Nr. 232. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Lalw. 88. Jahrgang.

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Samrtag, den 4 Oktsber

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Mehr Rinder!

Zur Frage des Geburtenrückgangs in Deutschland gibt Fr. Naumann in derHilfe" eine Reihe Betrach­tungen. Wir entnehmen daraus folgendes:

Im Jahr l800 lebten im heutigen Frankreich 27 Millionen Menschen, im heutigen Deutschland aber nur 21 Millionen. Wer das nicht beachtet, versteht gar nicht, woher das französische Uebergewicht kam, denn auch ein weltüberwindender Geist wie Napoleon mutzte von einer Menge umkleidet sein, um wirken zu können. Das heutige Oestreich-Ungarn hatte damals 23 Mill. Menschen, Italien 18 Mill. und Rußland vermutlich 38 Mill. Diese letzteren traten zuletzt auf die Bühne. Die Reihenfolge der europäischen Staaten in der Na­poleonszeit war: Rußland, Frankreich, Oestreich, Deutsch­land, Italien, England. Die jetzige Reihenfolge ist: Retzland, Deutschland, Oestreich-Ungarn, Großbritan­nien, Frankreich, Italien. Das haben die Müt­ter gemacht, und die Soldaten und Staatsmänner haben daraus nur die Folgerungen gezogen. Bismarck hatte nur zu vollziehen, was schon fertig war; daß er es aber konnte, war seine Größe. Zwischen 1850 und 1900 wuchs das europäische Rußland um etwa 50 Mill. Menschen, Deutschland um 21 Mill., Oestreich-Ungarn um 15 Mill., Großbritannien um 14 Mill., Italien um 9 Mill., Frankreich um 3,7 Mill. Deshalb wurde Frankreich der Trabant Rußlands; die russischen Mütter sollten die Soldaten zur Welt bringen, für die es in Frank­reich keine Wiege mehr gibt. Völker ohn Kinder wer­den abhängig. Es gilt auch hier: und setzt ihr nicht selber das Leben ein, so wird nicht das Leben gewon­nen sein! Wie denken wir uns die deutsche Zukunft? Wenn ein junges Ehepaar nur von heute bis auf mor­gen rechnet, wenn es weder sozial noch national denkt, wenn es von der Elternfreude an Kindern wegen in­nerer Unfähigkeit nur wenig begreift, dann kann dieses geistig arme Paar sich Vorreden, daß sie beide weniger Sorgen haben werden, wenn sie ihrem ersten Kinde kein weiteres hinzufügen. Sie kann dann noch ver­dienen und er kann noch trinken und beide können in den Kino gehen. Gegen diese Rechnung läßt sich nichtseinwenden. Sie ist richtig! Nur die Men­schen, die solche Rechnungen machen, taugen nichts. Solche Leute aber gibt es jetzt viele, und man muß sich fragen, was wir im ganzen in un­serer Erziehung falsch gemacht haben. Statt derartiger blutarmer, hoffnungsloser Zivilisation wollen wir lie­ber wieder etwas vom derben alten Geiste haben, der noch Pflichten und Opfer kannte. An diesem Punkte entscheiden sich die deutschen Geschicke: entweder wir bringen es fertig, ein menschenschaffendes Volk zu blei­ben, oder unser deutscher Weltgeschichtstag ist vorbei. Jetzt sollte der Philosoph Fichte nochmals an die deut­sche Nation sich wenden: Die Zeit der moralischen Ent­scheidung ist vorhanden. Vor einer Art von Beratern aber hütet euch: vor den lauen Tröstern, die ^ euch sagen, daß das alles jetzt noch nicht so schlimm und drin­gend sei! Scheinbar haben sie recht, denn wir haben noch reichlichen Zuwachs, noch ist der französische Zu­stand nicht da. Aber wenn wir warten, bis wir in dieser Sache Franzosen geworden sind, dann ist es zu spät. Die lleberwindung der schleichenden Krankheit kann, wenn überhaupt, nur in den Anfängen erfolgen, solange noch eine lebendige Erinnerung an gute Eltern­häuser vorhanden sind. Später helfen alle Klagelieder, Aufforderungen und Prä­mien nichts mehr. Die Franzosen mögen machen, was sie wollen, es wird zu spät sein, sie werden kei­nen neuen Aufschwung erleben. Ihr Beispiel soll uns warnen. Auch bei ihnen hieß es immer, die Sache sei gar nicht so schlimm, man solle nicht übertreiben, man soll Ruhe halten. So tröstete man sich in die Kraft­losigkeit hinein. Und es sagen die faulen Tröster und falschen Berater, daß im französischen Falle zwar die Menge der Menschen geringer, ihre Beschaffenheit aber desto besser sei. Sie reden so schön von den größeren

