201. Amts- und Arrzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Ealw. 88. Jahrgang.

Erscheinungsweise: kmal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamts­bezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12 Pfg.» Reklamen 25 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon 9.

Freitag, den 29. August 1913

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post- bezugSvreiS für den OriS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. BesteÜgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

AWst

1913

31 Tage

Notizen: Man vergesse nicht, das Calwer Tagbiatt für September zu bestellen

Amtliche Bekanntmachungen Schutz der Stechpalme.

Die Stechpalme, diese charakteristische Pflanze des Schwarzwalds, wird allmählich immer seltener und geht stellenweise sogar der Ausrottung entgegen, weil ihre Reiser in übermäßigen Mengen von Spaziergängern, die sie meist nach kurzer Zeit wieder wegwerfen, oder von gewerbsmäßigen Sammlern, namentlich für gärtnerische Zwecke, geplündert werden. Besonders bedauerlich ist diese Erscheinung bei den ohnehin besonders seltenen älteren und höheren Stöcken, de­ren Fruchtansatz durch die Verstümmelungen beeinträchtigt oder verhindert wird.

Den Gemeinden wird im Interesse des Naturschutzes dringend empfohlen, gegebenenfalls alles zu tun, was in den Gemeindewaldungen die Erhaltung dieser seltenen Zierde des Waldes fördern kann. Namentlich sollte eine Verwertung des Stechlaubs zu geschäftlichen Zwecken bei stammartigen Pflanzen unter allen Umständen hintangehalten werden, wo­gegen eine solche bei kleinen Büschen (ohne Fruchtbildung) nur unter sorgsamer Aufsicht des Forstschutzpersonals und im Benehmen mit dem zuständigen Forstamt zugelassen werden sollte.

Im übrigen wird auf die bestehenden gesetzlichen Be­stimmungen über Forstdiebstahl und Forstbeschädigungen (Art. 6 Ziff. 4 und Art. 16 des Forststrafgesetzes vom 2. Septem­ber 1879, Reg. Bl. S. 277) und über den Schutz der Wald­erzeugnisse (insbesondere Art. 22 Ziff. 2, 4, 5 und Art. 23 des Forstpolizeigesetzes vom 19. Februar 1902, Reg. Bl. S. 51) hingewiesen, die ein strafrechtliches Einschreiten gegen die massenhafte und vorschriftswidrige Entnahme von Rei­sern der Stechpalme ermöglichen und deren Einhaltung durch die Ortspolizeidiener, Feld- und Waldschützen, besonders an Sonn- und Feiertagen und in der Zeit vor Weihnachten, nach­drücklich zu überwachen ist. Vorkommende Zuwiderhandlun­gen sind bei der zuständigen Amtsanwaltschaft für Forstrügc- sachen (Forst-Amt Hirsau) zur Anzeige zu bringen.

Den 26. August 1913.

Regierungsrat Binder.

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Aristokratie und Demokratie im Wirtschaftsleben.

(Nach einem Vortrag von Professor Werner-Sombart-Berlin.)

!.

In unserer von den sozialen Kämpfen erfüllten Zeit 'muß es notwendig Punkte geben, an die die Wogen dieser Kämpft nicht heranreichen, von denen aus man einen Ueber- blick gewinnen über die Kämpft des Tages und über den Sinn dieser Kämpft sich orientieren kann. Dieser Punkte einer ist die Wissenschaft. Nur durch sie ist das eine zu gewinnen: das, was sich im Tagesgewühl heute ab­spielt, in einem großen historischen Zusammenhänge begreifen zu lernen als ein letztes Glied in der Entwicklung der Jahr­tausende. Aus der großen historischen Entwicklung gilt es, den Rhythmus herauszuschälen, in dem sich die Wirtschafts­und Sozialgeschichte abspielt, und nachzuweisen, daß die wirt­schaftliche und soziale Entwicklung weiter nichts anders ist von einer Seite aus gesehen, als ein ständiges, rhyt- misches Abwechseln von aristokratischen und demokratischen Epochen. In der einen Epoche, der aristokratischen: wenige Kräfte, viele Individuen, die Initiative haben, von denen die Leitung des gesamten wirtschaftlichen Prozesses ausgeht

