66. Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 88. Jahrgang.

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O»s<«i«ung»wetse: «mal wöchentlich. Lnzeigenpreit: Im Oberamts- »«»«/Calw für die einspaltige Borgiszetl« 10 Pfg., außerhalb desselben lL Pfg.. A«Almen Psg. Schluß sür Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telesv» S.

Donnerstag, den 20. März 1913.

Bezugspreis: In der Stabt mit Lrägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich, Post. bezugSpretS für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Karfreitag.

Herzog Karl Eugen hat auf dem Totenbette zu seinem Hofprediger gesagt:Pfarrer, Sterben ist kein Kinderspiel." Diese Wahrheit wird der schon selbst empfunden haben, der schon um ein Sterbebett gestanden und einem ihm lieben Menschen die Augen zudrücken mutzte. Sterben ist kein Kinder­spiel. Ls gibt überhaupt nichts in unsrem Leben, was so tief erschüttert, als die Majestät des Todes, der der Reiche so gut machtlos gegenüber steht wie der Arme, vor dem Fürsten und Könige geradeso er­zittern, wie der Geringste aus ihrem Volke. Wie stehen wir zum Tode? Da kämpfen, ringen, leiden, hassen und lieben die Menschen, schmieden Pläne, arbeiten und mühen sich ab und über Nacht löscht der kalte Herrscher das in Schaffen und Daseinslust glühende Herz. Und dann? Ach, uns Menschen bleibt nichts, als unsrer Pflicht zu leben, unsrem Gewissen, um den Tod gefaßt zu erwarten. Was nun auch ' hinter diesem Leben liegen mag mit einem un­befleckten Gewissen läßt sich wohl auch die Wande­rung durchs Ungewisseste vollenden. Jesus Christus, der noch am Kreuze bang wie ie Lin Menschen- kind verzweifeln konnte:Mein Gott>warum hast du mich verlassen?" ist uns Wegweiser so zum richti­gen Sterben, als auch zum unerschütterlichen Ver­trauen in die Führung des himmlischen Vaters. Das bringt selbst den kritischsten Menschen der Persönlich­keit Jesu näher, daß Jesus litt, schwach werden konnte, daß er menschliche Todesnot erduldete sie aber wie ein Gott ertrug. Er hätte unmöglich so heilig sterben können, wenn seine Seele nicht mit leuchtender Kraft erfüllt gewesen wäre, die ihm aus dem Bewußtsein zuflotz, seine Mission im Namen seines himmlischen Vaters erfüllt und seine bren­nende Liebe, seine Treue in der Zeit seines Wirkens erprobt und bewährt zu haben. Dieses Liebesdenk- mal ragt flammend über die Angst der Menschen vor dem Sterben, der Glaube daran gibt wunderbare Kraft in den Karfreitagsstunden des Lebens und in Todesbangigkeit, es zeigt uns, wie gottergeben, fröh­lich zu leben, zu leiden und zu sterben sei, es stillt das Heimweh nach innerer Rühe und macht uns zu gütigen Menschen. Ob auf grauenvollem Schlacht­feld, ob auf schlichter Lagerstätte Tod, komme, wie immer du willst: den kannst du nicht schrecken, der sich unter das edelste Denkmal der Liebe stellt, die sich selbst in den Tod gab, und jetzt und in Ewigkeit bestehen wird!c-Ii.

Stadt. Bezirk und Nachbarschaft

Ealw, 20. März 1913.

Die heutige Ausgabe des Calwer Tagblatts erscheint sechsseitig.

Vom Rathaus.

Oeffentliche Sitzung des Gemeinderats unter dem Vorsitz von Stadtschultheitz Conz am Mitt­woch, 19. März, von nachmittags 5 Uhr ab. Die Beratungen begannen mit der Bekanntmachung des Vorsitzenden, daß der Bezirksrat beschlossen habe, die Ausführung der elektrischen Anlage im neuen Bezirkskrankenhaus der Stadt Calw bzw. deren Beauftragten zu übertragen gegen eine pauschale Vergütung von 8600 ^ll. Angebote zur Ausführung lagen auch von der Maschinenfabrik Eßlingen und der Firma Wild vor. In Sachen der Rötelbachbrücke bei Zavelstein hat noch einmal ein Augenschein stattgefunden. Von der Ge­meinde Zavelstein wird gewünscht, daß aus Anlaß der Neuerstellung der Rötelbachbrllcke zugleich auch eine Verminderung der Steigung des Stichs vom Rötelbach Zavelstein ^ ausgeführt werde. Die dafür kämen auf 700 -ll, wovon die Amts­körperschaft unter Umständen ein Drittel tragen würde. Ealw soll gleichfalls einen Beitrag geben.

