Sta-t, Bezirk ««- Nachbarschaft.
Talw, den 8. Oktober 1913.
Herbstes-Zeit.
Die Sonne ringt des Morgens schon energisch mit dem Nebel, der Wald beginnt sich zu färben, die Vög- lein schweigen. Sommergrün und Blumenduft zieht von dannen — der Herbst ist da. Es wird uns traurig und wehmütig zu Mut, wenn wir jetzt tagtäglich dem großen Sterben in der Natur zuschauen müssen. Besonders dann, wenn auch wir vielleicht schon in unserer Lebenszeit im Herbste stehen. Dein blütenvoller Lenz ist vergangen. Dein sonniger, wonniger Sommer ist geschwunden. Nun stehst Du schon im Herbst. Auch der Herbst wird noch entweichen und dem Winter und dem Tode können wir nicht entfliehen.
Ich sah den Wald sich färben,
Die Luft war grau und stumm;
Mir war betrübt zum Sterben,
Und wußte kaum, warum.
Allein gerade im Herbst durchschallt die Natur froher Menschenton. Herbsteszeit ist doch auch frohe und wonnige Zeit. Es ist ja die Zeit der Ernte, und Erntezeit ist immer Freudenzeit. In den Weinbergen erschallt froher Gesang zum Fest der Weinlese. Die Scheunen werden gefüllt mit den letzten Garben gold- ner Körner. Einst mußten die Menschen in heißer Arbeit den Acker bestellen und in schwerer Mühe den Weinberg bearbeiten. Nun hat Gott die Mühe geseg-j net und seine milde Hand aufgetan und die Scheunen mit goldenen Garben und die Kelter mit köstlichem! Wein gefüllt. Jetzt im Herbst ist die ganze Welt ein weit gesegnetes Erntefeld. Auch Menschheitsgeschichte ist Erntefeld. Wir ernten vielfach, was andre gesät haben. Unsere heutige Generation erntet vielfach, was unsere Vorfahren vor 100 oder 40 Jahren gesät haben. Auch das einzelne Menschenleben ist Erntefeld. Heil uns, wenn wir in unserer Jugend eifrig waren, die Aussaat gewissenhaft zu besorgen! Heil uns, wenn unser Wirken selbst noch fortwirkt, wenn wir nicht mehr sind, und wenn andere ernten, was wir gesät haben. Dann mag die Sichel am Lebensabend erklingen und die Stunde der Ernte kommen, du kannst froh und unverzagt sein, denn du hast treu gearbeitet. Und noch eins: die Früchte der Ernte haben schon Körner für den neuen Frühling. Wohl uns, wenn wir durch unser Wirken dem ewigen Frühling getrost entgegensehen können.
ik. Militiirverein Calw. Zu dem Vortrag von Handelsschuldirektor Fischer am Sonntag abend im Hotel Waldhorn hatte sich eine große Anzahl Dereins- angehöriger, sowie der stellvertretende Bezirksobmann, Herr L. Wagner, und mehrere Mitglieder des Vetera- nen-Vereins eingefunden. Von den Phöniziern ausgehend, ließ der Vortragende an Hand von Karten in l^stündiger, leicht verständlicher Rede die Städte und Völker, die sich am Welthandel beteiligten, in äußerst lehrreicher Weise vorüberziehen und hat hiebei nachdrücklich hervorgehoben, daß handeltreibende Völker von jeher bestrebt sein mutzten, ihre wirtschaftlichen Interessen unter Umständen durch Waffengewalt wahren zu können, und daß deshalb auch den meisten Kriegen vom Altertum bis in die neueste Zeit Interessen wirtschaftlicher Natur zu Grunde liegen. Eingehend beleuchtete
Redner dann die Zeit vor hundert Jahren, wo sich Europa von dem Druck Napoleons l befreite und wie endlich 1870/71 die Armee es war, die unser deutsches Vaterland geeinigt und somit den Anlaß zu dem ungeahnten Aufschwung unseres Wirtschaftslebens gegeben hat. Reicher Beifall belohnte Herrn Direktor Fischer für seinen von allen Anwesenden dankbar aufgenommenen, interessanten Vortrag; und es darf vielleicht hier die Hoffnung ausgesprochen werden, Herr Direktor Fischer möge uns in Bälde wieder einmal mit einem solchen erfreuen. Gebührender Dank wurde demselben durch die Herren W. Schnaufer, Vorstand des Militär- Vereins, I. Seeger, Vorstand des Veteranen-Vereins und L. Wagner, stellvertr. Bezirksobmann, ausgesprochen.
