147. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 88. Jahrgang.

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Freitag, den 27. Juni 1913

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohu Mk. 1.25 vierteljährlich. Post- bezugSpretS für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Parlamentarisches.

AusdemReichstag.

Berlin, 26. Juni. Heute begann man vormittags 11 Uhr, um sich nachmittags um 3 Uhr zu vertagen. Man fuhr in der Beratung des Wehrbeitrages fort. Die Aussprache began bei ß 17 des Gesetzes, der die Wertberechnung von Grundstücken betrifft. Graf Westarp (K.) hatte entgegen der Regierungsvorlage und dem Beschluß der Budgetkommission, die das 25- fache des Betrages des Ertragswertes für die Besteue­rung zu Grunde legten, Las Mache beantragt. Sein Parteifreund v. Carmer-Zieserwitz unterstützte ihn. Emmel (S.) beantragte im Aufträge seiner Partei, den ganzen Paragraphen zu streichen und für die Wert­berechnung den gemeinen Wert als Grundlage zu be­trachten. Ulrich (S.), v. Heyl zu Herrnsheim (K.) und der Unterstaatssekretär Jahn traten für die Kom­missionsfassung ein, die nach einer weiteren Aussprache angenommen wurde. Ein Antrag des Polen von Trampczynski, der verlangte, daß ohne weiteres den Beitragspflichtigen mitgeteilt wird, in welchen Punkten von der Vermögenserklärung abgewichen wur­de und ein Antrag des Grafen Westarp, der das zweite und letzte Drittel des Wehrbeitrages nicht bis zum 15. März, sondern zum 15. Februar 1915/16 ent­richtet wissen will, wurde angenommen. Eine längere Diskussion entstand beim § 66 a, der von der Verwen­dung eines etwaigen Ueberschusses handelt. Bevor man den Wehrbeitrag in zweiter Lesung annehmen konnte, entstand eine längere, scharf geführte Debatte zwischen dem Grafen Westarp und den Konservativen einerseits und Hofrichter, Dr. David von den Sozial­demokraten und Eothein von der Volkspartei anderer­seits über die Frage der Steuerhinterziehungen, wobei sich der konservative Redner einen bedingten Ordnungs­ruf zuzog. Hierauf konnte man zur Beratung des Reichs ft empelgesetzes übergehen. Ein konser­vativer Antrag, den Dr. Oertel eingehend begrün­dete, wünschte den Stempel in mehreren Positionen zu erhöhen. Bei den vorgenommenen Abstimmungen wurde mittels Hammelsprung die Freilassung der Feuer­versicherung unbeweglicher Gegenstände beschlossen. Frei­tag Fortsetzung.

Aus dem Landtag.

Stuttgart, 26. Juni. Die Zweite Kammer beriet heute zunächst den Gesetzentwurf, betreffend Aenderung über einen Zuschlag zu den Eerichtskosten und zu den Notariatsgebllhren. Der Zuschlag soll 40 ^ betragen, doch sollen mehrere Rechtsgeschäfte davon befreit sein, und zwar nach dem Regierungsentwurf besonders die öffentlichen Testamente, um zu verhindern, daß Lurch die gesteigerten Kosten die Neigung gefördert wird, für letztwillige Verfügungen die Form des eigenhändigen Testaments zu wählen. Der Ausschuß hielt eine Aus­dehnung dieser Ausnahmefälle für angezeigt und zwar namentlich auf kleine Erundstückskäufe. Sein Antrag ging indessen nicht durch. Vielmehr wurde der weiter­gehende Antrag Stiefel-Ströbel (B.K.) ange­nommen, wonach der Zuschlag nicht erhoben werden soll für die Beurkundung von Rechtsgeschäften, die der Um­satzsteuer unterliegen, wenn sie Erwerbungen der Ab­kömmlinge von ihren Eltern und Voreltern zum Ge­genstand haben und der Wert bei unbebauten Grund­stücken den Betrag von 10 000 -1l, bei bebauten Grund­stücken den Betrag von 20 000 -1t nicht übersteigt und der Erwerber im letzten Jahr ein Einkommen unter 2000 -1t hatte. Der Ausschuß hatte als obere Grenzen 2000 bezw. 5000 -1t festgesetzt. Weiterhin nahm das Haus einen Antrag seines Finanzausschusses an, wo­nach Lehrer und Lehrerinnen, die durch den Wegfall der A u fb e ss er u n szu lag e bei Einweisung in den Höchstgehalt eine Kürzung ihres jeweils bereits erwor­benen Einkommens erleiden würden, zur Vermeidung dieser Kürzung eine entsprechende Ergänzungszulage er­halten. Dem Gesetzentwurf, betreffend die zeitliche Ver­setzung der Beamten der aufgehobenen Tierärztlichen Hochschule in den Ruhestand wurde entsprechend dem Kommissionsantrag zugestimmt. Zum Schluß gab es noch eine längere Debatte über den Gesetzentwurf, be­treffend Aenderung des Lehrerbesoldungs­gesetzes. Angenommen wurde ein Antrag Bau­mann (N.), der sich auf einen Antrag des Finanzaus­schusses und einen solchen des Abg. Rembold - Gmünd stützte. Darnach sollen die unständigen Lehrer und Leh­rerinnen in den Gemeinden, bei denen der Staats­steuerbetreff auf den Kopf der Bevölkerung mehr als

