Walöev Tageszeitung
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L mtsblatt für den Bezirk Nagold und für Altensteig Stadt. Allgemeiner Anzeiger für dis Bezirke Nagold, Lalw und Freudenstadt
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AlLensteig, Donnerstag de« V. November.
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Die Berliner Verhandlungen.
Die Verhandlungen der Reichsregierung mit der Reparationskommission und den ausländischen Finanzsachverständigen in Berlin sind in das entscheidende Stadium eingetreten. Die nächsten Tage sind von ungeheurer Bedeutung sür Deutschland und sein Schicksal. Die Verschlechterung des Markkurses (Dollar 9000) und die Markflucht hat zu einer Panikstimmung geführt, die schwerste politische und wirtschaftliche Gefahren in sich schließt. Gescheitert sind die Reparationsvcrhandlungen nicht. Dagegen scheinen sie an dem Punkt angelangt zu sein, wo es heißt, Farbe zu bekennen. Die ersten deutschen Vorschläge befriedigten die Reparationskommission nicht, weshalb letztere ihre Unzufriedenheit äußerte. Nun arbeitet man an neuen Vorschlägen, die das Reichsbakinett bereits einstimmig beschlossen haben soll. Die amtlichen Berichte sind mehr als dürftig und enthalten über die Vorgänge und den Schriftwechsel rein nichts.
Der Kern der Sache ist eigentlich das Problem der Stützung des Markkurses durch Reichsbank und die internationale Finanz- auf dem Wege der Anleihe, in Form eines internationalen Finanzsyndikats. Bedauerlich ist, daß sich die Gegensätze zwischen dem Kanzler Dr. Wirth und dem Rcichsfinanzminifter Hermes nicht verbergen ließen. Hermes wird von sozialistischer Seite der Vorwurf gemacht, daß er die Jndustrieinteressen vertrete und zugleich die Aufhebung des Achtstundentages sickere. Ob das zutrisst, sei dahingestellt. Jedenfalls wird nach Abschluß der Verhandlungen sofort eine Umbildung der Reichsregi erung unter Zuziehung der deutschen Bolkspartei eintreten.
Ueber den Gang der bedeutsamen Verhandlungen steht im einzelnen folgendes fest:
Auf die am Sonntag übergebene Note der Reichsregierung an die Reparationskommission ist Montag abend dem Reichskanzler eine Antwortnote übermittelt worden, die die Unterschriften sämtlicher Mitglieder trägt und, wie versichert wird, aus einstimmigen Beschluß der Reparationskommission zurückzuführen ist.
In ihrer Antwortnote erinnert die Reparationskommission die Reichsregierung an die Versprechungen, die Reichssinanzminister Dr. Hermes während seinen letzten Verhandlungen in Paris in bezug auf Maßnahmen der deutschen Regierung abgegeben hat, die zu einer Balanzierung des deutschen Budgets führen sollen. Die Reparationskommission ersucht die deutsche Regierung, diese Maßnahmen nunmehr durchzuführen.
Die Reparationskommission stellt in ihrer Antwortnote ferner fest, daß die Reichsregierung in ihren Schreiben keine Vorschläge gemacht habe, aus denen hervorgehe, welche Maßnahmen sie zu treffen gedenke, unreine Stabilisierung der Mark zu erreichen und die schwebende Schuld zu verringern. Die Antwortnote schließt - mit dem Ersuchen an die deutsche Regierung, der Reparationskommission alsbald präzise Vorschläge in dieser Richtung mitzuteilen.
Die Reichsregierung hofft, laut „Lok.-Anz.", die Arbeiten, die durch den letzten Schriftwechsel mit der Wiederherstellungskommission notwendig geworden sind, so rasch fördern zu können, daß sie imstande sein wird, noch im Laufe des Mittwochs die von der Wiederherstellungskommission erbetenen näheren Ausführungenihrer Vorschläge zur Befestigung der Mark überreichen zu können. Eine der Vorbedingungen dazu ist bereits erfüllt worden. Die nach Berlin eingeladenen Sachverständigen, die Professoren Keynes, Cassel, Jenks und Brand, haben der Reichsregierung ein Gutachten erstattet. Die ihnen vorgelegten Fragen gingen bekanntlich dahin, ob unter den gegenwärtigen Umständen eine Befestigung der Mark möglich sei, ferner welche Voraussetzungen geschaffen werden müßten, wenn die erste Frage zu verneinen sei, und drittens, welche Maßnahmen zu treffen seien, sobald diese Voraussetzungen vorliegen, um die Befestigung herbeizuführen. Darüber hinaus wurden insbesondere die in Berlin versammelten Sachverständigen mit der Frage befaßt, ob und in welcher Form die Aufnahme von Bankkrediten M ermöglichen wäre, und welche Sicherheiten dafür geschaffen werden müßten.
