— Weilderftadt, 22. Dez. Als Vertreter Weilderstadts wurden in den Bezirksrat Stadtschultheiß Beherle und Ge- meinderat Stephan Gall gewählt. — Der Gemeinderat beschloß, in der Pumpstation der städtischen Wasserleitung eine weitere Pmnpe als Reserve aufzustellen: die Kosten hierfür werden auf 3000 . ^. geschätzt.
Neuenbürg, 23. Dez. Die neuliche Nachricht, daß der Schwärmer Darlehenskassenverein gegenüber seinem früheren Kassier Gentner so ziemlich gedeckt ist, trifft wohl zu, doch ist nicht zu übersehen, daß dafür ein großer Posten Privatschulden besteht. Die Summe, die Privatschuldner verlieren, dürfte, wie es heißt, sich auf etwa 20 000 ^ belaufen. Die ganze Angelegenheit wird überhaupt nicht so schnell geklärt werden.
Nagold, 22. Dez. Daß immer noch Lehrermangel herrschen mutz, geht wohl aus der Tatsache hervor, datz das hiesige Lehrerseminar die Hälfte des ältesten Kurses nach Ablegung des ersten Dienstexamens zur Verwendung im unständigen Schuldienst entlietz. Unter den Geprüften ist auch ein Eingeborener von Kamerun, der nun dort von der Reichsregierung angestellt werden wird.
Württemberg.
Statistik der ev. Landeskirche Württembergs.
vp. Das Amtsblatt des ev. Konsistoriums veröffentlicht soeben das Ergebnis der Statistik für die ev. Landeskirche Württembergs im Kalenderjahr 1912. Derselben ist folgendes zu entnehmen:
Kinder ev. Eltern wurden geboren 47 775, darunter aus gemischten Ehen 3 616; uneheliche 4 616 — 9,66 A,; ev. getauft wurden 44 936, darunter aus gemischten Ehen 2 098, kath. getauft wurden aus gemischten Ehen 1255 Kinder. Die Taufe unterblieb bei 508 Kindern. Von Sektenpredigern wurden, soweit bekannt, 60 Kinder ev. Eltern getauft. Ev. getraut wurden 12 408, darunter 814 gemischte Paare. Nach den vorliegenden Nachrichten wurden 462 Paare kath., 49 von Sektenpredigern getraut, 534 ev. Paare blieben ungetraut. Von 26 225 verstorbenen Evangelischen wurden 24347 kirchlich bestattet; die nicht kirchlich Beerdigten sind fast ausschließlich Kinder. Außerhalb Stuttgarts wurden nur 9 erwachsene Personen ohne kirchliche Mitwirkung bestattet. Bei 521 Fällen von Feuerbestattung wurde ein Geistlicher beigezogen. 21 Mitglieder wurden von Sektenpredigern beerdigt. Konfirmanden waren es 34 988, Kommunikanten 678 370. — U e b e r t r i t t e zur ev. Kirche fanden statt 147, darunter von Juden 3, von Katholiken 106, Dissidenten 32, Freireligiösen 6. Aus der ev. Kirche ausgetreten find 567 Personen, und zwar zu den Juden 2, den Katholiken 68, zu Dissidenten 338, zu Freireligiösen cü>er ohne Anschluss an eine relig. Gemeinschaft 159. — Die Gesamtsumme der kirchlichen Kollekteerträge beläuft sich auf 973 623 -N — 58,35 ^ auf den Kopf der ev. Bevölkerung. Neue kirchliche Gebäude find 13 zu verzeichnen (Unterrombach, Birkmannsweiler, Corres, Eonweiler, Unterdeufstetten, Ruppertshofen, Bubenorbis, Waldsee, Eschenau, Heubach, Ebhausen, Loffenau, Echterdingen), Aufwand: 420 629 Bedeutendere Kirchenumbauten fanden 14 statt (Aufwand: 632 351 -4t.), Bauwesen geringeren Umfangs 93. Der Aufwand auf alle kirchlichen Bauten betrug 1324 676 -4t.
Die Ortslöhne in Württemberg für 1914.
