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Nr. 100.
Altensteig. Dienstag -en 29. April.
Jahrgang 1924
sDH Antworten der Alliierten.
Von den Antworten der alliierten Regierungen ist die- ftnigs Poincares die am wenigsten befriedigende. Während alle anderen Parteien die Sachverständigengutachten ausgesprochen oder unausgesprochen als Verhandlungsbasis anerkennen, schwingt sich das Schreiben Poincares nur zu der allgemeinen Anerkennung auf, die Expertenberichte bildeten ein „höchst interessantes und vollständiges Ganzes". Der französische Ministerpräsident zollt der „Unparteilichkeit" und dem „Wirklichkeitssinn" der Sachverständigen Anerkennung, aber es fehlt in dem französischen Schreiben jegliche grundsätzliche Festlegung auf das Expertenprogramm. Für Poincare sind die Gutachten lediglich eine Informationsquelle, die es nun der Reparationskommission ermöglicht, die Empfehlungen in vollstreckbare Form zu bringen. Die französische Regierung behält sich ihre eigene Entscheidung dementsprechend ausdrücklich vor, bis die Reparationskommission „die praktischen Folgen aus den Vorschlägen der Sachverständigen" gezogen hat. Außerdem glaubt sie, und hier zeigt sich französische Hinterhältigkeit im klatsten Lichte, sich nicht eher entscheiden zu können, bis die deutsche Regierung ihrerseits „die erforderlichen Vorkehrungen getroffen hat, um den Beschluß der Kommission auszuführen", das heißt bis von dem Reichskabinett die nötigen Gesetzes- und Verordnungsenlwürfe ausgearbeitet und vorgelegt worden sind. Charakteristisch für die französische Einstellung ist im übrigen, daß die französische Regierung zwar darauf hinweist, daß Deutschland gehört werden müsse, aber daß sie von der Reparationskommission verlangt, die Entscheidung „mit der ganzen durch den Versailler Vertrag verliehenen Autorität" zu fällen. Frankreich will also abermals ein Diktat herbeiführen und Deutschland zu eigentlichen Verhandlungen nicht heranziehen. Charakteristisch und zumal bezeichnend für die politischen Ziele Frankreichs ist weiter, daß die französische Regierung wohl das Verlangen der Sachverständigen nach Wiederherstellung der deutschen Wirtschafts- und Finanzhoheit zur Kenntnis nimmt, daß sie aber andererseits deutlich ausspricht, sich dieser Forderung nur unter gewissen Bedingungen unterwerfen zu wollen, und daß sie in diesem Zusammenhang die „vitalen Interessen Frankreichs" betont. Frankreichs Antwort läßt also der französischen Taktik alle Türen für die Forderungen der französischen Politik offen, wenn sie auch in Bezug auf diese Forderungen weniger ausgesprochen ist, als nach den Auslassungen der französischen Presse erwartet werden konnte.
Die Antwort der übrigen Alliierten, Belgiens, Italiens und Englands sind in der wichtigsten Frage auf einen gemeinsamen Ton abgestimmt, nämlich auf die grundsätzliche Anerkennung der Sachverständigengutachten als Lösungsbasis. Es ist erfreulich, daß gerade Belgien und Italien, deren Haltung bisher zweifelhaft erscheinen konnte, sich in dieser Hinsicht noch unumwundener ausdrücken als die vorsichtige englische Arbeiterregierung. Die' italienische Antwort schmeckt ebenfalls einigermaßen nach politischen Nebenabsichten. Die Reparationskommission wird nun ent-» scheiden müssen, was sie weiter tun wird. Inzwischen werden die belgischen Minister versuchen, zwischen London und Paris zu vermitteln. Die Linien eines Kompromisses hinsichtlich der Verfahrungsweise zeichnen sich bereits deutlich ab: man wird fürs erste die Reparationskommission machen lassen und weiter auf einer Vorlegung der Gssetzes- und Verordnungsentwürfe durch die deutsche Regierung bestehen, und man wird im übrigen in irgend einer Form die Erörterung der politischen Probleme vertagen, bis die Wahlergebnisse in Deutschland und Frankreich ein deutlicheres Bild der politischen Lage ergeben.
Paris, 27. April.
Nachdem auch das italienische Antwortschreiben der Reparationskommission zugegangen ist, veröffentlicht diese die Antworten der vier beteiligten Regierungen auf ihren Beschluß vom 17. April 1924 betreffend die Vorschläge der Sachverständigen.