Portionen, die für die wenigeren Kinder übrigbleiben, von der sorgfältigeren Erziehung, der größeren Säug­lingsschonung und vielem Aehnlichen. Klingt alles ganz annehmbar und läßt sich mit Worten nicht widerlegen, aber die Praxis spricht eine andere Sprache. Ich frage jeden Menschen, der Frankreich wirklich kennt, ob er an diese viel gerühmte Qualitätsverbesserung glaubt. Wosinddenn da die starken Helden,die höheren Qualitäten? Die Nation ist fein, elegant, geistreich, aber schwach aus angeborener Aengst- lichkeit. Ihr fehlt das Naturhafte, der Kampf, die Lust am Wetter und am Eewoge. Es fehlt die erziehende Kraft der Geschwister. Viele Einzelseelen! Und wie bleibt ein Volk ohne Kinder stehen! Jeder Aufenthalt in einer französischen Provinzstadt ist eine Schulstunde über dieses Thema. Es wird fast nichts Neues gebaut. Wozu auch? Wenn die Menschenzahl nicht wächst, ge­nügt es, wenn die bisherigen Räume in gutem Bestand gehalten werden. Kinderarme Völker können keinen neuen Stil haben, da sie aus dem Reparieren und Ver­vollständigen vorhandener Bestände nicht herauskom­men. Sie müssen ihre alten Formen behalten und wollen sie behalten. Das ist das Altwerden von Völ­kern. Irgendwann wird wohl jedes Volk alt. Es scheint uns aber, als ob die Deutschen zu schnell und zu zeitig damit anfangen wollten. Diel zu zeitig, denn noch ist längst nicht ausgeschöpft, was für Begabungen in der deutschen Natur liegen!

Das neue Calwer Bezirkskrankenhaus, i.

Im Frühjahr 1910 richtete Herr Dr. Autenrieth ein Gutachten an die städt. Kollegien von Calw, worin er ausführte, daß auf eine Verbesserung der Kranken­hausverhältnisse in Calw hingearbeitet werden müsse, weil das städt. Krankenhaus infolge des fortwährenden Anwachsens des Krankenstands nicht mehr genügend Raum zur Unterbringung der Kranken biete und auch den neuzeitlichen Ansprüchen der Krankenpflege in kei­ner Weise mehr genüge. Einer Vergrößerung des städt. Krankenhauses könne er schon wegen der schlechten Zu­fahrt und der nördlichen Lage nicht das Wort reden, gründliche Abhilfe sei nur durch Neubau eines Kran­kenhauses zu schaffen. Die bürgerlichen Kollegien konnten sich diesen Gründen nicht verschließen und be­schlossen, an die Amtsversammlung den Antrag aus Er­stellung eines Bezirkskrankenhauses zu stellen, welcher Antrag am 31. Mai 1910 einstimmig von der Amts­versammlung genehmigt wurde. Die Bauplatz­frage machte wenig Schwierigkeiten; bald war ein passender Platz in dem Anwesen des Herrn Friedrich Eundert gefunden und der 2 ba, 13 a, 28 qm große Platz um den angemessenen Preis von 21000 Mark (rund 94 F pro qm) erworben. Später wurde dann noch die anstoßende Parz. Nr. 2023 mit 23 a 01 qm von Herrn Bergrat Schüz um den billigen Preis von 1000 M (44 F pro qm) dazu gekauft. Die Wahl des Bauplatzes darf als eine sehr glückliche bezeichnet wer­den. Der Referent für Krankenhäuser beim K. Medi­zinalkollegium hat sich dahin ausgesprochen, daß der Platz in hygienischer Beziehung nicht nur nicht zu be­anstanden, sondern geradezu als ein idealer zu bezeich­nen sei. Mit Fertigung der Pläne und Kostenvor­anschläge wurden drei hervorragende Baumeister be­auftragt und aus den von diesen vorgelegten Plänen derjenige des Herrn Regierungsbaumeisters Do l l i n- ger in Stuttgart zur Ausführung bestimmt und dem­selben auch die Bauleitung übertragen. Der unterhalb des hohen Felsens überall sichtbare Bau paßt sich vor­züglich der Landschaft an, seine Vorderfront geht nach Süden, gegen Norden ist er durch den Berg vollständig geschützt. Die Einteilung des Baus ist eine sehr prakti­sche Raum ist genügend vorhanden, sodaß außer den vor­gesehenen 75 Krankenbetten mit Leichtigkeit noch wei­tere untergebracht werden können.

