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Nr. 33

Allenaetg. Donnerstag den 1V. Jebraar

1 Jahrgang 192 L.

Der dritte Bismarckvanv.

m.

Ueber den persönlichen Umschwung von Ruß­land zu England schreibt Bismarck:Ich selbst erhielt einige Monate später eine Probe von der Stim­mung Sr. Majestät. Als der Besuch des Zaren im Ok­tober 1889 in Berlin zum Abschluß gekommen war und ich mit dem Kaiser von dem Lehrter Bahnhof, wohin wir den nach Ludwigslust abreisenden Zaren begleiiet hatten, zurücksuhr, erzählte er, er habe in Hubertusstock sich auf den Bock des Pürschwagens gesetzt, dem Gast das ganze Jagdverguügen überlassend, und schloß mit den Worten:Nun loben Sie mich doch!" Nachdem ich dieser Aufforderung genügt hatte, fuhr er fort, er habe mehr getan, er habe sich bei dem russischen Kaiser auf längeren Besuch angemeldet, den er zum Teil in Spala mit ihm zuzubringen gedenke. Ich er­laubte mir Zweifel, ob es dem Kaiser Alexander will­kommen sein werde; derselbe liebe Ruhe, Zurückg zogcn- heit und das Leben mit Frau und Kindern; Spala sei ein ganz kleines Jagdschloß und nicht auf Besuche ein­gerichtet. Ich erwog dabei den Gedanken, daß die bei­den hohen Herren zu einem sehr engen Berkehr mitein­ander genötigt sein würden und in den durch eine so lange Zeit hinzuspinnenden Unte Haltungen die Gefahr liegen könnte, empfindliche Punkte zu berühren.

Ich nahm mir vor, zu tun, was ich konnte, um diesen Besuch zu verhindern. Die Verschiedenheit der Cha­raktere und Denkweisen der beiden Monarchen war viel­leicht keinem Zeitgenossen so bekannt wie mir, und diese Bekanntschaft ließ mich befürchten, daß ein längeres Beisammensein ohne jede geschäftsmäßige Kont olle zu Reibungen, zur Abneigung und Verstimmung führen könne, und daß letztere beim Zaren schon durch die längere Störung seiner Einsamkeit gegeben sei, wenn er auch die Ankündigung des Besuchs seines Wirts natürlich mit Höflich! it entgegengenommen hatte. Im Interesse des Einvernehmens beider Kabinette hielt ich es für bedenklich, die mißtrauische Defensive des Zaren mit der aggressiven Liebenswürdigkeit unseres Herrn ohne Not in enge und lange Berührung zu bringen, und um so mehr, als durch die Anmeldung ein Vorschuß an Zu­tunlichkeit gewährt wurde, welcher der russischen Politik gegenüber kaum und der mißtrauischen Einschätzung des Kaisers Alexander gegenüber noch weniger angebracht war. Wie begründet meine Besorgnisse waren, zeigte sich in den früher erwähnten geheimen Berichten aus Peters­burg, die, auch angenommen, daß sie übertrieben oder gefälscht waren, doch mit Kenntnis der Lage geschrieben sein mußten.

Der Kaiser war von meinen Bedenken, wo er An­erkennung erwartet hatte, unangenehm be r.ü h r t und setzte mich vor meiner Wohnung ab, anstatt in die­selbe einzutreten und über Geschäfte weiter mit mir zu sprechen.

Der Besuch, den der Kaiser dem Zaren vom 17. bis 23. August 1890 in Narva und Peterhof abstattete, führte zu der von mir befürchteten Verstär­kung der persönlichen Verstimmung.

Auf Narva folgte die Begegnung in Rohn stock und und der Handelsvertrag mit Oesterreich, die Wen­dung Sr. Majestät zu England war schon seit dem Be­such in Osborne Anfang August 1889 von englischer Seite mit geschickter Berechnung betrieben worden, und hatte den Vertrag über Sanzibar und Helgo­land herbeigeführt. Die Uniform des llckmiral ok tbs üsot kann als das Symbol eines Abschnitts in der auswärtigen Politik des Reichs angesehen werden."

Der Zwischenfall Windthorst.

Im 8. Kapitel berichtet der Altreichskanzler über die Spannung mit dem Kaiser, die zu seiner Entlassung führte. Die erste persönliche Schärfe im Verlauf der Meinungsverschiedenheiten zwischen Kaiser und Kanzler kam bei dem bekannten Zwischenfall Windthorst zum Ausdruck, bei dem Fürst Bismarck das Verlangen des Kaisers, über Verhandlungen des Kanzlers mit Parla­mentariern vorher unterrichtet zu werden, entschieden ab­lehnte, worauf der Kaiser sich scharf gegen die Kabinetts­order von 1852 aussprach, die die Ressortminister an­hielt, sich in wichtigen Fragen mit dem Ministerpräsi­denten in Verbindung zu setzen, ehe sie dem König Vor­trag hielten! Diese Kabinettsorder, auf deren Beseiti-

j gung der Kaiser 'mit steigender Heftigkeit drang, gab i . den formellen Hauptgrund für den Bruch mit dem Kanz- !

