Samstag,

Zweites Blatt zu Nr. 130.

7. Juni 1913.

Aus Höhen und Tiefen.

Liebesfeier.

An ihren bunten Liedern klettert Die Lerche selig in die Luft,

Ein Jubelchor von Sängern schmettert Im Walde voller Blut' und Duft.

Da sind, so weit die Blicke gleiten,

Altäre festlich aufgebaut,

Und all die tausend Herzen läuten Zur Liebesfeier dringend laut.

Der Lenz hat Rosen angezündet An Leuchtern von Smaragd im Dom,

Und jede Seele schwillt und mündet Hinüber in den Opferstrom.

Nikolaus Lenau.

Zu Ehren des Dichters Hermann Kurz.

Eine Anregung.

Am 30. November werden es hundert Jahre, daß der Dichter Hermann Kurz in Reutlingen geboren wurde. Von verschiedenen Seiten sind Vorbereitun­gen im Gange, die Erinnerung an diesen Tag im schwäbischen Volk, im ganzen Deutschland, ja unter den Schwaben Amerikas durch Ehrungen und Ge­denkfeiern zu begehen. Wohl war der Genius des Dichters gleich in seinen ersten Schöpfungen und wäh­rend der ganzen Dauer seines Wirkens von den Besten seiner Zeit in seiner flammenden Geisteskraft erkannt und bewundert worden, aber der großen Masse des Volkes fehlte das rechte Verständnis für die spröde Eigenart seiner Dichternatur, für die Tiefgründigkeit seines Empfindens und Urteilens, für den Reiz jenes köstlichen Humors, der die Schwächen der Menschen lächelnd bloßlegte und zugleich mit liebevollen Lich­tern vergoldete. Nicht für den flüchtigen Moment oberflächlichen Unterhaltungsbedürfnisses hat Her­mann Kurz geschrieben, sondern wie er seine Schätze aus tiefsten Schächten gewann, so wollte er feine Leser in die ewigen Höhen reinster Anschauungen und Emp­findungen heben, in denen er selbst seine wahre Hei­mat gefunden hatte.

Auch die wundervolle Erzählungskunst, die unter anderen D. Fr. Strauß so entzückt hatte, blieb der großen Menge verborgen, weil eben die vollkom­menste Lösung der Aufgabe eines Kunstwerks dem nüchternen Verstände als etwas Selbstverständliches und Kinderleichtes erscheint.

So hat Hermann Kurz dafür, daß er, dem jede andere Laufbahn bei seinen vorzüglichen Geistes­gaben die Pforte der Ehren und des Wohlstands erschlossen hätte, seinem Dichterberufe bis zum Mo­ment der Erschöpfung treu geblieben ist, daß er sei­nem Volke, sein Bestes, sein Höchstes gegeben, daß er ihm sein wärmstes Herzblut geopfert hat, von seinen Zeitgenossen, mit Ausnahme weniger hervor­ragender kongenialer Geister, nur Verkennung und Undank geerntet. Von dem RomanSchillers Hei­matjahre", der vor der Zeit der großen Schillerbio­graphien dem Publikum die ersten, auf genauen Quellenangaben beruhenden Nachrichten aus Schil­lers Jugendjahren bot, wurde im Jahre 1859, dem großen Schillerjubiläum, nicht ein einziges Exemplar abgesetzt. Erst Jahrzehnte nach seinem Tode ließ man ihm Gerechtigkeit widerfahren. Als man an der schablonenhaften, kraftlosen und manierierten Er­zählungsart der den ephemeren Geschmack des Publi­kums beherrschenden Tagesgrößen Ueberdruß emp­fand und neue Wege einzuschlagen versuchte, da er­kannte man auf einmal, daß man ja schon längst ein herrliches Vorbild echter Volkserzählungskunst besaß, an dem seine Zeit achtlos vorllbergegangen war. Hermann Kurz ist, wie alle wahren Dichter-, größen, seiner Zeit vorausgeeilt und deshalb nicht ! veraltet; er hat nie dem Modegeschmack gehuldigt,! sondern in einer Welt gelebt, die ewig die Sphäre der besten und edelsten Menschen sein wird, deshalb

kann er auch nie veralten. So können wir unsrem Volk und unsrer Jugend keinen größern Dienst er­weisen, als sie zu der Quelle zu führen, die so lange für sie unbeachtet und ungenossen fließt.