15 beträgt, je 3.40 -1t, in den anderen Gemeinden je 3 -1t, die unständigen Fachlehrerinnen 2.80 -1t, bezw. 2.40 -1t erhalten. In den Gemeinden 1. Klasse, in den mittleren und großen Städten sollen sie 3.40 -1t, in annderen Gemeinden 3 -1t erhalten, wenn und inso- lange die Eemeindeumlage auf Grundeigentum, Ge­bäude und Gewerbe, weniger als 10 ^ der ihr zugrunde zu legenden Gesamtkatastersumme beträgt. Nächste Sit­zung Mittwoch.

Vom Rathaus.

Talw, 27. Juni 1913.

Erweiterung des städtischen Elektrizitätswerkes.

Oeffentliche Sitzung der bürgerlichen Kollegien un­ter dem Vorsitz von Stadtschultheiß Conz am Donners­tag, 26. Juni, von nachmittags 4 Uhr ab. Anwesend sind 8 Eemeinderäte und alle BUrgerausschußmitglieder. Den Verhandlungen wohnen außerdem noch an Stadt­pfleger Dreher, Stadtbaumeister König, Stadtschultheiß Müller-Neubulach, der Vorsitzende des E.V.E. Station Teinach und der Direktor dieses Werkes, sowie der tech­nische Sachverständige der Stadt, Ing. Eberhard.

Die Angelegenheit, die schon längere Zeit in pri­vaten Gesprächen innerhalb der Bürgerschaft lebhaft besprochen wurde, ist von den bürgerlichen Kollegien, nachdem vor 8 Tagen Vorbesprechungen stattgefunden hatten, gestern zu einem greifbaren Beschluß gebracht worden: Die Erweiterung des städtischen Elektrizitäts­werkes in Gestalt eines Stromabkaufs von dem E.V.E. Station Teinach. Eine Erweiterung des städtischen Werkes ist nach der Begründung der Stadtverwaltung im Hinblick auf die Tatsache Erfordernis, daß es gegen­wärtig schon mit der Befriedigung der namentlich zur Herbst- und Winterszeit an das Werk gestellten An­sprüche die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erreicht hat, und daß in Voraussicht der Vermehrung dieser An­sprüche (Bezirkskrankenhaus) die notwendigen Maß­nahmen getroffen werden müssen, um einen ungestörten Fortgang der Versorgung mit Licht und Kraft zu sichern. Die Frage der Notwendigkeit einer Erweiterung des städtischen Elektrizitätswerkes sei bezweifelt, ja selbst verneint worden, führte Stadtschultheiß Conz aus. Aber die Gemeindeverwaltung müsse auf dem Stand­

Bries eines deutschen Nenldenlegionärs.

Die deutsche Aufklärungsarbeit über das Wesen der fran­zösischen Fremdenlegion hat noch immer nicht den wünschens­werten Erfolg. Es würde unverständlich sein, daß junge Deutsche, wenn sie schon ihr Vaterland aus dem oder jenem Grunde verlassen, gerade für Frankreich auf afrikanischem Boden ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, wenn man nicht die Arbeit der französischen Werber in Rech­nung ziehen müßte. So und so oft ist von französischer Seite versucht worden, den Eintritt junger Deutscher alsfrei­willig geschehen" hinzustellen, die.Berichte und Erzählungen der Opfer aber klären auf über diesenfreiwilligen Ent­schluß". Sie waren alle über das Schicksal, das ihrer in Afrika harrte, getäuscht worden. Zu spät kommt dann die Reue, wenn sie die Wirklichkeit erleben mußten. Der nach­stehende Brief eines deutschen Fremdenlegionärs, der den Leipziger Neuesten Nachrichten" zur Verfügung gestellt wor­den ist, gibt eine ergreifende Schilderung des bitteren Schick­sals, das den Fremdenlegionären meistens beschieden ist. Aus Ain Sefra datiert, berichtet er von der diesjährigen Oster­feier deutscher Fremdenlegionäre und lautet: Wir waren an der Grenze von Marokko-Meritscha am Abend des 20. März angekommen. Vom blauen Himmel flimmerten die Sterne in südlicher Pracht, und vom Meere tönte das leise Rauschen der Wogen. Zeltwände leuchteten unter den Palmen, die Fremdenlegion hatte ihr Lager aufgeschlagen, und wir lagen ermüdet im hohen Grase. Kakteenblüten erschlossen ihre pur­purnen Kelche zu unseren Füßen, wir zertraten sie achtlos. Für uns hatte die wundervolle Natur keinen Reiz, unsere Sinne sind abgestumpft, unsere Herzen verbittert durch hoff­nungsloses Leid. Heute aber beschäftigte uns ein anderer

