liberale und Mehrzahl der Freisinnigen wird Besprechung beschlossen. Seyda (Pole) begründet die Interpellation. Das Enteignungsgesetz sei eine Schmach für das 20. Jahrhundert. Unter den Enteigneten befänden sich auch eine Witwe mit unmündigen Kindern, sowie ein junger Pole, der Sohn eines im deutsch-französischen Kriege mit dem Eisernen Kreuz dekorierten Offiziers. Seine Partei beantrage: „Der Reichstag wolle beschließen: Die Zulassung der Enteignung polnischer Grundbesitzer zu Zwecken der Ansiedelung durch den Reichskanzler entspricht nicht der Anschauung des Reichstags." Wendel (Soz.): Hier handle es sich um brutalste Anwendung eines brutalsten Ausnahmegesetzes und die unbestreitbare Verfassungsverletzung. Der Redner sagt schließlich, Friedrich der Große sei mitschuldig an dem Verbrechen der Teilung Polens. Gegen diese Worte schreitet der Präsident unter ungeheurem Tumult ein, wird von Wendel aber darauf aufmerksam gemacht, daß diese Aeußerung vom Frhrn. v. Stein stamme. Diese Enteignung sei anarchistisch. Der Mißbilligungsantrag der Polen wird unterstützt vom Zentrum, Sozialdemokraten, einem Dänen und einem Freisinnigen. Praschma (Ztr.j: Das Rechtsbewußtsein sei im Volke durch das Enteignungsgesetz sehr gefährdet. Schlee (Natl.): Es ist nicht richtig, daß das Enteignungsgesetz nur gegen die Polen angewendet wird. Die Polen würden aber in umgekehrten Verhältnissen genau ebenso handeln. Das haben sie in Preußen zu Zeiten des Königreichs Polen bewiesen, und auch in Galizien handeln sie ebenso. Die Polen haben in Preußen von jeher Unzufriedenheit gesät' sie und die katholische Geistlichkeit. Graf Carmer (Kons.): Diese Materie gehört nicht vor den Reichstag. Es handelt sich um eine Frage des öffentlichen Rechts und der öffentlichen Interessen zur Wahrung des Staatswohls in Preußen. Deshalb muß man die Verantwortlichkeit auch Preußen überlassen. Die Beschwerden sind nicht an den Reichskanzler zu richten, sondern an den Landtag. Die Zuständigkeit haben wir zu respektieren. Deshalb enthalten wir uns der Abstimmung. Sachlich verwerfen wir die Regierungsmatznahmen. Morawski (Pole): Wir halten fest an unserer Sprache, an unserer Kultur und an dem, was wir hier verteidigen müssen: unserem heiligen Boden, den man uns geraubt hat. Lede- bour (Soz.): Die Fortschrittliche Volkspartei, die heute eine klägliche Rolle durch ihren Redner hat spielen lassen, sollte Farbe bekennen und den Antrag annehmen. Die Mehrzahl des deutschen Volkes lehnt die Polenpolitik ab. Nächste Sitzung: Donnerstag nachmittag 1 Uhr. Tagesordnung: Namentliche Abstimmung und Vorlage betreffend vorübergehende Zollerleichterung bei der Fleischeinfuhr. Schluß nach 7 Uhr.
Aus dem Landtag.
Stuttgart, 29. Jan. Die Erste Kammer hielt heute eine Sitzung, in der zum Eingang das neue Mitglied v. Pischek eingeführt wurde. Danach referierte Staatsrat v. B u h l über den Rechenschaftsbericht des Stände- schen Ausschusses vom 7. Janau 1913. Das Haus trat dann dem Beschluß der Zweiten Kammer bei, die dem Entwurf der Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Gesetzes über die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer unter einer nur 2jährigen (statt, wieder Regierungsentwurf vorsah, 4jährigen) Befristung zustimmte. Gleichfalls in namentlicher Abstimmung angenommen wurde der 8. Nachtragsetat für die Finanzperiode 1911/13 in der von der Zweiten Kammer beschlossenen Fassung: Aus dem Vermögen der Restverwaltung für den Bau einer neuen Neckarbrücke beiUntertürkheim 400 000 und als Staatsbeitrag an die Stadtgemeinde Stuttgart für die Verlegung des Neckars bei Untertürkheim 700 000 -1t zu bewilligen. Daran schloß sich um 12 Uhr eine gemeinschaftliche Sitzung, woraus das Haus nochmals zusammentrat und unter Abschiedsworten des Präsidenten Fürsten zu Hohenlohe-Bartenstein sich auf unbestimmte Zeit vertagte.
