224. Amts- und Auzetgeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 88. Jahrgang.

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Donnerstag, den 25. September 1913

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Amtliche Bekanntmachungen.

K. Oberamt Calw.

Bekanntmachung, betr. den Abschluß eines Kollektiv- Haftpflicht-Verficherungsvcrtrags.

Die Gemeindebehörden werden davon in Kenntnis gesetzt, daß der Bezirksrat namens der Amtsversamm­lung am 31. Juli ds. Js. mit der Versicherungsgesell­schaftWilhelms in Magdeburg" einen Kollektivhaft- pflichtversicherungsvertrag für die Amtskörperschaft und sämtliche Gemeinden des Obevamtsbezirks mit aus­reichendem Versicherungsschutz, und zwar mit Wirkung vom 1. Juli 1913 bis dahin 1923, abgeschlossen hat.

Durch diesen Vertrag erlöschen die seither von den einzelnen Gemeinden mit derWilhelms" abgeschlosse­nen Versicherungen, während für diejenigen Gemeinden, die seither beimAllgemeinen Deutschen Versicherungs­verein in Stuttgart" gegen Haftpflicht versichert ge­wesen sind, der Kollektivhaftpflichtversicherungsvertrag erst mit dem Ablauf des Versicherungstermins bei dieser Gesellschaft in Kraft tritt.

Diese Gemeinden werden noch besonders aufgefor­dert, für rechtzeitige Lösung des Versicherungsverhält­nisses mit dem Allgemeinen Deutschen Versicherungs­verein Sorge zu tragen.

Die Gesamtjahresprämie wird durch die Oberamts­pflege geleistet und durch diese von den einzelnen Ge­meinden nach einer besonderen Berechnung wieder zum Einzug gebracht.

Soweit die Gemeinden bisher schon bei derWil­helms" versichert waren, werden ihnen die für das Jahr 1913 berechneten Prämien auf die Kollektivhaftpflicht­versicherungsprämie angerechnet.

Den 23. September 1913.

^ Reg.-Rat Binder.

Erlaß an die Gemeinderäte, betreffend die Holzabfuhr aus den Gemeindewaldungen.

Unter Hinweisung auf den oberamtlichen Erlaß vom 8. Januar d. Js. (Calwer Tagblatt Nr. 7) sehe ich bis 15. November d. Js. einem weiteren Bericht über den Stand der Holzabfuhr entgegen.

Den 23. Septr. 1913.

Reg.-Rat Binder.

Milmopek militärische Bedeutung für die Türkei.

Der Londoner Kongreß hatte, so schreibt Generalfeld­marschall v. d. Goltz imTag", für die Türkei auf euro­päischem Boden die Grenzlinie Midia-Enos bestimmt, die, in der Luftlinie gemessen, 200 Kilometer lang, wie man zu sagen Pflegt, querbeet vom Schwarzen zum Aegäischen Meer gezogen werden sollte. Es war die unglücklichste Grenze, die man bei sorgsamem Nachsinnen wohl hätte ausfindig machen können. Sie mit Erfolg zu verteidigen, wäre unmöglich ge­wesen, denn, abgesehen vom äußersten rechten Flügel, durch- schnitt sie sämtliche Stellungen, die für ein türkisches Heer hätten brauchbar sein können. Sie lag nur 90 Kilometer, also nur drei mäßige Märsche, von der bekannten Tschataldscha- linie entfernt, die den letzten Schutz für Konstantinopel bildet. Von der Nordküste des Marmarameeres war sie gar nur durch einen einzigen starken Marsch getrennt, obwohl der Kongreß dem türkischen Reiche den Schutz der Meerengen, der von dort aus leicht gefährdet werden konnte, auch weiterhin noch auf­gebürdet hat. Bei Tschataldscha hätten die Türken in der Zukunft auf Vorposten stehen müssen in unaufhörlicher Span­nung, wann der Feind erscheint. Dies hätte nicht nur mili­tärisch einen großen, dauernden Aufwand erfordert, sondern auch politisch die Aufmerksamkeit der Hohen Pforte unauf­hörlich gefesselt. Ihr Bemühen würde immerfort dem Schuh der Hauptstadt haben gelten müssen. Für Bulgarien würde andererseits in der Nähe dergoldenen Stadt" und der Agia Sofia eine mächtige Versuchung gelegen haben, auf dem Marsch nach vorwärts, der diesmal unterbrochen werden mußte, bei günstiger Gelegenheit den letzten entscheidenden Schritt zu tun. Die militärische Schwäche der Türkei wird immer in dem Umstande liegm, daß ihre Mobilmachung viel Zeit erfordert, und daran ist beim besten Willen nichts zu ändern. Kleinasien ist so ausgedehnt und so dünn bevölkert,