ler. Sachlich spielte wohl die größere Rolle, daß der f ! Kaiser hartnäckig an der noch auf Waldersee zurück- : ! gehenden Auffassung über Rußland sesthielt. f

f Ueber den Befehl zum Abschiedsgesuch gibt ! f Bismarck folgenden, in den sachlichen Grundlagen bereits j bekannten Bericht: :

'Am folgenden Morgen, 17. März, kam Hahnke ^ wieder, um mir mit Bedauern mitzuteilen, Se. Maje- < ; stät bestände auf Zurücknahme der Order und erwarte ?

nach dem Bericht, welchen er, Hahnke, ihm über seine ' f gestrige Unterredung mit mir erstattet habe, daß ich sofort meinen Abschied einreiche; ich solle am - Nachmittag auf das Schloß kommen, um mir denselben ; zu holen. Ich erwiderte, ich sei dazu wohl nicht jung genug und werde schreiben. f

An demselben Morgen kam eine Anzahl von Berich- ! ten von Sr. Majestät zurück, darunter einige von einem Konsul in Rußland. Denselben lag ein offenes, also f durch die Büros gegangenes Handschreiben Sr. Majestät bei, also lautend: f

-Die Berichte lassen auf das Klarste erkennen, daß -

! die Russen im vollsten strategischen Aufmarsch sind, f

vrn zum Krieg zu schreiten und muß ich es sehr !

bedauern, daß ich so wenig von den Berichten erhal- >' len habe. Sie hätten mich schon längst auf die furcht- ! j bar drohende Gejahr aufmerksam machen können! Es f

- ist die höchste Zeit, die Ocsterreicher zu warnen, und ;

; Gegenmaßregeln zu treffen. Unter solchen Umständen

f ist natürlich an eine Reise nach Krasnoe meinerseits !

f nicht mehr zu denken. ?

> Die Berichte sind vorzüglich." j

! ... Also weil ein Konsul einige, zum Teck drei Mo- j f nate alte militärische Vorgänge aus dem Bereich seiner !

Wahrnehmung berichtet hatte, unter anderem die dem !

! Generalstab bekannte Versetzung einiger Sontnien Ko- !

> saken nach der österreichischen Grenze, sollte Oesterreich '

! in Alarm gesetzt, Rußland bedroht, der Krieg vorbereitet f f und der Besuch, zu dem Se. Majestät sich aus eigenem i ! Antrieb angemeldet hatte, aufgegeben werden; und weil ! i die Berichte des Konsuls verspätet eingegangen, wurde

f mir der versteckte Vorwurf des Landesverrats gemacht, '

! der Vorenthaltung von Tatsachen, um eine von außen f j drohende Gefahr zu vertuschen. Ich wies in einem so- :

! fort erstatteten Jmmediatbericht nach, daß alle nicht von !

dem Auswärtigen Amt aus direkt dem Kaiser vorgelegten !

! Berichte des Konsuls unverzüglich dem Kriegsministei ;

! und dem Generalstab übersandt waren." ^

14stündige Arbeitszeit. f

Zu den Entschädigungsforderungen der Pariser Kon- j - ferenz schreibt W. Rathenau imB. T-": Deutsch- < i land hat noch 15 Millionen landwirtschaftliche und in­dustrielle Arbeiter. Bei 300 Arbeitstagen zu 8 Stun­den ergibt sich eine Jahressumme von 36 Milliarden Arbeitsstunden mit einer Gütererzeugung von durchschnitt­lich 18 Milliarden Goldmark (eine halbe Goldmark auf die Arbeitsstunde). Davon sind 6 Milliarden Einfuhr (Lebensmittel und Rohstoffe) zu bestreiten, für die Kriegs­entschädigung müßten stufenmäßig weitere 6 Milliarden abgezogen werden, von dem gesamten Arbeitsertrag blie­ben also schließlich für den eigenen Verbrauch des deut­schen Volks nur noch 6 Milliarden übrig, während der Aufwand für die Lebenshaltung vor dem Krieg in Deutschland 24 Milliarden Goldmark an Werten be­tragen hatte. Entweder so meint Rathenau wäri nun der Verbrauch auf ein Viertel der früheren Lebens­führung einzuschränken, oder es müßte die Arbeitsleistung entsprechend, also um 6 Stunden täglich, erhöht werden

Tic Rechnung stimmt zwar nicht ganz, weil'der vor Rathenau behauptete Verbrauch von 24 Milliarden Gold­mark sich auf eine Reichsbevölkerung von annähernd 70 Millionen Menschen bezieht (in welcher Zahl auch entsprechend viel Arbeitskräfte enthalten find), wogegen die heutige Einwohnerzahl des verstümmelten Deutsch­lands nur noch rund 60 Millionen beträgt. Immerhin ist die Beweisführung nicht uninteressant nnd schließlich ist es vollends unerheblich, ob in Deutschland die Le­benshaltung auf ein Viertel oder ein Drittel herabge­setzt oder die tägliche Arbeitszeit auf 14 oder 12 Stun- j den hinausgeschraubt werden muß. Beides ist gleich un- f erträglich oder unmöglich.

