Aus dem Landtag.
Stuttgart, 28. Okt. Im Volkswirtschaftlichen Ausschuß kamen gestern fünf Eingaben betreffend die weitere Albüber- schienung von Ulm nach Münsingen mit einer Gegeneingabe von Reutlingen, die den Umbau der Zahnradbahn Honau- Lichtenstein in eine Adhäsionsbahn bezweckt, und ferner die Albüberschienung von Oberlenningen über Feldstetten nach Ulm, zur Besprechung. Der Referent war Abg. Locher. Er beantragte zu erkennen: 1. Ein Bedürfnis zum Bau einer zweiten ein- oder zweigeleisigen Hauptbahn über die Alb ist z. Zt. nicht nachgewiesen, 2. eine Entscheidung bezüglich der Frage, ob für eine spätere, noch nicht absehbare Zeit ein Drittes bezw. viertes Geleis auf der jetzigen Hauptbahn oder eine zweite Hauptbahn über die Alb ins Auge gefaßt werden soll, ist mangels ausreichender Unterlagen z. Zt. nicht möglich. Bei der Abstimmung wurden beide Ziffern angenommen, je mit 13 Stimmen. — In der heutigen Sitzung trat der Ausschuß in die Beratung der speziellen Projekte einer weiteren Albüberschienung ein. Es wurde ein Antrag Wieland auf Uebergabe an die Regierung zur Erwägung für die ganze Albbahn Oberlenningen, Feldstetten, Ulm angenommen. Im gleichen Sinne gelangte die Eingabe Reutlingens (s. o.) entsprechend dem Antrag des Referenten zur Annahme. Weiterhin die Eingabe bezüglich des Baues einer Nebenbahn Urach-Münsingen.
Neffenbach O. A. Ravensburg, 28. Okr. Ein kaum der Schule entlassenes Mädchen glitt beim Absteigen von einer Leiter aus und eine in der Nähe befindliche Gabel drang ihm in den Unterleib. Trotz der schweren Verletzungen besteht Hoffnung, die Bedauernswerte am Leben zu erhalten.
A„» Welt «n- Zeit.
Beschwerden über Zugverspätungen.
Karlsruhe, 28. Okt. An'die stelle der großen Begeisterung der hiesigen Bürgerschaft über die Eröffnung des neuen Bahnhofs ist eine ebenso große Entrüstung getreten. An kleinere Verspätungen der badischen Staatseisenbahnen ist ja nicht nur der badische, sondern ebenso sehr der außerbadische Reisende nachgerade gewöhnt; in den ersten Tagen nach Eröffnung des neuen Bahnhofs haben aber die Stockungen und Verspätungen der Eisenbahnzüge auf den badischen Strecken mehrere Stunden erreicht! Der sog. Theaterzug von Karlsruhe nach Pforzheim kam anstatt 11 Uhr abends morgens gegen 5 Uhr in Pforzheim an. Ganze Eisenbahnzüge blieben auf der Strecke zwischen Durlach und Karlsruhe stundenlang liegen, weil sie nicht in das Betriebsgebäude einfahren durften. Hunderte von Arbeitern zogen es vor, auszusteigen und den Weg zur Fabrik zu Fuß zurückzulegen, um nicht einen halben oder ganzen Arbeitsverdienst zu verlieren. Die amtliche Karlsruher- Zeitung glaubte in einer von der Eisenbahnverwaltung herrührenden Kundgebung den starken „Nebel" für die Stockungen und Verspätungen verantwortlich machen zu können; die gesamte Presse ohne Rücksicht auf ihre Parteizugehörigkeit lehnt aber eine solche Ausrede mit Entrüstung ab und ist darin einig, daß die schauderhaften Zustände am hiesigen Bahnhof einzig und allein auf eine ungenügende Vorbereitung und Schulung des Personals zurllckzuführen sind. Das Heidelberger Tagblatt verlangt heute die Einleitung einer gründlichen Untersuchung und Entfernung der unfähigen Beamten von ihren Aemtern. „Wenn es aber nicht möglich ist," schreibt das Blatt weiter, „ausreichende Garantie von der Regierung
dafür zu erhalten, daß derartige Blamagen in Zukunft nicht mehr Vorkommen, dann wäre es schon wirklich besser, die badischen Bahnen sofort den Reichsbahnen anzugliedern."
Ter neue König.