Stuttgart, 29. Jan. Die Zweite Kanimex beendete heute die erste Lesung des Gesetzentwurfs über die Pensionsrechte der Körperschaftsbeamten, sowie die llnfallfürsorge für sie, und verwies den Entwurf an den Ausschuß für innere Verwaltung. In der allgemeinen Aussprache wünschte Andre (Ztr.) eine finanzielle Beteiligung des Staates an der Durchführung des Gesetzes und seine Ausdehnung auf Unfälle, die auf dem Wege vom und zum Dienst sich ereignen, sowie auf Privatpersonen, die zur amtlichen Hilfeleistung herangezogen werden. Der Abg. Mattutat (S.) kritisierte den Entwurf als unklar und unzulänglich, namentlich hinsichtlich der Unfallfürsorge, die in umfassender Weise geregelt werden sollte. Der Mg. v. Gauß (Vp.) verlangte, daß in den Fällen, wo der Beamte sich den Unfall durch besonderen Mut zugezogen hat, z. B. ein Schutzmann bei der Verfolgung eines Verbrechers, der Beamte vollen Gehalt erhält und seine Hinterbliebenen günstiger gestellt werden als im Gesetz vorgesehen. Der Minister des Innern, v. Fleischhauer, stimmte Herrn v. Gauß zu und bezeichnete die Kritik des Abg. Mattutat als unberechtigt. Die Frage der Einbeziehung von Privatpersonen werde reichsgesetzlich geregelt werden. Die Sitzung dauerte nur zwei Stunden. In der nun folgenden gemeinschaftlichen Sitzung beider Kammern wurde der Ständische Ausschuß gewählt, und zwar von der Zweiten Kammer die Abgg. Dr. v. Kiene (Z.), Hauß- mann (V.) und Hildenbrand (S.). in den engeren Ausschuß und von der Ersten Kammer Staatsrat v. Buhl, in den weiteren wurden von der Zweiten Kammer gewählt die Abgg. Rembold-Aalen (Z.), Körner (B.K.), Liesching (B.), Tauscher (S.) und Wieland (N.), von der Ersten Kammer Fürst zu Waldburg-Zeil. Zu Mitgliedern des Staatsgerichtshofs wurden bestimmt Landgerichtsrat a. D. Landauer und Rechtsanwalt Schelling. Nach der gemeinschaftlichen Sitzung, die nur kurze Zeit in Anspruch nahm, vertagte Präsident v. Krautdie Beratungen auf unbestimmte Zeit und wünschte den Abgeordneten g lückliche Heimkehr und wohlgemute Wiederkehr.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft
Calw, 30. Januar 1913.
Kurs für Hafner. Indem wir auf den in der heutigen oberamtlichen Bekanntmachung angekündigten Hafnerkurs, welcher im Februar und März d. I. in Stuttgart stattfindet, die Hafner des Bezirks Calw Hinweisen, machen wir darauf aufmerksam, daß dieser Kurs eines der Mittel ist, die dazu dienen sollen, dem darniederliegenden Hafnergewerbe staatliche Förderung, soweit solche möglich ist, zuteil werden zu lassen, und daß der Kurs deshalb namentlich zurzeit für die Beteiligten Bedeutung besitzt, weil neuerdings das Setzen von Kachelöfen in steigendem Maße in Aufnahme gekommen ist. B.
b. Vogelfallen. Zu den gemeinsten Spielereien und Liebhabereien gehört das Fangen der Vögel mit kleinen eisernen Spatzenfallen, die man im Winter vielfach in Stadt und Land sehen kann. Die durch Federkraft zusammenschnellenden Bügel verletzen fast stets die Beine der gefangenen Tiere, und schlagen sie oft ganz entzwei. Diese Fallen werden als Spatzenfallen in den Handel gebracht, aber abgesehen davon, daß auch Spatzen nicht gequält werden sollen, geraten in diese Fallen eine große Anzahl Ammern, Finken, Amseln und Meisen, also Vögel, die von großem Nutzen sind. Hier sollten besonders Lehrer und Geistliche eindringlich auf die ihnen untergebene Jugend einwirken, damit der Un
fug unterbleibt. Bon den Vögeln, die auf solche Weise gefangen werden, siechen 95 A in wenigen Tagen dahin.
sob. Mutmaßliches Wetter. Für Freitag und Samstag ist vorwiegend trockenes, etwas kälteres und zu vereinzelten Schneefällen geneigtes Wetter zu erwarten.