und denen gegenüber die große Mehrzahl der Individuen die Geleiteten sind, die Objekte sind, denen die Wenigen als Sub­jekte gegenüberstehen. Solche aristokratische Epochen wechseln mit denen, in denen die große Masse die Initiative besitzt; in der einen Periode ein Leiter und 999 Geleitete und in der anderen wo bei 1000 wirtschaftlichen Menschen 1000 oder 900 selbständige Leiter, wirtschaftliche Subjekte, vorhanden sind. Schon in den Anfängen des wirtschaftlichen Lebens läßt sich von einem solchen Gang etwas verspüren. Wir wissen, daß scheinbar aus einer unförmigen Masse grobmassig lebender Individuen sich einige wenige zu Herrschern aufgeschwungen ! haben, insbesondere, nachdem die Menschheit übergegangen war zur Viehzucht, zum Nomadentum, wo die großen Herdenbesitzer die Herrschaft über die Ackerbau treiben­den Personen ergriffen. Dieser Prozeß zeigt sich an den Germanen, Slaven und Kelten. Mit Beginn des Mittel­alters setzte sich gegen die auf aristokratischer Basis beruhende Hirtenverfassung eine erste, große demokratische Reaktion durch. Die Reaktion, die zur Gründung von Dorfgemeinden führte. Diese, die bis ins 19. Jahrhundert hinein bestim­mend gewesen sind, die entstanden sind im 7., 8. und 9. Jahr­hundert, beruhen auf dem ausgesprochenen demokratischen Grundsatz, daß jeder Volksgenosse einen gleichgroßen Besitz haben soll, von dem er sich und seine Familie zu unterhalten vermag. Diese Komplexe von Land, die der einzelne erhielt, die Hufe, standen in ihrem Anfänge durchaus aus dem Prin­zip der auf Gleichheit fußenden demokratischen Genossen­schaft: der eine hatte so viel wie der andere, die Interessen der Gesamtheit wurden durch genossenschaftliches Zusammen­wirken erfüllt. Aus diesen Dorfgemeinschaften erwächst ein neues Geschlecht von Herren, das entsteht durch Aneignung großer Besitzkomplexe. Als die germanischen Stämme das römische Reich eroberten, waren sie die Erben der großen Grundbesitze und die Fürsten der großen Völkergemeinschaften siedelten sich auf den großen Gebieten an. Auf der Basis dieses Grundbesitzes entwickelt sich eine ganz neue Wirtschaft, die alsgrundherrliche Wirtschaft" den größten Teil des Mittelalters charakterisiert, die wiederum auf aristokra­tischem Prinzip ruht. Von diesem Großgrundbesitz wurde jetzt die Wirtschaft organisiert. Tie Bauern mußten für die Grundbesitzer arbeiten. Sie waren abhänigige Leute, Handwerker, kleine Gewerbetreibende. Diese Fronherrschaft ist eine aristokratische Wirtschaftsform, der neue Auftakt, der sich in der wirtschaftlichen Entwicklung darstellt. Der demokratischen Volksgemeinschaft folgt die aristokratische grundherrliche, oder Fronherrschaft. Nun wieder der Abtakt. In der späteren Zeit des Mittelalters folgt eine neue- eigen­tümliche Wirtschaftsweise auf demokratischer Basis. Sie ent­steht in den sich bildenden Städten. Namentlich seit den Kreuzzügen entwickelt sich das Städteleben um jenen großen, grundherrlichen Hof herum; wenn auch Städte nicht im heu­tigen Sinne. Diest Städte waren klein; Nürnberg zählte zurzeit seiner Blüte 22 000 Einwohner, Augsburg 18 000, Straßburg 25 000 usw. immerhin, es waren städtische Siedelungen, in denen nun auf neuer Basis die Wirtschaft begründet wurde von kleinen, selbständigen Subjekten, Ge­werbetreibenden, die in Form des Handels und Handwerks ihren Unterhalt verdienten. Es war das erstemal, daß solche kleine Existenzen als selbständige Wirtschaftsindividuen existierten, ohne Grundbesitzer zu sein. Sie sind zusammenge­schloffen durch eine Ordnung ganz demokratischen Charak­ters, die nichts anderes war, als eine Weiterbildung der Dorf­wirtschaft, in der sogenannten Zunftordnung. Diese Ordnung, die vom Mittelalter bis in unsere Zeit hinein dauerte und Handel und Kleingewerbe eingeschloffen hat, beruhte auf demselben Grundgedanken, wie die alte Dorfwirtschaft. Wie dort ein gewisser Komplex von Land abgegrenzt war, auf dem der einzelne Bauer wirtschaften konnte, so wurde mit der Zunftordnung ein Komplex von Kundschaft, von Existenzen abgegrenzt, und im Umkreis dieses, von der Gesetzgebung ab­gegrenzten Gebietes, sollte der Kleinhandwerker seinen Un­terhalt suchen. Wir sehen hier eine durch Jahrhunderte wäh­rende, demokratische Organisation des Wirtschaftslebens. Der zweite Abtakt ist gegeben, auf die aristokratische Fronherr­schaft folgt die demokratische Städte- oder Zunftherschaft. Die Entwicklung schreitet weiter und wir beobachten, wie die Welle der wirtschaftlichen Entwicklung wiedemm zu einem Wellenberge wächst: es entsteht innerhalb der allen zunft-

mäßigen Organisation und neben ihr, ganz ähnlich wie die Grundherrschaft im Rahmen der Dorfherrschaft entstand, dasjenige Wirtschaftssystem, unter dessen Herrschaft wir heutzutage noch leben, das kapitalistische.