Zusammenfassend läßt sich über den Verlauf der Verhandlungen folgendes sagen: Den Herren wurde Gelegenheit gegeben, in den deutschen Haushalt Einblick M nehmen, und sich ein Bild davon zu machen, wie die Vlanauistelluna sich unter der Wirkung» jedes neuen
Maristurzes sc-usagen in Nichts austösen muß Der Wiederherstellui.gsausschuß hat eingesehen, daß an erster Stelle dem Unheil des Marksturzes, danach erst der „Inflation" und schließlich der Frage der Gesundmachung unseres Haushalts nähergetreten werden muß. Auch die Frage der schwebenden Schulden des Reichs wurde eingehend besprochen. Me Sachverständigen waren sich darin einig, daß nur durch ein Zusammenwirken unserer eigenen tätig en Kräfte mit der internationalen Finanz eine Lösung versucht werden könne. In dieser Auffassung wurde die Reichsregierung bci ihren vielseitigen Verhandlungen mit den fremden Sachverständigen auch nachdrücklich bestärkt. Sie glaubt ihr umso mehr Rechnung tragen zu müssen, weil die fremden Bankiers, mit denen sie Fühlung genommen hat, ihre Bereitwilligkeit zu tätiger Beteiligung an der Stützungsmaßnahme gemeinsam mit der Deutschen Reichsbank zu erkennen gegeben haben. Dabei fällt noch ins Gewicht, daß diese Finanziuünner hier nicht lediglich als Privatpersonen handeln, sondern im Besitz des Vertrauens ihrer Negierungen sind. Ihre Mitwirkung wäre verscherzt worden, wenn die Regierung sich für ein einseitiges inner- politisches Vorgehen entschlossen hätte. So gelangte die Regierung zu dem Vorsch 1 ag an dcn Wiedergut- mächunasausschub. untrer Mitwirkung der Reichsbank eine Maßnahme für unsere Währung einzuleiten. Die näheren Einzelheiten dieses Vorgehens und die Bedingungen für die Beteiligung des fremden Kapitals müssen natürlich von der i Wiedergutmachungskommission festgesetzt werden. Daß dabei nicht ohne die Freigabe gewisser Gläubigerrechte auszukommen sein wird, die durch den Versailler Vertrag der Entschädigungskommission Vorbehalten werden, versteht sich von selbst.
Die Antwort, die die Wiedergutmachungskommission in ihrer Note vom Montag gegeben hat, läßt die Möglichkeit weiterer Verhandlungen zu, so daß von einem Abbruch der Verhandlungen bis jetzt nicht gesprochen werden kann. Die Arbeiten gehen vielmehr weiter, und die Reichsregierung hofft, daß sie morgen in einen entscheidenden Abschnitt treten werden. Dabei ist sie sich der großen Schmierigkeiten durchaus bewußt, insbesondere was die Stimmung in Frankreich betrifft. Auch in dieser Hinsicht gibl man sich hier, trotz des Stinnes-Lubersac-Abkommens, gar keiner Täuschung hin. Ebenso weiß man, daß du letzten Ereignisse in England und der Umsturz in Italien unsere Lage eher verschlechtert als verbessert hat, und endlich ist man auch weit davon entfernt, die Hilfsbereitschaft der amerikanischen Wirtschaftskreise zu überschätzen, trotz aller Fortschritte in der Erkenntnis der weltwirtschaftlichen Notwendigkeiten, die in einzelnen amerikanischen Kreisen zweifellos vorhanden sind. Wenn aber die notwendigen Sicherheiten über die Gewährung von Bankkrediten gefunden werden, müssen sich schließlich nach der Auffassung unserer zuständigen Stellen diese Schwierigkeiten doch noch überwinden lassen. Zu diesen Sicherheiten würde nicht in letzter Reihe auch die Zusammenfassung aller Wirtschaftskräfte des deutschen Volkes unter zielbewußter Führung, an der es allerdings bisher gefehlt hat, gehören.
Die Kohlender Handlungen der Regierung mit der Reparationskommission haben am ersten Verhandlungstage eineir vorläufigen Abschluß gefunden. Die Besprechungen bezogen sich hauptsächlich auf die letzten Vereinbarungen zwischen der Reparationskommission und der Regierung über die Lieferung von Reparationskohle Nach diesen Abmachungen muß Deutschland monatlich 1 725 000 Tonnen Kohle an die Entente liefern, die zum übergroßen Teil von den Ruhrbergwerken aufgebracht werden müssen. Nur ein -ganz geringer Teil entfällt auf die Bergwerke Dentsch- Oberschlesiens. In den Vereinbarungen hat sich die Reparationskommission das Recht Vorbehalten, für den Fall, daß die deutsche Gesamtproduktion an Ruhrkohle im Monat 8,3 Millionen Tonnen überschreitet, auf 20 Prozent der Gesamtmehrförderung Anspruch zu erheben. Die am Dienstag geführten Verhandlungen nahmen hauptsächlich auf diese Bestimmung Bezug, da die monatliche Förderung an Ruhrkohlen 8,3 Millionen Tonnen übersteigt und die Reparationskommission deshalb zu den im Monat zu liefernden 1 725 000 Donnen Kohlen noch weitere 22 0 0 00 Tonnen verlangt.