Das K. Oberversicherungsamt veröffentlicht eine Zusammenstellung der für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1914 festgesetzten Ortslöhne, sogen, „ortsüblichen Taglöhne". Darnach bewegen sich die Ortslöhne der Versicherten in Württemberg für die über 21 Jahre alten männlichen Arbeiter zwischen 2.60 und 4 für die über 21 Jahre alten weiblichen Arbeiter zwischen 1.70 und 2.80 Bei den volljährigen männlichen Arbeitern stellen sich die Lohnsätze für die einzelnen Bezirke wie folgt: 4 Stuttgart; 3.70 Hei- denheim; 3.60 : Heilbr'onn, Cannstatt, Eßlingen, Göppin
gen: 3,50: Ulm, Ludwigsburg, Tuttlingen; 3.40 -F.: Schorndorf, Tübingen, Waiblingen; 3.30 „M: Aalen, Besigheim, Geislingen, Gmünd, Oberndorf, Rottweil; 3.20 .A: Balingen, Böblingen, Hall, Leonberg, Maulbronn, Neuenbürg, Ravensburg, Reutlingen, Urach; 310 ,F.: Calw, Kirchheim, Nürtingen. Tettnang; 3 . //.: Backnang, Biberach, Freudenstadt, Horb, Leutkirch, Marbach, Nagold, Rottenburg, Spai- chingen, Sulz, Wangen, Weinsberg, Welzheim; 2.90 . /(.: Ehingen, Herrenberg, Neckarsulm, Saulgau, Vaihingen; 2.80 .^: Blaubeuren, Brackenheim, Crailsheim, Ellwangen, Oehringen, Riedlingen, Waldsee; 2.70 .4/.: Gaildorf, Kün- zclsau, Laupheim, Münsingen; 2.60 .-E: Gerabronn, Mergentheim. Neresheim.
Stuttgart, 22. Dez. Kommerzienrat Rüstige ist heute früh an einem Schlaganfall gestorben. R. ist der Schwiegervater des Oberbürgermeisters Lautenschlager.
Ludwigsburg, 22. Dez. Der König und die Königin haben am Samstag nachmittag wie alljährlich im hiesigen Schloss eine Weihnachtsbescherung für bedürftige Familien von Ludwigsburg und Umgebung veranstaltet. Für 150 Kinder und 30 Erwachsene waren die Gaben unter zwei prächtigen Christbäumen im Marmorsaal aufgebaut. Vor der Bescherung war eine gottesdienstliche Feier. Die Geladenen wurden vom Königspaar bewirtet, das die Gaben eigenhändig in die Körbe legte. Die Kinder durften die reich behangenen Christbäume leeren und den Ertrag mitnehmen.
Gmünd, 22. Dez. Einer hiesigen Witwe wurden Obligationen im Wert von 4000 -It gestohlen. Der Dieb, den die Staatsanwaltschaft verfolgt, hat die Zinscoupons bei einer hiesigen Bank auf den Namen der Witwe eingelöst.
Ar»» Welt »»«- Zeit.
Kapitänleutnant Prinz Adalbert
von Preußen, Navigationsoffizier des kleinen Kreuzers Köln, ist zum Stabe der Hochseeflotte kommandiert worden.
Explosion im Eisenbahnwagen.
Rostock, 22. Dez. In dem auf dem hiesigen Hauptbahnhofe seit einigen Tagen stehenden russischen Hauptzuge, in dem die Kaiserin-Witwe von Rußland, die heute von Kopenhagen abgereist ist, die Rückreise nach Petersburg antreten soll, erföchte heute nachmittag in der Lichtmotorenanlage eine Explosion. Hierdurch wurden 3 Personen schwer und 7 leicht verletzt. Die Verletzten gehören zum Maschinenpersonal des Zuges. Die staatsanwaltschafi- liche Untersuchung ist eingeleitet worden. Man vermutet, daß die Explosion durch einen technischen Fehler in der Anlage hervorgerufen worden ist. Der Zug fährt heute abend nach Warnemünde, um die Kaiserin-Witwe von Rußland aufzunehmen.
Der nächste sozialdemokratische Parteitag.
Der Parteiausschutz der Sozialdemokratischen Partei hat nunmehr dem Vorschläge des Parteivorstandes zugestimmt, den nächsten Parteitag in Wllrz- burg abzuhalten.
