Zweites Blatt zu Nr. 273.

Festtag

2H. November I^IL.

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Geschenk und Zierat.

Zur sittlichen Seite der Wertarbeitsfrage.

Das Volk kennt zwei Arten von Geschenken: solche für den Mund und solche für das Auge. Der Arbeiter, der Hand­werker, der Kleinbürger, der Subalternbeamte, sie alle ver­langen, wenn sie einem Kranken Obst oder einem Anver­wandten Kuchen kaufen, gute Ware und bezahlen mit er­freulicher Entschiedenheit denguten" Preis. Sie wissen eben, daß es nicht ratsam ist, dem Empfänger den Magen und sich selber alle Freundschaft zu verderben. Zudem schätzen sie einen rechtschaffenen Bissen selber zu sehr, um nicht die Freude des Beschenkten darüber mitkosten zu können. Er­stehen dieselben Leute aber eine Vase oder ein Bild, um damit einen guten Bekannten oder Anverwandten zu beglücken, so greifen sie vielfach zu der im Wortsinneglänzend" aufge­machten, im übrigen jedoch unsoliden und geschmacklosen Ware, also zum Schund. Kommt das daher, daß sie denken:Na, der, dem ich's schenke, versteht doch nichts vonKunst"? Kei­neswegs! Da müßten sie ja selber etwas von Kunst ver­stehen, und daß sie dies eben nicht tun, daß sie keinen Ge­schmack haben und kindlicher Weise dieses Mangels gar nicht inne werden, darin liegt der eine Grund. Der andere ist zum mindesten von gleichem Belang. Unleugbar spricht beim Einkauf solcherLuxusartikel" der nüchterne, nur dem Notwendigen und Nützlichen zugewandte Sinn des einfachen Mannes sein gewichtiges Wörtchen mit. Wasnichts ein­bringt", nichts dem Körper, nichts dem Geldbeutel, was nur da steht oder hängt, um bestenfalls dem Wohnraum, meist aber dem Bewohner selber Glanz zu verleihen na, das ist ebenso was", und für solcheSo was" gibt man eben mög­lichst wenig Geld aus.

Fast alle die Berufenen und Unberufenen, die zum Ka­pitelWertarbeit" das Wort ergreifen, begehen den Fehler, daß sie auf diesen Punkt nicht den Hauptnachdruck legen. Der Satz, daß ein wesentlicher Bestandteil der schönen Ar­beit die Haltbarkeit ist, ist trotz seiner verhältnismäßigen Rich­tigkeit ein sehr gefährlicher Satz, gefährlich deshalb, weil man mit ihm die Masse zur Kunst überredet, aber nicht überzeugt. Denn was man in den einfachen Leuten überredet, das ist eben jener Nützlichkeitssinn, der sogleich da versagen muß, wo es sich nicht mehr um schöne Gegenstände des Gebrauchs, sondern um solche höheren Lebensgenusses handelt, wie bei­spielsweise um die Bilder und Statuen. Kurz gesagt: die Frage, ob es gelingen wird, die breiten Massen nach Wert­arbeit begehrlich zu machen, ist eine Frage der Erziehung.

Darüber besteht kein Zweifel, daß alle Kunst und alles Kunstgewerbe, bis hinauf zur einfachenschönen Arbeit", einen edlen Genuß verschafft, der den Wert des Menschen, vor allem des Einzelmenschen, erhöht. Insofern erfreuen sich ja auch die Bildungsbestrebungen, die auf eine Erziehung des Volkes zur Kunst abzielen, des Beifalls aller derjenigen, denen es um die Wohlfahrt der Nation und Menschheit zu tun ist. Gelänge es uns, die Massen zu begeistern, daß sie für diese, die scheinbar zwecklose Seite des Lebens etwas tiefer in den Beutel griffen, so wäre ein guter Schritt in der Volks­bildung vorangetan. Aber wie begeistert man die Massen, statt schlechter Bilder um der Schönheit willen gute zu kaufen? Wie verhelfen wir dem einfachen Manne, der für seinen An­verwandten eine Vase ersteht, zu der feinen Zunge, welche die dauerhafte Schönheit des Gerätes zu schmecken vermag? Weckung des idealen Sinnes, Unterdrückung der materiali­sierenden Denkart ist die erste Forderung, die zweite: sinn­fällige Gegenüberstellung von Schön und Häßlich, von dauer­hafter Arbeit und Schund. In Hinsicht auf diesen zweiten Punkt ist allein schon mit unfern neuen schönen Schul­häusern viel getan. Das Bedürfnis, schön zu wohnen, sich von schönen Geräten umgeben zu sehen, überhaupt schon ein­mal nichts als schöne Dinge zu sehn, muß und kann den Menschen anerzogen werden. Aber dies Bedürfnis wächst nur da, wo das Erdreich von der Pflugschar des edlen Opfersinns, der Lust am stillen, innern Glück gelockert ist. Wer aus der Hand in den Mund lebt und das tun bei uns viele Millionen der muß diesen sittlichen Schatz in sich tragen, oder er wird was darauf Pfeifen, von den, ach, so nötigen Ausgaben auch noch Geld fürUeberflüssigkeiten" zu erüb­rigen. Also nochmals, selbst auf die Gefahr hin, denen be­schwerlich zu fallen, die mit schwungvollen Fanfaren über die Dinge hinwegzufahren lieben: die Frage der Wertarbeit, nämlich der kunstgewerblichen. (Nebenbei: welche Wertarbeit hätte nicht wenigstens einen Anflug an Kunst?) ist eine Frage der sittlichen Erziehung. Bernhard Siepen.

