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Zweites Blatt zu Nr. 101.

3. Mai 1913.

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Aus Höhen und Tiefen.

Gleichwohl.

Und gibt es Krieg,

Fremd liegt das Feld.

Ein Krümchen Land,

Ein Heimdach oder gar ein Geld,

Ich Hab' nie das mein genannt.

Der Mensch haßt blind!

Der Baum blüht schwer,

In seinem Garten spielt ein Kind.

Ich bete allen Frieden her!

Wilh. Schüssen.

Aus der Zeit der Wiener Schusterbuben plaudert im Märzheft von Velhagen und Klasings Monatsheften ein alter Wiener und erinnert daran, daß der Wiener Volks­humor in seiner einstigen Fassung zwei Typen gehabt hat, den Fiaker und den Schusterbuben. Der mit der Zunge gleich behend wie mit der Peitsche dreinschnalzende Fiaker, dessen Späße aber keineswegs wie Peitschenhiebe trafen, sondern nur mutwillig in die Luft hineinknallten, war der harmlosere von beiden; er vertrat sozusagen die mildere Tonart, hielt sich an die kleineren Dinge des Alltagslebens, an das, was ihn selbst anging und ihn beimFührischießen" in den Wurf kam die hohe Obrigkeit ließ er gerne un­geschoren. Ganz anders der Schusterbub! Eine Weile nach dem unglücklichen Kriege von 1866 stolziert ein hoher Offi­zier mit der ganzen unverringerten Grandezza des militäri­schen Rangbewußtseins über die Straße und ihm fliegt der freche Schusterbubenwitz nach:Der bild't si a ein, daß er allein Königgrätz verloren hat." Zu Beginn der fünfziger Jahre, als in Wien noch der Belagerungszustand herrschte und die neuformierte Gendarmerie mit der bis dahin den Wienern fremd gewesenen Pickelhaube und aufgepflanzten Bajonetten am hellichten Tage mitten unter den Spazier­gängern des Erabenkorsos und des Stefansplatzes herum­patrouillierte, wie wenn es gälte, die bedrohte Sicherheit vor äußersten Gefahren zu schützen, und zwar immer paar­weise, als wäre der einzige Gendarm in der friedsamen Menge seines Lebens nicht sicher gewesen, da ist der Schuster­junge mit der Bissigkeit bei der Hand:Wenn man nur wützt', wer von den zwa 's Mandl und wer 's Weibl is?" Die Wiener Basteien waren damals, Jahre bereits nach der niedergeworfenen Oktoberrevolution von 1848, mit Kanonen garniert, die ihre Mündungen der Stadt zukehrten, in der steten Bereitschaft, im etwaigen Bedarfsfälle das Verderben niederhageln zu lassen. Da zitiert die Anekdote wieder den schusterbübischen Frechling. Er ist wegen eines demonstra­tiven Aufputzes seiner Mütze festgenommen worden, die war nämlich mit papiernen gemalten Kanönchen bepflanzt. Vor den Kommissär gebracht, verteidigt er sich:Bitt', auf mei­nem Kopf haben sich unruhige Bewegungen 'zeigt, und da Hab' ich ihn halt in Belagerungszustand erklärt." Von sol­cher Art war der Wiener Schusterbubenwitz, der nicht mehr an das Ohr des lebenden Geschlechts klingt. Die Figur des ehemaligen Schusterjungen ist längst ausgestorben, die köstlich naseweise, hemdärmelige Range mit denSchlapsen" an den nackten Füßen und den über die Schulter geschlunge­nen, nach vorn und nach hinten schlenkernden neuen Stiefeln, die er zum Kunden trägt, dieses windige, dünnleibige,kri­tische Organ der öffentlichen Meinung" ist vollständig aus dem Wiener Straßenbilde verschwunden. Aber wenn er auch in der Wirklichkeit nicht mehr existiert, in der Er­innerung lebt er fort als ein klassischer Zeuge der durch ihn allein schon erweisbaren Tatsache, daß Altwien denn doch nicht gar so sehr in erschlaffender Gemütlichkeit dahinvege­tierte, sondern daß es auch seine Revolution von 48 gehabt hatt, denn jene stürmische Zeit hat den Schusterbuben geboren.

ep. Statistik über die evangelische Kirche Deutschlands aus dem Jahre 1911. Das Allgemeine Kirchenblatt für das evangelische Deutschland veröffentlicht die Statistik über die evangelischen Kirchen Deutschlands aus dem Jahre 1911. Danach betragen die Taufen in Prozenten der Geburten aus rein evangelischen Ehen: in Preußen 97,34, Bayern 99.S1, Sachsen 96,16, Württemberg 98,39, Baden 98,10. In Mischehen: Preußen 166.58. Bayern 145,34, Sachsen 179,87, Württemberg 118.81. Baden 108,71. Trauungen

