Denn es ist doch eine bekannte, natürliche Tatsache, daß der Prozentsatz der Arbeiter gegenüber dem Prozentsatz der Beamtenzahl steigt, je größer das Bahnnetz ist. Nicht einmal die Arbeiter der einzelnen Verwaltungen lassen sich als Gesamtheit, sondern nur hinsichtlich der einzelnen Kategorien vergleichen; beispielsweise braucht eine Bahnstrecke mit 2 Gleisen oder mit starkem, den Bahnkörper rascher abnützenden Verkehr auch verhältnismäßig mehr Bahnunterhaltungsarbeiter als eine gegenteilige Bahn und analog ist das Gesamtverhältnis zwischen den teureren Arbeitern (z. B. Werkstättearbeitern) und den billigeren Arbeitern (z. B. Bahnunterhaltungsarbeitern) bei den einzelnen Verwaltungen ein völlig verschiedenes. Was also pro Kopf des Gesamtpersonals ausgegeben wird, hat für die Beurteilung der Höhe der Gehalte der einzelnen Kategorien den verschiedenen Verwaltungen keine Bedeutung und die Broschüre erweist sich auch nach dieser Richtung nur als eine tendenziöse, oberflächliche Darstellung, die in unverantwortlicher Weise die Absicht verfolgt, mit Schiefheiten gruselig zu machen.
Stuttgart, 24. Juli. Die Zeichnungen auf die neue 4Aige württembergische Staatsanleihe sind so reichlich eingelaufen, daß nur die Zeichnungen für Schuldbucheintragungen voll berücksichtigt werden können. Die Zeichnungen für Obligationen, namentlich solche, die sich keiner Sperrverpflichtung unterziehen, müssen reduziert werden.
Stuttgart, 24. Juli. Heute werden die Unterschlagungen des Obersekretärs der israelitischen Oberkirchenbehörde, Leopold Friedmann, bereits auf 60 000 Mark beziffert. Die Nachricht, daß Friedmann bei der württembergischen Bankanstalt 30 000 Mark in Wertpapieren erhoben habe, ist nicht zutreffend. Die Papiere stellten vielmehr ein in Friedmanns Verwahrung befindliches Legat des Geheimrats von Pflaum dar. Die Untersuchung durch die Oberrechnungskammer ist noch nicht abgeschlossen, es steht aber fest, daß die Unterschlagungen mehrere Jahre weit zurückreichen und durch Spekulation an der Börse veranlaßt worden sind.
Waiblingen, 24. Juli. Der von den Plattenhardter Wilderern ermordete Forstanwart Klingler ist gestern nachmittag in seiner Heimat-Gemeinde Steinreinach unter großer Beteiligung beerdigt worden. Auch eine Abordnung der 7. Kompagnie des Infanterie-Regiments 125, in der Klingler gedient hatte, war erschienen. Besonders zahlreich nahmen die Vorgesetzten und Kameraden des Ermordeten an der Trauerfeier teil.
Heilbronn, 24. Juli. Gestern abend wurde eine Dreschmaschine mit einem Dampflokomobil durch die Salzstraße nach der Neckargartach er Brücke verbracht. An die Dreschmaschine war eine Strohpresse angehängt. Außer dem Führer des Loko- mobils war ein Begleiter des Transports zugegen. Beim Salzwerksplatz sprang ein acht Jahre alter Knabe zwischen die Dreschmaschine und die Strohpresse und setzte sich auf die Deichsel. Plötzlich stürzte er ab und ein Vorderrad der Strohpresse ging über ihn weg. In diesem Augenblick gelang es dem Begleiter des Transports, den Knaben wegzuziehen, sonst .wäre auch das Hinterrad über ihn gegangen. Der Knabe hat solche Verletzungen davongetragen, daß er im Krankenhaus starb.
Tuttlingen, 24. Juli. Trotz der abnormen feuchten Witterung ist die vollständige Versinkung an der Donau bei Jmmendingen schon am 4. Juni d. I., früher als sonst, eingetreten und hat bis jetzt, unbeeinflußt durch die starken Regengüsse, angehalten. Eine Ueberflutung der Versinkungsstellen ist seit 4. Juni nicht mehr eingetreten. Die ganze Zuflußwassermenge wird verschlungen. Kein Wasser kommt mehr über die Versinkungsstellen hinweg, was zur Folge hat, daß das Donaubett auf Kilometer lange Strecken vollständig trok- ken und verödet daliegt. Bei der so augenscheinlich immer stärker zunehmenden Versinkung wird sich dies auch in Bälde auf weiteren Strecken unangenehm bemerkbar machen. Auch die Nachbarländer, in erster Linie Bayern, werden in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn nicht endlich dieser rohen Verwilderung Einhalt geboten wird.
