zweites Blatt zu Nr. 256.
Samstag,
1 November 1913.
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Allerseelen.
Ein zarter Duft von letzten gelben Rosen
Zieht durch den Park. Des Herbsttags leiser Flimmer
Umspinnt das Haus; vor deinem Gartenzimmer,
Im Sonnengolde, starren Skabiosen.
Käm jener Duft aus deinem blonden, losen Geliebten Haar, stieg' deines Lachens Schimmer Mit süßem Laut noch einmal, wie einst immer,
Aus Gartentiefen, dunklen regungslosen.
Dürft ich noch einmal jenem Goldklang lauschen,
Kämst Du zurück, gleich Kindern, wegesmüden,
Die weit gewandert in die Sonntagsferne —
Es war ein Traum. Die Kirchhofslinden rauschen Auf deinem Grab. Du weilst im ew'gen Süden,
Und über mir stehn groß der Sehnsucht Sterne.
Prinz Emil zu Schönaich-Carolath.
Stuttgarter Brief.
G Stuttgart, Ende Oktober. Je dichter es schneit von braunem und gelbem Laub in den golden schimmernden Alleen, desto mehr regnet es an abendlichen Veranstaltungen, und auch dieses Jahr scheint eine Hochflut von Konzerten und Vorträgen im Anzug zu sein. Das ist leicht erklärlich, wenn man bedenkt, welch unerschöpfliches Thema die große Zeit vor 100 Jahren für alle vaterländischen Vereine und Gesellschaftsabende in den letzten Wochen geboten hat. Bis auf Nachzügler sind nun diese patriotischen Reden, geschichtlichen Rück- und Ausblicke, hochklingenden Prologe, Festspiele verrauscht, die Flammen der Freudenfeuer, die das Stuttgarter Tal mit einem strahlenden Kranz umgaben, verraucht, und neue Anregungen, neue Genüsse harren einer freundlichen Würdigung. Wir beginnen mit 2 Ausstellungen, die seit Mitte Oktober in Stuttgart zu besichtigen sind und weiteres Interesse verdienen; die eine betrifft kleinbürgerliche Wohnräume und ländliche Bauweise, die andere bringt neue Buntpapiere. Die Ausstellung für k l e i n b ü r g e r l i ch e W o h n- räumeund ländliche Bauweise befindet sich im Ausstellungsgebäude gegenüber dem Landesgewerbemuseum. Sie ist vorbereitet durch die seit einigen Jahrzehnten eingeleiteten Versuche, in ländlichen Bauten bodenständigen Stil zu pflegen und in Möbel und Wohnungseinrichtung Einfachheit
! und praktische Formen zu verbinden und stilwidrige ! Manier zu verbannen. Für die ländlichen Bauten ^ sind im ganzen 236 Entwürfe und Modelle einge- ! laufen, die Bauerngehöste, Kleinhäuser mit Landwirtschaft und Arbeiterhäuser behandeln und mit Preisen verschiedentlich ausgezeichnet wurden. Noch größeres Interesse dürften die kleinbürgerlichen Wohnräume finden, die in einer langen Flucht von Zimmern und Gelassen zu betrachten sind. Durch Vermeiden von jedem Luxus konnten anheimelnde Räume geschaffen werden, auch für den nicht mit allzu großen Elücksgütern gesegneten Mann erschwinglich. Wohltuend berührt, daß nicht durch Anstrich Hartholz vorgetäuscht wird, wo Tannenholz verwendet wurde, sondern daß in erster Linie auf Echtheit des Materials und gediegene Ausführung Wert gelegt wurde. Trotz der Einfachheit wirken die Möbel, deren Entwürfe von der Beratungsstelle für das Baugewerbe stammen, bald einfarbig, bald mehrfarbig schön und anmutig. Abwechslung wurde erreicht durch Bemalung größerer Holzflächen wie durch Anwendung des modernen Beizverfahrens. Die Ausstellung wird zweifellos ihren erzieherischen Zweck für die kleinen Meister wie für das Publikum nicht verfehlen. Auch die Ausstellung der Buntpapiere in der König Karlshalle des Landesgewerbemuseums, die 2. schon in Stuttgart von dieser Art, zeigte eine reiche Entwicklung dieses Zweigs im Kunstgewerbe. Seine Lieblingsbücher in ein schmuckes Gewand, zum Geist und Stil des Inhalts passend, zu kleiden, findet der