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Samstag,
Zweites Blatt zu Nr. 262 .
8. November
Deutsche Bauern in der Ostmark.
Durch eine zwanzig Jahre umfassende Tätigkeit der Ansiedlungskommission sind in das Antlitz der Provinzen Westpreußen und Posen tiefe und dauernde Zeichen gegraben und viele Landstriche so verändert worden" daß, wer sie vor einem Vierteljahrhundert zuletzt gesehen hat, sie kaum wiedererkennen kann. In weitem Halbkreise legt sich ein Band von Siedlungen von Westen zum Nordosten um die Provinzialhauptstadt Posen. Die älteste davon ist Schlehen (früher Tarnowo), ein 60 Ansiedlerfamilien und einige polnische Bauern umfassendes Kirchdorf, Mittelpunkt für eine Anzahl weiterer Ansiedlungsge- meinden. Hier sitzen Niedersachsen und Hannoveraner, Sachsen und Württemberger auf gutem Boden bei steigendem Wohlstände, der zugleich auch dem vielseitigen und gutgeleiteten Genossenschaftswesen zu verdanken ist.
Westlich von Schlehen ist eine große Ansiedlung im Entstehen; östlich führt der Weg nach Golenhofen, wo Rückwanderer aus Slawonien und Bosnien mit Badenern und Schlesiern zusammensitzen, dann zu den Westfalendörfern Treskowhof und Chludowo. Sie waren Teile vom großen Besitz einer im Po- senschen bekannten und um das Vaterland verdienten Familie. Wie eines deren Mitglieder den Park von Chludowo zu einer Sehenswürdigkeit der Gartenkunst gemacht hat, so ist der Baumeister der Ansiedlungskommission bemüht, um die neu zu errichtende Kirche in Chludowo ein Dorf zu bauen, das Vorbild sein will für landschaftlich wirkungsvolle Siedlungen.
Weite Dörfer, wo Pommern, Brandenburger und Hannoveraner neben Rückwanderern und Pfäl- zern sich angesiedelt haben, schließen den Halbkreis bis zur Warthe. Südlich reichen schmucke Gehöfte der fränkischen, pfälzischen und hessischen Ansiedler bis an die Vororte von Posen, und einige noch nicht aufgeteilte Güter berühren das Weichbild der Stadt. Auf dem östlichen Wartheufer unter der weithin sichtbaren Höhe des Annaberges aber schauen die Ansiedler auf die Stadt Posen und auf die zahlreichen kleinen Gehöfte mit den roten Ziegeldächern, die sich längs der Bahnstrecke Posen—Gnesen in mehrfach unterbrochener dünner Linie aufreihen. Nach Gnesen zu wird das Band der Ansiedlungen breiter, noch am fernsten Gesichtskreise verlieren sich die roten Dächer in den Obstgärten, und die schlanken Kirchtürme deuten die Mittelpunkte dicht zusammensitzen
den Deutschtums an. Um die große und an Arbeitsgelegenheit reiche Stadt Gnesen legen sich mehrere Arbeiterkolonien, deren Insassen gut vorwärtskommen. Gnesen ist tatsächlich eine eingekreiste Stadt, wenn auch die Ansiedlungen um sie her verhältnismäßig jung sind.
Hier beginnt das ausgedehnte Ansiedlungsfeld. In einem westlich gerichteten Bogen anfangend, drängen sich zwischen Oletzko und Janowitz die Ansiedlungsdörfer zu dichter Masse zusammen und laufen in breiten Strahlen aus. Dieses zusammenhängende Ansiedlungsgebiet umfaßt neben 30 Siedlungen in alten Dörfern etwa 70 neue Dörfer mit 200 000 Morgen und nahezu 3000 Ansiedlerfamilien. Ueber 600 westfälische und hannoversche Bauern, fast 400Sachsen und Thüringer, über 200 Pommern, Brandenburger und Schlesier, 100 Württemberger, dazwischen eingestreut etwa 600 Rückwandererfamilien, sitzen hier zusammen.
