Eiengen, a. Br., 19. Juli. Im benachbarten Wit- tislingen ist der 17jährige Sohn des Bäckermeisters Wunderte vom Oberling heruntergestürzt und war auf der Stelle tot, da er den Kopf auf einen Teil der umstehenden Maschinen aufschlug. Das Gehirn des Toten lag vollständig bloß.
Fischingen (Hohenz.), 20. Juli. Ein Knecht namens ^ Löffler von Dommelsburg überfuhr abends auf der neuen Mühlheimer Straße in der Nähe der Eisenbahnstation das vierjährige Töchterchen des Landwirts Deuble von Mühlheim, das von seinem älteren Bruder in einem Leiterwägelchen geführt wurde. Als die Passagiere des gerade ankommenden Zuges von dem Unfall hörten, und sich um das Kind scharten, erscholl plötzlich der Ruf: „Mein Kind! Mein Kind!" Unter den Neugierigen befand sich die gerade von Tübingen angekommene Mutter des Kindes, das innere tödliche Verletzungen erlitten hatte und gleich darauf in den Armen seiner Mutert verstarb.
-v. Bom Bodensee, 18. Juli. Trotz den April- und Maifrösten verspricht die Obsternte in den schweizerischen Hauptkantonen, insbesondere Thurgau und St. Gallen, eine gute zu werden. Besonders die Birnen zeigen einen reichen Früchtestand. Weniger gut sind bis jetzt in der Nordschweiz die Weinaussichten; einen mittleren Stand zeigen die Reben im Kanton Schaffhausen. Recht traurig sieht es mit der Heuernte aus; auf den Almen und in vielen Tälern kann man beobachten, wie aus dem Heu, das wegen der anhaltend nassen Witterung nicht eingebracht werden konnte, bereits frisches Gras hervorsprietzt. Auch das Getreide leidet unter der Nässe sehr.
Aus Welt und Zeit.
Wanne, 20. Juli. Als auf dem hiesigen Bahnhof der Postgehilfe Wilhelm Buschmann seinen Kopf in einen zur Beförderung von Postpaketen bestimmten elektrischen Aufzug steckte, setzte sich der Aufzug plötzlich nach unten in Bewegung und trennte dem jungen Mann den Kopf buchstäblich vom Rumpfe. Mehrere Augenzeugen des Unfalls fielen in Ohnmacht.
Rom, 20. Juli. In Cervia unweit Ravenna wurde der frühere Sektionschef im Kriegsministerium, Graf Morozzo della Rocca, wegen Landesverrats verhaftet. Der Graf, der einer alten Offiziersfamilie entstammt, steht im 70. Lebensjahr, ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Zur Zeit bewohnt er ein großes Schloß. Seit längerer Zeit stand er im Verdacht des Landesverrates und wurde daher scharf bewacht. Die Beobachtung ergab, daß der Graf Beziehungen zu der österreichischen Regierung hatte, der er Schriftstücke über die italienischen Grenzbefestigungen und den italienischen Mobilmachungsplan verschaffte. Der Vermittler war eine wegen ihrer großen Schönheit in italienischen Ge-
Stuttgarter Brief.