in Prozenten der Eheschließungen bei rein evangelischen Paaren: Preußen 88,88, Bayern 96,24, Sachsen 95,66, Würt­temberg 94,62, Baden 93,92. Bei gemischten Paaren: Preußen 80,03, Bayern 95,54, Sachsen 149,50, Württemberg 102,95, Baden 94,94. Kirchliche Beerdigungen: Preußen 84,16, Bayern 100,68 (Beerdig. Nichtevang.), Sachsen 102,84, Würt­temberg 92,03, Baden 98,31. Kommunikanten: Preu­ßen 33,18, Bayern 60,88, Sachsen 35,11, Württemberg 41,93, Baden 43,33. Austritt zu Sekten bzw. Religionslose: Preu­ßen 2789, 9459, Bayern 125, 287, Sachsen 921, 449, Württem­berg 306, 169, Baden 136, 353. llebertritte aus der katho­lischen Kirche: Preußen 6320 (Uebertritte zu der katholischen Kirche 658), Bayern 233 (127), Sachsen 938 (54), Württem­berg 112 (57), Baden 209 (52).

Der verschluckte Brillantring. Im Aprilheft der in Köln erscheinenden MonatsschriftDeutsche Fischerei-Korrespon­denz" lesen wir folgende hübsche Geschichte für Angler: Seit Anfang dieses Monats hält sich bei Siegburg die Tochter eines steinreichen Amerikaners zu Besuch auf. Sie fand daran Vergnügen, von der Buisdorfer Brücke herab die dort in der Sieg zahlreich stehenden Hechte mit lebenden Uckleis zu füttern. Die Hechte machten eifrig Jagd auf die Köder­fische und waren immer vollzählig versammelt, sobald die Amerikanerin kam und die ersten paar Ilckleis in die Sieg warf. Hierbei passierte nun der Amerikanerin das Malheur, daß ihr ein auf mehrere tausend Mark geschätzter Brillant­ring vom kleinen Finger abfiel, welchen Ring, wie die Ver­lustträgerin deutlich sehen konnte, ein etwa 5 bis 6 Pfund schwerer Hecht sofort aufschnappte. Leider ist es noch nicht gelungen, diesen Hecht zu fangen und so der Amerikanerin wieder zu ihrem Kleinod zu verhelfen. Für perfekte Hecht­angler bieten sich also augenblicklich ganz besondere Chancen, denn die Amerikanerin ist bereit, da der verlorene Ring zudem ein teures Andenken ist, 300 Mark Belohnung für seine Wiederherbeischaffung zu zahlen. Da die Amerikanerin Ende April nach ihrer Heimat zurückreist, so will man, falls der Ring nicht bald wieder zur Stelle geschafft sein sollte, die in Frage kommende, vom Fischschutzoerein Köln gepach­tete Strecke mit Netzen gründlich abfischen, um des betreffen­den Hechtes endlich habhaft zu werden.

Das Ende der gemeinsamen Knaben- und Mädchen­erziehung. Aus London wird berichtet, daß die Begeisterung für die gemeinsame Erziehung der Knaben und Mädchen geschwunden sei. Die Direktoren des Londoner Zentralschul­distrikts sind auf Grund längerer Beobachtungen zu der Ueberzeugung gekommen, daß die gemeinsame Erziehung von Knaben und Mädchen hinderlich für die Entwicklung beider Geschlechter sei. In der Begründung des Beschlusses wurde ausgeführt, wie irrig sich die Annahme erwiesen habe, der Lerneifer der Kinder könnte durch den gemeinsamen Unter­richt angespornt werden. Man hat durchschnittlich in allen Fällen die Beobachtung gemacht, daß die Mädchen im Lernen gleichgültiger und in der Aufmerksamkeit lässiger geworden sind. Sie hinderten dadurch die Fortschritte der Knaben, deren Erziehung auf ganz anderer Basis beruhe wie die des weiblichen Geschlechts. Die Mathematik, eine Unter­richtsdisziplin, die für die Knaben äußerst notwendig sei, und im Zeitalter der Technik als Unterrichtsfach die erste Stelle einnehmen müsse, sei für die Ueberzahl der Mädchen außerordentlich schwierig und kaun, zu überwinden. Der Durchschnitt habe ergeben, daß auf 100 Schülerinnen nur 4 kamen, die sich die Mathematik aneignen konnten. In den wissenschaftlichen Kenntnissen konnte man Schritt hal­ten, im Durchschnitt aber niemals ein Ueberflügeln fest­stellen. Diese Gründe waren für die Beurteilung ausschlag­gebend, und man nimmt von einer weiteren Einführung des Systems Abstand.

Llmdtagsabgeordneler Staudennikyer über die Jugendpflege.

(Fortsetzung und Schluß.)