Der Kaiser von Abessinien ft Avis Abeba, 22. Dez. Amtlich wird bekannt gegeben, datz Negus Menelik II gestorben ist.
Deutsche Forschungsreisende von Kannibalen getötet.
Aus Brisbane wird gemeldet: Auf Neu-Mecklen- burg sind der Forschungsreisende Deininger und ein anderer deutscher Gelehrter mit 14 eingeborenen Begleitern, die Proben wertvoller Hölzer sammelten, von Kannibalen umgebracht worden.
Geri«ht»saal.
Köln, 22. Dez. Nach dreitägiger Verhandlung wurde heute abend vom hiesigen Schöffengericht in der Privatbeleidigungsklage der christlichen Gewerkschaftsführer gegen eine Anzahl Redakteure sozialdemokratischer Blätter das Urteil gefällt. Die Angeklagten wurden zu Geldstrafen von 50—500 Mark verurteilt. Außerdem wurde dem Privatkläger Steger- wald die Publikationsbefugnis des Urteils in den verurteilten Zeitungen mit der Angabe der Gründe, die für die Verurteilung zutreffen, zugesprochen. Die Klage gegen Pfarrer Mix von der „Wartburg" ist bereits am Sonnabend zurückgezogen worden, nachdem der Beklagte die beleidigenden Aeußerungen mit dem Ausdruck seines Bedauerns zurückgenommen und 50 Mark Beitrag zu den Kosten übernommen hatte.
rrn- Märkte.
Pforzheim, 20. Dez. Der Schweinemarkt war befahren mit 44 Ferkeln. Verkauft wurden Me. Preis: 26—37 .ü das Paar.
Stuttgart, 22. Dez. Landesproduktenbörse. Die Stimmung auf dem Getreidemarkte hat sich in der abgelaufenen Woche etwas ruhiger gestaltet, da augenblicklich fast jede Unternehmungslust stockt und die Käufer sich darauf beschränken, nur den dringenden Bedarf zu decken. Ausländische Weizen waren ein wenig billiger angeboten, gute Landware wurde zu unveränderten Preisen gehandelt. Die heutige Börse verlief nahezu geschäftslos. Wir notieren:
Weizen württ.
19-
bis 20 —
„ fränk.
19.50
„
20 50
„ bayr.
20.50
21.50
.. Ulka
22.75
23.50
„ Saxonska 23.—
„
23 50
„ Azima
22.50
23 —
,, Kansas U
23 50
24.—
„ Manitoba I 23.26
23.75
Dinkel
12.50
13.60
Kernen
IS.—
„
20.—
Roggen, neu
16.75
1760
Gerste, württ.
16 —
18 —
Gerste, Pfälzer
19.—
„
19.50
, Tauber
17 —
18.—
. fränk.
17 —
„
13 —
„
Futtergerste 14.— „.1450 Hafer, württ, neu 14.50 , 16 50
Mais, Laplara
1550 „
16.75 „
mit Sack. Kasse 1
°.i> Skonto.
(Württ.
Tafelgries
-33.- .,
34. „
Mehl 0
33.- „
34- .
1
32.— ..
32 50 ..
2
31.- „
31.50 „
3
29.50 „
30.50 .,
4
26.- ..
27- „
Kleie
8.50 „
S.- „
(netto Kasse ohne Sack)
Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner.
Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei.
Der Wanderer.
2 .) Von Friedrich Lienhard.
„Llais allons Zone!" zürnte die kleine Elsässerin. „Do sitzt se un sagt nix!"
Sie sprang auf, hob das spitze Naschen in die Luft und witterte die blühenden Riviera-Hügel hinunter, wo auf allen Hügeln zwischen weißen Landhäusern steile, dunkle Zypressen, filbergraue Olivenbäume und spitzblätkrige Gartenpalmen die Landschaft festlich stimmten. Ihre Augen leuchteten die Gegend ab.
Und plötzlich klatschte sie in die Hände.
„Da kommt er wieder!
„Wahrhaftig!" bestätigte die stille Base Martha, ward ein wenig lebender und sandle ihre tiefblauen Augenstrahlen gleichfalls den Abhang hinunter. „Was tut er denn?"
