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Schwarzwälder Sonntagsblatt
Nr. 33
Zug in festem Marfchschritt vor das Haus des Obersten der 180er, mächtig ballend tönte der Gesang durch die nächtlichen Straßen: „Es braust ein Ruf . . "
Immer drohender ballten sich die Gewitterwolken zusammen, immer mehr spitzte sich die Lage zu. Am quälendsten waren die Tage, an denen keine neuen Nachrichten kamen.
Mit dem Studieren wars aus; wer hatte noch einen Kopf dazu?! Heute noch tun mir die leid, die in jenen Tagen im Examen sitzen mußten. Die Professoren schlossen meist ihre Vorlesungen rasch ab; mancher hielt noch eine zündende Ansprache, mancher hatte auch Tränen im Auge, wenn er die blühende deutsche Zugend da vor sich sah. Unvergeßlich sind mir wiederum die Worte, mit denen Prof. H. uns entließ: „Ich wünsche mir und Ihnen, daß wir der Stunde, in die wir geführt werden, würdig sind."
Nach einigen Tagen bangen Wartens ging es dann Schlag auf Schlag, die Lawine war ins Rollen gekommen; man wußte nun, es wird kein Zurück mehr geben. Und wir Studenten glühten in heiliger Liebe zu unserem Vaterland. In meinem Tagebuch finde ich aus diesen Tagen die Stelle: „Zuvat vivere! 's ist eine Lust, jetzt zu leben, und jung zu sein, und zu wissen, daß man mit darf, wenn es beginnt." Wie hatte sich alles verändert! Was einen vorher so ganz erfüllte: Studium, Wissenschaft, Examensfragen — wie lag das alles so fern hinter einem; nur vorwärts schaute man: „was die Welt morgen bringt?"
Auf dem Verbindungshaus das letzte vollzählige Beisammensein. Der Senior spricht ernst davon, wie sich nun beweisen müsse, was die Erziehung, was die Zdeale der Verbindung wert seien. Hoch wallt die Begeisterung auf, aber es ist keine leichtfertige Stimmung, noch einmal drückt einer dem andern die Bruderhand — so viele einander zum letzten Mal! Und dann singt man die Soldatenlieder, noch ein Mal: „Heraus, heraus die Klingen" und das schönste von allen „Kein schönrer Tod ist in der Welt ..." — wie anders singt man sie jetzt, wo das alles ganz nahe Wirklichkeit werden will!
Abschied auf dem Bahnhof; die norddeutschen Brüder eilen zuerst fort, um gewiß rechtzeitig ihre Regimenter zu erreichen. Noch einmal erklingt das Neckarlied, Mützen- schwenken: Lebt wohl, ihr lieben Brüder. Und dann gingen auch wir Schwaben auseinander, und das wundervolle Schauspiel der Mobilmachung begann. M. E.
Ei» StildeiitelM
Was hier folgt, ist kein Gedicht, sondern eine sichere Eeschicht und erzählt von P. Abraham a Lancia Clara.
Eine vornehme Fürstin in den Niederlanden hatte ein Hehr köstliches Kleinod verloren, welches auf eine große Summa Geld geschätzt worden, und weil sie — nach allem angewendeten Fleiß — solches nicht mehr konnte erfragen, hat sie bei sich gänzlich (fest) beschlossen, die Zauberer und Schwarzkünstler um Rat zu fragen, zu solchem Ende ein großes Geld öffentlich demjenigen verheißen, der ihr das entfremdete Kleinod wieder zuwegen bringen würde. Nachdem solches ein frischer, junger Mensch erfahren, gedachte er einmal ein Stiickel zu wagen und einen Studentenpossen zu probieren. Er begibt sich daher ganz mutig und unerschrocken zu der Fürstin (sein Name war Monsieur le Ratz, das ist Herr Ratz mit dem Zunamen) und verspricht der Fürstin, ihrem gnädigen Willen nachzukommen und das verlorene Kleinod einzuhändigen, jedoch mit dem Ge- ding, daß sie ihn drei Tag nacheinander in ihrem Palast öffentlich, daß jedermann kann zuschauen, laste traktieren, welches alles die Fürstin erbietig zugesagt und gehalten. Unser Herr Ratz setzt sich zur Tafel, alle fürstlichen Bedienten warten aus, eine große Menge Volks schaut zu, worunter auch einer aus denjenigen, die das Kleinod entfremdet, ungekannt gestanden. Dem Herr Ratzen schmeckt das fürstliche Traktament nicht übel. Nachdem nun der Ratz den Ranzen ziemlich angeschoppt, steht er von der Tafel auf, jßhaut alle Umstehenden ernstlich