T Stuttgart, im Juli. Zwei künstlerische Ereignisse von hohem Reiz gaben dem verflossenen Monat einen edlen Glanz, der würdig war, die Saison zu krönen: Die Räuberfreilichtspiele im Vopserwald und das Schwedische Musikfest. In der Gegenwart, wo die Naturtheater wie Pilze aus dem Boden aufschießen, war es ebenso zeitgemäß und begrüßenswert, wie mit dem empfehlenden Attribut „Heimatkunst" ausgezeichnet, wenn der Kgl. Hofschauspieler Bruno Peschel den Gedanken faßte, Schillers Jugendwerk, seine in stürmischem Ueberschwang gedichteten „Räuber", an der Stelle aufzufllhren, wo der Dichter den staunend aufhorchenden Kameraden erstmals das Werk seiner genialen Phantasie dargeboten hatte. Und durch die Energie eines rührigen Komitees, an dessen Spitze Eemeinde- rat A. Stübler stand, unter dem Ehrenvorsitz des Generalintendanten Baron zu Putlitz, wurde der Gedanke in die Tat umgesetzt, im Vopserwald im Romantischen Tale ein Naturtheater schlicht und doch geschmackvoll errichtet und neues, fast echtes Leben den Räubern eingehaucht. Die Wirkung in dem herrlichen, von Buchen und Föhren umstandenen Waldwinkel, in prachtvoller Harmonie der Beleuchtung mit dem Gang der Handlung, mit den vorzüglichen Leistungen der Hoftheaterschauspieler (Franz Moor: Hofmeister; Amalie:E. Feldhofen; Karl Moor: E. Alves, Vater Moor: Tenhäff) war immer überraschend und ergreifend, und von unbeschreiblicher dramatischer Wucht waren stets die Szenen aus dem Räuberleben und der Kampf in den böhmischen Wäldern. Nur ist Petrus ernstlich zu bitten, daß er den noch in Aussicht stehenden Vorstellungen ebenso gnädig werde, wie er es bei den ersten war. — Die andere Veranstaltung war vom 20.—23 Juni das Schwedische Musikfest. Von edlem Mäzenatentum (Geh. Hofrat Dr. E. v. Sieglin und Konsul Th. E. Wanner) ins Leben gerufen, brachte das Fest eine reiche anregende Uebersicht über das eigenartige bodenständige Schaffen schwedischer Komponisten. Die Oper „Der Schatz des Waldemar" von dem 67jährigen An- dreas Hallän, welcher die Erstürmung von Wisby durch die Dänen zu Grunde liegt, zeigte die alte Schule, flüssige Melodien, hübsch verwendete nationale Tänze, aber ohne die Kunst, die Klangreize eines modernen Orchesters zur Geltung zu bringen. Die folgenden Festtage ließen deutlicher die moderne Musik der Nordländer. ihre charakteristische Melancholie und Träu
sellschaftskreisen bekannte österreichische Dame. Eine Untersuchung im Schloß hat zahlreiche belastende Schriftstücke zu Tage gefördert, welche die Verhaftung von zahlreichen Ofizieren zur Folge haben werden.
Paris, 20. Juli. Der Kampf der französischen Volksvertreter um die dreijährige Dienstzeit ist zu Ende. In einer denkwürdigen Sitzung, die sich mit zwei kurzen Unterbrechungen vom frühen Morgen bis in die späte Nacht ausdehnte, hat die Kammer am Sonnabend mit 358 gegen 204 Stimmen das Gesetz angenommen. Der Abstimmung ging ein heftiges Rededuell zwischen dein gewesenen Ministerpräsidenten Caillaux und dem jetzigen Ministerpräsidenten Barthou voraus. Gegen das Gesetz stimmten 69 geeinigte Sozialisten, 26 unabhängige Sozialisten, 86 Radikal-Sozialisten, 22 Mitglieder der radikalen und unabhängigen Linken, sowie in parteiloses Mitglied. 11 Abgeordnete enthielten sich der Abstimmung.
Paris, 19. Juli. Die Kammer nahm den Zusatzartikel, wonach die Jahrgänge 1910, 1911 und 1912 nur zwei Jahre dienen, an.
Paris, 19. Juli. Die Budgetkommission der Kammer hat einen Eteuerzuschlag von 20 beschlossen, der von Junggesellen, die über dreißig Jahre alt sind, erhoben werden soll.
London, 18. Juli. Eine große Flottenrede des ersten Lords der Admiralität, Winston Churchill im Unterhaus bedeutet einen markanten Einschnitt in der Geschichte des modernen Schiffbaues. Obgleich die Kohle noch für Jahre die Grundlage der britischen Seemacht bilden soll, hat Churchill doch den Abschluß eines fünfjährigen Vertrages mit der Mexican Eagle Co. gefordert. welcher die Einführung der Oelfeuerung bei allen Schiffsneubauten gestattet.
Konstantinopel, 20. Juli. Ag. Havas. Die Regierung hat der Armee befohlen, Thrazien und Adrianopel zu besetzen. In einer Note an die Mächte schiebt die Regierung die Regierung die Verantwortung für etwaige Feindseligkeiten Bulgarien zu. — Die bulgarische Kavallerie soll schon vor Adrianopel angekommen sein.
Sprechsaal.
(Für Einsendungen unter dieser Rubrik übernimmt die
Redaktion nur die preßgesetzliche Verantwortung.)
Zwangsinnung für Schneidermeister?