(Fortsetzung folgt.)

Stadt» Bezirk «nd Nachbarschaft

Talw. 29. August 1913.

Tie Steucrverhältniffe im Bezirk Calw.

Aus einer soeben erschienenen, vom K. Steuerkollegium bearbeiteten Sonderstaiistik über die Einkommensteuerpflich­tigen in Württemberg im Rechnungsjahr 1. April 1910 bis 31. März 1911 entnehmen wir für den Bezirk Calw die fol­genden Angaben. Steuereingeschätzte waren es 6712, die folgenden Erwerbsklaffen angehörten: Landwirte 1685, Forstwirte' 13, Gebäudebesttzer 27, Gewerbetreibende 870, Rentner 284, Angestellte, Arbeiter, freie Berufe 3061, Träger von Mischeinkommen 772. Von sämtlichen männ­lichen und weiblichen Steuereingeschätzten entfielen 3020 auf Einkommensgruppe l (bis 949 ^/k.), 2409 auf Gruppe II (950 bis 1699 ^/k), 809 auf Gruppe III (17002599 ^-/k.) und oer Rest auf die übrigen Gruppen; 2626 der Steuereingeschätzten hatten nur eine Einkommensquelle. Verschuldete waren es 2420, Steuerbesreite 69. Die Zahl der Ertragsteuerpflich­tigen betrug 4 541, wobei aber viele bei mehreren Ertragssteuern beteiligt waren. Die Reineinkommen in unsrem Be­zirk betrugen 10 188 793 und zwar 3 007 691 ^ aus Grundeigentum (Landwirtschaft 2 325 600 ^i(, Forstwirt­schaft 180 480 »F., Miete und Gebäudebesitz 168118 Selbstmiete 333 393 ^/k.), 2 073 353 aus Gewerbebetrieb l 099 041 ^/ik. aus Kapitalien und Renten und 4 099 708 ans Arbeit. Nach Abzug der Schuldzinsen, Lasten usw. er­gab sich ein steuerbares Einkommen von 9 342 492 Die staatliche Einkommensteuer bezifferte sich auf 110 397 Mark; an staatlichen Ertrags steuern fielen 57053E an und zwar 11 224 Grund- und Gefällsteuer, 17 407 Gebäudesteuer, 6 223 Gewerbesteuer und 22199 ^ Kapi­tolsteuer. Die Einkommensteuer und die Ertragssteuern zu­sammen betrugen also 167 450 An dem steuerbaren

Reineinkommen aus sämtlichen Einnahmequellen mit zusam­men 9 342 492 sind beteiligt: Landwirte mit 2 016 611 Forstwirte 40 124 Gebäudebesttzer 28 875 ^., Gewerbe­treibende 1681283 .v/k., Rentner 722 245 Angestellte, Ar­beiter und freie Berufe 3 729 748 ^ und Träger von Misch­einkommen mit 1 123 606 An der staatlichen

Gesamt st euerbela st ung (Einkommensteuer und Ec- tragssteuern) nehmen jene Erwerbsklaffen wie folgt teil: Landwirte 27 894 Forstwirte 1 084 Gebäudebesttzer 1 267 ^/k., Gewerbetreibende 41 873 ^k., Rentner 31159 Angestellte, Arbeiter und freie Berufe 43 251 Träger von Mischeinkommen 20 922E.

Ter Obstmangel.

ep. Der heurige große Obstmangel zwingt alle die, welche Most als Haustrunk gewöhnt sind, nach Ersatz auszu­schauen. Der Nächstliegende Weg, den auch die Regierung, wie es scheint, ins Auge gefaßt hat, ist die Einfuhr fran­zösischen Obstes. Billig wird dasselbe kaum werden und das schöne Geld, das damit ins Ausland wandert, bliebe bester bei uns. Vielfach sind darum Heuer die Johannis­beeren zu sogenannten Träubleswein und Träublesmost ver- keltert worden, schade um die schönen Früchte, die den Be­darf an Eingemachtem und an Saft hätten decken können! Nichts wird ja neuerdings von der Wissenschaft mehr em­pfohlen, als der Genuß von Obst, Früchten und Fruchtsäften aller Art. Es legt sich die Frage nahe, ob denn notwendig gerade geistige Getränke sein müssen in einer Zeit, wo die Er­kenntnis von der Schädlichkeit des Alkohols allmählich bis ins hinterste Dörfchen dringt. Es mögen doch selbständige und vorurteilslose Menschen einmal versuchen, ob nicht im Winter eine Taffe mit warmem Kaffee oder Milch denselben Dienst leistet, wie 2 Schoppen Most oder vielmehr, ob das nicht viel zuträglicher ist. Und für den Sommer bedenke man, daß in dem größten Teil Deutschlands unser Most ganz unbekannt ist und daß die Leute trotzdem arbeiten können! Wie jeder vom Militär her weiß, löscht kalter Kaffee oder Tee den Durst