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Nr. 117

Tagung des Redaktionskomitees der Abrüstungskonferenz Genf, 21. Mai. Freitag vormittag tagte nur das Redak­tionskomitee der vorbereitenden Abrüstungskonferenz. Es kamen ausschließlich Fragen der Prozedur zur Aussprache, zu der einige Vorschläge vovliegen, Wie die sieben Fragen des offiziellen Programms umgruppiert werden könnten, um sie möglichst praktisch unter das militärische und wirt­schaftliche Ilnterkomitee aufzuteilen. Die Entscheidung wird der Vollversammlung der Abrüstungskonferenz zufallen, die nicht vor Mitte nächster Woche stattfinden wird.

Briand gegen vorzeitige Einberufung des Parlaments Paris, 21. Mai. Eine Abordnung der Radikalen Partei hat gestern nachmittag dem Ministerpräsidenten Briand von dem vorgestrigen Beschluß der Radikalen, anzuregen, daß das Parlament früher als beabsichtigt einberufen werde, Kenntnis gegeben. Ministerpräsident Briand lehnte jedoch ab. Eine frühere Einberufung würde somit nur eine un­nötige Beunruhigung Hervorrufen.

Pilsudskis Sieg

Paris, 21. Mai. Aus Warschau wird gemeldet, daß Ge­neral Haller, der Führer der Gegenbewegung gegen Mar­schall Pilsudski, verhaftet wurde. Der Vertreter desEcho de Paris" in Warschau hatte eine Unterredung mit dem Ee- neralstabschef Pilsudski, der erklärte, daß Pilsudski ur­sprünglich keine militärische Bewegung gewollt habe. Er wollte nur eine Kundgebung gegen die Regierung Witos veranstalten, wurde aber durch die ihm ergebenen Truppen weiter gedrängt. Auf die Frage, warum Pilsudski sich nicht zum Diktator erklären lasse, wußte der Eeneralstabschef keine Antwort, sondern erklärte nur, daß er dies selber nicht boareife. Pilsudski werde vielleicht das Parlament aurlösen.

Bon den Marokkokiimpfe«

Paris, 21. Mai. Nach einer Havasmeldung soll die Ver­einigung der spanischen Truppen des Frontabschnittes von Ajdir mit den am Nekor vorrückenden Truppen gestern vor­mittag vollzogen worden sein. Abd el Krim soll von den Bent-Uriaghel verlassen worden und mit seiner Familie geflüchtet sein.

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die französisch-spanische Offensive zur Herbeiführung der Bereinigung

Lies Rainer.

Geschichte einer Ehe von Leonttne v. Winterseid.

Copyright by Greinec L ir.o., Berlin W. 30. Nachdruck und UebersetzungSrechi in fremde Sprachen Vorbehalten.

45. Fortsetzung.

Lies, wenn du mir gratulieren kommst, tu's nicht, bitte, tu's nicht."

Sie fetzte sich auf die kleine Bank zu Häupten des Grabes und starrte aufs Meer, auf das weite, un­endliche, wogende.

Ihre Lippen zitterten:

,Ich könnte es heute nicht ertragen, Lies."

Still setzte sich Lies neben sie, die Hände schwer im Schoß gefaltet. Sie konnte nichts sagen. Aber plötzlich keimte etwas auf in ihr, heiß, brennend.

Brennendes Mitleid mit der armen kleinen Schwester. Sie beugte sich herab zu Ellen. Und der, der sie 'gestern noch hätte ins Gesicht schlagen können vor Zorn, streichelte sie jetzt weich und leise die eiskalten Hände, immer wieder, immer wieder.

Ta glitt Ellen in die Knie und umklammerte die andere und preßte ihr Gesicht in den Schoß der Schwester. Und weinte, weinte, zum Herzzerbrechen.

Immer noch streichelte Lies die andere, zitternd, fast mechanisch.

Ein paarmal öffneten sich ihre Lippen, wie um etwas Hu sagen.

Tonlos, gequält, stieß sie endlich hervor:

.Ach Ellen, weine nur nicht so furchtbar. Ich kann jfa alles verstehen jetzt, alles."

Ellen hob den Kopf, ch ---Hat Knut es dir gesagt?"

' Lies zuckte zusammen.

'Nein, aber ich weiß doch alles jetzt. Es mußte jvohl so kommen, Ellen."

Ellen nickte, ihr tränenüberströmtes Gesicht dem Grabe zugewandt.

Württembergischer Landtag.