Der Gemeinderat bewilligt 100 oll. Die anläßlich der Neupachtung der Restauration Haydt (Essig) an der unteren Brücke notwendig werdende Neugeneh­migung der Wirtschaftsberechtigung will der Ge­meinderat befürworten unter der Voraussetzung, daß dafür gesorgt wird, daß die Stallungen für Zwecke der Biehmärkte usw. in Verbindung mit der Wirt­schaft erhalten bleiben. Die beiden Beamten der Eisenbahnbetriebsinspektion sind laut ministeriellem Erlaß von der Feuerwehrpflicht befreit worden. Schluß der Sitzung E 28 Uhr.

Vortrag im Georgeniium. Im Georgenäum be­handelte gestern abend Dr. Hausmann aus Straßburg in einem interessanten Vortrag die Pro­bleme des Balkankrieges. Der Redner, eine sympa­thische Gelehrtennatur, mit einer angenehmen und klaren Vortragsweise, hat auf einer Studienreise im Jahre 1906 einen großen Teil des Balkans kennen gelernt. Die Tatsache, daß die Türkei aus Europa hinausgedrängt wird, steht für ihn fest; es sei das eine Folge der dort herrschenden religiösen und Ras- sen-Gegensätze, die sich auf türkischer Seite durch In­dolenz, auf der Seite der Balkanvölker durch leiden­schaftlichen Haß äußern, wobei die Balkanstaaten, weil besser vorbereitet und tüchtiger, den Sieg davon­getragen haben die letzte Konsequenz der geschicht­lichen Entwicklung. Auf die politische Seite des Problems geht der Redner nur notgedrungen ein nach dem jammervollen Vorgehen der Großmächte in der Frage des gno. Er besprach die alba­nische Frage und die serbisch-österreichischen Konflikts­möglichkeiten und ihre befriedigende Lösung. Be­züglich der wirtschaftlichen Probleme zeigte er an der Hand lehrreicher Zahlen, daß die Dreibund­mächte, darunter besonders Deutschland und Oester­reich, gegenüber den Mächten der Triple-Entente einen ganz bedeutenden Vorsprung haben ein Er­gebnis, das trotz hoher Schwierigkeiten eine bedeu­tende Kulturleistung dieser Mächte darstelle. Wenn die Türkei, auf asiatischen Boden beschränkt, sich unter Benützung der Bodenschätze und der Kulturelemente aufrafft, bleibt für Deutschland mit seiner Bagdad­bahn, die das größte Kulturwerk darstelle, diese wirt­schaftliche Ueberlegenheit auch weiterhin aufrecht er­halten. Mit einem optimistischen Ausblick, der in die Hoffnung ausklang, daß durch diese Entwicklung der Dinge der Weg für die Kulturarbeiten in Klein­asien frei werde, schloß der Redner.

b. Karfreitag. Der Karfreitag gilt als der höchste Festtag der evangelischen Kirche. Die ersten Spuren einer Feier des Karfreitags finden sich um die Mitte des 2. Jahrhunderts in der römischen Kirche. Man heiligte den Karfreitag durch strenges Fasten und Meiden aller Arbeit, durch Trauergesänge, durch schwar­zen Schmuck der Kirchen. Die katholische Kirche gibt seiner Feier keinen eigentlichen festlichen Charakter, was zur Folge hat, daß er von den Katholiken nur als hal­ber Feiertag betrachtet und die Werktagsarbeit nicht unterlassen wird. In Preußen ist der Karfreitag seit 2. September 1899 gesetzlicher Feiertag, die Schweizer Kirchen haben die Feier des Karfreitags erst 1860 aus­genommen. Im Volksglauben spielt der Karfreitag eine großeNolle. Nach der Meinung der Leute sind vor allem die Karfreitagseier gesegnet. Sie sind nicht nur gute Vruteier, sondern halten auch bis zum nächsten Oster­fest. Ein Karfreitagsei übers Dach geworfen, schützt das Haus vor Blitzschlag. In Frankenbach bei Heil­bronn wandern die Leute am Karfreitag morgen vor Sonnenaufgang zum Godelmannsbrunnen. Das ist eine Quelle, die etwa 16 Minuten vom Dorf entfernt ist. Wer von ihrem Wasser um diese Zeit trinkt, der bleibt das ganze Jahr gesund. Die Bauern haben für den Karfreitag ihre besonderen Regeln, mittels deren sie aus das ganze Wetter während des Frühjahrs und Som­mers schließen. Regnet es, so tritt während des ganzen Frühjahrs und Sommers Regen ein, gibt es gar ein Gewitter, so mangelt es im Sommer nicht an bösem

Wetter. Der Wind, der am Karfreitag weht, ist maß­gebend für das ganze Jahr.

scb. Mutmaßliches Wetter. Für Freitag und Sams­tag ist wiederum meist trübes, zu Niederschlägen ge­neigtes, milderes Wetter zu erwarten.