Turnerisches vom Nagoldgau. Zu dem im Juli d. I. in Leipzig stattgefundenen, an turnerischen Leistungen und vaterländischer Begeisterung alle seine Vorgänger überragenden 12. Deutschen Turnfest sind aus Schwaben 13 Musterriegen angetreten, darunter auch eine des Nagoldgaues. (Eauvertreter Emil Stauden- meyer-Lalw). Dieselbe führte unter der Leitung des Eauturnwarts Riderer-Ebhausen Stabübungen vor. Nach der in der neuesten Nummer der Deutschen Turnzeitung erschienenen Bekanntmachung des Kampfgerichts hat diese, aus 8, den Turnvereinen Calw (3), Altensteig, Alzenberg, Haiterbach, Rohrdorf und Ottenbronn (je 1) ungehörigen Turnern zusammengesetzte Riege sehr gut abgeschnitten. Bei 10 überhaupt erreichbaren Punkten errang sie sich im An- und Abmarsch 8, Ordnungsverhalten 9 und in der Ausführung ebenfalls 9 Punkte. Die Auswahl der Hebungen wurde als zweckmäßig bezeichnet und vom Kampfgericht noch besonders hervorgehoben, daß die Riege auch die allgemeinen Freiübungen sehr gut (9 Punkte) geturnt habe. Wir beglückwünschen den Nagoldgau und seine wackeren Turner zu diesem schönen Erfolg!
po. Aus der Jungdeutschlandbewegung. Am 11. und 12. Oktober begehen die Ortsgruppen Stuttgart, Calw, Cannstatt, Eßlingen, Holzgerlingen, Böblingen, Obertürkheim, Plochingen, Köngen, Nürtingen, Kirchheim u. T., Neuffen, Urach, Metzingen, Reutlingen, Tübingen, Herenberg, und Weil i. Sch. die Jahrhundertfeier durch ein großes Kriegsspiel bei Waldenbuch unter der Oberleitung des Generals Freiherrn v. Hügel. — Von der Lalwer Ortsgruppe werden sich annähernd 100 Jungmannschaften beteiligen, die Samstag vormittag mit der Bahn nach Schafhausen befördert werden, anschließend daran erfolgt ein kurzer Marsch nach Ehningen, und von dort Bahnfahrt über Böblingen nach Station Schönaicherfirst, um sodann ins Aichtal zu gelängen, bio unentgeltliche Unterkunft gewährt ist in der Oberen und Unteren Raumühle, sowie in der Speudelsmühle. Die Grundlage für das Geländespiel ist folgende: der auf mitte Oktober 1363 vom Reichsgerichtshof angeordneten Uebergabe der Graf Hohenbergschen Herrschaft Waldenbuch an den Herzog von Nislingen widersetzen sich die Hohenbergs. Aufgebote des Nislingen (Führer Major von Haff, gelbe Abzeichen), werden zur gewaltsamen Besitzergreifung heimlich um Waldenbuch herum zusammengezogen. Hohenberg, (Major Reinhardt, rote Abzeichen), erwartet am 11. Oktober abends die Stuttgarter Gruppen
in Waldenbuch, den 12. Oktober vormittags die Gruppen von Böblingen, Calw, Holzgerlingen und Weil i. Sch. — Nislingens Gefolgschaft nächtigt in den umliegenden Ortschaften, und sucht zu verhindern, daß die rote Partei, deren Aufgabe es ist, heimlich nach Waldenbuch zu gelangen, dem Hohenberg zu Hilfe eilt. Wir wünschen der hiesigen Ortsgruppe eine gute Lösung der ihr gestellten Aufgabe.
8Lt>. Mutmaßliches Wetter. Für Donnerstag und Freitag steht zwar zeitweilig bewölktes, aber trockenes und kälteres Wetter bevor.
8t. Hirsau, 7. Okt. Die Forstamtmannstelle bei dem Forstamt Roßfeld mit dem Sitz in Crailsheim ist dem Forstassessor Feucht hier übertragen worden.
