fern über Berge und Täler zog. Dort vernahm er nichts von den Menschen und konnte sich ganz mrsenken in stilles, heimliches Träumen.

Eines Tages kam er auf seiner Wanderung in einen Ter! des Waldes, den er noch nie gesehen hatte. Lichte Fern« standen hoch zwischen alten Tannen und neigten sich wie im Gruße vor ihm, Vögel sangen, wie er sie noch nie gehört hatte, und überall leuchteten zwischen dem grünen Moose zarte blaue Glockenblumen hervor. Fast unbewußt folgte er dem schmalen Pfade, den sie umstanden.

Nach einiger Zeit kam er an eine kleine Lichtung, dke sich sonnig zwischen dunklen Tannen breitete. Dort streckte er sich müde aus und schloß die Augen. ^

Da war es ihm plötzlich, als ob zwei weiche Lippen seine Stirn berührten. Er blickte auf und sah gerade der Sonne ins lachende Angesicht.

Du?" fragte er erstaunt.

Ja, die Sonne hatte ihn wirklich geküßt! Sie liebte die Menschenkinder, und der schöne Jüngling gefiel ihr heute, weil sie am Tage die Glut seiner Seele nicht sehen konnte, denn sein Körper verhüllte sie, so wie blutroter Wein un­sichtbar in goldenem Kelche ruht, bis die Stunde der Ent­hüllung gekommen ist.

Der Jüngling aber wußte sich die Freundlichkeit der Sonne nicht zu deuten.

Kannst du so gütig sein?" fragte er.

Warum bist du denn am Morgen so hart und böse? Warum läßt du mich nicht bei meinem Stern sein, den ich so unaussprechlich liebe?"

Die Sonne lächelte.

Sie war schon über blühende Wiesen gegangen, und der Duft von vielfarbigen Blumen war zu ihr aufgestieges wie Weihrauch, den die Erde ihr darbot. Auf den Feldern stand das Korn hoch und schwer, die Vögel sangen frohe Lieder, und alle Menschen hatten dankerfüllt zu ihr empor­geblickt, weil sie die Ernte reich-gesegnet reifen ließ.

Das alles hatte ihr geschmeichelt, darum blieb sie freund­lich bei des Jünglings Worten und sprach:

Törichter! Warum begehrst du Unerreichbares? Einen Stern vom Himmel kann ich dir nicht vermählen. Und was wolltest du mit einem Stern aus Erden beginnen?

Höre meinen Rat!

Nimm dir einen Stern der Erde, einen den ich dir zeigen will! Der kann immer bei dir sein, er wird dein Erden­leben traulich machen, und dich doch immer an den Him­melsstern gemahnen, dem deiner Seele tiefstes Träumen bleibt!"

Der Jüngling folgte ihrem Wink und sah etwas licht aus dem grünen Boden blinken. Als er näher hinzutrat, er­kannte er eine liebliche kleine Sternenblume, die ihn schüch­tern und zärtlich anlachte.

Die Erinnerung an seinen Stern machte ihn glücklich und rührte an sein Herz. Er beugte sich nieder und küßte die Blume. Da legte sie ihm sanft die zarten Wurzelärmchen um den Hals, die Sonne setzte ihr einen schimmernden Strahlenkranz auf, und der Jüngling fühlte plötzlich, wie alle Trauer und Verlassenheit von ihm wich.

Sinnend betrachtete er die Blume, die unter dem himm- Lschen Strahlenkranz wie in unvergänglicher Schönheit blühte, und der Rat der Sonne dünkte ihm immer besser.

Wenn ich mich mit dem Erdenstern vermähle", so dachte er,dann habe ich Sternenschönheit neben Erdentraulich­keit. Meine Seele braucht nicht mehr den weiten Flug zu den ewigen Gestirnen zu nehmen, und ich werde nicht mehr fremd auf Erden wandeln wie bisher."

Das ganze Leben schien licht und sorgenfrei vor ihm zu liegen.

So verlobte er sich mit der Sternenblume.