an und bricht endlich in die Worte aus: „Den ersten Hab ich!" (Er verstund aber den ersten Freßtag.) Einer von den Dieben, so unter dem Volk gegenwärtig, glaubte gänzlich (was das böse Gewisse« nicht tut, er habe ihn durch das Anschauen vermerkt und mit dieser Rede getrosten, eilt demnach in aller Still zu seinen Diebskameraden. „Brüder", sagt er, „der Diebshenker hol mich, der Kerl ist ein Zauberer, er hat mich ergehen." — Des andern Tags wird nochmal eine stattliche Mahlzeit zugericht, wobei Herr Ratz sich sehr wohlbefunden, und war der Zulaus des Volks noch viel größer als des vorigen Tages. Es wollte aber die Fürstin recht erfahren, ob dieser ein solcher Künstler sei, der die verborgenen Sachen wisse. Zu solchem Ende ließ sie zu dem Konfekt (als Nachtisch) eine verdeckte Schüssel auftragen, worunter ein lebendiger Ratz (Ratte) verborgen, welches sonst niemand gewußt als sie und ein Bedienter. Dem Herrn East wird «uferlegt, er solle erraten, was in der verdeckten Schüssel verborgen. Oime! schreit er auf, kratzt hinter den Ohren und sagt: Ratz, Ratz, du bist gefangen! Er vermeinte solches von seiner eigenen Person, weil er diesen Zuname« hatte, daß er dermal sei in seinem Postenhandel ertappt; das Volk aber und die fürstlichen Bedienten glaubten, als man die Schüssel aufgedeckt, er habe solches von diesem gefangenen Ratzen geredet, und folgsam (folglich) ihn für einen Zauberer gehalten, welches dem Herrn Monsieur le Ratz sehr Wohlgefallen, dahero er nach vollbrachter Mahlzeit mehrmalen aufgestanden und noch kecker als zuvor all« Umstehenden angeschaut, endlich aufgeschrien: „Ich habe schon den andern)" (Er verstund den andern Freßtag.) Der andere aus dcn interessierten Dieben war auch dazumalen .-egenwärlig avisiert deswegen in der Still die andern Witdieb, es sei doch wahr, was sein Kamerad gestern gemeldet. der KeÄ sei et« Sauberer, er habe jh« «M
-Me-m Fleiß erschrecklich angeschaut, auch noch darüber ge
wußt, was in der verdeckten Schüssel verborgen gewesen. (Was nicht das böse Gewissen tut!) — Den dritten Tag ließ die Fürstin sehr herrlich auftragen, und war eine überaus große Menge Volk vorhanden, weil allenthalben schon ausgeschrre« worden, der Herr Ratz sei ein Wahrsager. Nachdem sich dieser listige Vogel nach allem Wunsch bei dieser Tafel begrast (gemästet), hat er sich wieder erhoben und alle um und um ganz genau angeschaut, endlich aufgeschrien: „Gut, gut, jetzt Hab ich den dritten!" (Er verstund den dritten Freßtag.) Rach diesem begab er sich aus dem Saal « ein anderes Zimmer und machte sich Mucken, wie er sich möchte manierlich aus dem Staub machen. Ihm aber ist in der Still einer auf dem Fuß nachgefolgt und vor ihm auf die Knie «iedergefallen, bittend: „Herr", sagt er, „ich habe es gestern vorgestern meinen zwei Kameraden nicht recht glauben wollen, aber heute habe ich es leider selbst erfahren, daß Zhr ein Zauberer seid und habt mich gleich erkannt, wie Ihr Euch umgeschaut. Ich bitte demnach um Gottes willen, er verschone unsere Ehr und guten Namen, Wir stellen uns mit hundert Talern ein." — „Za", antwortete der Herr Ratz, „aber wo ist das Kleinod?" — „Da, da", sagt der Dieb und gibt es ihm mit Zittern und Weiten. Wer war damals getröster als unser Herr Ratz, der ein so wunderlicher Ratsherr worden? Er brachte das gestohlene Kleinod mit sondern Freuden zu der Fürstin, bekommt eine sehr stattliche Remuneration und bekennt anbei den ganzen wunderlichen Verlauf, hoch beteuernd, daß « die Zeit seines Lebens nicht um die schwarze Kunst habe gewußt, nur allein haben diese drei Kerl ihr eigenes bäh» Köwi'sen selbst geoffeubaret und an den Tag gegeben.
Die Deutsch-Amerikanerin Gertrud Ederle, die Kanalschwimmerin, hat in Württemberg, in der Heimat ihres Vaters, eine so begeisterte Aufnahme gefunden und hat in allen Kreisen so großes Znteresse erweckt, daß wir sie unseren Lesern heute im Bilde zeigen wollen.