Die französische Antwort
besagt nach der üblichen Einleitung und Bezugnahme auf den Beschluß der Reparationskommission: „Die französische Regierung habe mit größtem Interesse von dem Bericht der Sachverständigen Kenntnis genommen. Die Berichte der Sachverständigen bildeten ein höchst interessantes und vollständiges Ganzes und die französische Regierung könne sich nur dazu beglückwünschen, daß sie dis Initiative ergriffen und den Delegierten Frankreichs in der Renarations-
kommission aufgefordert habe, die Berufung der Sachverständigen vorzuschlagen. Im Besitze von Informationen aus detaillierter und wertvoller Arbeit sei die Reparationskommission jetzt in der Lage, ihr Urteil zu sprechen, das die Regierungen von ihr erwarteten: eine endgültige Entscheidung, in der die Entschließungen der Sachverständigenberichte ausgenommen, motiviert und in vollstreckbare Form gebracht und in gewissen Punkten vervollständigt würden.
Die Regierungen könnten ja erst zweckmäßig eingreifen, wenn sie mit Bestimmtheit wüßten, welche praktischen Folgen die Reparationskommission den Vorschlägen der Sachverständigen gebe. Desgleichen müßten sie die Möglichkeiten zur Feststellung gehabt haben, daß die deutsche Regierung ihrerseits die erforderlichen Vorkehrungen ge- ' troffen habe, um den Beschluß der Kommission auszuführen. Es liege auf der Hand, daß diese Entscheidung erst gefällt 'werden könnte, wenn die Reparationskommission alle die Gesetz- und Verordnungsentwürfe genehmigt habe, um deren llnterbreitung sie die deutsche Regierung gebeten habe, um die Ausführung des Planes zu sichern. Ebenso liege aber auch auf der Hand, daß erst nach dieser Entscheidung die alliierten Regierungen in der Lage sein würden, „die Konklussionen, die ihrer Kompetenz unterständen, ab- zuschlietzen, damit die vorgeschlagenen Pläne so bald wie möglich ihre volle Wirksamkeit erlangten".
Die deutsche Regierung könne jedoch in diesem Falle nirP auf gleichem Fuße mit den alliierten Regierungen behandelt werden. Die Reparationskommission könne bei ihrem Vorgehen auf Grund der durch den Versailler Vertrag ihr übertragenen Vollmachten den Einwendungen Rechnung tragen, die von der deutschen Regierung gemacht würden (diese müsse die billige Möglichkeit haben, gehört zu werden) und müsse dann mit der ganzen durch den Versailler Vertrag ihr verliehenen Autorität ihre Entscheidung fällen. Die Sachverständigen hätten übrigens erklärt, daß nach ihrer Ansicht die deutsche Wirtschafts- und Finanzhoheit wieder hergestellt werden müsse, sobald der vorgeschlagene Plan zur Ausführung gebracht werde. Da die Reparationskommission beschlossen habe, die Konklusionen der Sachverständigen in ihrer Gesamtheit anzunehmen, glaube die französische Regierung annehmen zu dürfen, daß sie in diesem kapitalen Punkte die Konklusionen nicht abzuändern beabsichtigt habe.
Die Regierungen würden untereinander die Frage zu prüfen haben, unter welchen Bedingungen die gegenwärtig in der Hand Frankreichs und Belgiens befindlichen Pfänder zum Gegenstand einer Verschmelzung oder eines Austausches mit denen gemacht werden sollen, die ungeteilt sämtlichen Alliierten übergehen würden. Aber diese Operation könnte erst stattfinden, wenn Deutschland den Plan effektiv zur Ausführung gebracht habe, und es sei Sache der Regierungen, in gegenseitigem Einvernehmen die Garantien zu bestimmen, die diese Operation erforderlich machen könnten.
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Die belgische Antwort
beschäftigt sich damit, daß der Sachverständigenbericht mit großem Interesse geprüft worden sei. Die unbestreitbare Sachkunde der Experten und die Mitwirkung Amerikas habe ihren einstimmigen Beschlüssen eine hohe moralische Bedeutung verschafft. Die belgische Regierung sei bereit, die Entschließungen der Sachverständigen als Ganzes anzunehmen zum Zwecke einer praktischen und gerechten Regelung der Reparaiionsfrage. Sie hoffe, daß die Reparationskommission die Gesetzentwürfe der deutschen Negierung, welche für die vollkommene Ausführung des Sachverständigenplanes notwendig seien, sorgfältig prüfen werde. Die belgische Regierung hoffe ferner, daß die Reparationskommission keine Zeit verlieren und beschleunigt die Maßnahmen durchführen werde, deren Festsetzung das Gutachten ihr überlassen habe, damit, wenn die Arbeiten fertiggestellt seien, der anempfohlene Plan mit gege> zeitiger Zustimmung der alliierten Regierungen schnell zur Durchführung gebracht werden könne. Die belgische Regierung trete schon jetzt mit ihren Alliierten in Fühlung.
Die englische Note ist in 9 Punkte gegliedert.