Bad Teinach, 7. Okt. Das Gebäude, in dem sich seit mehreren Jahrzehnten die Apotheke befand, wurde von Sattlermeister Zerweckh um 27 000 -K gekauft, während Apotheker Käfer das Haus des Privatiers Nitsche um 17 000 -N kaufte.
Nagold, 8. Okt. Aus Verneck wurde ein junger Mensch, der vor 6 Wochen einem Verwandten einige 100 lK entwendete und mit dem Geld durchgegangen war, verhaftet. Er hat sich, nachdem das Geld verbraucht war, freiwillig gestellt.
Neuenbürg, 7. Okt. In Loffenau ist der Witwer Zetlmann auf dem Heimweg über die Treppe gestürzt und bewußtlos nach Hause getragen worden. Er ist den Folgen des Sturzes erlegen.
G Weilderstadt, 7. Okt. Im nahen Merklingen hatten Sonntag abend einige junge Leute Streit. In dessen Verlauf wurde der 26 Jahre alte Schmied Schäffler mit einem Stück Holz derart auf den Kopf geschlagen, daß er bis heute noch nicht beim Bewußtsein ist. Dessen Bruder erschien nachher mit einer Flinte auf dem Tatplatz, was einen großen Menschenauflauf verursachte.
Württemberg.
Stadtpfleger Burger in Athen.
Heilbronn, 7. Okt. Der Aufenthalt Burgers ist ermittelt; er hält sich in Athen auf und es ist, wie man hört, das Auslieferungsverfahren eingeleitet worden. In der Stadt geht das Gerücht, daß auf Grund dieses Antrages auch bereits seine Verhaftung erfolgt sei; an amtlicher Stelle ist davon aber nichts bekannt, wenngleich damit gerechnet werden muß, daß die Verhaftung und Auslieferung nunmehr erfolgen wird.
Die Mordaffäre.
Vom Bodensee, 7. Okt. Der bei einem Mordversuch an seinem Villennachbarn Mackley in Ueberlingen erschossene Stuttgarter heißt nicht Schwaier, sondern ist der 51 Jahre alte verheiratete Kaufmann Leonhard Schweyer, Vater von zwei Töchtern im Alter von 18 und 23 Jahren, sowie Teilhaber der Firma Schweyer u. Co., Weitzwarengeschäft en gros in Stuttgart. Wie weiter verlautet, hatten die beiden ehemaligen Freunde vor der Mordtat auch eine Unterhaltung über die Vertreibung eines Fahrradpatentes, das Mackley erhalten hatte und für dessen Verwertung sich Schweyer, der auch außerhalb seines Geschäftes gern industrielle Beteiligung suchte, lebhaft interessierte. Mackley gab im ganzen drei Schüsse auf Schweyer ab. Wie raffiniert Schweyer vorgegangen war, geht unter anderem daraus
Das ZlnglüLshaus.
9.) Roman von Georg Türk
Durch die Fenster schweifte der Blick gerade durch die Bäume hindurch nach dem Burgberg, außerdem sah man noch ein Stück der Straße mit der Pappelallee und links davon breitete sich das Flußtal aus, das abgegrenzt war von sanften Höhen. Die anderen Fenster boten wenig Ausblick. Jetzt, da die Bäume kahl waren, konnte man einen Teil von Erlenstadt sehen, im Sommer aber war das wohl kaum möglich. Rechts von der Eingangstllr führte eine andere ins Schlafgemach.
„Das Zimmer muß ich haben!" rief der Assessor begeistert.
Dem Pfarrer gefiel das Zimmer wohl auch, die Frau weniger.
Hans Ringer verhandelte mit der Frau wegen des Preises. Er schien ihm etwas hoch und sagte das auch. Aber sofort gab die Frau mit harter Stimme zur Antwort: „Nachlassen kann ich nichts! Der Herr braucht ja nicht einzumieten, wenn er nicht will!"
Da aber dem Assessor das Zimmer überaus gut gefiel, willigte er in den Preis.
Die beiden gingen.
„Was kümmert mich die Frau? — Und übrigens: muß ich dem Pfarrer gute Lehren geben? — Hast du die Runzeln auf ihrer Stirn gesehen? Wer weiß, wie ihr das Leben mitgespielt hat!"-
Sie gingen zum Bahnhof, um den Auftrag zu geben, daß Hans Ringers übriges Gepäck, das inzwischen angekommen war, in sein neues Heim geschafft werde.
