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Samstag,
Zweites Blatt zu Nr. 62
15. März 1S13.
Aus Höhen und Tiefen.
Passion.
Nun hebt ein wehes Zeiten an:
Der reine Heilige klagt so sehr,
Daß er den Kelch nicht trinken kann —
Kommt keiner, ihn zu trinken, her?
Welch Wunder, daß nicht jeder drängt Und will der Allererste sein,
Der innig an zu trinken fängt Den Kelch voll Galle und voll Pein!
Die Zeit des bittern Kelches reift.
Schon schattet Gottes nahe Hand. —
Wer kommt, der nach dem Kelche greift Und setzt den Mund an seinen Rand?
Kommt keiner? Jesus zagt und kniet —
Hat Liebe keinen Ueberfluß?-
Doch jeder rennt vorm Schmerz und flieht,
Daß Jesus wieder trinken muß!
Gustav Schüler in der „Christlichen Welt".
Ein Geretteter über den Untergang des 8 178.
Unter den fünfzehn Ueberlebenden der Torpedobootkatastrophe vor Helgoland befindet sich, wie aus der veröffentlichten Liste hervorgeht, auch der Maschinistenmaat Paul Rödiger. Dieser hat in einem Briefe, der den Leipziger Neuesten Nachrichten zur Verfügung gestellt wurde, die Einzelheiten des Unglücks wie folgt geschildert: „Das Unglück passierte 11 Uhr 40 Minuten, ich lag in der Koje und verspürte den Stoß selbst nicht, auch als ich Wasser Hereinrauschen hörte, dachte ich schlaftrunken: das ist wie gewöhnlich bei schwerem Wetter, da legte sich das Boot schief nach Backbordseite, jetzt ich bei klarem Gedanken: reiß dich zusammen, ich sprang aus der Koje, tastete nach rechts — niemand mehr da, ging nach vorn an den Niedergang und griff dabei links — niemand mehr da, ich war also meiner Meinung nach der Letzte, das Wasser stieg und stürzte mit Macht durch den Niedergang, ich arbeitete mich mit Riesenkräften dem Wasserdruck entgegen, Stiege für Stiege. Auf der obersten Stufe stand ich dann bis zum Leib im Wasser und holte tief, tief Atem, wie ein Schwimmer vor langer Tauchstrecke. Da sank der Hinterteil des Bootes. Ich wurde in den Wirbel gezogen — tiefer und tiefer. Da fühlte ich, daß sich eine Leine um beide Füße gewickelt hatte. Blitzschnell kam mir der Gedanke: Sollst du hier elend versaufen? Nein! Mit verzweifelter Kraft riß ich die Unterhose vom Leibe, wobei die Leine mit abging, und arbeitete mich hoch. Es dauerte lange, sehr lange, und als all meine Luft verbraucht war, kam ich an die Oberfläche. Nicht weit von mir schwamm jemand auf irgendeinem Wrackteile. Ich schwamm hin und schwang mich mit hinauf. Wir verteilten uns, damit das Gleichgewicht blieb. Und nun das Drama! Das Vorderteil des Bootes war noch nicht gesunken, sondern stand schräg aus dem Wasser. Sämtliche übrigen Menschen standen darauf und schrien durcheinander. Alles dauerte drei bis vier Minuten. Wir auf unfern Planken krallten uns im Holz fest. Die See ging über uns und erstarrte uns. Der Ingenieur gesellte sich zu uns, und das Boot sank. Wir trieben etwa dreiviertel Stunden, riefen die naheliegenden Schiffe an, keine Rettung. Trotzdem blieben wir vollständig klar bei Sinnen. Des sehr schweren Wetters wegen konnte von den Linienschiffen kaum ein Kutter ausgesetzt werden. Ich sagte zu meinen Gefährten: „Noch zehn Minuten tragen uns die Bretter, dann ist Schluß". Da kam ein Kutter,' dreimal zurückgeworfen, kam er endlich doch heran, und wir flogen hinein. Jetzt waren wir geborgen, und das Frieren fing an. Der Obermaat hatte Unterhose und Hemd, der Ingenieur Lederzeug und ich nur das Hemd an. Nach halbstündiger Fahrt kamen mir an Bord. Der Unterkörper war wie abgestorben.