Bücherliebhaber reiche Auswahl. Für größeren Verbrauch geeignet und billiger im Preis sind die meist dunkel gehaltenen, lithographierten Vorsatzpapiere von Emil Hochdanz-Stuttgart, während die mit der Hand in Kleistertechnik gearbeiteten wertvoller sind. Hier hat die Phantasie freien Spielraum und schwelgt in aparten Farben und Formen. Stilisierte Pflanzen und Früchte, Bänder, Kränze, Schlangen, Tupfen vereinigen sich zu kapriziösen, wirbelnden, schwermütigen, düsteren Wunderblättern, die in sinnvoller Art den Geist eines Buches vorbereiten, ergänzen, unterstreichen können. Hiebei sind besonders die Arbeiten von Helene Dolmetsch- Stuttgart, Elisabeth Reischle-Tübingen, Luise Rudolph und Elsa Hallwitz-Leipzig hervorzuheben. — Die Große, anläßlich der Einweihung desj
Kunstgebäudes — vulgo Eoldner Hirsch — veranstaltete Kunstausstellung, soviel bewundert und soviel angefeindet, ist bekanntlich am 19. Okt. nach festlicher Beleuchtung, die im König Wilhelmssaal besonders schön wirkte, geschlossen worden. Sie darf sich immerhin rühmen, von etwa l 10 000 Personen besucht worden zu sein; ein Teil ihrer Räume wird sich baldigst dem Württ. Kunstverein öffnen, dessen seitherige Ausstellungssäle in der Schelling- straße zum Tuchladen degradiert worden sind. — Unter den Abendvergnügen, die immer das zahlreichste und beifallsfreudigste Publikum finden, sind vor allem der Zirkus Corty-Althoff zu nennen, der mit vorzüglichem Pferdematerial und der Schulreiterin Gräfin Betina de Miremont die Sportskreise entzückt und durch seinen Entfesselungskünstler Hou- dini, der von Packern und Schreinern aller möglichen Firmen, von Krankenträgern sich fesseln, verbinden, anketten läßt und ehen immer wieder frei kommt, ohne daß ganz Stuttgart hinter seinen Trick kommt, die Besucher in Atem hält. Von dem geplanten Palais de danse ist es still geworden, da bis jetzt die Genehmigung nicht erteilt worden ist; dagegen blühen im Savoyhotel wieder die Nachtkonzerte mit Cymbelvirtuosen und Kapelle aus Pest, und auf der Rollschuhbahn vergnügt sich die rollende Menschheit zu den Klängen eines neuen Riesen- orchestrions. — Von den Konzertgenüssen ist ein Abend des als größten Geiger gerühmten Ivan M anen hervorzuheben. Seine staunenswerte Technik, die ans Unglaubliche grenzt, weiß er feiner vornehmen Auffassung und seinem glutvollen Ernp- finden, mit dem er Bach und Bruch, Beethoven und Gluck spielte, dienstbar zu machen. Neben einem Liederabend von dem einheimischen Sänger Ludwig Feuer lein, der nur Schuberts Winterreise vortrug und großen Beifall errang, bot einen ungetrübten Genuß das 1. Abonnementskonzert der Kgl. Hofkapelle. Mit dem prachtvollen Vorspiel zu Wagners Meistersingern begann das Konzert, im Mittelpunkt stand Hugo Wolfs aufwühlende sinfonische Dichtung „Penthesilea" und den Beschluß bildete Beethovens 8. Sinfonie. Der Leiter, Dr. Max v. Schillings, war auch für einen erstklassigen Solisten bemüht, und der Pianist Prof. Emil Sauer-Dresden mit den weißen Haaren und dem feu-
Aas Ilngtückshaus.
29 Roman von Georg Türk
War es ein Wunder, daß Friedrich Meinhart die Gespräche auf der Bank hinterm Haus vorzog? War es ein Wunder, daß er tausendmal lieber mit Maria redete, die mit leuchtenden Augen ihm zuhörte, wenn er ihr und ihrer Schwester Anna Geschichten erzählte aus vergangenen Zeiten?
Eines Abends kam der Assessor ins Pfarrhaus und als er auf sein Klopfen keine Antwort erhielt, trat er ungerufen ein.
Der Pfarrer, der am Fenster stand, fuhr erschrocken herum und sah verwirrt auf den Eintretenden.
„Du mußt aber gewaltig geträumt haben, daß du mein Klopfen nicht hörtest!"