In einer jener weißen Nächte, da der Mond geschweift am Himmel steht gleich einer silbernen Wiege, die sehn­suchtsvolle Herzen zur Ruhe wiegt, fand die Vermählung des Jünglings mit der Sternenblume statt. Als sie im Hochzeitskuß sich zusammenfanden, flüsterte die Blume zärtlich:

Nun sollst du durch mich in der Erde wurzeln und ein Mensch werden wie andere Menschen, erdenstark und erden­froh! Und eine Erdenheimat sollst du haben und Erden- frieden! So wird dein Leben glücklich sein!"

Fröhliche Menschen umtanzten singend das Paar, alle Blumen dufteten berauschend, und zu ihren Häupten ließ eine Nachtigall das herrlichste Liebeslied der Erde er­tönen.

Zur selben Zeit aber fiel fern über einer Hütte ein kleiner Stern vom Himmel und sank in ewige Nacht und Schweigen.-

Ach, eine Sternschnuppe", riefen die Menschen, und schnell wünschten sie sich etwas Schönes, denn Sternschnup­pen bringen den Menschen Glück.

Hindenvrrrgs Ferienaufenthalt.

Ein Besuch in Dietramszell Dietramszell, im August. Nichts kennzeichnet vielleicht so sehr den Charakter des Reichspräsidenten von Hinden- burg als die Beständigkeit in der Auswahl seines Erho­lungsaufenthaltes. Während des Weltkrieges wurde dem hochbetagten Eeneralfeldmarschall die Gattin durch den Tod entrissen und nach seiner Rückkehr in die Heimat er­hielt er immer wieder und in ungezählter Menge Einla­dungen nach den landschaftlich hervorragendsten und ge­

sündesten Gegenden unseres Vaterlandes. Auch in Bay­ern setzte mancher wohlhabende Gutsbesitzer seine Ehre darein, dem obersten Heerführer des Weltkrieges sein Gut als Erholungsaufenthalt zur Verfügung zu stellen. Im Jahre 1922 nahm Hindenburg zum erstenmal eine Einla­dung der Familie Schilcher in Dietramszell an, und er ver­brachte damals längere Zeit aus dem Gut der Familie. Maßgebend für den Beschluß, in Oberbayern Aufenthalt zu nehmen, war u. a. der Umstand, daß sich die politischen Verhältnisse in den ersten Jahren nach dem Kriege zuerst in Bayern gefestigt hatten. Von dem Tage an, da Hinden­burg zum erstenmal seinen Fuß über die Schwelle des al­ten Schlosses gesetzt hat, ist er der Familie Schilcher treu geblieben und alljährlich nach Dietramszell für mehrere Wochen zurückgekehrt. Im Spätherbst des Jahres 1923 starb der alte Baron Schilcher, ein auch in Norddeutschland weit bekannter Förderer der Landwirtschaft und der Jagd. Er war Mitglied des alten bayerischen Reichsrats und hatte lange der Tafelrunde des alten Prinzregenten angehört. Auch nach seiner Wahl zum Reichspräsidenten blieb Hin­denburg seinem ihm liebgewordenen Aufenthaltsort treu. Wir erinnern uns, mit welchem Jubel er im vergangenen Jahre in ganz Bayern empfangen wurde, und jedermann empfand dies damals als eine wohltuende Entspannung nach den teilweise recht häßlichen Wochen, die der endgülti­gen Reichspräsidentenwahl vorangingen. In diesem Jahre hat man wohl auf Wunsch Hindenburgs hin von besonde­ren Empfängen und Feierlichkeiten abgesehen.