Geislingen a. St., 24. Juli. Ein eigenartiges Bild bot die Vergebung städtischer Tiefbauarbeiten. Um die Mißstände des Submissionswesens auszumerzen, werden die städtischen Arbeiten nur noch nach dem Einzelgebotssystem vergeben. Für die Verlegung des Flößgrabens im Voranschlagspreis von rund 70 000 Mark sind nun Offerten eingekommen, deren Summen sich zwischen 55 000 als mindestes Angebot und 90 000 als höchstes Angebot bewegen. Es liegt also eine Differenz von 50 der Voranschlagssumme vor.
Riedlingen, 24. Juli. Es steht nunmehr fest, daß die neu zu errichtende landwirtschaftliche Winterschule nicht nach Ochsenhausen, sondern hierher kommt. Der Gemeinderat hat bereits 9500 zum Umbau des 2. Stocks im Rathaus für die Unterbringung der Schule bewilligt und weiterhin 6900 für die Anbringung eines neuen Treppenaufganges zu den Schullokalen vorgesehen.
Aus Welt und Zeit.
Hanau, 24. Juli. Wie das Reichskolonialamt mitteilt, ist Dr. Houh aus Hanau, der der deutsch-französischen Kommission zur Festsetzung der neuen Grenze in Neukamerun angehörte, von einem Schwarzen ermordet worden. Der Mörder ist erschossen worden.
Mainz, 24. Juli. Seit drei Tagen regnet es in der unteren Rheingegend in Strömen. Der Rhein und der Main steigen täglich bis zu 30 Zentimeter. Die Hälfte der Heu- und der Weinernte wird als verloren betrachtet. Auch in der Zentralschweiz fällt wieder unaufhörlich Regen, der in den höheren Lagen mit Schnee untermischt ist.
Hamburg, 24. Juli. Einem großen Teil der Presse hat por kurzem der Generalbevollmächtigte der „Phönix-Transportgesellschaft Rotterdam-Marktredwitz", Friedrich I. Maier, die Mitteilung gemacht, er habe am 12. Juli d. Js. aus Genua an den Reichskanzler ein Telegramm gesandt folgenden Inhalts: „Exzellenz unterbreite ich die Mitteilung, daß Ballin (der Generaldirektor der Hamburg-Amerikalinie) bayrischem Ministerium angeboten hat, in Jesuitenfrage dadurch behilflich zu sein, daß Ballin für den Sturz von Euer Exzellenz sorgt, wenn bayrisches Ministerium der Phönix Transport-Gesellschaft in Rotterdam und Marktredwitz bezüglich Benützung bayrischer Auswanderer-Kontrollstation Schwierigkeiten macht
und Ballin Benützung bayrischer Stationen überträgt. Bayrisches Ministerium hat Ansinnen Ballins zurückgewtesen und Phönix Benützung Markttedwitz übertragen. Ich gestatte mir Euer Exzellenz diese Mitteilung zu unterbreiten, weil wir uns gegen Ballins Uebergriffe aufs äußerste zu wehren entschlossen sind; ich stehe Euer Exzellenz in dieser Sache jederzeit zur Verfügung und hoffe Dienstag, den 15. Juli, Westminsterhotel Berlin zu sein; im übrigen wissen darum Fürst Fürstenberg, Exz. Hertling, Exz. Soden, Domprobst Pichler, Geheimrat Paasche, Erzberger und andere." Die Bayrische Staatszeitung schreibt zu der Geschichte, daß bei der im Ministerium des Aeußern in München zwischen Herrn Ballin und dem Ministerpräsidenten Frhrn. v. Hertling geführten Unterredung weder von geschäftlichen Interessen der Hamburg-Amerikalinie, noch von Marktredwitz die Rede gewesen sei. Aus der Luft gegriffen sei die Behauptung des erwähnten Telegramms, es seien dem bayrischen Ministerpräsidenten von Ballin Zusagen irgend welcher Art für den Fall gemacht worden, daß Bayern den Unternehmungen der Phönix-Transportgesellschaft Schwierigkeiten bereite. Hieraus ergibt sich weiter die völlige Unhaltbarkeit der Erzählung, die der genannte Beamte der Phönix-Transportgesellschaft dem Vertreter eines Münchener Blattes über ein vom Ministerpräsidenten Frhrn. v. Hertling in Berlin geführtes Gespräch zum Besten gegeben hat.
London, 24. Juli. Gestern abend brach in der Halle des Marineluftschiffes Parseval auf dem Militärflugfelde bet Aldershot ein Brand aus. Nur dem energischen Einschreiten der Militärflieger ist es zu verdanken, daß das Luftzeug, das man schnell aus der Halle schaffte, nicht von den Flammen ergriffen wurde. Die Halle selbst ist vollständig niedergebrannt.