Die Fruchtbarkeit der Großstädte.

Es ist bekannt, daß ein planmäßiges Zusammenwirken der Statistik des Reichs, der Bundesstaaten und der Groß­städte nur durch Ueberwindung mannigfacher Reibungen und Kompetenzkonslikte erzielt werden konnte bezw. kann. Mit Recht haben hervorragende Städtestatistiker betont, daß die Großstadtvorgänge nicht immer lediglich durch den Beobach­tungsdienst innerhalb der Markungsflächen genügend aufge­klärt werden können. Wenn man z. B. Stuttgart als Arbeits­ort darstellen will, muß man die Wohnorte der Hereinkom­menden untersuchen. Bei einer Reihe von wichtigen Fragen läßt sich der Tatbestand in den Großstädten nur durch Zu­sammenwirken der städtischen und staatlichen Stellen fest­stellen, und wenn er ungenügend festgestellt wird, sind eben auch die Reichsziffern, z. B. für die Großstädte im ganzen, ungenügend oder nur bedingt richtig. Dies soll hier an einem besondersaktuellen" Gegenstand gezeigt werden, an der Frage der Fruchtbarkeit bzw. Geburtenhäufigkeit. Die Aus­stattung mit großen Anstalten und Instituten, durch die unsere Groß- und Universitätsstädte bevorzugt erscheinen, be­einflußt neuerdings die loken Ergebnisse in zunehmendem Maße. Gehen wir von Stuttgart aus, so ist nach be­sonderen Erhebungen des K. Statistischen Landesamts für die Jahre 1910, 1911 und 1912 gegen einviertel aller in Stutt­gart geborenen Kinder in der Landeshebammenschule u. des Wöchnerinnenheims geboren worden, und die nachweislich von auswärts in diese 2 Anstalten gekommenen Müttern ge­borenen Kinder haben 6,1, 7,0 und 7,2 Proz., also einen zu­nehmenden Teil aller in Stuttgart standesamtlich registrierten Geborenen gebildet. Ferner wurden in den drei letzten Jahren nacheinander 57,7, 60,2 und 63,7 Proz. aller standesamtlich angezeigten unehelich Geborenen Groß-Stuttgarts in der Lan­deshebammenschule geboren, und 13,3, 15,8 und 14,5 Proz. stammten von zugereisten Müttern, wobei übrigens die Fest­stellung desZugereistseins" dann erschwert ist, wenn die schwangeren erst auf einem Umweg über Familien usw. in die Landeshebammenschule übersiedeln. Das Bemerkenswerte an der Statistik ist, daß die allgemeine Geborenenrate Groß- Stuttgarts und damit die Fruchtbarkeit seiner Bevölkerung mch den amtlichen Quellen der Standesämter größer er­scheint, als sie in Wirklichkeit ist. Sodann aber zeigt die eheliche Fruchtbarkeit der einheimischen Bevölkerung eine fort­währende, wenn auch in den letzten 3 Jahren nicht erhebliche Abnahme.

Umschau.

Ueber die Fleischteuerung

läßt sich der alte Pfarrer Hansjakob in seinem Buch Allerlei Leute und allerlei Gedanken" wie folgt aus:. . . Damals (vor 70 Jahren) war die täg­liche Bierflasche noch nicht im Schwung, und das täg­liche Fleischessen auch nicht, selbst nicht bei besseren Bürgersleuten. Es war in meiner Knabenzeit eine Seltenheit, wenn ich der Mutter in der Sommer­zeit eine Flasche Bier holen mutzte, und Fleisch gab es in der Woche zweimal. Und ich war nicht armer Leute Kind. Heute soll in allen mittleren und un­tern Ständen Fleisch oder Wurst und die Bierflasche auf dem Tische stehen. Fleisch und Wurst machen Durst und sind die Väter des Alkohols, der den Durst löschen mutz, weil das Wasser verschmäht wird. Man sucht zurzeit überall nach Mitteln, die Fleischteuerung zu heben, aber niemand denkt an das einfachste Hilfs­mittel, den Leuten zu raten, weniger Fleisch zu essen. Brot, Milch, Reis, Erbsen, Bohnen und an­deres haben auch genügenden Nährgehalt. Woher nimmt das Tier, das uns das Fleisch liefert, seine Nahrung? Aus der Pflanzenwelt. Wir aber lasten die Nährstoffe derselben erst durch einen vielfach kranken Tierleib gehen und dann genietzen wir sie. Unsere Hauptfleischlieferanten, die Ochsen, Kühe und Schweine, sind allermeist krank, weil ihnen Luft, Licht und Bewegung fast durchweg versagt ist und darum alles Mastfleisch an sich krankes Fleisch ist. Das Pferd, der Ochse, der Elefant haben ihre Kraft nicht vom Fleischessen, wir Menschen aber meinen, um Kraft zu haben, mützten wir Fleisch essen. Es ist längst nachgewiesen, datz die Fleischesser und Alko­holtrinker weniger Kraft und Ausdauer haben, als die Vegetarier und Temperenzler. Die eingeborenen