besitzt noch so wenig gute Verbindungen, daß es unmöglich ist, seine Kräfte schnell nach der Hauptstadt hin zu sammeln. Es liegt durchaus in der Natur der Verhältnisse, daß die Bulgaren erheblich früher fertig sein können als die Türken, und auch darin besteht ein großer Anreiz zum Handstreich. Daß sie nicht die Leute sind, aus Edelmut eine solche Gelegenheit natürlicher Schwäche beim Gegner unausgenützt vorüber gehen zu lassen, haben sie im Balkankrieg deutlich genug bewiesen. Daß sie es sich auch Zutrauen, bei günstigen Umständen schnell entschlossen die Hand nach Konstantinopel auszustrecken, haben wir gleichfalls erfahren. Zar Ferdinand soll in vertrautem Kreise kaum noch ein Hehl aus seinem Wunsch gemacht haben, in der Agia Sofia eine große Siegesfeier abzuhalten. Natür­lich kann das nur geschehen, wenn die Verhältnisse die Groß­mächte gerade behindern, ihm den Weg zu verlegen. Dieses ist aber keineswegs vollständig außer dem Bereich der Mög­lichkeit. Durch den neuen Frieden sind die Bulgaren um 120 Kilometer Luftlinie zurückgeschoben worden. Vor ihnen liegt das befestigte Adrianopel, das zum mindesten eingeschlossen werden muß, und auf dem Wege bis zur Tschataldschalinie ist eine Anzahl starker Geländeabschnitte zu überschreiten, deren Verteidigung selbst bei nur schwacher Besetzung von türkischer Seite den Vormarsch erheblich verzögern würde. Darüber gewinnt die Türkei Zeit, und in diesem Zeitgewinn liegt für sie vieles, wenn nicht alles. Sie kann ihr Heer zum Schutz der Hauptstadt sammeln, ordnen und ausrüsten und infolge­dessen ruhiger in die Zukunft blicken, ohne die unausgesetzte Sorge um die Sicherheit Konstantinopels. Wer den Türken rät, Adrianopel aufzugeben, müßte ihnen folgerichtig auch an- raten, auf den jetzigen Regierungssitz zu verzichten und diesen ins Innere Kleinasiens zu verlegen; doch damit wird eine van mir mehrfach behandelte Frage berührt, die von neuem zu er­örtern hier zu weit führen möchte. Zu Adrianopel rechne ich natürlich auch Kirkilisse und Demotika; denn diese drei Städte gehören der Lage nach militärisch zusammen. Kirkilisse, zur Verteidigung eingerichtet, würde den Vormarsch der Bulgaren noch mehr schwächen. Bliebe Demotika in bulgarischen Hän­den so ließe sich Adrianopel von dort her leicht umgehen und seiner Bedeutung für die türkische Verteidigung berauben. Kirkilisse-Adrianovel-Demotika bilden die brauchbare Vorhut­stellung für das türkische Reich in oer neuen Begrenzung. Die entscheidende Verteidigung wird freilich immer weiter rück­wärts liegen, entweder bei Seraj und Rodosto oder bei Tscha­taldscha. Aber sie kann nur erfolgreich sein, wenn die Vorhut­stellung in türkischen Händen bleibt und dem bulgarischen An­griff den notwendigen Aufenthalt bereitet, so daß das Haupt­heer seinen Aufmarsch ungestört bewerkstelligen kann.

Die albanische Gefahr.

Serbien macht mobil.

Belgrad, 24. Sept. Ein königlicher Erlaß ordnet die Mobilmachung der Morawa-Division sowie eines Teils der Reservisten aller Divisionen an.

Der befürchtete allgemeine Ausstand der Albaner ist nun­mehr zur Tatsache geworden. Sie sind auf verschiedenen Punkten zum Angriff übergegangen. In dem Bezirk Zeno- wiza setzen sie ihren bereits begonnenen Vormarsch fort. 20 000 Albaner marschieren gegen Ochrida und 4000 gegen Prizrend. In Pischkopeja massakrierten die Albanesen 150 serbische Soldaten und 4 Offiziere. Die Stadt Dibra wurde ausgeplündert und in Brand gesteckt. Die serbische Besatzung und die Beamten zogen sich fluchtartig zurück. In der Nähe von Ketschewo verwüsteten die Albanesen serbisches Gebiet. Sie massakrierten die flüchtenden Bauern und versengten die Dörfer aller Albaner, die sich nicht an dem Aufstand betei­ligen wollten. Unter einer Bande Albaner, die gefangen ge­nommen wurden, befand sich der bulgarische Offizier Stojakosf und zwei weitere fremde Offiziere. Mehrere Regimenter und Batterien sind bereits nach dem Aufstandsgebiet abgegangen. Die serbisch-albanischen Schwierigkeiten sind dadurch ver­schärft worden, daß die Serben von den Albaniem nach lan­gem Kampfe mit schweren beiderseitigen Verlusten aus Dibra vertrieben worden sind. Dibra gehört zu denjenigen Plätzen, die durch Beschluß der Londoner Botschaftervereinigung Ser­bien zugesprochen worden sind. Man wird sich also darauf ge­faßt machen wüsten, daß Serbien sich mit dem bewaffneter Hand wieder in den Besitz von Dibra setzen wird. Bei den