1. Me englische Regierung nimmt mit Genugtuung darr Kenntnis, daß die Repa"ntionskommission die Ent- sit,..^,ung der Sachverständigen einstimmig angenommen
Hai, sowie davon, daß sie die notwendigen Schritte ergreife, um die Konklusionen, soweit sie unter die Zuständigkeit der Reparationskommission fallen, zur Ausführung zu bringen.
2. Die englische Regierung nimmt die Empfehlung der Reparationskommission, die unter die Zuständigkeit der alliierten Regierungen fallenden Entschließungen zu billigen, an und wird alles in ihrer Macht stehende tun, um ihnen praktischen Erfolg zu verschaffen.
3. Die Empfehlungen der Sachverständigen stellen nach Ansicht der englischen Regierung keine Herabsetzung der Eesamtreparationsschuld Deutschlands dar und die notwendigen Modifikationen des Londoner Zahlungsplans liegen nach ihrer Ansicht innerhalb der Kompetenz einer einstimmigen Entschließung der Reparationskommission, erfordern jedoch keine besonderen Vollmachten der in der Reparationskommission vertretenen NegierurWen.
4. Wenn jedoch in diesem Punkte irgend welche Zweifel bestehen, ist die englische Regierung bereit, solche besonderen' Vollmachten zu erteilen.
5. Die einzigen Anempfehlungen der Sachverständigen, die unter die Zuständigkeit der alliierten Regierungen fallen, sind nach Ansicht der englischen Regierung folgende:
a) Die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und fiskalischen Oberhoheit der deutschen Regierung über die gesamten deutschen Gebiete,
b) die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die neuen Garantien und Kontrollmaßnahmen wirksam zu machen, soweit sie nicht durch die bestehenden Bestimmun- mungen des Versailler Vertrages schon eingesetzt sind,
c) die Zusammenfassung aller finanzieller Lasten Deutschlands aus dem Friedensvertrag in einer Annuität.
6. Hinsichtlich des ersten Punktes ist die englische Regierung bereit, den Empfehlungen der Sachverständigen ihre volle Zustimmung zu geben und in Beratungen mit den anderen Alliierten alle nötigen Schritte zu ergreifen, um in kürzester Frist ihre volle Wiederherstellung zu erreichen.
7. Hinsichtlich des zweiten Punktes bleibt, nachdem die deutsche Regierung ihre Zustimmung gegeben hat, nur übrig, den zu treffenden Maßnahmen volle Zustimmung zu erteilen. Die englische Regierung ist bereit, in dieser Beziehung alles zu tun, was als das angenehmste und wirkungsvollste zu diesem Zwecke erscheint.
8. Hinsichtlich des dritten Punktes nimmt die englische Regierung die Empfehlung der Sachverständigen an und ist bereit, ihrerseits der Reparationskommission einen Plan vorzuschlagen-für die Durchführung dieses Punktes.
9. Sollten irgendwelche weitere Punkte des Sachverständigengutachtens nach Ansicht der Reparationskommissio« die Zustimmung oder ein selbständiges Vorgehen der alliierten Regierungen erfordern, so ist die englische Regierung ihrerseits bereit, alle erforderlichen Schritte zu tun.
Die italienische Antwort
erklärt nach der Einleitung, die mit den anderen übereinstimmt, daß der Inhalt der beiden Sachverständigenberichte von der italienischen Regierung als ein unteilbares Ganzes betrachtet werde, und daß sie mit Genugtuung festgestellt habe, daß die Reparationskommission sie in ihrer Gesamtheit angenommen habe und sie sei sicher, daß die Reparationskommission jetzt rasch ihr Werk weiter betreiben könne. Die italienische Negierug sei für ihren Teil schon jetzt geneigt, die Entschließungen der Sachverständigen sowie die Grundsätze, die für sie maßgebend gewesen seien, in vollem Umfange anzunehmen, denn sie sei überzemgt, daß diese Entschließungen und Grundsätze eine gerechte Grundlage für die Regelung der Reparationsfrage und der damit im Zusammenhang stehenden Probleme entsprechend der von der italienischen Regierung stets innegehaltenen Linie darstellen können. Die italienische Regierung ist außerdem der Ansicht, daß die von den Sachverständigen einstimmig erzielten und von der Reparationskommission gebilligten Entschließungen die Lösung des umfassenden Problems der Regelung der unter die Kompetenz der alliierten Regierungen fallenden Fragen erreichen würde, die die Sachverständigen zu regeln keinen Auftrag gehabt haben.
Die Dienstagsitzung der Repko.
Paris, 28. April. Die Antworten der vier beteiligten Regierungen auf den Beschluß der Reparationskommission werden, wie die Havas-Agentur meldet, auf der Tagesordnung der offiziellen Sitzung der ReparauonKommission am 29. April stehen.
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