Ei« Berichterstatter des „St. N. Tagblattes" hatte Gelegenheit Gertrud Ederle auf der letzten Strecke ihrer Reife ins Schwa- benlaud, von Mühlacker nach Stuttgart Gesellschaft zu leisten. Er schreibt: Sie ist eine hübsche, für ihr Alter sehr kräftig entwickelte Mondine mit Bubikopf. Sie war nicht nur mm der Durchquerung des Kanals nicht ermüdet. Sie spricht deutsch mit stark amerikanischem Einschlag. Hin und wieder schwäbelt sie auch. Bei der Unterhaltung muh man jedoch ab und zu em englisches Wörtchen einfließen lasten. Der Vater Ederle, der einer einundzwanzigköpfigen Familie entstammt, ist in seine« Aeuheren und in seiner sympathischen Biederkeit ein typischer Schwabe. Fräulein Ederle, deren Mutter aus Königsberg stammt, ist in Röuycrk geboren. Unmittelbar vor Ausbruch des Kriegs war sie sieben Monate bei der Großmutter in Bifstngen. Damals fiel sie mit ihren beiden Schwestern in einen See und wäre beinahe ertrunken. Bei Ausbruch des Krieses wurde sie mit ihren Schwestern schleunigst über Holland nach Amerika befördert. Diese zwei Schwestern begleiten sie nebst zwei amerikanische« Journalisten, Vertreter der „Chicago Tribüne" auf ihrer Eurovareise. Gertrud Ederle schwimmt seit ihrem zehnte» Lebensjahr. Mit zwölf Jahren ist sie Mitglied des Swimming Wome« Association geworden. Sie bediente sich während der gonzen Aeberquerung des Kanals des in Amerika icklgemein ü Lbkiche» Crawl-Systems. Während der ganze« Aeberquerung nahm sie nur zweimal Nahrung zu sich, di« aus Hühnerbrühe, A«a«as, Schokolade und Zucker bestand. Im vorigen Jahr hat Gertrud Ederle bereits den Versuch gemacht, de« Kanal z» durchschwimme«. Ihr damaliger Trainer bat sie aber bewöge«, unterwegs aufzugeben. Damals lernte sie den Kanalschwinun« Burseß in England kennen, unter dessen Leitung sie jetzt sechs Wochen lang in Frankreich bei dem Kap Erisnez täglich ei» bis zwei Stunden geübt bat. Die Höchstdauer der UebunsAvkt au einem Tage war vier Stunden. Eigentlich sollte ein andere» Klnbmitglied dieses Jahr die Aeberquerung vornehme». Dieses Mitglied wollte aber nicht. Da erklärte Gertrud: „Damr mache ich es". Auch diesmal war ungeheurer Wogengang und die Begleitnramsichaft riet ihr wiederholt, aufzu«eb«m. Sie ließ sich aber von der Durchführung ihres Vorhabens nicht abbrrn- se». Gertrud Ederle freut sich sehr, wieder einmal nach Schmähen zu kommen. Sie ist stolz darauf, deutscher Abstammnug »
„Metzger-Auge.
Wie das bekannte Wort entstanden ist, erzählt in lärmiger Weise der Frankfurter Radierer und Zeichner Fr«d Stern in einer kleinen Humoreske, betitelt: „Das Kakbs- gekröse":
„Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts lebte in Frankfurt ein wackerer Seelenhirte. Er war Junggeselle gehoben, doch es ging ihm dabei recht gut — denn er bestch die tüchtigste aller Köchinnen, die auf das leibliche WcM des Herrn Pfarrers unermüdlich bedacht war. Sie hieß Katharine, stammte aus dem „dicken" Vogelsberg und war mit den Jahren Hüterin und Wächterin des Pfarrhauses geworden. Zu selbiger Zeit wohnte hier die Nichte des geistlichen Herrn, deren Mann eine renommierte Metz«- rei betrieb. Die Leute hatten einen kleinen Jungen, der ein wohlerzogener, gescheiter Bub war. Wenn nun Karl- chens Vater ein starkes Kalb geschlachtet hatte, dann pflegte die Mutter jedesmal dem Kleinen aufzutragen: Karlche, geh gleich hie zum Herr Pfarrer und bring em"des Kalbsgekrös, der itzt des doch für sei Lewe so gern". u«d schon machte sich das Bübchen mit der großen, schwergeW- ten Schüssel auf den Weg. Als Karlchen diesen Weg ^ ersten Mal machen durfte, war der Stolz begreiflicherweise groß. Er ging mit seinem Gastgeschenk durch die Straß«, als trüge er die größte Kostbarkeit. Am Pfarrhaus lautste er, Katharine öffnete und Karkchen sagte: „En Gruß von meiner Mutter und hier wär des Kalbsgekchz für de Herr Pfarrer." „So, das is awwer recht", sagte die brave Katharine, „komm emoal gleich mit erei zum Herr Pfarrer."