Gedanke. Ein deutscher Jüngling, Walter Richter, fast noch ein Knabe, hatte uns vor Weihnachten daran erinnert, daß cs bald Ostern werde, und dabei den Wunsch ausgesprochen, daß wir Deutschen Ostern feiern wollten wie in unserem lieben Deutschland. Er war der Liebling der Kompanie, selbst unser Kommandant ging nie übermäßig streng mit ihm um. Eine traurige Lebensgeschichte lag hinter ihm. Er war der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns und hatte auf Wunsch seines Vaters das Studium begonnen. Ein grobes Vergehen, das er sich zuschulden kommen ließ, bewog ihn zu dem verzweifelten Entschluß, heimlich zu ent­fliehen. Der Kummer seiner Eltern muß sehr große gewesen sein, nach dem, was er uns aus seinen! Vaterhause erzählte. Er rührte nie Karten, Wein oder Branntwein an, soviel ihn auch seine Kameraden dazu drängten. Sein Kummer erweckte nach und nach in unseren Herzen das Echo der Reue über ein verlorenes Leben. Die besser Gesinnten unter uns schlossen sich allmählich an ihn an, besonders die Deutschen, mochten es Rheinländer, Elsäßer, Oesterreicher oder Schwei­zer sein. Wir hatten um seinetwillen den festen Entschluß gefaßt, Ostern zu feiern wie in unserem Vaterlande. Emsig wurde das Geld zu Eiern und Zwiebeln von dem mageren Solde gespart, unser Freund lebte durch die allgemeine Freude neu auf. Nun war das Osterfest gekommen. Todmüde von einem langen, anstrengenden Marsche bei spärlicher Kost, rafften wir unsere ganze Kraft zusammen, um noch wach zu bleiben. Unsere Kameraden, Engländer, Franzosen, Spa­nier, aus aller Herren Länder zusammengewürfelt, lagen längst in ihren Zelten und schliefen. Was kümmerte sie Ostern! Sie hatten keine Jugenderinnerungen wie wir Deutschen. Wir mußten uns sehr knapp einrichten, da wir nur wenige Eier erhalten konnten, weil die Marokkaner nicht un­sere Freunde sind. (Wir schlafen nachts mit am Handgelenk

angebundenem Gewehr, die Marokkaner kommen geschlichen wie Katzen und schneiden dem Schlafenden den Hals durch.) Die erstandenen Eier wurden in Zwiebelwafser gekocht und dann verteilt. Die Freude war groß. Erst jetzt merkten wir, daß unser Freund fehlte er hatte sich aus dem Zelt ge­schlichen und weinte unter einer Palme; er dachte an seine verlassenen Eltern. Nie werde ich den Anblick vergessen, wie er mit seinen Händen seine Haare raufte und seine Stirn auf den heißen Sand drückte. In jener Nacht haben wir alle heiße Tränen vergossen. Walter Richter hat seine Eltern nicht wieder gesehen; wir haben ihn hier im Sande verscharrt. Er wurde zwei Tage nach Ostern vom Fieber befallen und starb am dritten Tage nach Ostern.Meine guten Eltern," das waren seine letzten Worte. Es läßt sich nicht beschreiben, wie weh uns dies tat. Es ist furcht­bar, wenn man bedenkt, wie es jetzt in Marokko aussieht. Eine Sektion ist schon seit 14 Tagen spurlos verschwunden; wir wissen nicht, wo sie geblieben ist, sie sollte auskundschaf­ten. Wir selbst haben Gefechte gehabt 20 Tote und 25 Verwundete, unter den Toten ein Offizier. In einem ande­ren Gefecht haben wir 15 Verwundete gehabt, mußten sie aber liegen lassen, da wir flüchten mußten. Als wir nach dem Kampfplatze zurückkehrten, waren den Unglücklichen vom Feinde die Köpfe abgefchnitten worden. Es ist eine Schmach, wenn man sieht, wieviel Deutsche in einer Kompanie sind: von 150 Mann mindestens 90! Und dann der Zuwachs, der jede Woche nach Oran geht, in den letzten Wochen sollen 80 bis 90 Deutsche verzeichnet worden sein, worüber sich selbst eine französische Zeitung äußerte. Ich weiß nicht, ob es Ihnen recht sein wird, aber um eins bitte ich: Wenn Sie irgendeine Gelegenheit haben, warnen Sie jeden Menschen vor der Fremdenlegion, es wird Ihnen Gott lohnen!