Was mag es wohl sein, was Hindenburg immer wieder nach diesem Fleckchen Erde zurückzieht? Anderepromi­nente" Persönlichkeiten suchen die riesenhaften Badeorte an der See oder die Palasthotels in den Alpen auf, und nach dem Kriege waren gerade die hervorragendsten Politiker und Parlamentarier der Linken die ersten, die in Luxus­zügen über die sich öffnenden Grenzen an die Riviera und in andere internationale Bäder des Auslandes fuhren. Dietramszell hat nichts, aber auch gar nichts von den Vor­zügen dieser modernen Erholungsstätten der großen Welt aufzuweisen. Zunächst liegt es denkbar abgeschieden von allen durchgehenden Verkehrswegen. Die Eisenbahnlinien sind in weiter Entfernung und als ständiges Verkehrsmit­tel fand man bis vor etwa zwei Monaten nur eine Post­kutsche altbayerischer Art, die wie zu Großvaters Zeiten von Dorf zu Dorf pendelt und heute im Aussterben begrif­fen ist. Hindenburg wird sicher den weiß-blau gekleideten Postillon vermissen, der allmittag vor der Schloßschenke sein Horn ertönen ließ und geradezu kunstvoll mit der Peitsche zu knallen verstand. Denn der Chauffeur, der seit Juni einen riesenhaften Omnibus die rund 40 Kilometer zwischen München und Dietramszell hin- und herbewegt, ist kein auch nur annähernd gleichwertiger Ersatz für den Gevatter Po­stillon, der samt seiner schmucken Uniform von seinem stol­zen Sitz auf dem hohen Kutschbock entthront wurde. In Dietramszell gibt es überhaupt keine Fremden. Nur das etwa 20 Minuten entfernt gelegene eigentliche Dorf Schön­egg weist einige Sommerfrischler auf. Die Ansiedlungen der Gemeinde Dietramszell liegen weit zerstreut im Um­kreis; lediglich die Kirche, sowie das Schloß und die dazu gehörigen Oekonomiegebäude bilden ein kleines für sich abgeschlossenes Zentrum. Hier kreuzen die Straßen Bad Tölz-Holzkirchen und Wolfratshausen-Tegernsee.

Hindenburg lebt also mitten unter der Landbevölke­rung, und wer sich einmal einige Zeit in Dietramszell auf­gehalten hat, findet das von allen Eingeborenen bestätigt. Außerhalb des Dorfes Schönegg, wo die Straße steil nach Dietramszell hinunterführt, liegt z. B. ein einfaches, altes Haus. Durch einen denkbar niedrigen Zaun und einen ziemlich zertrampelten Vorgarten gelangt man in die Stube, wo der Besitzer des Anwesens neben seiner landwirt­schaftlichen Tätigkeit den Burschen des Ortes die acht und 14 Tage alten Bärte herunterrasiert, während auf dem Fuß­boden eine unübersehbare Kinderschar herumrutscht. Dieser Dorffriseur betreut alljährlich, so lange Hindenburg in Die- tamszell weilt, auch den Bart des Reichspräsidenten. Es wirkt direkt rührend, ihm zuzuhören, wie er den Einwoh­nern voll Stolz erklärt, er habe schon seit zwei Wochen ein Messer neu angeschafft, mit dem er nur Hindenburg rasie­ren werde, und welches deshalb einer besonders sorgfältigen Behandlung unterzogen werde. Ferner berichtet dieser kleine, von der Feldarbeit sichtlich zerarbeitete Bartkllnst- ler, daß Hindenburg meistens in Verbindung mit seinen Spaziergängen und Jagdausflügen selbst bei ihm vorbei­komme und sich inmitten der ganzen Kinderschar bedienen lasse, um dem Mann den weiten Weg zum Schloß zu sparen. So kommt es, daß die Bevölkerung hier den bestinformier­ten Menschen über das Leben und Treiben des Reichsprä­sidenten während seines Urlaubs findet. Er allein weiß, ob Hindenburg auf der Jagd Glück hatte oder nicht, was er an den einzelnen Tagen unternimmt und erlebt, und wie es ihm überhaupt geht. Es ist geradezu köstlich zuzuhören, wie die jungen Burschen des Dorfes hier kritisch die Jagd­erlebnisse des Reichspräsidenten durchsprechen und mit ihrer Anerkennung und Begeisterung nicht zurückhalten, sobald ihm einmal ein schöner Erfolg auf der Jagd beschieden war. Hindenburg trägt fast immer einen einfachen grünen Lo­denanzug und einen Jägerhut; so streift er mit einem der­ben Knotenstock in der Hand in den Wäldern umher und spricht mit diesem oder jenem, der ihm gerade begegnet. Nur so erklärt es sich, daß die Bauern von den Jagderleb­nissen in einer Ausführlichkeit berichten, als wenn sie selbst dabei gewesen seien.