Stuttgart, 21. Mai. Der Landtag setzte am Freitag die Etats­beratung beim Etat des Arbeits -und Ernährungsministeriums fort. Abg. Eengler (Ztr.) behandelte die Wirtschaftsnot und setzte sich für eine reichsgesetzliche Regelung der Arbeitslosenver­sicherung und für Erhaltung der Sozialpolitik ein. Während seiner Rede waren folgende Anträge eingegangen: Ein Antrag der Sozialdemokraten und des Zentrums gegen den in Aussicht genommenen weiteren Abbau bei der Vetriebswerkstätte in Rottweil, ein Antrag Baumgärtner (BB.) betr. alsbal­dige Aufhebung der Landespreisstelle in Württemberg, ein An­trag Eautz (Ztr.) auf Herabsetzung der Tarife für Wein- und Weinflaschen auf die Höhe der Vorkriegszeit und ein Antrag Hartmann (D. Vv.) auf eine wesentliche Herabsetzung der Fernsvrechgbiihren. Der Abg. Dr. Schumacher (Soz.) wandte sich gegen die Herabdriickung der Löhne, die die liederlichste Art sei, um die Wirtschaft zu sanieren, ferner gegen Kartelle und Trusts und gegen die Beschäftigung polnischer Arbeiter trotz der Arbeitslosigkeit. Der Abg. Dr. Schermann (Ztr.) setzte sich für die Nebenbahnen und für die Erhaltung der Selbstän­digkeit der Reichsbabndirektion Stuttgart ein. Abg. Ernst Schumacher (Komm.) sprach über die Wirtschaftsversklavung durch das Weltkavital. Auch der Abg. Theodor Fischer (BP.) befaßte sich mit der Frage der Nebenbahnen und betonte, dah der Ausbau der Nord-Süd-Linie von Osterburken nach Immen­dingen als vollwertige Schnellzugslinie wichtiger sei als der Vau des Neckarkanals. Abg. Dr. Sieger (völk.) behandelte Angelegenheiten der sozialen Fürsorge sowie Eisenbahnfragen. Die voreilige Zentralisation von 1919 habe sich bitter gerächt. Der Redner wünscht die Einführung der allgemeinen Arbeits­dienstpflicht wie in Bulgarien. Hierauf wurde die Weiterbera- lung auf Donnerstag, den 27. Mai nachmittags vertagt.

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Finanzausschuß des württ. Landtags Stuttgart. 20. Mai. Der Finanzausschuß des Landtags nahm »ur Frage der Errichtung eines Geschäftshauses an Stelle der Gebäude Eymnasiumstraße 2 Stellung. Staatspräsident Bazille sab einleitend die Erklärung ab, daß die Entscheidung darüber, ob jetzt oder später gebaut werden soll, dem Landtag Vorbehalten bleibe. Nach zweistündiger Aussprache wurde folgender Antrag sämtlicher Parteien angenommen: Der Landtag wolle beschlie­ßen, das Staatsministerium zu ersuchen, den anstelle des alten Staatsministerialgebäudes auszuführenden Neubau spätestens rm Herbst dieses Jahres in Angriff zu nehmen. Staatspräsident Bazille erklärte die Bereitwilligkeit der Regierung hiezu.

Aus Stadl und Land.

Altensteig, den 22. Mai 1926.

Des Pfingstfestes wegen erscheint die nächste Nummer unseres Blattes am Dienstag.

Amtliches. Bei der kürzlich vorgenommenen ersten höh­eren Iustizdienstprüfung ist u. a. für befähigt erkannt wor­den: Erötzinger, Georg, von Enztal, OA. Nagold.

Pfingstverkehr der Linie NagoldAltensteig. Am

Pfingstm ontag verkehrt abends in der Richtung Nagold ein Vorzug vor Zug 14 Altensteig ab 6.40 Uhr, Nagold an 7.31, außerdem ebenfalls abends ein Sonderzug in der Richtung Altensteig ab 8.35 Uhr, Altensteig an 9.33 Uhr.

Ferner verkehrt am Pfingstsonntag, 23. Mai, ein Sonderzug mit 2., 3. und 4. Klasse von Pforzheim nach Freuden st ad t. Calw ab 6.24, Teinach 6.31, Na­gold ab 7.05 vormittags, Freudenstadt an 8.36 vormit­tags. Am Pfingstmontag, 24. Mai, verkehrt ein Sonderzug von Hochdorf nach Pforzheim, der in Hochdorf Anschluß erhält von Freudenstadt (ab 6.27 abends). Hoch­dorf ab 7.06, Nagold 7.24 nachmittags, Teinach 7.50, Calw 7.59, Pforzheim an 8.53, ebenfalls 2., 3. und 4. Kl.