Schanghai, 24. Juli. Während der Kämpfe der letzten Nacht haben die Nordtruppen einen größeren Erfolg errungen. Sie bemächtigten sich der Hangtschau-Eisenbahn, schlugen die Südtruppen auf der ganzen Linie zurück und fügten ihnen große Verluste zu. Die Soldaten der Südarmee sind demoralisiert. Viele von ihnen haben die Uniform und das Gewehr von sich geworfen und sich ergeben. Heute nacht wird ein entscheidender Kampf erwartet. Es geht das Gerücht, daß Nanking sich in den Händen der Nordtruppen befinde.
Landwirtschaft «nd Märkte.
Pforzheim, 23. Juli. Der heutige Schweinemarkt war befahren mit 84 Ferkeln. Verkauft wurden 50. Preis: 45—54 Mark das Paar.
Stuttgart, 24. Juli. (Schlachtviehmarkt.) Zugetrieben: 155 Großvieh, 419 Kälber, 848 Schweine. Ochsen I. Kl. von 95 bis 103 Bullen I. Kl. von 86 bis 89 ^., Bullen II. Kl. von 85 bis 86 Stiere u. l Kl. von 102 bis 105 Jungrinder II. Kl. von 95 bis 101 Jungrinder III. Kl. von 90 bis 95 ^.. Kälber I. Kl. von 100 bis 108 Kälber II. Kl. von 93 bis 99 ^(., Kälber lll Kl. von 85 bis 91 ^k. Schweine I Kl. von 80 bis 82 Schweine II Kl. von 74 bis 79 Schweine III Kl. von 68 bis 70 Verlauf des Marktes: mäßig belebt.
Amina.
11 ) Roman von Gerhard Büttner.
Sie hielt eine Weile inne. Dann fuhr sie nach einigem Sinnen fort: „Victor hat gesagt, daß der Koran lüge. Es gäbe in der Welt nur ein heiliges Gesetz, das des Christentums. In ihm heißt es: Gott ist die Liebe; also glaubt an Gott, wer an die Liebe glaubt. Ob Victor Recht hatte? Dann gäbe es aber keinen Mohammed und keine Propheten mehr, denen man Glauben und Demut schuldig wäre. Dann gäbe es nur noch den Gott der Christen und ich mutzte zu ihm beten, wie ehedem zu Mohammed und den Propheten . . ."
Amina schwieg. Sie war ganz ernst und nachdenklich geworden. Dunkel war es im Gemache um sie her, und der Sternenschein der Oktobernacht drang flimmernd vom Aether hernieder. Zerrissene Wolken eilten dahin; rasche und langsame Wolkenbilder. Amina schaute auf. Da droben malte eine unsichtbare Hand eine ganze Wolkenlandschaft. Dort ein großes Löwenhaupt, dort eine seedurchteilte Landschaft. — Dort wieder zieht ganz deutlich ein Schäfer mit einer großen Lammherde vorüber. Hier wieder ist's Amina, als läge eine Wüste, weit und dürr vor ihr. Und dort ist ein Brunnen und ein Krieger sitzt unter der Palme der einzigen Oase in dieser Wüste und schlürft einen labenden Trunk aus rieselnder Quelle. Ja, sie sieht es ganz deutlich. Es ist das Bild einer Wüste und eines Kriegers in einer Oase. Und wie ähnlich dieser Krieger Victor nur sieht, und wie seine ganzen Gebärden denen Victor's ähneln. Es gibt keinen Zweifel, er ist's. Jetzt steht er auf. Dort hinter der Palme tiefhängenden Blättern hat sein Kamel gelagert. Er faßt den Zaum des hohen Tieres. Das trägt schwere Rüstung. Hoch ragt am Sattelknauf die Mündung der Flinte empor. Jetzt schwingt er sich hinauf. Es geht mühselig. Jetzt endlich sitzt er . . . Da stürmen aus der Wüste viele Araber heran; sie jagen dem sortsprengenden Italiener nach. Sie haben auf ihn geschossen ... Es ist Amina, als höre sie einen leisen, wehen Schrei. Sie sieht den Reiter des stolzen Kamels stürzen, sie hört die Araber jubeln ... Da teilt sich die Wolke . . . Eine zweite
zieht vorüber und schließlich eilt ein wirres Wolkenchaos über die Zinnen Berlins dahin. Die Sterne tilgt es und es ist, als wollte der Himmel alle seine Herrlichkeiten verhüllen. — Auch der Mond ist hinter die Wolken geschlüpft, und wo er steckt, da schimmern die Wolken nur etwas lichter, als wäre ein leichter Hauch der Göttlichkeit über diese Himmelsftelle ausgebreitet ...