Nach dem Tode des alten Barons bewohnt Frau von Schilcher mit ihren beiden Kindern, einem Sohne von 16 Jahren und einer Tochter, allein das Schloß, welches sich

nunmehr in der vierten Generation im Besitze der Familie von Schilcher befindet. Bis zum Jahre 1808 war das Schloß der Sitz einer Augustiner-Abtei, deren Gründung durch den Abt Dietram auf das Jahr 1100 zurllckgeht. Die Chronik des Klosters berichtet, daß der erste Vau auf der Bergeskuppe begonnen wurde, dann aber zusammenstürzte sodaß die Balken den Steilhang hinab bis in die Senkung hinunterfielen. Dieses Ereignis hätten die frommen Augu­stiner als einen Wink des Himmels betrachtet und darauf­hin unten im Tal ihr Kloster aufgerichtet, wo wir es heute noch finden. Vieles, was die eifrigen Mönche in ihrer Chronik berichten, ist natürlich legendenhaft. 1638 haben die Schweden das Kloster vollständig zerstört. Der Neu­bau wurde im Jahre darauf ein Raub der Flammen. In ihrer heutigen Form stammt die Kirche aus dem Jahre 1749. Es ist ein äußerst freundlicher Rokokobau von selte­ner Stilreinheit. Der Erbauer ist wiederum ein Probst Dietram, auf den auch der gewaltige Klosterbau vom Jahre 1738, wie wir ihn heute vor uns sehen, zurückgeht. Der Reichsdeputationshauptschluß machte dieser Abtei ein Ende 1803 wurde die Abtei zum Verkauf ausgeschrieben. Der Urgroßvater des heutigen Besitzers erwarb den rechts von der Kirche gelegenen Teil des Klosters, der heute noch der Familie Schilcher als Stammsitz dient. In die andere Hälfte ist der Orden der Salesianerinnen eingezogen die von hier aus zwei weitere Klöster, Beuerberg und Zang- berg, gründeten. In sämtlichen drei Klöstern befinden sich Institute, in denen die Töchter des bayerischen Adels erzogen werden. Auch die jetzige Königin von Belgien die ehemalige Prinzessin Rupprecht, hat hier ihre Erziehung genossen.

Im vergangenen Jahre ist Hindenburg nicht nur in München, sondern auch in Dietramszell der Gegenstand zahlloser Huldigungen gewesen. Anläßlich der Kirchweih, die am letzten Sonntag im August gehalten wird, war der Zustrom von Vereinen und Verbänden aus der weitesten Umgebung besonders stark. Für alle hatte der Reichsprä­sident ein freundliches Wort, auf der anderen Seite ist es aber begreiflich, daß er seine Tage der Erholung möglichst ungestört und unbemerkt verbringen möchte.. So lehnte der Reichspräsident auch den Vorschlag ab, zu seinem Schutze und zu seiner Ehrung eine Abteilung Reichswehr und ein stärkeres Eendarmeriekommando nach Dietramszell zu le­gen, eben weil er kein Aufhebens von seinem Aufenthalt gemacht haben will. Dietramszell hat den Vorteil, daß die hohen Berge nicht zu nahe sind und erdrückend wirken und doch wiederum leicht erreicht werden können. So ist Hin­denburg im verflossenen Jahr verschiedentlich in der Jache- nau in dem Gebiet zwischen Lenggries und Fall auf der Eemsenjagd gewesen. Auch in diesem Jahre wird dem Schlosse gegenüber eine Posthilfsstelle eingerichtet, die dis Verbindung mit der Reichshauptstadt und der Welt auf­recht erhält. Möge trotzdem dem Reichspräsidenten ein froher Aufenthalt und eine ausgiebige Erholung beschie­den sein! (Merkur.)

Bierkötter, der KanalLerwinger

Wanderlied.

Willst du wandern rechten Sinnes,

Sollst du leicht befrachtet sein.

Eh' der Morgen graut, beginn es,

Und gar köstlich ist's allein.

Sprich zuweilen mit den Bäumen,

Die am Wege träumend steh'n.

. Sprich zuweilen mit den Lerchen,

Die aus Feldern lichtwärts geh'n.

Was kein Menschenmund dir kündet,

Keine Weisheit dir erschließt,

Leise spricht's die gold'ne Blume,

Die in bunten Wiesen sprießt.

Dann und wann ein gutes Sprüchlein,

Da und dort rasch aufgerafft.

Und die gold'ne Himmelssonne f Segne deine Wanderschaft.

Hans Eäfgen.

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