Versicherung von Reisegepäck. Vom 15. Mai dieses k Jahres ab wurde für die Versicherung von Reisegepäck inner- s halb Deutschlands eine neue Police der Europäischen Eüter- : und Reisegepäck-Versicherungs-Aktiengesellschaft mit einer i Geltungsdauer von 30 Tagen eingeführt. Die Versicherunas- ! gebühr beträgt 6 RM. für je 1000 RM. Versicherungssumme : Eisenbahnfrachtbriefe. Nach einer im Reichsministerial­

blatt erlassenen Verordnung des Reichsverkehrsministers ist j mit Wirkung vom 1. Oktober 1926 zum Druck von Fracht- s briefen nur noch weißes Normalpapier 4a mit Vorschrift^ ! mäßigem Wasserzeichen zu verwenden. Für Frachtbrief- j duplikate wird die Beschaffenheit des zu verwendenden i Schreibpapiers freigegeben, sofern sie durch den Aufdruck :Frachtbriefduplikat" zu Originalfrachtbriefen unbenutzbar s gemacht sind. Den Verkehrstreibenden wird nach wie vor : empfohlen, auch bei Bestellung von Frachtbriefen aus Nor- § malpapier 4a den Bedarf immer nur auf einige Monate zu j decken, da es bei einer unter Umständen eintretenden Aen- i Lerung des Frachtbriefaufdrucks unmöglich sein wird, eine

- lange Aufbrauchsfrist für die veralteten Vordrucke zu ge- -währen.

j Der Volksentscheid über die Enteignung der Fiirften- s vermögen. Die Abstimmung zum Volksentscheid über Ent- » eignung der Fürstenvermögen ist von der Reichsregierung f auf 20. Juni festgesetzt worden. Das Ministerium des Jn-

- nern erläßt nunmehr imStaatsanzeiger" die erforder- z lichen Vorschriften. Danach ist Württemberg mit dem Re- z gierungsbezirk Sigmaringen der 31. Stimmkreis. Abstim- z mungsleiter ist Ministerialrat Dr. Kiefer. Stimmberechtigt z ist, wer das Wahlrecht zum Reichstag hat. Die Stimmlisten l und Stimmkarteien müssen bis spätestens 5. Juni aufgestellt : werden. Stimmlisten und Stimmkarteien sind in der Zeit

: vom 6 . bis 13. Juni zu jedermanns Einsicht ausgelegt. Bei : der Volksabstimmung werden in Stuttgart die weißen, im : übrigen Land die dunkelblauen Wahlumschläge mit dem ; AufdruckReichstag" verwendet, z Goldregen ist giftig! Zurzeit blüht der bei den Aus- s flüglern und Spaziergängern so beliebte Goldregen. Es sei ! daran erinnert, daß die Blüten des Goldregens sehr giftig : sind und keinesfalls in den Mund genommen, auch nicht mit s Händen angefaßt werden dürfen, an denen sich eine Wunde l befindet.

! Nagold, 21. Mai. (Vom Eewerbeverein.) Der Eewerbe- ! Verein Nagold veranstaltet am Sonntag, dem 30. Mai,

? einen Ausflug mittelst Kraftwagen über Besenfeld,

: Schönegründ, Raumünzach, Herrenwies, Sand, Eerolsau i nach Baden-Baden und zurück über Gernsbach, Forbach, s Freudenstadt. Besichtigung des Schwarzenbach-Stauwerks ^ und sonstiger Sehenswürdigkeiten.

^ - Calw, 21 . Mai. An den höheren Schulen sind im

s Verhältnis zur Schülerzahl sehr viele Oiesuche um Freistel- ; len eingelaufen. Von dem Schulgeld sind 20 Prozent für Freistellen und für die Schülerwohlfahrtspflege zu ver- ' wenden. Maßgebend für eine Freistelle sind Würdigkeit ' und Bedürftigkeit der Schüler. Der Lehrerkonvent hat ! nun an den Eemeinderat das Ersuchen gerichtet, er möchte ! bei der Bewilligung für eine Freistelle eine unterste ^ Grenze der Leistungen im Zeugnis einhalten. Als Min- : destzeugnis wird die Nummer 4,5 im Durchschnitt vorge- ! schlagen, in diesem Jahr soll als Uebergang 4,3 gefordert i werden. Der Eemeinderat ist damit einverstanden und j ebenso mit einer straffen Behandlung der Gesuche über- ! Haupt. Der Turnverein hat im Tale an der Straße : nach Hirsau einen 64 Ar großen Wiesenplatz zur Anlegung

- eines Spielplatzes um den Preis von 6000 Mark erworben.