München, 28. Okt. Die Königsfrage ist nun so gut wie entschieden. Ter Prinzregent wird in kürzester Zeit als Ludwig HI. den bahr. Thron besteigen. Die Entscheidung hing von der Reichsratskammer ab. Mit großer Mehrheit wurde vereinbart, der Gesetzesvorlage über die Verfassungsänderung in dem Sinne, daß König Otto des Thrones entsetzt werden solle und Prinzregent Ludwig König werde, zuzustimmen. Ter Beschluß lautete einstimmig, die Gesetzesvorlage auf der verfassungsmäßigen und vom Landtag seiner Zeit angeregten Grundlage, wie sie bekanntlich auch der Justizminister festgesetzt habe, der Kammer zugehen zu lassen. Die Stellungnahme der Parteien ist im großen ganzen klar. Das Zentrum kann ohne weiteres zustimmen, die Liberalen voraussichtlich auch, die Sozialdemokraten werden natürlich dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten.
Die mit der Beendigung der Regentschaft notwendig werdende Aenderung der Verfaffungsbestimmungen, die festlegten, daß in Bayern auch ein geisteskranker Thronfolger- König werden mußte, ist nun vorgenommen. Die dem Landtag zugegangene Vorlage zur Beendigung der Regentschaft hat folgenden Wortlaut: Im Namen Sr. Majestät des Königs Ludwig, von Gottes Gnaden kön. Prinz von Bayern, Regent. Wir haben nach Vernehmung des Staatsrats mit Beirat und Zustimmung der Kammer der Reichsräte und der Kammer der Abgeordneten unter Beobachtung der in Titel 10 8 7 der Versassungsurkunde vorgeschriebenen Formel beschlossen und verordnen was folgt: Einziger Artikel. Der Titel 2 8 21 der Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818 erhält folgenden Absatz 2: Ist die Reichsverwesung wegen eines körperlichen oder geistigen Gebrechens des Königs, das ihn an der Ausübung der Regierung hindert, eingetreten und besteht nach Ablauf vonlOJahren keine Aussicht, daß der König regierungsfähig wird, so kann der Regent die Regentschaft für beendigt und den Thron für erledigt erklären. Der Landtag ist unverzüglich einzuberufen. Es sind ihm die Gründe, aus denen sich die dauernde Regierungsunfähigkeit ergibt, zur Zustimmung anzuzeigen. Für den Entwurf: Dr. Frhr. v. Hert- ling, Dr. Frhr. v. Soden-Fraunhofen, v. Thelemann, v. Breunig, Dr. v. Knilling, Frhr. v. Kreß. In der Begründung heißt es: Ob der Regent die Regentschaft für beendigt erklärt, steht nach den in dem Entwurf gemachten Vorschlägen in der freien Entschließung des Regenten. Es ist seinem Ermessen anheim gegeben, die Regentschaft zu beendigen, wenn er den Zeitpunkt dafür im Interesse des Staates für gekommen eracbtet.
Aus dem bayrischen Landtag.
München, 28. Okt. In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten verlas Präs. v. Orter er die Vorlage über die Beendigung der Regentschaft. Dann folgte die Interpellation der Liberalen über die „Bayrische Staatszettung". Ministerpräsident Freiherr v. Hertltng begründete deren Schaffung mit einem dringenden staatlichen Bedürfnis, ähnlich den Vorbildern in Sachsen und Württemberg. In der Besprechung wandte sich ein Redner hauptsächlich dagegen, daß die bayrischen Gemeinden gezwungen würden, die Staatszeituug zu halten; Pichler (Ztr.) sieht diese Zeitungs-Gründung als einen Akt der Notwehr an, da die Regierung eine Waffe haben müßte, sich gegen unausgesetzte Verdächtigungen und Nörgeleien zu wehren.
Die nächste Sitzung des Reichstages ist auf den 25. Nov. nachmittags 2 Uhr angesetzt. Auf der Tagesordnung stehen Petitionen.' Dem Reichstag ist zugegan- Zen der Entwurf eines Gesetzes betr. die Beschäftigung von Hilfsrichtern beim Reichsgericht, wonach die von dem Reichskanzler auf Grund des Artikels 12 des Gesetzes betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts vom 22. Mai 1910 ein- berufenen Hilfsrichter beim Reichsgericht noch bis zum 1. Juni 1914 beschäftigt werden dürfen, sodann der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Aenderung der Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige.
Mecklenburg.
Schwerin, 28. Okt. In der heutigen Plenarsitzung des mecklenburgischen Landtags wurde die Verfassungsvorlage mit großer Mehrheit (239 gegen 129 Stimmen) abgelehnt.
Ergebnislose Präsidentenwahl in Mexiko.
Die Präsidentenwahl ist ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Das beim Schluß der Abstimmung vorliegende Ergebnis hat erwiesen, daß nicht genügend Stimmen abgegeben worden sind, um die Wahl eines Kandidaten zu sichern. Daher ist kein Kandidat gewählt. In der Provinz wurden mehr Stimmen abgegeben als in der Hauptstadt, doch ist Huerta der Ansicht, daß die Wahl auch dort resultatlos verlaufen ist. Er bereitet alles vor, um die Geschäfte als Diktator weiter zu führen. Den Stand der Armee hat er von 80 000 auf 150 000 Mann erhöht. Diese Maßregel soll nicht nur seinem persönlichen Schutze, sondern auch als Warnungszeichen für die abenteuerlichen Pläne in Washington oienen. Der Kongreß hingegen ist gesetzmäßig gewählt, da für die Wahl der Kongretzabgeordneten nicht so viel Stimmen notwendig sind, wie für die Präsidentenwahl.