Eine amerikanische Warnung.

Die Täuschung, der man sich in Deutschland über die Haltung der Vereinigten Staaten beim Ausbruch des Kriegs hingab, ist bekanntlich für die letzte Entschei­dung sehr verhänan' voll geworden. Man konnte nicht glauben, daß Amerika trotz der unfreundlichen Haltung gegen Deutschland unv trotzdem es von der ersten Zeit an die Entente in reichstem Maß mit Geld und Waf­fen unterstützte, selbst in den Krieg eintreten werde, und man suchte die Amerikaner mit allen Mitteln bei leid­lich guter Stimmung zu erhalten. Wilson hatte aber, wie er vor dem Senat nach Kriegsende selber zugeben musst', von Anfang an den Krieg beschlossen und er begann w- fort mit der Ausbildung und Ausrüstung eines Heers von einigen Millionen Mann, das für jeden klar Blik- kenden gar keinen andern Zweck haben konnte, als die Verwendung auf den europäischen Kriegsschauplätzen an der Seite der Entente. Auch jetzt wieder knüpft man vielfach in Deutschland an die Tatsache, daß Amerika die wirtschaftliche Vernichtung Deutschland wahrscheinlich nicht so ohne weiteres hinnehmen werde, weil es nämlich dadurch eine vielleicht nie wieder gutzumachende Schädi­gung seiner Handelsinteressen erleiden würde, die aus- ichweifendsten Hoffnungen und man träumt schon von Einschreiten Hardings bei der Londoner Konferenz" und ähnlichen schönen Dingen. So wird es wohl nicht kommen. Der Widerstreit der amerikanischen und der großbritannischen Interessen wird zwar weiter bestehen und bis zur letzten Kraftprobe Winter wachsen, aber bis zum Austrag kann es noch eine lange Zeit sein. Deutsch­lands wegen werden sich die Amerikaner sicherlich in keine Unkosten stürzen.

So richtet nun, wie dieDeutsche Allg. Ztg." mel­det, dieNewyork Times", allerdings ern Blatt, das zum Kreis des englisch-amerikanischen Zeitungstrusts Northcliffes gehört, folgende Warnung an Deutsch land: In Deutschland möge man den Fehler von 1914 nicht wiederholen, indem man Amerika abermals falsch beurteile. Das Urteil in Amerika sei einmütig. Di« Empfindungen und Zwecke des Kriegs seien nicht ver­schwunden. (Das heißt: Die verlogene Hetze der North clifse-Presse während des Kriegs über Kriegsschuld, Krieg­führung usw. hält noch einen großen Teil der Amerikanei in Bann. D. Schr.) Man wolle nicht, daß. Deutschland auseinandergerissen und zum Sklaven gemacht werde, aber man halte es in den Vereinigten Staaten für recht, daß Deutschland bis zur Grenze des Möglichen seine Zerstörungen im Krieg zu ersetzen habe. Es sei nicht zu bezweifeln, daß auch Harding diese Meinung teile. Deutschland würde vor einem peinlichen Erwachen stehen, wenn es sich darüber einer falschen Auffassung hingäbe.

Neues vom Tage.

Eine Unterredung mit Hindenburg.

TieWeserzeitung" veröffentlicht eine Unterredung mit Hindenburg. Mit sichtlichem Interesse ließ sich der Generalfeldmarschall über den politischen Um­schwung berichten. Ja, warf er ein, einig müssen wir sein, unser Unglück ist unsere Eigenbrödelei. Auf das Gebiet der großen Politik kommend, betonte Hin­denburg, daß. ein militärischer Führer Frankreichs die Angst vor Deutschland nicht los werden könne und dafür vor allem die sinkende Bevölkerungsziffer Frankreichs in Betracht ziehe. Das Verlangen der Fran­zosen nach dem Ruhrgebiet halte der Feldherr für eine durchaus ern st zu nehmende Gefahr. Da­durch dürfte sich aber die Regierung nicht einschüchtern lassen, sondern müsse fest bleiben, das verlange schon die Würde. Nach seiner Kenntnis hat sich in Amerika, das gegen uns gefuchten hat, ein Umschlag der Stimmung vollzogen. Ter Abstimmung in Ober­schlesien sieht Hindenburg mit Vertrauen entgegen. Tie Vorgänge in Oberschlesien müßten abschreckend gegen Polen wirken. Dazu komme der Valutaverlust bei einem Uebergang Oberschlesiens an Polen, außerdem das.all­gemeine kulturelle Sinken und nicht zuletzt die Gewißheit ftir die Oberschlesier, in das polnische Heer beim dro­henden Kampf gegen Sowjetrußland ein-- gezogen zu werden.. Ter Bolschewismus in Ostpreußen flaue sichtlich ab Tie Städte wollen von den Kommu­nisten nichts mehr wissen, wie ihm Herr v. Batocki vor einigen Tagen mitgeteilt habe.

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