„Er spielt auf einer Laute und summt vor sich hin! Hab' ich dir's nicht gleich gesagt? Das ist ein deutscher Musiker!"
„Er spricht übrigens auch gut Französisch. Und warum kann es nicht auch ein Maler sein? Er hatte ja neulich einen Malkasten mit!"
„Oder ein Dichter! Denn er hat uns ja ein Berschen gedichtet!"
„Oder ein reicher Privatmann, der alles treibt und nichts."
„Möglich, denn Geld hat er gewiß! Und dabei so die Geste des Weltmannes! Und grundgelehrt! Er interessiert mich schrecklich. Aber ich bin gewiß, daß er deinetwegen kommt. Und dabei fitzt sie im
mer da wie ein Stockfisch! Ich kann die Unterhaltung im Gang halten — und in dich verlieben sie sich! Alle! Auch wenn du kein Wort sagst! Zu dumm! Ich hab's schrecklich schwer auf der Welt."
Sie seufzte, klappte Mozarts Briefe heftig wieder auf und setzte sich mit sehr melancholischer Miene und schwermütig gestütztem Haupt neben das lächelnde, stickende und schweigende Väschen. Aber es zuckte um ihre Mundwinkel; ihre Blicke schielten vom Buch hinweg nach dem Ankömmling, und mit einem Rippenstoß an Kusine Martha flüsterte sie, daß sie vor Lachen berste.
Der ankommende Herr war ein schmucker, mittelgroßer Mann von etwa dreißig Jahren. Er trug einen feinen Flanellanzug und einen Panamahui über kurzem dunkelblonden Haar.
Schon von fern schwang er den Hut und die bänderumflatterte Laute und rief in deutscher Sprache:
„Das ist ja ausgezeichnet, datz ich Sie wieder treffe! Bravissimo! Die Freundin Mozarts und die große Schweizerin? Kirschbaum und Zypresse! Guten Tag?"
Und trat heran, verbeugte sich und fuhr fort:
„Der Tempel ist noch unerbaut, aber die Prie- sterinnen warten. Se'en Sie gegrüßt, allerholdeste Hüterinnen dieses heiligen Hains!"
Die beiden jungfräulichen Wesen nickten Armessen und kämpften mit dem Lachen; er aber nahm ohne Verzug auf der Säule Platz.
„Verzeihen Sie, meine Damen," sprach er, „datz ich auch heute so unsalonmäßig bin, mich nicht in
konventionell Formen vorzustellen. Nehmen Sie an, ich sei irgendein Wanderer, der — nun, der seine Bestimmung sucht. Nehmen Sie an, ich sei ein Spielmann, ein Troubadour — mein Vorname ist übrigens Ingo, und das genügt — und nehmen Sie an, Sie seien die zwei anmutigsten Schloßherr- innen der ganzen anmutigen Provence!"
„Sehr liebenswürdig!" lachte die Kleine. Die Sachlage war fremdartig, aber den Mädchen nicht mißfällig. Die Aeltere richtete ihr großes Augenpaar schüchtern und fragend auf die Jüngere; und diese zappelte vor Vergnügen, im Lustspiel mitzutun.
„Sie haben recht," sagte der Zappelkäfer, „es ist heutzutage viel weniger Poesie in der Welt als in den Zeiten Mozarts. Hab' ich das nicht eben gesagt» Martha?"
„Aha! Darum tragen Sie also beide diese zierlichen braunen Mozart-Zöpfe, nicht wahr?"
„Ja! Meine Kusine wollte nicht, aber sie muß!
Martha lächelte und stickte; schaute dann die Base an, nicht den Fremden, und sprach mit ihrer leisen Stimme, um nur auch etwas zu sagen:
„Sie hat mir lustige Stellen aus Mozarts Briefen vorgelesen."
„Wollen Sie's hören?" setzte sofort das Vack- fischchen ein. Und sie plapperte einiges herunter, bis sie vor Lachen aufhören mußte. Dann wurde sie gesetzter und bemerkte, es seien auch recht schmerzliche Briefe in dieser Sammlung, etwa über den Tod der Mutter oder jene unglaubliche Behandlung beim Erzbischof von Salzburg.
(Fortsetzung folgt.)