! Da der Platz an der Nagold liegt, kann auch ein Badeplatz ° mit Schwimmgelegenheit eingerichtet werden. Bei den

Es mußte so kommen. Lies. Lies. Kismet Fatum."-

Und plötzlich konnte sie es nicht mehr aushalten. Sie mußte es Lies erzählen, alles, alles, von jener letzten, heiligen Stunde am Lager des Sterbenden.

Ihre ganze Seele verlangte danach, sich der Schwester auszuschütten, endlich, endlich, nachdem sie es so lange im tiefsten Innern verschlossen. Sie stand langsam auf, wischte sich me Tränen vom Gesicht und setzte sich neben Lies aus die Bank. Tie Hände legte sie ineinander und sah geradeaus aufs Meer. In ihren weichen, blonden Haaren spielte der Morgenwind, ihr Mund war schon halb geöffnet zum Sprechen .Ta sahen sie den Weg ent­lang Gisela kommen. Gisela, die sonst nie zu Groß- mutters Grab ging.

Ta stand Ellen auf, schwer, müde.

Ein andermal, Lies, es hat nicht sollen sein jetzt. Später, wenn wir allein sind."

Damit ding sie rasch dem Hause zu.

Lies Rainer aber stand an ihres Lebens Wende.

Das sollte Geburtstag sein? Geburtstag in Nilmer? Gleich nach Tisch war Lies in den Wald gegangen, allein, denn sie hätte Kopfweh, sagte sie.

Wie der Buchenwald rauschte zu ihren Häupten. Wie die Gedanken kamen und gingen, kamen und gingen.

Tie Gedanken, die so viel Gram und Mitleid um die kleine Schwester gingen unaufhörlich, unermüdlich.

Arme Ellen! Arme, arme, Keine Ellen! So unglück­lich war sie? So leidzerrissen? Weil sie nicht hinkonnte zu dem Mann, den sie liebte, denn sie, Lies Rainer stand ihr ja im Wege. Mitten im Weg zu ihrem Glück.

In die Knie sank Lies und stöhnte und legte den heißen Kopf auf den kühlen Waldboden.

Und Knut? Knut?

Knut Ellen, Knut Ellen, nichts anderes konnte sie denken mehr, nichts anderes mehr grübeln. Knut Ellen, Knut Ellen.

Großmutter!" stöhnte sie,Großmutter!"

Wie süß war ihre Ehe gewesen, wie sonnensüß und sonnenlicht! Und das sollte alles Irrtum fein? Ihre ganze Ehe ein Irrtum gewesen?

Sie schlug die Hände vor das Gesicht und dachte an Knut. Und sah ihn vor sich. Ihn, an dem ihr Hertz hing, ihre Seele, ihr Sein.

Lies Rainer zürnte ihm nicht, auch in diesem Augenblick nicht.

Sie wußte es von selber: gegen sein eigen Hertz kann kein Mensch, keine Macht der Erde.

Tenn Liebe ist stark wie der Tod.

Es war Abend, als Lies aufstand.

Nicht mehr so müde ging sie wie zuerst, nicht mehr so schleppend.

Tenn sie war ja reich, reicher als alle. Sie hatte ein Glück zu vergeben, sein Glück, Ellens Glück. In ihre Hand war das gelegt.

Ein Opfer hatte sie zu bringen, denn eine Priesterin der Liebe hatte Knut sie einst genannt, müssen Prie- sterinnen nicht immer Opfer bringen?

Aber sie durften's nicht merken, sie dursten's nicht merken. Nicht Knut und nicht Ellen. Tenn dann war ihr Opfer verfehlt, vergebens. Dann wäre es ja um­sonst gewesen. Tann hätte ihr Opfer, ihr heiligstes Liebes- opfer, ja wie Schatten gestanden zwischen dem Glück der beiden.

Im Park kam ihr Ernst entgegen.

Wo bist du nur, Lies? Wir haben dich alle so gesucht."

Sie sah ihn an aus großen irren Augen.

Tann sagte sie leise, so, als wüßte sie, daß sie sich zusammen nehmen müsse:

Ich habe nur Kopfweh, Ernst, und geh' ein bißchen auf mein Zimmer, aber dann komme ich auch noch mal herunter, ja."

Sie ging an ihm vorbei, nach oben.

Ter Doktor schüttelte den Kopf, besorgt, ^ erstaunt.

Nach oben geht Lies Rainer, still, still, daß sie niemand stört. In ihr altes Mädchenstübchen mit den rosa Mullgardinen tritt sie leise über die Schwelle.

An der Wiege ihres Kindes kniet sie nieder. Noch einmal küßt sie feine Stirn, zum letztenmal.

(Fortsetzung folgt.) >