Soldaten in Indien, die sich des Fleisches enthalten, sind anerkannt leistungsfähiger, als die englischen Soldaten mit ihren großen Fleischrationen. Und unsere Bauern auf dem Schwarzwald essen die meiste Zeitkein Fleisch und sind gesünder als die Städter. Ich bin heute weder völliger Vegetarier noch weniger Tem­perenzler. Als ehrlicher Mann aber mutz ich ge­stehen : es ist mir in meinen alten Tagen nie wohler, als an den Tagen, an denen ich dem Fleisch und dem Alkohol entsage. Aber auch das mutz ich gestehen: ryechr ich zu oft so tue, so werde ich viel nervöser und zittriger, offenbar, weil meine Nerven den alt­gewohnten Reiz nicht mehr entbehren können. Von jung an Vegetarier und Temperenzler zu sein, wers fertig bringt, dem mags zum Segen sein . . . Ich fahre auf dem Wege in die Karthäuse an Metz­gerläden und an Früchtehandlungen vorbei, und schon oft habe ich dabei gedacht: Schon der Anblick beider spricht ein lautes Wort für die Pflanzenkost. Wie lieblich, reizvoll und lockend sieht so eine Aus­lage von Kirschen, Pflaumen, Aepfeln, Birnen, Pfir­sichen, Trauben, Tomaten, Blumenkohl und Spar- geln usw. aus, gegen einen Metzgerladen mit Stücken von Tierleichen und mit Leber-, Blut- und Knack­würsten."

Millionen. Wir leben im Zeitalter der Millio­nen. Unser Gehirn mutz mit ganz anderen, viel größeren Zahlen rechnen als in früheren Jahrhun­derten und Jahrtausenden. In der Wissenschaft ist es vor allem klar, wie sehr z. B. in Astronomie das Fernrohr den Schatz des menschlichen Geistes an Mil­lionen- ja Milliardenwerten bereichert hat. Der Weg von uns bis zur Sonne beträgt 150 Millionen Kilometer. Eine Kanonenkugel, die mit 600 in Ge­schwindigkeit in der Sekunde aus dem Geschützrohr saust, würde erst in mehr als 48 Jahren die Sonne erreichen! Bis zum allernächsten jener Fixsterne aber, die den Nachthimmel der Erde zu Tausenden und Abertausenden zieren, sind es 30 Billionen Kilo­meter. Die Geschützkugel flöge an 10 Millionen Jahre! Der Lichtstrahl ist das unbegreiflich Schnell­ste, das wir kennen. In jeder Sekunde blitzt er 300 000 Kilometer weit durch den Raum. Von der Sonne zur Erde braucht er etwa 8 Minuten, zu jenemnächsten,, Fixstern aber 4Vz Jahre! Nur wenn wir die Entfernungen der Sterne nach der Lichtzeit" bemessen, ist es uns möglich, ihren Ab­stand von uns in Jahren auszudrücken. Der glän­zende Stern Sirius ist 8,6Lichtjahre" von uns entfernt, der Polarstern 40,8 Lichtjahre, und der milde Schimmer von jenen Millionen schwächster Sterne, die dieMilchstraße" bilden, der heute in unser Auge gelangt, hat eine Reise im Weltraum von Tausenden von Jahren hinter sich.

Listig« Lcke.

Die gerettete Situation. Jeder kennt die Ge­schichte von dem Mann, der einen andern fragt: Wer ist denn bloß diese schreckliche alte Schachtet da?" und zu seiner Verblüffung die Antwort er­hält:Das ist meine Frau." Aber die Geschichte geht weiter, wie die NewyorkerEvening Post" er­zählt: Jones sah eine Dame im Zimmer sitzen und bemerkte zu dem neben ihm stehenden Robinson: Um des Himmels willen, wer ist nur diese fürchter­lich häßliche Frau da?"Das ist meine Frau," ant­wortete Robinson. Jones fuhr entsetzt zurück, über­schnell hatte er sich wieder gefaßt.Na," sagte er mit überzeugendem Tone,da sollten Sie aber erst mal meine Frau sehen!"

Konkurse i« Württemberg. K. Amtsgericht Ba­lingen : Albert Schmid, Inhaber eines Schuhgeschäfts in Ebingen. K. Amtsgericht Heilbronn: Ernst Martin, Inhaber einer Herd- und Ofenfabrik in Heilbronn, Weststratze 51. K. Amtsgericht Welz­heim: Christian Seitz, Sattl ermeister in Welzh eim.

Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei.