Sonntagsausgabe der Schwarzwälder Tageszeitung «Aus den Tannen"

Nr. 24

Anzeigenpreis: Die einspaltige Zeile

20 Pfg., die Reklamezeile SO Pfg.

Altenstrig, Sonntag Le« 13. Juni

Bezugspreis im Monat SO Pfennig Die Einzelnummer . . IS Pfennig

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Sonntagsgedanken.

Entschiedenheit

Zn dem abgegriffenen und oft zu Unrecht angerufenen Satzjedes Ding hat zwei Seiten" steckt doch mehr als eine flache Selbstverständlichkeit oder bequeme Ausrede. Es liegt darin etwas vom bitteren Ernst eines Lebens, das zur Wahcheit und Rechtschaffenheit durchdringen will. Nur zu oft stoßen für einen solchen Menschen zweiWahrheiten" zusammen welches ist die echte? und zwei rechtschaffene Forderungen welches ist die höhere? Man denke nur etwa an die Stellung zum Eigentum. Was du ererbt oder erworben hast, ist dein, und du sollst es erhalten und meh­ren. Es ist aber doch auch wieder nicht dein, sondern an­vertrautes Gut, das nicht bloß dem Eigentümer nützen soll. LÄer die Christenpflicht, Liebe zu üben. Gibt es nicht auch eine Pflicht der Selbstbehauptung und der durchgreifenden Tatkraft? Und läßt sich diese immer jener andern einord- nen? Es ist wirklich so: man mutz, um leben und handeln zu können, manchmal vergessen, daßjedes Ding zwei Seiten hat". Oder vielmehr: eine alte wunderbare Verheißung stellt dem ernsten Menschen ein solches Vergessenkönnen und -dürfen in Aussicht:Ach will dich unterweisen und mir den Weg zeigen, den du wandeln sollst. Ich will dich mit meinen Augen leiten" (Psalm 32).. Das gibt die Entschiedenheit, die nach gewissenhafter Erwägung getrost zugreift und nach getroffener Entscheidung nicht mehr zurücksieht, selbst dann nicht, wenn diese nachträglich falsch erscheint. Gott führt nicht selten durch ,Zehler" zur Wahrheit. P. St.

Meermrmder.

Pan Hermann Dretzler.

(Nachdruck verboten.)

Das war nun schon der vierte Tag, seit die wilden Wogen da- sonderbare Menschenkind an den Strand der meerum- brausten Felseninsel getragen hatten. Getragen! Nicht ge­schleudert! Sven hatte es ganz deutlich gesehen, wie die Wasserberge sich fast liebkosend bemüht hatten, die fremde Jungfrau sanft auf den harten Felsenstrand am Fuße deS Seuchtturms niederzulegen.

Dann hatte er sie aus seine starken Arme genommen und, in sein Zimmer getragen, das im zweiten Stockwerke des Leuchtturmes lag. Schweigend, wie es die schlichte Art des Nordländers ist, hatte er sie auf sein Bett niedergelegt und ihr süne Sonntagskleider angeboten, damit sie sich einhüllcn ksnne, während ihr triefendes Gewand am Herdfeuer trock­nete, dann hatte er sich zurückgezogen.

Nun lebten zwei Menschen auf diesem kleinen Eiland: er und sie!

Sven hatte sich schnell an die fremde Jungfrau gewöhnt. Ihre Schönheit und Anmut hatten schon am ersten Tage star« «n Eindruck aus sein junges Herz gemacht. Jetzt zehrte eine stille Sehnsucht nach jenem lieblichen Geschöpf in ihm, und wenn er mit der Fremden zusammen im Zimmer weilte, so hingen seine Augen an jeder ihrer Bewegungen und Gesten. Vr verstand ihre Sprache nicht, und sie nicht die seine.

Woher kam sie?

, Er wußte es nicht! Ein Schiff war untergegangen in A" Mimischen Nacht, da sie vielleicht als einzige über« twende an das Land gespült worden war. Aber er wußte mcht den Namen, kannte nicht die Nationalität des fremden Dampfers, den das schweigsame Meer auf seinen Grund ge­bettet hatte.

Wer war sie?

Das fremde Mädchen hatte große Tränen in den stu..u »lauen Augen gehabt und ihm öfters seinen Namen genannt und nach dem Festlande gedeutet, das morgens wie eine ferne Verheißung über das Meer her grüßte.

,Fsäa," so hatte sie gesagt, das mußte ihr Name sein, und es war das einzige Wort, das er tagsüber zu ihr sprach und Gebet" ^ ^ wiederholt«, leise, inbrünstig wie ein

Ihre stillen Augen bezauberten ihn, so oft er hineinsah. .Wie das Meer, tief und rätselhaft!- dachte er bei sich.

Er hatte ihr Lurch Gesten klarzumachen versucht, daß das ""tschiff sieben Tage lande und sie noch lange war- n müsse. Sie schien das verstanden zu haben und von diesem Tagebau fröhlicher ru kein.

«Die nahm sich allerhand häusliche Arbeiten vor, bereitete ihm die Mahlzeiten und atz mit ihm gemeinsam. Und wenn die Dämmerung herabsank, saßen sie zusammen am Ausguck. Sie sah nach der Sonne, die als feuriger Riesenball in den Fluten des ewigen Ozeans versank, oder träumte den Abend­wollen nach, die am Himmel segelten, und er saß zurückge- lehnt ihr gegenüber und küßte im Geiste ihr langes, blondes Haar, das im Abendschein goldigrot gleißte.

Sie hatte auch seinen Namen sprechen gelernt:Sven!"

Er wartete aus Len Ruf, verzögerte mit Absicht seine Han­tierungen, um ihn zu hören.

Sven!" so himmlisch hatte daS Wort nicht geklungen, wenn ihn seine Mutter vom Strande heimrief oder seine Schwester, die schlanke Helma.

Ob sie ihn lieb hatte?!

Sie saßen heute schon lange einander gegenüber, und es drängte ihn in allen Pulsen, ihr etwas zu sagen, wenn sie eS »uch nicht verstand. Er mußte reden, laut und heiß, um sein stopfendes Herz zu beruhigen.

Fiel ihm nichts ein!? Er hatte ja in seiner Einsamkeit jo manches alte Buch gelesen» das von seinem Vorgänger her «« im alten Spind lehnte. Von Seemären und Meernixen var La erzählt, goldhaarig, blauäugig und schlank, die von den Vogen über düs Meer an einsame Gestade getragen würden.

ES kamen plötzlich alte Geschlossen Über ihn, er wußte llcht wie.

- ^Jsäa!'

jL. Sie wandte M ,M -W

»Wir Schiffer sind ein einsame- Geschlecht, wissen nicht! von der großen Welt und ihren Wundern. Aber daS Meei versteht unsere Sehnsucht, und Wir können in seinen Strudel« unser Schicksal lesen."

Das schöne Mädchen hörte auf die fremden Laute, als ob eS verstünde.

Sven war über sich selbst verwundert. So viel hatte er seit Fahren nicht gesprochen.

Als er dem Mädchen jetzt in die Augen schaut«, die freund­lich und klar ihm ins Herz strahlten, war es ihm, als sei all seine Sehnsucht entfesselt, und mit leiser, inniger Stimme snhr er sort:

»Es geht unter den Bewohnern meiner Heimat eine Sage, daß Las Meer dem Einsamen oft lockende Bilder vorzaubere, Bilder, die es ihm wieder entreiße, sobald er verlangend seine Hand danach ausstreckt. Ich bin ein Einsamer, und das Meer hat dich mir geschenkt. Soll es dich wieder entreißen? Willst du wieder von mir gehen, oder willst du bei mir bleiben, mein eigen, ganz mein eigen, Jsäa?"

ySven!"

Sie sagte eS Wohl nur, weil sie an seiner Stimme gehört hatte, daß er eine Frage cm sie gerichtet, und sie ihm gern eine Antwort darauf geben wollte.

Sven!" sagte sie noch einmal, als er sie mit heißen Augen ansah.

Da beugte er sich auf sie herab, küßte ihr die zarten Hände und hielt ihre blonden Flechten in seiner Hand.

Du willst! Du willst! Die alten Märchen haben unrecht!" rief er jubelnd aus, ganz vergessend, daß das fremde Mädchen seine Sprache gar nicht verstand.

Sie fühlte, datz er ein Zeichen ihrer Zuneigung haben wollte, und strich ihm das Haar aus der Stirn zurück, indem sie zugleich erschrocken vom Fenster zurücktrat.

Eine schwarze Wolke hatte sich vor die goldene Abendsonne geschoben, häßlich und schwer wie ein giftiger Drache, der einen glühenden Rubin verschlingt, wie eine tückische Macht, die ein großes Glück zerstört.

Gleichzeitig fuhr ein heftiger Windstoß durch das offene Fenster und schleuderte einen seinen Sprühregen salzigen WafserS über ihn und Jsäa.

Er schloß das Fenster.

Es war fast augenblicklich finster geworden. Das Meer, das noch eben wie eine gefüllte Silberschale geglüht hatte, rauschte dumpf und murrend gegen die Grundmauern des Turmes und scheuchte die kreischenden Möven auS den Felsen­riffen. Jsäa hatte sich erschauernd in die Tiefe' des Ge­maches zurückgezogen und entzündete mit einem glimmenden Herdspan die Lampe.

Sven stand einige Augenblicke bleich und entgeistert. Dann zog er schweigend die Oljacke an und stieg in die Leuchtkammer hinauf.