Schneidermeister I. Wackenhut-Möttlingen bittet uns um Aufnahme folgender Einsendung:
In Nr. 164 des Calwer Tagblatts findet sich an die Schneidermeister des Oberamts Calw von Oberamtmann Dr. Kümmerlen-Reutlingen die Aufforderung, etwaige Aeußerungen für oder gegen eine Zwangsinnung zu dem und dem Termin abzugeben. — Nach meiner Ansicht hätte da eine Versammlung sämtlicher
Kollegen des Bezirks vorausgehen sollen, damit jeder erfahren hätte, was eigentlich damit bezweckt werden soll. Es reiste ja wohl ein Herr im Bezirk herum, und sammelte Unterschriften, ich bin aber überzeugt, daß da mancher unterschrieben hat, ohne sich die Sache recht überlegt zu haben. Vor allem wird eine Erhöhung der Arbeitslöhne eintreten sollen und ein Tarif festgesetzt werden, unter dem nicht gearbeitet werden darf. Wir Kollegen auf dem Lande aber können doch entschieden nicht Arbeitslohn verlangen, wie die in der Stadt, dadurch würden wir nur den Konfektionsgeschäften in die Hand arbeiten, davon bin ich fest überzeugt. Und zudem wären diese Meister am schwersten geschädigt, die an der Grenze Badens und der anstoßenden den Oberämter, wo noch keine Zwangsinnung besteht, wohnen; da dürften dann die Kunden bloß ins Nachbarort, wo eben ohne Zwang billiger gearbeitet würde. Also, wozu einen Zwang? Es sollte jeder Schneidermeister so kollegial sein, und nicht in einen Oort um Arbeit suchen gehen, (wie dies leider noch vielfach geschieht) wo ein Schneider ansässig ist. Die ganze Sache geht ja, wie ich erfahren habe, nicht von den Schneidern des Oberamts Calw aus, sondern von einem Zuschneideinstitut in Stuttgart und von einem Tuchversandhaus in München. So lange ich nicht vom Gegenteil überzeugt bin, werde ich einer Zwangsinnung nicht zustimmen. — Kollegen des Oberamts Calw, stimmt gegen eine Zwangsinnung!
Landwirtschaft «nd Märkte.
Böblingen, 18. Juli. Der Jahrmarkt, der vom Wetter wirklich begünstigt war, war mit Vieh aller Gattungen gut befahren. Der Handel ging im allgemeinen flau, da israelitische Händler ganz fehlten, doch hielten sich die Preise auf seitheriger Höhe. Im allgemeinen galten fette Ochsen 1000—1400 -11, Fuhrochsen 1050—1200 -11, jüngere Stiere 700—1000 -11, je das Paar, Milchkühe 450—650 -11, trächtige Kalbeln 380 bis 620 fette Rinder 300—400 -H, Einstellrinder 150—300 -11 per Stück. — Der Schweinemarkt war nur mittelmäßig befahren. Bei lebhaftem Handel und wieder etwas steigenden Preisen wurde rasch alles verkauft. Die Schweine haben nunmehr auf dem Markt eine nie zu ahnende Höhe erreicht. Läufer gal- ten 80—130 -K, Milchschweine 60—75 -11 je das Paar.
Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner. Druck und Verlag d er A. Oelschläger'schen Buchdruckerei.
Neklarneteil.