Die Fahne von Durazzo. Eine wunderliche Geschichte aus den Tagen der Besetzung Durazzos durch die Serben weiß der Figaro zu berichten. Als am Morgen nach dem Einzug der Serben der Posten ab
gelöst wurde, der die Nacht über vor einem bestimmten Teile der Festung gestanden hatte, fand man den braven serbischen Soldaten zitternd und bleich vor. Nach der Ablösung meldete er sich sofort beim Offizier vom Tage und berichtete, das Fort sei verwünscht, es müßte dort spuken, denn der Posten hatte nachts ganz deutlich ein Stöhnen und Seufzen gehört, das durch die dicken Festungswände hervorzudringen schien. Der Offizier lächelte und empfahl dem Soldaten, zunächst einmal gründlich auszuschlafen. Aber am folgenden Morgen bestätigte der neue Posten die Beobachtung seines Vorgängers. Einige Offiziere beschlossen nun, in der kommenden Nacht der Sache auf den Grund zu gehen; sie blieben bei dem Nachtposten. Aber ihre Anwesenheit schien die Seufzer und Klagen des Gespenstes nicht zu stören: wirklich, aus den Mauern kamen Seufzer und Klagen. Der rang- alteste Offizier befahl, die Mauer zu öffnen, die Soldaten machten sich an die Arbeit, und nach einigen Stunden hatte man glücklich die dicke Wand durchbrochen. Dabei stieß man auf einen Hohlraum: und hier lag, jetzt besinnungslos, ein türkischer Offizier neben einer türkischen Fahne. Als der Türke wieder zu sich gekommen war, berichtete er eine tragikomische Geschichte. Der türkischen Garnison waren Verstärkungen versprochen worden, man hoffte, Durazzo noch lange halten zu können; aber um auf jeden Fall die Fahne zu schützen, hatte man dem Offizier, dem die Obhut über das Feldzeichen nnvertraut war, den Rat gegeben, sich hier einmauern zu lassen, da man Ueberraschungen befürchtete. So mauerte man den Wackern wirklich ein, gab ihm Lebensmittel für drei Tage mit, denn nach Ablauf dieser Zeit wollte man ihn wieder befreien. Aber statt der Verstärkung erschienen die Serben, und in der Aufregung der Uebergabe vergaß man den eingemauerten Fahnenträger, der mit knapper Not dem Hungertods entgangen ist. So berichtet das Pariser Blatt.
Gegen die freiwilligen Krankenpslegerinnen aus der Gesellschaft erheben die Aerzte Professor Dr. Clairmont und Dr. Breitner, die die Sanitätsabteilung des österreichischen Noten Kreuzes während des Balkankrieges auf bulgarischer Seite leiteten, schwere Anklagen, auf Grund der Erfahrungen, die sie soeben gemacht haben. Der letztere faßt sie in folgende Worte: „Wir hatten in unfern verschiedenen Stationen zahlreiche Frauen und Mädchen aus der Gesellschaft als freiwillige Pflegerinnen zugewiesen erhalten. Nicht eine von ihnen erwarb sich das Anrecht auf unser uneingeschränktes Lob. Sie haben alle versagt. . . . Am Morgen kam niemand zur angesetzten Stunde. Täglich mußten wir unsere Arbeit allein beginnen. Wir mußten unsere Patienten selbst ausziehen, selbst reinigen, selbst betten. Alles, was irgend unappetitlich war, mußten wir selbst besorgen. Mit allen laut geäußerten Zeichen des Abscheus wandten sich manche Schwestern ab. . . Das Einhalten einer Diensteinteilung war nicht durchzuführen, trotz aller Anforderungen und Vorstellungen. Eie seien freiwillige Schwestern, sie Hütten einfach eine Arbeitspause nötig und hätten das Bedürfnis, an die frische Luft zu kommen. Das absolute Unvermögen, den Ernst der Situation zu erfassen und alle verfügbare körperliche und geistige Kraft in den Dienst einer selbstgewählten Aufgabe zu stellen, charakterisierte geradezu unsere Pflegerinnen. . . Während wir Aerzte abgetrennte Aermel annühten, standen sie abseits und unterhielten sich mit leichtverwundeten Offizieren. Zusammengefaßt: Tatenlose Sensationslust, Laxheit im Dienste, Disziplinlosigkeit und Mangel an Aufopferungsfähigkeit kennzeichneten diese freiwilligen Krankenpflegerinnen." In dieser Allgemeinheit erscheint das Urteil wohl etwas scharf. Man müßte doch wohl zwischen Damen und Damen unterscheiden. Die beiden Aerzte, denen übrigens Oberstabsarzt Steiner widersprochen hat, sagen nicht genauer, mit was für Damen sie zu tun gehabt haben. Ob sich deutsche Damen, die sich der freiwilligen Krankenpflege widmen, so betragen würden, wie die beiden Herren es ihren Krankenpflegerinnen nachsagen, möchten wir dis zum Beweis bestimmter Fälle bezweifeln. Jedenfalls kann aber Damen, die Kriegsspiel zum
Flirtlokal erniedrigen, und ihren freiwilligen Samariterdienst so wenig ernst nehmen, die Lust dazu durch scharfe Annahmevorschriften benommen werden.