-i- Althengstett, 19. März. Eine Karsreitagsstim- mung lag heute über Althengstett. Heute wurde Bahn­wärter Löffler zu Grabe getragen, das Opfer jenes scheußlichen Verbrechens, durch das Althengstett im Lande so traurige Berühmtheit erlangen sollte. Der Sarg mit dem Toten wurde vormittags 1412 llhr unter Glockenläuten vom Krankenhaus in Calw hieher ge­bracht. Am Bahnwarthaus erwarteten den Leichenwagen Veteranen- und Militärverein und der Liederkranz, welcher bei der AnkunftWas Gott tut, das ist wohl­getan" anstimmte. Die schwerkranke Frau des Verstor­benen, die der Beerdigung ihres Mannes infolge Krank­heit nicht beiwohnen konnte, war für den Augenblick, solange der Totenwagen hielt, ans Fenster gebettet worden, um einen letzten Blick auf die Behausung ihres Mannes zu werfen, in der er ins kühle Grab ge­legt werden sollte. Am Eingang zum Ort hatten Schul­kinder Aufstellung genommen und grüßten den Zug mit dem Trostliede Die Christen gehn von Ort zu Ort. . . . Eine Teilnehmerzahl, wie sie in Altheng­stett zu einer Beerdigung sich wohl noch nie zusammen­gefunden hat, begleitete alsdann den Leichenwagen durch den Ort zum Friedhof. Wer irgend von den Einwohnern abkommen konnte, Männer und Frauen, und viele Berufskollegen Löfflers beteiligten sich. Aus Calw, Weilderstadt und den Nachbarorten waren Be­sucher gekommen. Nachdem die Glocken ausgeklungen, und die Kinder einen weiteren Trauergesang gesungen hatten, hielt Dekan Wunderlich eine eindringliche Leichenpredigt. Er ging davon aus, daß die selten große Trauerversammlung in inniger Teilnahme an diesem Grabe stehe. Obwohl nicht aus Althengstett stammend, sei der Verstorbene in 40 Jahren seiner Lebenszeit hier heimisch geworden. Trotz seiner 68 Jahre habe Löffler in Sturm und Wetter, bei Tag und Nacht in voller Rüstigkeit seine Verufspflicht erfüllt. Hier habe die greuliche Tat eines ruchlosen Mörders den braven Veteranen, der einst vor dem Feinde ge­standen und unversehrt aus dem Feldzug heimgekehrt sei, gemordet. Noch zittere der Schmerz, die Erregung durch die Gemeinde. Wie schrecklich ist es, daß ein Glied der Heimat der Mörder sein mußte! Und er hätte rücksichtslos auch noch eine alte Frau erwürgt, wenn er seine Absicht hätte ausführen können. Wir sind aber nicht hier, um über den Täter zu richten, er steht unter anderem Gerichte und wir müssen es als be­sondere Fügung ansehen, daß er der irdischen Gerechtig­keit sich nicht entziehen konnte. Ihm werden die Augen aufgehen, in den kommenden Tagen, wenn die Ge­wissensbisse kommen und die Pein des Schuldbewußt­seins sich meldet. Wir wollen Gott aber bitten, daß er ihm verzeihe. Wie kannte der Gott der Liebe diese Tat zulassen? Der Glaube muß diese Frage beantworten. Der Glaube ist eine innere Macht, die durch alle Zweifel hindurch findet. Der Fall sei eine erschütternde Predigt, die Gott der Gemeinde und den Altersgenossen des Mörders gehalten habe. Wo in den Familien einer Gemeinde die rechte Gottesfurcht herrscht, kann nicht wohl ein Glied so tief sinken, daß es zum Mörder wird. Wenn die Schande, die durch die grausige Tat auf unsre Gemeinde gekommen ist. uns dazu treibt, uns unter das Kreuz Christi zu stellen, frömmer und besser zu werden, so muß auch diese Schickung zu unserem Besten dienen. Darauf senkten Kollegen den Sarg ins Grab. Einsegnung und ein Gebet, in dem Gott darum gebeten wurde, der Hinter­bliebenen des Verstorbenen, der Eltern des Weiß und dessen selber zu gedenken, sowie der Lhorgesang des Liederkranzes schloß die kirchliche Feier. In warmen Worten brachte der Vorgesetzte des Verstorbenen, Eisen- bahnbauinsp. Schlierholz, der mit Beamten der Eisenbahnbauinsp. Calw erschienen war, die Gefühle der Trauer um den jähen Tod des tüchtigen Mannes