Der Geistliche faß in feinem Arbeitszimmer, in tiefe Weisheit versunken. Doch schnell kehrte sein dem Irdische« abgewandter Geist zur niederen Erde zurück, ja er war sogar hochbeglückt, als er seine Leibspeise vor sich sah und mit seiner tiefen Stime sagte er: „Das ist aber sehr schön, mein lieber Kleiner, daß deine gute Mutter mir schon wieder mein Leibgericht schickt. Katharine, holen Sie dem Karlchen ein paar schöne, dicke Aepfel."
Es dauerte eine geraume Weile, bis die treffliche KWn zurückkam, aber sie hatte leere Hände und sagte traurig: „Ei, Herr Pfarrer, es sein koa Aeppel mehr dol"
„Siehst du, mein lieber Sohn," sprach der Hsrr Pfarrer, „siehst du, wenn man das Beste will, kann man's doch «W immer ausführen, aber wenn du das nächste Mal kommst, sollst du deine Aepfel haben. Sag' einen schönen Gruß an deine liebe Mutter und ich ließe auch bestens danken."
Karlchen machte sich auf den Heimweg und richtete der Mutter alles getreulich aus. —
Rach einigen Tagen wurde schon rmBier em schönes Kalb geschlachtet und wiederum war Karlchen der üeberbriryer des herrlichen Kalbsgekröses. Katharine empfing ihn wieder an der Haustüre und geleitete ihn freudig zum Herr« Pfarrer. Dieser, als er feine Leibspeise wieder erWckke, sprach mit tiefer Stimme: „Das ist aber sehr schön, «ei« lieber Kleiner, daß mir deine Mutter schon wieder mein Leibgericht schickt. Katharine, holen Sie dem Karlche« «» paar schöne, dicke AepfÄ."
And wieder verschwand die Getreue und kam nach eM» gen Minuten zurück: „Ei, Herr Pfarrer, es fein koa AeMk mehr do!"
„Siehst du, mein lieber Sohn, wenn man das Böste Lcmn man's doch nicht immer ausführen; aber wenn ds da» nächste Mal kommst, sollst du deine Aepfel Habs«; «re« schönen Gruß an deine liebe Mutter, und ich kistzr «H vielmals danken."
Karlchen machte während seiner Schulzeit «och vieK, rSB „Metzger-Gänge" m« dem Kalbsgekröfe, aber es war i«» mer die gleiche Geschichte mit den Aepfel«. Nachdem d« Junge bei dem opfervollen Seelsorger konfirmiert wa>tz schickte ihn seine Mutter zum letzten Wtfl MÄ PMeal Kalbsgekröfe ii^ Pfarrhaus.
Der Knabe Karl setzte die Klingel in Bewegung. Katha- rsine öffnete, führte ihn zum Herrn Pfarrer und dieser begann mit tiefer Stimme: „Das ist aber sehr schön, mein lieber Kleiner, daß mir deine Mntter schon wieder mein Leibgericht schickt. Katharine, hole« Sie dem Karlchen e» paar schöne, dicke Aepfel."
Doch aus dem Schulbuben, der vor allen Erziehern Respekt gehabt, war über Nacht ein Metzgerlehrling geworden. Und der wollte heute seinen Groll, den er Jahre hm» durch hatte aushsben mästen, mit einem Male los werde«. N-nd mit mannhafter Gebärde, vergessend, daß er im Pfarrhaus vor dem geistlichen Herrn stand, griff Karl in feine Taschen, holte zwei dicke, rotbackige Aepfel hervor, hreS sie dem verdutzten Seelsorger hin und rief ihm zu: „Heerde «ff! Herr Pfarrer! An den Schwindel mit Ihre Aeppel tzlaab ich net mehr, drum haaw ich mer heut felwer M>oa imitgobrocht; wolle Se sie hawwa?"
Aphorismen
Von Freifrau v. Eültlingen-Schlepegrell.
Viele Dinge, die wir schön finden, sind es eigentlich nicht, aber sie wurden es für uns durch die Erinnerungen, die sich daran knüpfen.
Menschen, die ein weites Gewissen haben, benutzen es, um weit zu gelangen.
Am Kleinen sich freuen und Großes vergeben, können
nur Menschen, denen ein großes Herz gegeben.
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Von den Menschen, die tun und lassen können, was sie wollen, wird die Mehrzahl weniger tun, als la ssen.