Gegenüber der verflachenden Macht des modernen Lebens können die Werke des Dichters dazu bei­tragen, ein Geschlecht zu erziehen, in dem neben den notwendigen, durch die Neuzeit gebotenen Sinnes- nnd Lharakterveründerungen die alten Kerntugenden und Stammeseigenschaften unsres Volkes erhalten bleiben.

Um nun die weitere Masse der Bevölkerung auf den Namen Hermann Kurz' aufmerksam zu machen und damit der Verbreitung seiner Dichtungen Vor­schub zu leisten, müßte jede Gemeinde, jede Stadt, besonders aber solche Orte, an die sich persönliche oder literarische Erinnerungen an den Dichter knüpfen, ernstlich in Erwägung ziehen, auf irgendeine Weise den Namen Hermann Kurz in ihrem Weichbild, sei es durch Gedenktafeln, Straßenbenennung, Anlagen von Brunnen, Felsgrotten, Spazierwegen, Anpflan­zungen usw. je nach den Verhältnissen zu verewigen.

Eigentümliche Laune des Schicksals! Hermann Kurz, der außer dem vorübergehenden Aufenthalt in dem seinem Wesen nach ganz schwäbischen Karlsruhe nie die Grenzen seiner Heimat verlassen hat und mit jeder Faser seines Wesens ganz im schwäbischen Boden wurzelte, wo er Land und Leute wie kaum ein ande­rer vor ihm und nach ihm kannte, ist im außerschwä­bischen Deutschland viel bekannter als unter seinen Volksgenossen. Ihm und seinem Jugendfreunde Mörike ist es größtenteils zu verdanken, wenn sich der kühlere Norden für süddeutsche Herzlichkeit und Gefühlstiefe erwärmte. Aber wie könnten auch seine engeren Landsleute ihr eigenes Vaterland ken­nen lernen durch ihn! Mit welchem Fleiße hatte er die alten Chroniken und Geschichtsquellen studiert, welche Kenntnis der alten Sitten und Volksgebräuche und alles dessen, was man heutzutage mit dem Wort Folklore zusammenfaßt, hatte er sich erworben! Wie hat er auf Wanderungen durch die schönsten Gegenden des Schwarzwalds und der Alb den landschaftlichen Charakter des Landes kennen gelernt und die Den­kungsart und das Wesen der Gebildeten und der Un­gebildeten unter seinen Landsleuten mit verstehen­der Seele erfaßt. Wer kennt nicht inSchillers Hei­matjahren" die Stellen, wo er mit wenigen Worten den ganzen Zauber von Gegenden wie Allerheiligen, den Mummelsee oder Reinerzau bezeichnet, jenem Dorf des Pfarrers Matthäus, aus dessen Hause Han- nikels Bande den Kirchenrock gestohlen und dessen ländlich-einfache Frau dem vornehmen Gaste Heinrich Roller den Kaffee schmälzte. Wie lebendig und wahr ist der Charakter all dieser Pfarrer, Amtmänner, Vikare, Wirte und Bauern, ja selbst der Strolche und Zigeuner geschildert, die als eine drückende Plage auf ganz Süddeutschland lasteten. Trotz des Abstands der Zeiten und des veränderten Lebens fühlen wir überall: das sind Menschen von unsrem Fleisch und Blut, so erfaßt und dargestellt, wie sie eben nur ein gottbegnadeter Dichter, der ihrem Stamme entsprossen ist, erfassen und darstellen kann.

Aber eine Perle der Erzählungskunst, die der Dich­ter in dem lieblichen, damals noch ganz einfachen und anspruchslosen Bad Liebenzell geschaffen hat,Der Weihnachtsfund", legt besonders Zeugnis davon ab, wie sehr sich Hermann Kurz in die Natur des Schwarzwalds und seiner Bewohner hineinge­funden hatte und mit welcher Feinheit er die liebens­würdigen Eigenschaften dieses trefflichen Menschen­schlags, ihm Züge aus seinem eigenen Wesen leihend, auszugestalten verstand. Wer sie noch nicht gelesen, die meisterhafte Erzählung, der nehme sie zur Hand, und es wird seinen Genuß verdoppeln, wenn er er­fährt, daß der Dichter mit seiner jungen Gattin und seinen zwei kleinen Kindern, Edgar und Isolde, wahr­scheinlich im Sommer 1856 das liebliche Echwarzwald- städtchen aufgesucht und dort im Walde, einen Baum- ^ stumpf als Tisch benützend, jene entzückende Erzählung!