Dieser Jungdeutschlandbund will also in klarer Erkenntnis der Sachlage alle Leibesübungen irgendwelcher Art treibenden Vereine, sonach außer der deutschen Turnerschaft die Pfadfin­der, die Wandervögel, die konfessionellen Jugendvereinigungen, die auch Pfadfinderspiele eingeführt haben, den Deutschen Rad­fahrerbund und die verschiedenen anderen Sportvereine zu gemeinsamer Arbeit zusammenfasten, und er verlangt von den beitretenden Korporationen nichts weiter, als daß dieselben

keine parteipolitischen Ziele verfolgen und daß sie auf vater­ländischem Boden stehen. Besonders sympathisch an der Jungdeutschlandbewegung berührt uns insbesondere auch das, daß in derselben konfessionelle Gesichtspunkte in keiner Weise in Betracht kommen, daß es der Bund vielmehr jedem einzel­nen überläßt, nach seiner Fasson selig zu werden. Wande­rungen und Geländespiele, Turnen, Turnspiele und Schwim­men bilden den llebungsstoff für Jungdeutschland. Wenn da und dort gesagt wird, daß die Hebungen zu viel den Charakter militärischer Spielerei tragen, daß durch das Ein­führen militärischer Abzeichen und Chargen in den jungen Leuten die Eitelkeit und ein falscher Ehrgeiz zu frühzeitig geweckt werde, kurzum, daß von ihnen zu vielSoldätles" gespielt werde, so würden wir unsererseits lebhaft bedauern, wenn der Vorwurf bei der einen oder anderen Ortsgruppe Jungdeutschlands begründet wäre. Eine derartige Betäti­gung läge aber auch nicht in der Absicht der Leiter der Jungdeutschlandbewegung, und wir müßten dann die Er­wartung aussprechen, daß die Leitung bestrebt wäre, eine solche einseitige, auch von der Militärverwaltung selbst gar nicht gewollte Soldatenspielerei auf das richtige Maß zurück- zuführen. Die Jungmänner sollen von ihren Führern hinaus­geführt werden in Gottes herrliche Natur, es sollen ihnen Herz und Augen für die Schönheiten der Natur erschlossen werden, in einfachen, dem Jünglings- und Knabenalter an gepaßten Geländespielen sollen sie die Muskeln stärken und die Kräfte erproben, damit sie andern Tags, frisch und ge stärkt, wohlgemut wieder ihr Tagewerk in der Schule, im Bureau, in der Fabrik oder der Werkstatt aufnehmen können, durchdrungen von dem Bewußtsein, mit anderen jungen Leu­ten einen schönen, erhebenden Tag in Gottes freier Natur zugebracht zu haben. Ueberanstrengungen, die bei derartigen Ausmärschen den jungen Leuten zugemutet würden, ja schon zugemutet worden sein sollen, würden wir sehr bedauern. Wenn so die jungen Leute geführt und geleitet werden, und wir wissen, daß dies in der Absicht der Leiter des Jung­deutschlandbundes liegt, dann werden die im Etat vorgesehe­nen Mittel, die ja in erster Linie zur Heranbildung tüchtiger Führer in besonders einzurichtenden Führerkursen und zur Versicherung der Führer und Jungmannschaft gegen Haft­pflicht und Unfall verwendet werden sollen, gut angewendet sein und unserer Jugend und unserem Volke sicher zum Segen gereichen. (Beifall rechts und in der Mitte.) So sehr wir dieses hoffen und wünschen und deshalb auch geneigt sind, staatliche Mittel für diesen Zweck zur Verfügung zu stellen, so sehr sind wir aber andererseits auch von der segensreiche» Wirksamkeit des Landesverbandes für Jugendfürsorge über­zeugt, der eine ganze Reihe wohltätiger und gemeinnütziger Vereine, und zwar ohne Rücksicht auf deren konfessionelle Zugehörigkeit, so neuerdings auch die evangelischen und ka­tholischen Jugendorganisationen umfaßt, und wir sind gerne bereit, auch ihm zur Verfolgung seiner edlen Bestrebungen staatliche Mittel zur Verfügung zu stellen. Eine Erhöhung der von der Regierung vorgeschlagenen Summen halten wir aber nicht für nötig, und wir sind erstaunt, daß heute der Herr Staatsminister des Kirchen- und Schulwesens entgegen seiner Haltung im Ausschuß die Regierungsvorlage auf­gegeben und sich seinerseits, mit einer Verbeugung vor der Rechten dieses Hauses, (Lachen und Widerspruch rechts) für den Antrag Kiene-Wolff, der eine Erhöhung der Exigenz auf 15 000 fordert, ausgesprochen hat. Wir möchten uns auch nicht auf die von der Regierung vorgesehene llnter- austeilung der ganzen Summe unter die verschiedenen in Betracht kommenden Vereine und Verbände festlegen, uns also hier nicht für bestimmte Summen aussprechen. Wir möchten vielmehr die Unterausteilung der Gesamtsumme ganz dem billigen Ermessen der König!. Staatsregierung nach gerechter Würdigung aller in Betracht kommenden Verhält­nisse überlassen und nur unbedingte Parität zwischen Jung­deutschlandbund und Landesverband für Jugendfürsorge ge­wahrt wissen. Wir werden deshalb unsererseits gegen die Anträge der Herren Kiene-Wolff und Heymann stimmen, dagegen der Regierungsvorlage unsere Zustimmung erteilen. Mögen alle beteiligten Kreise bestrebt sein, in vater­ländischem Sinn und Geist an der Förderung der gesamten Jugendpflege zum Heil unseres Volkes mitzuwirken, denn, meine Herren, wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft! (Beifall.)

Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner.

Druck und Verlag der A. Oelschläger'schen Vuchdruckerei.