Das deutsche Handwerk einst und jetzt.
Von Hans Schäfer, Lbernnutzsekretär, Calw.
Die hohe Entwicklung, welche das Handwerk im Mittelalter erreichte, ist das Verdienst der Ziinft e. Dies waren wirtschaftliche Verbände zum Zwecke des Betriebs eines gewissen Handwerks mit dem ausschließlichen Rechte lKv Herstellung und des Verkaufs ihrer Waren. Das Eigentümliche des Zunftwesens bestand in dem Zunftzwang, d. h. in der Befugnis der Zunft, die Betreibung des zünftigen Gewerbes innerhalb des Zunftbezirks unzünftigen Personen, den sogen. „Pfuschern" zu untersagen. Ursprünglich war der Betrieb der meisten Gewerbe, als der sogenannten „bürgerlichen Nahrung", auf die Städte beschränkt. Nur einzelne auf dem Land unentbehrliche Gewerbebetriebe, wie namentlich das Gewerbe der Erobschmiede, Müller, Bäcker, Leineweber, Schuhflicker, wurden auch in den Dörfern ausgeübt. Die Zahl der Gesellen und Lehrlinge, wie ihre Ausbildung, unterlag festen Bestimmungen, nämlich den Z u n f t st a t u t e n, welche Gesetzeskraft hatten. Unternehmer konnte nur der Handwerksmeister sein, der seine vorgeschriebene Lehr- und Gesellenzeit zurück- geleat und das Meisterstück gemacht hatte. Auf der Grundlage tüchtigen Könnens veredelte sich das Handwerk in vielen Fällen zur Kun st. Es seien nur die hauptsächlichsten Künste erwähnt, welche zur damaligen Zeit in vorbildlicher und zugleich staunenswerter Weise im Deutschen Reiche gepflegt und gefördert wurden: Da ist zunächst die Baukunst. Die Patrizierhäuser mit ihrer vornehm-behaglichen Bauart, die weltberühmten Kirchen von Köln, Straßburg, Freiburg, der Stefansturm zu Wien und andere, mit ihren himmelanstrebenden, lichtdurchbrochenen Türmen, sie alle sind Zeugen jener großen Zeit. Der damals aufgekommene „gotische" Baustil ist urdeutsches Werk und müßte eigentlich den Namen „Deutsche Baukunst" führen. Die Malkunst: Hier seien nur. die Namen Albrecht Dürer, Lucas Krana'ch und Hans Holbein erwähnt. Und jedes Kind weiß heute noch von dem Nürnberger Schuhmacher Hans Sachs, den die Geschichte den letzten M e i st e r s ä n g e r und zugleich den größten deutschen Dichter seines Zeitalters nennt. Fast in jeder größeren Stadt bestanden poetische Zünften und Sängerschulen, und viel wurde für den Jugendunterricht getan. Endlich fällt in jene Zeit noch die Erfindung derjenigen Kunst, ohne die wir uns ein geistiges Leben heutzutage gar nicht mehr denken können: die B u ch d r u ck e r k u n st. Ein Merkmal der Zünftigkeit war die Lade, d. h. eine eigene Kasse, welche in der Herberge (Wirtshaus), wo die Zunftgenossen ihre Morgensprache (Frühschoppen?) hielten, oder im Hause eines Zunftvorstehers aufbewahrt wurde. Zu den Einkünften der Lade gehörten: 1) die vom Vorstand angesetzten Handwerksstrafen, 2) das Ein- und Ausschreibgeld der Lehrlinge. !)) die Gebühr für die Meisterprüfung und für die Aufnahme in das Meisterrecht, 4) regelmäßige periodische Beiträge der Gesellen zur Unterstützung kranker Mitgesellen, sowie — nach Umständen — zu der von der Zunft abzureichenden Reiseunterstützung an wandernde Handwerksburschen, 5) das jährliche Leggeld, welches von jedem Meister zur Anerkennung des Meister-Rechts am Jahrestage der Zunft entrichtet wurde, ferner: 6) Anteile an den obrigkeitlichen Strafen. Aus der Lade wurden bezahlt: l) die Gehalte und Gebühren der Zunftvorsteher und Zunftdiener. 2) die Beiträge zur Unterstützung wandernder oder kranker Gesellen. Dazu kamen häufig Kosten der Unterhaltung eigener Gebäude und sonstiger Einrichtungen, gewerblicher Hilfsmittel und dergleichen. Bei manchen Zünften bestanden neben den Meisterladen noch besondere Gesellenladen. (Forts, folgt.)
Für die Schriftleitung verantwortlich: Paul Kirchner Druck und Verlag der A. Oclschläger'schen Buchdruckeiei.