niedergeschrieben hat. Den Stoff zu dieser Geschichte, die in Liebenzell und Umgegend gespielt hat, lieferte ihm sein Freund, der damalige Stadtpfarrer Butter­sack, in dessen Hause der Dichter mit seiner Familie Wohnung genommen hatte. Der Name der Justine ist von einem hübschen, blonden Liebenzeller Mädchen entlehnt, das als Kindsmädchen fiir das kleine Töch- terchen Isolde angenommen wurde und noch heute von dieser nicht vergessen ist.")

Es wäre für die Einwohner und Gäste des Bads Liebenzell jedenfalls von hohem Interesse, auf einem der reizenden Spaziergänge der schönen Umgegend, etwa auf dem Wege zu der die Stadt überragenden Ruine, durch irgendein Gedenkzeichen an d6n Aufent­halt des Dichters im lieblichen Städtchen an der Nagold erinnert zu werden.

Staatsrat E. v. Mo hl, München.

*) Eine in Liebenzell vorgenoinmene Nachforschung hat zu dem erfreulichen Resultat geführt, daß diese Justine in der Person der Frau Justine Eengenbach noch am Leben ist, sich der beiden einst ihrer Obhut anvcrtrauten Kinder sowie einer Reihe von Einzelheiten, die auch im Gedächtnis des einen ihrer damaligen Pfleglinge, der Dichterin und Schriftstellerin Isolde Kurz, haften, auf genaueste erinnert.

Biichertisch

Das Schwabenland in Farbenphotographie.

Heft 3, 4 und 5. Verlag von Holland Ü: Josenhans, Stuttgart. Das überall mit lebhaftem Interesse aufgenommene Werk einer bild lichen und textlichen Darstellung unsres Landes und unsres Volkes mit seiner Kultur und Geschichte, auf das wir bei seinem Erscheinen empfehlend hinge­wiesen haben, ist bis zum 5. Heft gediehen. Heft 3 bringt die Fortsetzung des geschichtlichen Ueberblicks über Württemberg von Oberstudienrat Egelhaf und zwei Tafeln in Farbdruck: Wildbad und die große Comburg bei Hall; zwei Prachtarbeiten der Farben­photographie, an denen man sich nicht satt sehen kann. Im 4. Heft veröffentlicht Geh. Hofrat Dr. Zingeler in Sigmaringen einen geschichtlichen Ueberblick über Hohenzollern und führt darin frisch und knapp die Geschichte dieses Hauses vor Augen und Geist des Lesers. Der Bilderschmnck besteht außer den im Text zerstreuten feinen, farbigen, photographischen Auf­nahmen, denen man in allen Heften begegnet, aus zwei schönen, bestens gelungenen Tafeln, deren eine das charakteristisch-schwäbische Besigheim von der Neckarseite aus, deren andere die verwitterten Rui­nen des Reußensteins mit seiner freundlichen Um­gebung in vornehmer Ausführung wiedergibt. Dann im fünften Heft beginnt der klassische Albvereinler, Kanzleirat Ströhmfeld in Stuttgart, in seiner fri­schen, anziehenden ArtSchwabenvolk und Schwa­benland" zu schildern. Sein Aufsatz verrät dabei u. a. auch den Vater des wohlbekannten Spruchs: Ufrichtig und grad 'raus,

Gutmütig bis dort 'naus,

Wenn's sei muß, au saugrob:

Des ist a Schwöb.

Der Verfasser ist kein anderer als der frühere Stadtpfarrer in Heilbronn und jetzige Theologiepro­fessor in Tübingen, Dr. Wurster, und diese wunder­bare Definition, was ein Schwabe ist, findet sich auf einem LUeinfaß in Heilbronn. Als Tafel 9 und 10 hat der Künstler-Photograph eine Gruppe in Volks­trachten aus Wanweil bei Reutlingen und den Lochenstein ausgenommen. T. P. Z.

Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner. Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Buchdruckerei.

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