Bald darauf blitzte der Lichtkegel aus und glühte, durch das Uhrwerk im Kreise gedreht, rings gegen die Finsternis an. Als Sven mit dem Fernrohr auf die freie Zinne hinaustrat, fuhr ihm ein naßkalter Windstoß über das glühende Antlitz. In wenigen Augenblicken war der ganze Himmel schwarz und LaS-Weer.brandete aesen das Eiland, als wollte es das kleine

Menschenwerk mit seinen zwei Insassen verschlingen. Wütend peitschte der Orkan mit seinen Geißeln die Wasferberge heran, daß sie mit langen, weitzbekrallten Fingern an den festen Mau­ern emporklommen, aber, ohne an Len glatten Quadern Halt zu finden, wieder zurücktaumelten. Augenblicke lang versank der Turm bis zur Zinne in die donnernden Wogen. Alle- schien Bewegung, Kamps, Tücke, nur der Lichtkegel kreiste ruhig seine Bahn und Sven, der ihn entflammt, machte ebenso ruhig seine Runde mit dem Fernrohr, obgleich ihn die Sturz­seen längst bis auf die Haut durchnäßt hatten.

Plötzlich umklammerte seine Hand fester das Fernrohr. Der Sturm trug ihm aus der Ferne her den Notschrei einer Dampfsirene an das Ohr. Jetzt sah er auch im vorüber- hirschenden Blitze des Leuchtfeuers eine längliche, graue Masse aus den Wogen ragen. Ein Schiff in Gefahr!

Mit wenigen Sätzen war er unten.

Jsäa saß bleich und verstört am Herde. Sie erschrak, als er so plötzlich hereinstürmte. Hatte sie an ihn gedacht?! Er zog die Wasserstiefel an, stülpte den Südwester aus und ergriff die Patrone zur Seilharpune.

Jsäa war aufgestanden >md sah ihm ängstlich fragend in- Gesicht.

Ein Schiff da draußen in Seenot!" schrie er ihr durch das Getöse, das rings um die Mauern brandete, zu. Bleib ruhig, Jsäa!" fügte er etwas sanfter hinzu, als er ihre bleichen Züge sah,ich bin bald wieder da!"

Damit eilte er hinaus und schlug die schwere Tür zu.

Sven! Sven!" klang es ihm nach wie ein Angstschrei.

Oder war es Täuschung?! Hatten die klatschenden Wogen ihn geneckt?

Schon war er unten am Strande, sich an das eiserne Ge­länder klammern-, das die Seilkanone umzäunte, und richtete das Geschütz, um in einem ruhigen Augenblick den Zünd­hebel zurückzureißen.

Jetzt krachte der Schuß.

Im selben Augenblick fühlte er eine weiche Hand aus der seinen, die ihn aus den anspringenden Wogen zurückzuziehsn versuchte.

Eine hochbänmende Woge wälzte sich brüllend heran und überflutete alles mit ihrem Gischt.

Jsäa!" schrie Sven, denn er fühlte ihre Hand nicht mehr.

<Äien! Sven!" klang es, aber nicht neben ihm, fern drau­ßen! Er stand starr wie eine Säule. Eisige Schauer krochen ihm über den Leib.

Es ist nicht wahr! Sie war es nicht!" brüllte er dann in die See hinaus und rannte wte wahnsinnig den Wendel- gang empor in sein Zimmer.

Das Gemach war leer. Nur die Herdflammen knisterten ein monotones Lied, als wollten sie den starken Mann, der weinend am Boden lag, in den Schlummer singen.-

Am andern Morgen lag das Meer wieder in goldener Pracht. In leichter Dünung sank und stieg die Flut am Fel­sengrunde, und dem Einsamen war es, als ob die Wellen in leisen, zärtlichen Tönen seinen Namen flüsterten:Sven! Sven!"

Das Kompagnie-Schwein.

Wir lagen in den Argonnen in einem Waldlager, Herbst 1916. Da wird eines Tages von der preußischen Feldin­tendantur, die für unser leibliches Wohl zu sorgen hatte, angeläutet:Die 1. M.E.K. hat sofort da und da ein Schwein abholen zu lassen".Sofort" wie üblich. An­fänglich hatte ich mich über dies Wort oft geärgert, aber allmählich war man hartschlägig geworden- man sagte eben Jawohl" und tat dann, wie man es glaubte, verant­worten zu können. Ja, es zirkulierte unter uns das bos­hafte Sprichwort: Es ist nichts so dringend, das sich nicht durch Liegenlassen von selbst erledigte.

Also ich sagte auch hier:Jawohl, wir werden das Schwein abholen". Obsofort" das wird sich ja finden. Zunächst hatten wir ja noch gar keinen Stall oder Verschlag für das Tier. Nun machte ich mit meinem Feldwebel einen Gang durch das Kompagnie-Revier, der beste Platz dünkte uns schließlich im Pferdestall; da war noch Raum, warm war es da auch, und was im Feld sehr wesentlich war: das Schwein war dort unter steter Bewachung und konnte nicht so leicht gestohlen werden. Ich rief den Futter­meister und zwei Fahrer her:Wir bekommen heute noch ein Schwein in Pflege, hier muß gleich ein Verschlag ge-

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