Den Mittelpunkt bildet die kleine Stadt Janowitz, von der aus ein großartiges Genossenschaftswesen seine Fäden spannt. Vor Einsetzen der Ansiedlungstätigkeit war Janowitz nichts als einer der unbedeutenden toten Flecken, der, wie manche andere in der Provinz Posen, den Namen einer Stadt nicht verdiente. Seit 1880 bis 1910 ist die Einwohnerzahl von 801 auf 2200 gestiegen. Ein großes Kornhaus mit Getreidespeicher und Mühle, eine Dampfbäckerei, eine Molkerei und eine Flockenfabrik zeigen schon am Bahnhofe dem Fremden, daß rege Tätigkeit eingezogen ist. Diese großen Unternehmungen verdanken dem genossenschaftlichen Zusammenarbeiten der Ansiedler ihre Entstehung und ihr Gedeihen. In den Straßen zeugen viele Neubauten und Läden von Verkehr und wohlhabendem neuem Leben. Ein großer Neubau am Markte, die Geschäftsräume der Kaufhausgenossenschaft, bietet den Ansiedlern ein reiches Lager aller Wirtschaftsbedürfnisse und Versammlungsraum für die Genossenschaften. Eine landwirtschaftliche Winterschule, eine Haushaltungsschule, eine Obstbaumschule sind Bildungsstätten für die Ansiedlerjugend. Um die von der Ansiedlungskommission erbaute Kirche, an der Grenze zwischen Stadt und altem Gut, ist ein entsprechend aufgebautes Wohnviertel entstanden, wo Arzt und Pastor, Distriktskommissar und Postbeamte mit Gewerbetreibenden und Handwerkern angesiedelt worden sind. Die elektrische Straßenbeleuchtung, neue breite Bür-
^ gersteige und ein schmuckes Rathaus beweisen die Fortschritte der städtischen Verwaltung. Die Kornhausgenossenschaft, die 400 Mitglieder, meist Ansiedler, zählt, hat einen Jahresumsatz von etwa 125 000 Zentnern Getreide; in der Dampfbäckerei werden täglich an 1400 Brote hergestellt, in der benachbarten Molkerei täglich über 11 000 Ltr. Milch verarbeitet. Bei Gewährung guter Preise und erheblicher Nachzahlungen an die Genossen sind infolge des ständig wachsenden Umsatzes so erhebliche Gewinne erzielt worden, daß auf die etwa 200 000 Mark betragenden Anlagekosten von Kornhaus, Mühle und Bäckerei in den 14 Jahren des Bestehens über 140 000 -N, auf die 800 000 M, die in die Molkerei gesteckt sind, schon 63 000 M abgezahlt wurden.
Das Durcheinander in Albanien.
Wenn man sich ein Bild von der jetzigen hoffnungslos verfahrenen Lage in Albanien machen will, muß man sich vor allem folgende Tatsachen vergegenwärtigen:
In Albanien sind heute unabhängig von einander 6 Regierungen oder doch mit Regierungsgewalt von mehr oder weniger ausgesprochenem Charakter ausgestattete Körperschaften tätig. Es sind dies: 1. Die Regierung Ismail Kemal Bei's, mit dem Sitz in Valona. 2. Die Regierung Essad Paschas (Senat usw.) in Durazzo. 3. Die internationale Kommission in Skutari, die die Aufgabe hat, in dortiger Gegend solange die Administration zu führen, bis in Albanien die endgültige Zentralregierung eingesetzt worden ist. 4. Die internationale Kontrollkommission (in Valona) mit der Aufgabe, die zukünftige Regierung vorzubereiten. 5. Die Grenzregulie- rungs-Kommission an der Nord- und Ostgrenze. Diese ist soeben in Ochrida zusammengetreten, findet sich aber infolge des jetzt sehr ungünstigen Herbstwetters bei ihren Arbeiten sehr behindert. 6. Die Kommission, die an der südlichen Grenze ihre Arbeiten begonnen hat. — Es liegt auf der Hand, daß die Tätigkeit dieser verschiedenen Körperschaften gegenseitige Fühlungnahme außerordentlich vermissen läßt, und daß leicht allerlei Mißhelligkeit entstehen können, falls die Staatsmänner Europas sich nicht selbst der Aufgabe unterziehen, ihr Werk zu kontrollieren und ihren friedlichen Tendenzen Geltung zu verschaffen. Unter allen diesen Umständen wird schließlich wohl kaum etwas anders übrig bleiben, als in absehbarer Zeit abermals eine Konferenz von Gesandten an 3 Orten einzuberufen, die unbedingt eine endgültige Lösung zu finden hätte, um dem herrschenden Chaos ein Ende zu machen.
Das AngkücksAaus.