Und Amina trat vom Fenster zurück. —
Ihre Nerven waren erregt.
Sie spürte schmerzende Schläfen und weckte Alia.
„Wach doch auf," sprach sie bittend, „mir ist so ängstlich."
Und schlaftrunken erhob sich Alia. Sie schüttelte sich. „Es ist so kühl, Herrin," sagte sie.
„Ja; ich glaube," sprach Amina, „es wäre gut, wenn wir versuchten, in meine Heimat zurllckzukehren. Mein Bruder wird mich vielleicht längst erwarten . . ."
„Und, Herrin, Ihr Gemahl, Thomaso, wohl auch."
„Auch das ist möglich."
„Wird denn die Herrin nie zu ihm zurückkehren?"
„Ich weiß nicht, Alia, wie Du so fragen kannst. Eine geflohene Mohammedanerin kehrt doch nie zu dem verlassenen Gatten zurück . . ."
„O, Herrin! — Ihr seid ja doch in Christenland getraut und habt in Christenland gelebt. Dort sind der Sitten andere in Gewohnheit. Warum wollt Ihr Euch nicht mit ihm versöhnen? Sein Trotz und Zorn liegt nur in seinem Blute. Er wird verziehen, und um Verzeihung selber seine Gattin bitten, sobald ihm von Eurer Seite, Herrin, ein wenig entgegengekommen wird. So wird es kommen, Herrin. Hier mein Wort darauf. Die Herrin weiß, daß ich von allen Zukunftsfragen nur wenige ganz falsch gedeutet habe . . ."
Amina wehrte ab.
„Laß das, Alia. Amina mag an Deine Prophetenkünste nicht mehr glauben. Ich bin noch jung und habe für die Wirklichkeit noch Sinn; was soll ich mit Sybillenkünsten meine Tage füllen. Mir lacht das Leben. Dort Signor Victor, hier Ben Hassan Omir. Und, Alia, auch Monsieur Pierre möchte gern ein süßes Wort von mir erhaschen. Doch Frauenworte, das sind Kost
barkeiten; und solche zu verschenken ist nicht leicht. Da muß man wägen und wählen. Schon einmal habe ich zu rasch verschenkt. Die hohe Kunst begriff ich eben noch nie recht; doch will ich sehen, daß ich sie erlerne. Die Uebung macht den Meister ... Du redest von der Rückkehr zu Thomaso. Es kehrt kein freier Vogel in ein gefahrvoll Nest zurück, wenn er den Nachwuchs hat in Sicherheit gebracht; und Eiovanna-Refia ist bei uns. Ich werde kaum jemals von selbst noch nach Venedig gehen. Was mir Thomaso antat . . . Ach, lassen wir das alles im Vergessen ruhen, Alia. Von meiner Heimat bringt mir Ben Hassan Omir einen Gruß. Wenn es morgens tagt, dann denkt er ganz gewiß an mich und wenig später wird er kommen. Monsieur Pierre hat es ja gesagt. Er kommt. — Er ist mein Jugendfreund, Alia, mehr, Alia. Nun, Du weißt ja! Wie oft dachte seiner ich, wenn trübe Tage in Venedig mir die Stirne furchten, wenn Victor tobte, wenn über den Sanct Marko meine Blicke schweiften voll Sehnsucht nach der Freundeshand Ben Hassan Omirs. Ja, meine ganze Jugend hängt an ihm. Er hatte stets so zarte Worte, aus. seinen Augen strahlte kluge Milde. Welch Unglück, daß ich damals nach Venedig ging; ich konnte hoffen . . ."
„O, Herrin, ich kenne Sie nicht wieder. Ich brtt' Euch, Herrin, bleibt dem Gatten nur ein wenig noch gewogen. Er wird Verzeihung suchen, gleiche spenden. O wartet zu und schlaget die Versöhnung nimmer aus. Ich bitte Euch, Herrin."
„Du willst mich dazu zwingen, treu zu bleiben. Ist Treue weiblich? Hast Du je gehört, daß eine schöne Frau die Treue übte. Ich hörte nur von schönen Sünderinnen. Und ach, man sagt, ich sei von Angesicht begehrenswert, sei schön. Du selbst hast es mir auch so oft gesagt. Schon in der Kindheit. Und bis heute immer, immer wieder. Wie? Ist's nicht wahr? So widerrufe doch! Denk' nur zurück! Du saßest zu meinen Füßen oft und immer wieder erzähltest Du mir das Märchen von der schönen Sybille Sakuntala. Es ist mir, als wäre es heute gewesen, daß Du mir es hersagtest.
(Fortsetzung folgt.)