Im Verlauf der Verhandlungen wiesen die deutschen Regierungsverrteter eingehend auf die Zustände hin, iß denen sich Deutschland durch die Kohlenlieferungen befinde. Sie betonten namentlich, daß durch die Lieferung der Reparationskohle für Deutschland eine äußerst starke finanzielle Belastung entstehe und daß dadurch die Erfüllung unserer übrigen Verpflichtungen sehr erschwert werde. Deutschland führt bekanntlich viel mehr Kohle ein, als es an die Entente abliefert und muß diese Kohle zu Valutap reisen bezahlen. Ferner ist die Reparationskohle steuerfrei und eine finanzielle Entschädigung wird für sie nicht gewährt, während die Regierung den Bergwerksbesitzern gegenüber natürlich zur Zahlung verpflichtet ist.
Der Vorsitzende der Reparationskommission, Bar- thou, erklärte zum Schluß der informatorischen Besprechungen, daß die Kommission ihre Pflichten gemäß dem Versailler Vertrag ausgeübt habe, und daß über die Billigung der deutschen Einwände gegen die geforderten Mehrliefeurngen oder ihre Nichtanerkennung später von Paris aus entschieden werden soll.
Die Parteiführer waren am Dienstag zum Reichskanzler Dr. Wirth zur Information über die Verhandlungen mit der Reparationskommission in die Reichskanzlei geladen. Der Reichskanzler gab einen schriftlichen Bericht über die Verhandlungen, wobei er auch die Ansichten der au s l än d i s che n 'Fi n a n z s achv e r- ständigen zur Kenntnis brachte. Eine Besprechung der Mitteilungen des Reichskanzlers fand nicht statt. Tre Parteiführer behielten sich infolge dessen ihre Stellungnahme zu den Mitteilungen des Reichskanzlers vor.
Neuyorker Brief.
Me Wahlen zum Kongreß. Politik des Abwarten. Amerika als Wcltrichter. Me Arbeiter und das Alkoholverbot. Abßiuenzzwang und bürgerliche Freiheit.
Tie Wahlen zum Kongreß, die demnächst vor sich gehen, werfen ihre Schatten voraus. Wie immer, wenn sich in diesem Lande ein Wechsel in der Leitung der Staatsgeschäfte oder auch nur in der Parteigruppierung ankündigt, gerät der Wirtschaftsapparat Amerikas darüber etwas ins Stocken. In diesem Jahre könnte uns eine Verschärfung der Wirtschaftskrise besonders verhängnisvoll werden, da die Arbeitslosigkeit ohnehin bedenkliche Dimensionen angenommen hat. Ihre Ursache ist in erster Linie in der Umstellung der Industrie sür den auswärtigen Markt zu suchen. Es gilt neue Absatzgebiete für den verloren gegangenen mitteleuropäischen Markt, der für die Weltwirtschaft kaum! noch in Frage kommt, zu erschließen. Ob dies im absehbarer Zeit gelingen wird, bleibt sehr zweifelhaft.
Es stellt sich immer mehr heraus, daß -Amerika nichsi minder als die europäischen Mächte an den Kostew des Versailler Gewaltfriedens zu tragen hat. Tiq Vereinigten Staaten können dccher an ihrer Politik des Abwartens kaum noch länger sesthalten. Ter Zu»' sammenbruch Mittel- und Osteuropas muß notwendig die gesamte Weltwirtschaft in eine unübersehbare Kata-tz strophe bringen, wenn nicht schleunigst Abhilfe ge-s schaffen wird.
Ob die Wahlen, die wahrscheinlich eine starke Re», gierungsmehr heit bringen werden, die äußere Politik wesentlich beeinflussen werden, bleibt zweifek^ Haft, da der neue Kongreß erst ein Jahr nach erfolgter! Wahl Zusammentritt. Bis dahin arbeitet die alte Parceimaschine automatisch weiter. Es gehört dies zw den Besonderheiten der amerikanischen Verfassung. Parlamentarismus gemildert durch Bürokratie! Auch! in Amerika reitet der Amtsschimmel immer hübsch langsam. Es ist dies nicht nur eine Besonderheit dev alten Länder.
Durch ein Eingreifen in den europäischen Krieg hau Amerika sich als Weltrichter aufgeworfen. Eine Position, deren Tragweite unsere Staatslenker noch immer nicht begriffen haben, sonst könnten sie nicht den verfahrenen Zuständen Europas gegenüber eine gewisse Gleichgültigkeit beobachten. Das Problem der Arbeitslosigkeit sollte sie täglich daran erinnern, daß die Weltwirtschaft ein Organismus ist, der sich nicht einseitig von einer Macht dirigieren läßt, an dessen Jnstanzsetzung und Erhaltung alle im gleichen Maße interessiert sind. Ob der neu zu wählende Kongreß sich die Lösung dieses Problems angelegen sein lassen wird, ist kaum anzunehmen, da viele inner- politische Aufgaben der Lösung harren. Nicht zuletzt ist es die Prohibitionsfrage (Verbot des Ausschanks alkoholischer Getränke), die die Oeffentlichkeit nicht zur Ruhe kommen läßt. Es läßt sich schwerlich noch in Abrede stellen, daß das Vrobibitionsaesetz