36 Roman von Georg Türk
Im Gesangverein bekam der Assessor manche Anspielung zu hören.
„Na . . . man darf ja wohl gratulieren?"
„Zu was?"
„O, Herr Assessor! Verstellen Sie sich nur nicht! — Allen Respekt vor Ihrem Geschmack! Ein reizendes Mädchen!"
Hans Ringer widersprach nicht.
Im Gegegnteil! Er redete so, daß die Partei, die ihm von Anfang an Maria zugedacht hatte, das Uebergewicht gewann.
Die Geschichte machte ihm riesigen Spaß. Das würde eine Ueberraschung in Erlenstadt geben, wenn doch die andern schließlich recht behielten und wenn er den verdutzten Bürgern und Bürgersfrauen plötzlich eine Auswärtige präsentieren würde!
Pfarrer Meinhart blieb von solchen Anspielungen verschont.
Und sein Freund sagte ihm auch nichts von dem Klatsch! Er wußte, warum!
So lebte Pfarrer Meinhart in dem holden Wahn, seine Liebe zu Maria sei aller Welt verborgen.
Der Gesangverein feierte sein Sommerfest, da war ganz Erlenstadt auf den Beinen.
Unter den Gästen waren auch Maria und Anna.
Der Bruder, als mitwirkendes Mitglied des Vereins, fehlte natürlich nicht.
Die Schwestern hatten sich einer Freundin angeschlossen, deren Eltern ebenfalls dem Feste beiwohnten. Hans Ringer bat höflich, bei ihnen Platz nehmen zu dürfen.
Das erregte einiges Aufsehen.
Die Partei „Hellmuth-Ringer" siegte auf der ganzen Linie, denn der Pfarrer Meinhart saß bei seinem Erlenstädter Kollegen und Pfarrer Altheimer an einem weit entfernten Tisch und kümmerte sich nicht im Geringsten um Fräulein Hellmuth!
Der Assessor unterhielt sich aufs eifrigste mit ihr! Daß dies eine abgekartete Sache war, ahnten die Erlenstädter nicht.
Auch Hans Ringer sang an dem Abend. Als er geendet hatte, erhob sich ein Beifallssturm.
Nur Pfarrer Altheimer klatschte nicht. Er sah kopfschüttelnd auf den sich verneigenden Sänger und murmelte vor sich hin: „Der Mann hat wahrlich seinen Beruf verfehlt! Was für eine herrliche Stimme!"
Alles war voll Lobes über ihn.
Nach den Aufführungen kam die Jugend zu ihrem Recht, es wurde im Saal getanzt.
Fünf Touren schrieb der Assessor in Marias Tanzkarte!
Fünf Touren!!
In der Pause fand ein Umzug durch den Garten mit Lampions statt.
Während Hans Ringer neben Maria herging, dachte er an einen dunklen Wald, durch dessen Bäume auch Lampions geleuchtet hatten ...
Die älteren Leute bildeten Spalier. Pfarrer Meinhart war schon fortgegangen und hatte sich weder von Maria noch von dem Assessor verabschiedet.
Ganz leise dämmerte schon im Osten der Morgen, als sie fröhlich plaudernd zu Hause ankamen.
Erhitzt trat Maria, wie sie es oft tat, schon entkleidet ans offene Fenster, durch das ein kühler Lufthauch wehte, von dem sie sich nun die heiße Stirn kühlen ließ.
Am nächsten Tag hatte Maria einen rauhen Hals und bösen Husten.
„Vergeht schon wieder!" sagte siie lachend, als Meinhart kam, um zu fragen, wie ihr das Fest bekommen sei. _
Vierzehntes Kapitel.
Der Juli ging vorüber.
Hans Ringers Ungeduld wuchs von Tag zu Tag und er war auf dem Bureau unwirsch wie nie zuvor. Er hätte laut aufschreien mögen vor Freude über das baldige Wiedersehen mit Elisabeth, dann marterten ihn wieder die heftigsten Zweifel, ob sie auf ihn warten würde ....
Er hielt es nicht mehr aus und nahm Urlaub. Am fünften August reiste er in aller Frühe nach einem kleinen Ort ab, in der Nähe von Hohenburg, wo Elisabeth wohnte. Er wollte wenigstens in ihrer Nähe sein. Von hier aus wollte er die Gegend durchwandern.
So würde ihm die Zeit eher vergehen, als in dem öden Bureau, bei den staubigen Akten.