Interesse, das die Mächte an der Gestaltung der Verhält­nisse in Albanien nehmen, läßt sich erwarten, daß die Gefah­ren. die der serbisch-albanische Zwist für den mühevoll hergc- stellten Balkanfrieden mit sich bringen könnte, doch noch recht­zeitig beschworen werden. Die Albanische Korrespondenz meldet aus Wallona, daß Vertreter der vorläufigen Regie­rung sich nach Durazzo begeben haben, um mit Estad Pascha zu verhandeln. Aus Skutari meldet dieselbe Korrespondenz, daß die Aeltesten der albanischen Stämme Hoti, Gruda, Schkreli und Kastrati beschlossen haben, die Feindselig- keitengegenMontenegrozu eröffnen und die Mon­tenegriner aus den von Albaniern bewohnten Gebieten zu ver­treiben. Die Südslawische Korrespondenz meldet aus Cet- tinje, daß der König aus Topolitza zurückgekehrt ist und an einer Besprechung der Minister über die militärischen Maß­nahmen gegen das Vorgehen der Albanier teilgenommen hat.

Wien, 24. Sept. Wie aus Valona gemeldet wird, ist die provisorische albanische Regierung mit Estad Pascha in Verhandlungen eingetreten und hat sich bereit erklärt, ven größten Teil der Forderungen Estad Paschas anzunehmen. Von Oesterreich-Ungarn und Italien wird auf beiden Seiten im Sinne der Versöhnlichkeit und Nachgiebigkeit eingewirkt.

Stadt» Bezirk »ad Nachbarschaft

Talrv, 25. September 1913.

Nörgler.

Es gibt kaum eine Krankheit, die heutzutage weiter verbreitet wäre, als die Nörgelsucht.Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen, und das Erhabne in den Staub zu ziehen," das galt immer und gilt in besonderer Weise auch in der Gegenwart. Wo irgend eine Institution geschaffen ist, die Gutes wirken soll, da wird sie bekrittelt; wo irgend jemand mit dem besten Willen Edles erstrebt, da werden ihm selbstische Motive untergeschoben und sein Tun wird bemäkelt. Der krit­telnde Bierbankphilister und die tuschelnde Kaffee- schwester sind nicht Erzeugniste der Witzblätter, sondern traurige Tatsächlichkeiten. Und oft macht sich auch mehr, als es gut ist, in der Oesfentlichkeit lieblose Quengelei und frivole Spötterei breit. Diese Nörgel­sucht ist im höchsten Matze verabscheuungswürdig. Nörg­ler sind immer nur Männer des krittelnden Wortes, niemals aber Männer der helfenden Tat. Träge sitzen die Nörgler im Winkel und legen nicht Hand an, datz die wirklich vorhandenen Mängel beseitigt werden. Nörgler sind immer Egoisten und Pharisäer. Sie sind kritisch gegenüber aller Welt, nur sich selbst gegen­über nicht. Sie sind scharfsichtig gegenüber allen frem­den Mängeln, den eigenen gegenüber sind sie jedoch blind. Lieblos brechen sie den Stab über andere, hal­ten sich dabei aber für gerecht und ehrenhaft. Nörg­ler sind immer Feiglinge, sie schwätzen über andere, aber nur hinterm Rücken der andern. Treten sie der be­treffenden Person gegenüber, so schweigen und heucheln sie. Handelt es sich um mutige und tatkräftige Auf­deckung und Beseitigung von Schäden, so ziehen sie sich ängstlich und übervorsichtig zurück. Zu allen Zeiten hat man diese Nörgler bekämpft. Jesus sagt zu ihnen: Richtet nicht, auf datz ihr nicht gerichtet werdet." Diese Forderungen sind so einfach, und doch müssen sie immer wieder, auch in der Gegenwart, wiederholt werden.

Mit dem Herbstanfang trat die Sonne aus dem Zeichen der Jungfrau in das der Wage und überschritt dabei in ihrer scheinbaren Jahresbahn mit ihrem Mit­telpunkt röieder den Aequator. Mit diesem Zeitpunkte begann der Herbst, und der Eintritt der kälteren Jah­reszeit kommt damit auch kalendarisch zum Ausdruck. Dem nunmehr verflossenen Sommer werden wohl wenig Tränen nachgeweint werden. Er war schließlich nicht gar so schlimm wie sein Ruf, und er hat sich zumal in den letzten Wochen seiner Herrschaft bemüht, sich, so­weit das noch möglich war, von der angenehmen Seite zu zeigen. Der Sommer war auch nicht wie sein Vor­gänger vom Jahre 1912 überall gleich schlecht, er war im Gegenteil in manchen Landesteilen ganz erträglich. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, daß der eigentliche Hochsommer mit den Hundstagen in fast ganz