Die Einteilung des Gebäudes ist folgende:

Untergeschoß: Eine Krankenabteilung, enthaltend 2 Jrrenzellen mit Tobzelle und Badezimmer, 2 Zim-

I mer für Krätzekranke mit Bad, 1 Eefangenenzimmer, 1 Zimmer für Geschlechtskranke; ferner 1 Wärte»zim- mer, 1 Eßzimmer für das Personal, 1 Personalbad, 1 Dampfbad, 1 elektrisches Lichtbad, 2 Wäsche- und Bügel­zimmer, 1 Eetränkekeller, 1 Eemüsekeller, 1 Eiskeller, 1 Küche mit besonderem Epülraum, 1 Speisekammer, Aborte, 1 Maschinenraum und 1 Kohlenraum. 1. Stock: 2 Abteilungen für innere Kranke, im westlichen Flügel für Männer, im östlichen für Frauen, enthal­tend: je 1 Zimmer mit 6 Betten und anstoßendem Tag­raum, je 3 Zimmer zu 2 Betten, je 1 Zimmer mit 1 Bett, je 1 Badezimmer und Aborte. Im Mittelbau befinden sich: 1 Arztzimmer, 1 Wartezimmer, 1 Rönt­genzimmer mit Dunkelkammer, 1 Behandlungszimmer,

1 Laboratorium, 3 Schwesternzimmer, 1 Zimmer für die Verwaltung, 1 Zimmer für die Pförtnerin, 1 Tee- küche. 2. Stock, enthaltend: 2 Abteilungen für chirur­gische Kranke in gleicher Einteilung wie im 1. Stock. Der Mittelbau enthält: 1 großen und 1 kleinen Ope­rationssaal, 1 Vorbereitungszimmer, 1 Jnstrumenten- zimmer, 1 Sterilisierraum, 1 Badezimmer, 2 Zimmer für Schwestern, 1 Teeküche. 3. Stock (Dachstock), ent­haltend: 1 Abteilung für ansteckende Krankheiten, be­stehend aus 2 Zimmern mit je 3 Betten und 3 Zim­mern mit je 2 Betten, Teeküche, Badezimmer und Abort. Der übrige Raum enthält: 1 Schwesternzimmer, 2 Dienstbotenzimmer, Dachkammern und freien Dach­raum Durchs ganze Haus geht ein e l - scher Personenaufzug, 1 Speisenaufzug, Lei­tung für warmes und kaltes Wasser, Leitung für Nutz­gas und elektrische Beleuchtung und die Zentralheizung.

Das Nebengebäude enthält: 1 Waschküche mit Dampfwäschereieinrichtung und Dampfmange samt Ma­schinen- und Kohlenraum, 1 Remise für den Kranken­wagen, 1 Desinfektionsanlage, 1 Sektionszimmer und

2 Leichenzellen.

k. Krankenhausbesichtigung. Vom Vezirksrat ist beschlossen worden, das neue Bezirkskrankenhaus am Sonntag, den 12. Oktober, der allgemeinen Besichtigung freizugeben.

v. Bahndienst. Je eine Bremserstelle in Calw wurde den Hilfsbremsern Gottlieb Baier und Paul Maier, eine Lokomotivführerstelle in Calw dem Loko­motivheizer 1. Kl. Werner in Leutkirch übertragen. In den Ruhestand versetzt wurde auf Ansuchen Bremser Bothner in Calw.

Aufschneiden und Nachsehen! Apotheker Palm in Schorndorf veröffentlicht im Interesse aller Obstkäufer folgende Warnung:Unter dem zahlreichen Ausland­obst, das zur Zeit auf den Markt kommt, ist vieles mit schimmeligen Kernhäusern, während die Aepfel äußerlich schön und gesund aussehen. Der Most aus solchen Aepfeln behält dauernd einen unangenehmen Schimmelgeschmack, der durch kein Mittel zu entfernen ist. Es wird deshalb vor dem Kauf solcher Aepfel ge­warnt! Aufschneiden und Nachsehen!"

scb. Mutmaßliches Wetter. Für Sonntag und Montag ist ziemlich trübes und mildes, nur strichweise mit Nieder­schlägen verbundenes Wetter zu erwarten.

Nagold, 2. Okt. Der städtische Haushalt für das laufende Jahr ergibt bei einer Einnahme von 101 527 M und einer Ausgabe von 161 127 M einen Abmangel von 59 600 -N (Vorjahr 53 000 -11). Da Restmittel nicht zu Gebote stehen, müssen die Steuersätze erhöht wer­den, und zwar für die Einkommensteuer auf den Höchst­betrag von 50 AI, für Grund, Gewerbe und Gebäude auf 71-4 AI. Die Steigerung der Ausgaben hat in erster Linie ihren Grund in unaufschiebbaren Bauausgaben (Eewerbeschulhaus, Tiefbauarbeiten usw.), dann in Mehraufwendungen für Waldwirtschaft, Erziehungs­und Bildungsanstalten und ähnliches. Noch vor 6 Jah­ren hatte der Nagolder Steuerzahler nur 25AI der staat­lichen Einkommensteuer als städtische Steuer zu bezah­len, dann wurde mehrere Jahre mit 30?L gewirtschaftet, im vorigen Jahr wurde der Satz auf 45 ^ und Heuer aus 50 AI erhöht. Auch die Grund-, Gebäude- und Ge-