„Verzeihe, ich war in Gedanken."
„So! — Wird vielleicht etwa gerade die Predigt für den kommenden Sonntag geboren? Dann verschwinde ich augenblicklich. Denn bei diesem heiligen Werke will ich nicht stören."
„Ich dachte mit keinem Gedanken an die Predigt. -Es ist mir lieb, daß du kommst! Ver
trauen gegen Vertrauen! Du hast einmal, am Tage deiner Ankunft, offen mit mir geredet, ich will das heute auch tun!"
„Du! Das ist aber eine feierliche Einleitung!"
„Ich dachte, als du zur Türe hereintratst, ans Unglückshaus ... Ich war öfter in dem Haus, als du denkst. Nicht nur abends, wenn du da warst, sondern auch nachmittags, wenn du im Bureau warst.
„Ich weiß, um in die dunkle Seele der Mutter Licht fließen zu lassen."
„Meine Mühe ist umsonst."
„Dachte ich mir!"
„Trotzdem gehe ich noch ins „Unglllckshaus".
„Wegen Maria kommst du so oft ins Haus?" unterbrach ihn Hans Ringer hastig.
Der Pfarrer seufzte tief auf und antwortete: „Ein Stein ist mir vom Herzen gefallen! Ich bin froh, daß du es gesagt Haft. Ich hätte noch manchen Umweg gemacht.
Hans Ringer setzte sich langsam wieder auf seinen Platz, stützte die Arme auf die Knie und legte den Kopf in die Hände.
Vor seinem inneren Auge tauchte jener Abend empor, jener Abend, als das Frllhlingsgewitter vorüberzog . . ., als er aus Heine vorlas und er sie umschlang, wild und heiß . . . Und er dachte daran, wie sie am folgenden Abend mit lindernder Hand die Wogen geglättet, wie sie ihn freundlich und sanft den rechten Weg gewiesen hatte und ihn zurückgeführt zu Elisabeth . . . War nun der Rechte gekommen, der mehr sein sollte als Freund? Friedrich Meinhart sollte der Glückliche sein, der dieses Mädchen lieben durfte? Und Maria? Hat sie nicht so manches Mal das Gespräch auf ihn gelenkt, seine Predigten gelobt . . . Hat sie ihn nicht mit der alten Chronik ins Haus gelockt?-
„Woran denkst du?" fragte der Pfarrer.
Hans Ringer fuhr empor und sah den Pfarrer an. „Wahrhaftig!" dachte er bei sich. „Dieser große, starke Mensch und dieses zarte, zierliche Geschöpf — sie passen gut zusammen!"
Eine ehrliche Freude stieg in ihm auf.
„Ein Glückspilz bist du!" rief er . . „So rede doch: Wie steht es? . . . Wie weit seid ihr? . . . Hast du es ihr schon gesagt?"
Der Pfarrer hob abwehrend die Hand: „Gemach, Freund! So rasch geht das nicht! Wie kannst du nur so etwas denken! Da muß ich zuvor noch allerhand wissen."
„So—! Ja, was denn?"
„Ich muß das Geheimnis wissen, das in dieser Familie steckt. Ich muß wissen, was mit dem Sohn in Amerika ist!"
„O sancta simplicitas! Was hat das mit der Liebe zu Maria zu tun?"
„O sehr viel! Ich bin Geistlicher! Mein schwarzer Rock ist ein Symbol. Man sieht jedes Stäubchen darauf! Eine Weile mit dem Mädchen tändeln und dann weglaufen — das ist meine Sache nicht. Wenn ich ihr näher trete, ist es mir heiliger Ernst. Und nun mache ich mir fast Vorwürfe, daß ich bei dem Mädchen, zu dem es mich freilich mit Gewalt hinzieht und die mich, so viel ich gemerkt habe, nicht ungern sieht, schon allerlei Hoffnungen erweckt habe, ohne daß es mir gelungen wäre, jenes Geheimnis zu ergründen."
Hans Ringer schlug ärgerlich mit den Händen auf die Knie und sagte: „Was geht dich dieses Geheimnis an?"
Ernst und jedes Wort betonend, entgegnete der Pfarrer: „Ich kann nur mit einem Mädchen in die Ehe treten, auf deren Familie kein Makel liegt!"
„Ah so!" antwortete der Assessor gedehnt und wiegte den Oberkörper hin und her.