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merei, ihr Versunkensein in duftige Stimmungen, beurteilen und neben diesen Romantikern dann die kraftvoll Modernsten erkennen, die eine blühende Harmonie mit einem Reichtum von packenden Themen zu verbinden wissen. Herrliche Kompositionen kamen von Kurt Atterberg, einem fabelhaft begabten, 26jährigen (anwesenden) Künstler, und von Hugo Alfven, dem ebenfalls anwesenden Universitätsmusikdirektor aus Upsala, zum Vortrag. Einen besonderen Genuß bedeuteten die Darbietungen des weltberühmten schwedischen Studen- ten-Chors O. D. (— Orphei Drängar — Orpheus' Knechte). In einem Männerchorabend, in einer Kammermusik-Matinee und 2 Orchesterkonzerten vermittelten die schwedischen Studenten, der gottbegnadete Geiger Prof. Henry Marteau-Berlin mit seinem Quartett, die Pianistin Zelmica Morales-Asplund, die hochintelligente Sängerin Julia Claussen, der Bariton Ake Wallgren, der dämonisch gestaltende, unermüdliche, in Amerika und Europa gefeierte Sänger John Forsell und dann die glänzende Hofkapelle unter ihrem verdienten Leiter Generalmusikdirektor Prof. Dr. v. Schillings, gründlich und genußreich die Bekanntschaft mit schwedischer Tonkunst. — Im Theaterleben wurde langsam die Saison zu Grabe getragen. Das Hoftheater brachte noch eine amüsante Neuheit von Viktor Leon und Leo Feld, die in Wien spielende Komödie „Der große Name" Ein Operetten-Komponist, der, einst im Konservatorium durchgefallen, berühmt und gefeiert worden ist, den seine Walzer verfolgen wie die Autographenjäger, begegnet seinem genialen, aber hundselend gewordenen Freund und führt dessen Sinfonie, sie mit seinem Namen deckend, auf. Das Stücklein ist reichlich sentimental, aber nicht ohne Humor, und namentlich durch den vorzüglichen Charakterkomiker Max Marx, der nebenbei gesagt die Rolle schon hundertmal in Berlin gespielt hat, von erheiternder Wirkung. Und dann begann langsam das Abschiednehmen: in Grillparzers edlem Werk: „Des Meeres und der Liebe Wellen" trat Else Feldhofen vor ihrem Scheiden nach Kassel nochmals vor das Stuttgarter Publikum und errang durch ihre Anmut, den Wohlklang ihrer Stimme und ihr schlichtes, warm beseeltes Spiel einen großen, herzlichen Erfolg. Noch stürmischer wurde der nach München wandernde Heldentenor Karl Erb als Lohengrin — kurz vorher als Evangelimann und als Hoffmann in Hoffmanns Erzählungen — gefeiert, denn er durste in beispiellos kurzer Zeit eine glänzende Entwicklung
nach der darstellerischen wie nach der gesanglichen Seite nehmen. — Während die Hoftheater nun bis Ende August Ferien haben, suchen die Wiener Künstler oben im Schauspielhaus mit volkstümlichen Stücken zu unterhalten. Mit „Bruder Martin" von Karl Costa, einem Volksstück mit Gesang, in dessen Mittelpunkt ein Kapuziner steht, der zwei Auseinanderstrebende wieder zusammenbringen muß, ist es ihnen dank der einfachharmlosen Witze gelungen; besser noch mit „Gebildete Menschen" von einem der Verfasser von „Der große Name", von Viktor Leon, in dem die Gestalt eines in der Jugend entlaufenen, nachher zum Kommerzialrat gewordenen Wieners mit feinen Strichen gezeichnet ist. Ein anderes Stück „Spiele Ihrer Exzellenz" von Zoö Tekels und Rudolf Straus gibt einige interessante Einblicke in die Seele eines Weibes, der Frau eines russischen Gouverneurs, die sich in den Mörder ihres Gatten verliebt und von ihm beherrscht zur Anarchistin wird; als Ganzes aber konnte es aber trotz der guten Leistung und Leitung von Dr. Seidl nicht befriedigen. — Am wienerischsten aber geht es unten im Wil- helmatheater bei Gustav Müller zu. Das unverfälschte Wiener Blut mit seinen unermüdlichen Beinen und seinem schlagenden Humor ist für 1. September als Leiter an das Berliner Theater des Westens engagiert. Mit seiner gut und sicher eingespielten Truppe brachte er die Operette „Zigeunerprimas" von Emmerich Kalman abgerundet heraus; das Stück behandelt etwas sentimental die Tragik eines alternden Virtuosen, der Künstlerruhm und Geliebte dem kon- servatorisch gebildeten Ruhm abtreten muß, zeichnet sich aber durch national gefärbte ungarisch feurige und leidenschaftliche Melodien aus. Mit Jda Ruschitzka-Rußka vom Berliner Metropoltheater und Leopold Jwald von Wien als Gästen wagte er sogar eine Uraufführung. „Die weiße Gefahr" von Oskar Friedberg, Ludwig Heizer, Musik von Max I. Milieu, die trotz der schwachen Handlung einen vollen Erfolg brachte. Die „Weiße Gefahr" ist eine französische Sängerin, die einen japanischen Gelehrten geheiratet hat, aber rechtzeitig zum Heil der gelben Rasse und zur Beruhigung einer kleinen Japanerin von deren gelbem Jugendfreund abläßt. Und einen exquisiten Genuß beginnt Direktor Müller den Stuttgartern nun vorzusetzen: eine Geschichte der Operette von Offenbach bis Eyßler in 10 Operetten an 30 Abenden — zweifellos ein dankenswertes und unterhaltendes Unternehmen.