Berlin, 28. Okt. In der Hauptversammlung der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft sprach der Kaiser seine Freude darüber aus, daß es Dr. Haber ge-
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25.) Roman von Georg Türk.
Meinhart sah sie überrascht an. Er mußte sich zugestehen, daß die Sache, die sie berührte, etwas zu kurz gekommen war.
Und da er nun in seinem Fahrwasser war, kam eine angeregte Unterhaltung zwischen den beiden zustande. Es freute den Pfarrer herzlich, eine Zuhörerin gefunden zu haben, die auf das wirklich acht hatte, was er in seinen Predigten sagte.
Schließlich war aber das Thema genügend behandelt, und Meinhart steuerte nun geradewegs auf den Gegenstand los, der die eigentliche Ursache seines Besuches war.
„Sie haben," wandte er sich an Maria, „wie mir mein Freund sagte, eine alte Chronik im Haus gefunden?"
Die Mutter und Hedwig sahen erstaunt auf Maria.
„Was für eine Chronik?" fragte die Mutter. „Ich weiß gar nichts davon."
„In einer alten Truhe droben auf dem Boden fand ich sie. Soviel ich sah, wird von Leuten erzählt, die früher dieses Haus bewohnten. Der Herr Pfarrer beschäftigt sich sehr viel mit solchen Dingen. Du wirst nichts dagegen haben, wenn ich sie ihm gebe."
Die Mutter schüttelte den Kopf. „Was soll ich dagegen haben? Mich interessieren solche alten Bücher nicht! Ich habe genug mit mir zu tun!"
Sie stand auf und ging mit Hedwig in die Küche. Auch der Pfarrer erhob sich.
„Ich erfahre doch, was Sie in dem alten Buch alles finden?" sagte Maria beim Abschied.
Er versprach, ihr davon zu berichten.
Am Nachmittag war das herrlichste Wetter, doch der Pfarrer Meinhart ließ die Sonne scheinen und die Vögel singen, er saß in des Assessors Studierstube und war in die Chronik des Unglückshauses versunken.
Auf der ersten Seite des dicken Bandes fand er folgenden Eintrag verzeichnet:
Auf Erden manche Blume blüht,
Auf Erden manches Feuer glüht —
Das Feuer verlöscht, die Blume vergeht:
Der Erden Freuden sind bald verweht.
Dort oben, wo der Sterne Licht Hell leuchtet, dort ist zugerichtt Der Friede für die, die wacker gerungen,
Die banges Zagen im Glauben bezwungen.
Stammbuch
oder
Geschlechtsregister
der
Familie Degenbarth, geschrieben von
Johannes Georg Degenbarth.
Von vielem berichtete die Chronik; viel Unglück, wenig Glück hatten die Degenbarths erlebt. Von Krieg, Feuersnot und Krankheit erzählten die Blätter. Es mögen wohl auch frohe Tage Uber dem Un- glllckshause geleuchtet haben, die aber rauschten vorüber und wurden vergessen, denn das Leid prägt sich tiefer in die Seelen der Menschen als die Freude. Freude erscheint ihnen als etwas ganz Natürliches, das Leid aber schreiben sie auf in ihren Herzen oder auf dem Papier.
Wenn wir alles erzählen wollten, was in diesen vergilbten Blättern zu lesen stand, so müßten wir ein eigenes Buch darüber schreiben. Die Chronik der Familie Degenbarth liegt wohl verwahrt im Archiv von Erlenstadt. --
Es dämmerte schon, als der Pfarrer die Brille von den Augen nahm und aufatmend vor sich hin sagte: „Vor kurzem trat ich wie ein Fremder in dies Haus. Nun bin ich aber mit allem vertraut und bekannt!"
Merkwürdig: die Abneigung, die er bisher gegen Frau Hellmuth empfunden hatte, war gewichen. „Sie ist eine Witwe und kennt das Leid..."
Sein Freund, der Assessor, hatte wohl recht: Er, der Pfarrer, hat die Pflicht, den Leidtragenden beizustehen! Er nahm sich vor, sie öfter zu besuchen und mit ihr zu reden. —
„Nun," fragte der Assessor bei seiner Rückkehr, „bist du von der Chronik befriedigt?"
„Es ist ein Buch voll Tränen und Leid! Ich bin noch wie im Traum."
(Fortsetzung folgt.)