So hatte Hans Ringer Wohnung gefunden im Unglückshaus. —
Als er zum ersten Male dort sich zum Schlafe niederlegte, dachte er an die Worte der Frau: „Wer in dem Hause wohnt, hat Unglück!"
Er lachte hell auf und sagte vor sich hin; „Was die Leute doch für dummes Zeug reden!"
Viertes Kapitel.
Der Assessor hatte sein neues Amt angetreten. Es wurde bald bekannt, daß mit ihm nicht gut Kirschen essen sei. Immer war er gleich unwirsch und ungeduldig. Nicht bloß er fühlte, daß er keine rechte Lust und Freudigkeit für diese Tätigkeit habe, auch die anderen, die mit ihm zu tun hatten, bekamen es zu spüren.
Auch die Beamten und Bürger von Erlenstadt waren nicht recht mit ihm zu frieden. Einmal, weil er im „Unglückshaus" wohnte, „bei der alten, geizigen Hellmuth", wie die Leute sagten, und zweitens, weil er sich gar selten an den „Gesellschaftsabenden" beteiligte.
Die Erlenstädter waren mit ihrem Urteil bald fertig: „Der neue Assessor ist ein eigener, eingebildeter Mensch, mit dem man nichts anfangen kann."
Der Assessor wußte von diesen Reden, die über ihn gingen, nichts. Und wenn er davon gewußt hätte, hätte er sich nicht darum gekümmert.
Sein Freund, der Pfarrer Meinhart, war in dem Punkte ganz anders. Ihm lag sehr viel daran, bei den Leuten nicht in ein schiefes Licht zu kommen.
Der Assessor war immer froh, wenn wieder ein Tag vorüber war.
Abends kam er zuweilen ins Pfarrhaus und hörte Meinharts Vorträge über seine neuesten Funde im Archiv an. Am liebsten aber saß er daheim und las in seinen Philosophen.
So vergingen drei Wochen.
Hans Ringer wohnte im „Unglückshaus" und die Bewohner desselben schienen ihn nicht im geringsten stören zu wollen. Frau Hellmuth brachte ihm am Morgen den Kaffee, stellte ihn schweigend auf den Tisch und verließ das Zimmer. Ein Gespräch kam nie recht zustande, da die Frau nur redete, wenn er begann. Seine Fragen beantwortete sie kurz. Mit Mühe brachte er heraus, daß sie einen Sohn, seines Zeichens Magistrats
beamter, und drei Töchter habe. Ihr Mann, ehemals Forstmeister, sei schon gestorben.
Nun war Hans Ringer durchaus nicht darauf aus, einen regen Verkehr anzubahnen, „Familienanschluß" zu suchen, aber die schweigsame, fast geheimnisvolle Art dieser Frau reizte ihn, nähere Einblicke in die Verhältnisse dieser Familie zu tun. Die Frau machte ihm den Eindruck, als wäre sie die Unzufriedenheit selbst, sie schien ganz die Auffassung von der Welt zu haben, wie er.
Manchmal, wenn er die Fenster offen hatte, hörte er, wie unten im Wohnzimmer ziemlich anfängerhast Klavier gespielt wurde.
Seine Neugierde wuchs immer mehr.
„Ich muß die Familie näher kennen lernen!" dachte er. Und an einem Sonntag Nachmittag stieg er kurz entschlossen die Treppe hinunter und klopfte an der Türe des Wohnzimmers.
Eine weibliche Stimme rief: „Herein!"
Er trat ein.
Ein junges Mädchen, etwa sechzehn Jahre alt, das vor dem Klavier gesessen, erhob sich und wurde über und über rot, als sie den Assessor bemerkte.
Er sah ihre Verlegenheit und lächelte.
„Muß ich mich vorstellen oder kennen Sie Ihren Zimmerherrn?" begann er. „Sie sind gewiß eine Tochter des Hauses?"
Sie nickte.
„Und Sie sind wohl auch die Künstlerin, die ich zuweilen spielen höre?"
„Ich denke, man hört es nicht oben!" gab sie fast erschrocken zurück.
„O doch! Wenn ich das Fenster öffne!"
„Das dürfen Sie nicht! Ich kan ja noch nichts! Spielen Sie auch?"
„Ein wenig!" lächelte er und setzte sich ans Klavier.
(Fortsetzung folgt.)