Aus Welt und Zeit.
Gmünd, 30. Jan. Gestern abend )t10 Uhr ist Lhor- direktor Nikolaus Schlaich, der Leiter des Brüßler Gesangvereins, einem Schlaganfall erlegen. Der unerwartete Tod des etwa Mitte der 50er Jahre stehenden Mannes wird in weiten Kreisen des württembergischen Landes schmerzlich empfunden werden. Schlaich zählte zu den hervorragendsten Männerchordirigenten Württembergs, ihm war es vergönnt, mit dem Brüßler Gesangverein zweimal in heißem Liederkampfe die Palme im höheren Kunstgesang zu erobern. Schlaich war ein feinsinniger Musiker, eine liebenswürdige Persönlichkeit. Sein Tod wird namentlich in dem schwäbischen Sängerbund eine große Lücke reißen und den Brüßlern unersetzbar sein. Allen, die ihn gekannt haben, wird sein Name und sein Wirken in ehrendem Gedächtnis bleiben.
Lindau, 28. Jan. Aus Anlaß des Eeburts- festes des deutschen Kaisers haben auch Heuer wieder die Offizierkorps der südlichsten und nördlichsten Garnisonen, Lindau und Memel, nach altem, schönem Brauch poetische Festgrüße ausgetauscht. Das Lind- auer Offizierkorps telegraphierte:
Noch glüht die Fackel, die im Wetterwinkel Gar wilden Brand und lichte Loh' entfacht.
Noch glimmt die Glut. Ein Windstoß, und die Flamme Sucht züngelnd neue Nahrung über Nacht.
Nur zu! Soll uns ein wenig Feuer schrecken?
Am Feuer wärmt man sich. Dann wird erst warm Das Herz: heiß rollt das Blut dann durch die Adern, Nach Wehr und Waffe greift der deutsche Arm;
Und jubelnd zieh'n wir alle Seit' an Seite Dem Kampf entgegen, frohgemut ins Feld.
„Nur immer drauf! Es lebe unser Kaiser!"
Schallt's dann, wie heut', begeistert durch die Welt.
Darauf ist von dem Offizierkorps des 3. Bataillons des preußischen Infanterieregiments „v. Boyen" in Memel folgender Festgruß eingetroffen:
Seit Preußens größter Zeit ist ein Jahrhundert jetzt
ins Land gegangen,
Und an den Helden, die der Freiheitsstrahl entzündet, Mit Stolz des deutschen Volkes Blicke hangen.
Und kämen wieder dunkle Sturmeszeiten,
Wir stünden freudig, mutig wie ein Held,
An unsrer Spitze der geliebte Kaiser;
Er führt ein einiges deutsches Volk ins Feld.
Wien, 29. Jan. Die Heeresverwaltung in Graz machte kürzlich die Wahrnehmung, daß Radiotelegramme zwischen den südlichen Garnisonen und Wien den Bestimmungsort gar nicht, oder nur verstümmelt erreichten. Man vermutete geheime Stationen. Die Erhebungen ergaben, daß die Jesuitenniederlassungen in Graz, Möding bei Wien und im Süden auf den Kirchendächern Stationen haben, durch die sie sich rege verständigen. Es wurde ihnen befohlen, innerhalb drei Tagen alle Stationen aufzuheben, da ihre Anlage eine Verletzung des staatlichen Monopols bedeute.
London, 28. Jan. Wie das Reutersche Bureau erfährt, traten die Balkandelegierten heute nachmittag um X3 Uhr zusammen und konferierten über 3 Stun-, den. Während dieser Konferenz entwarfen und Unterzeichneten sie eine Note, die sie den Türken zu überreichen beabsichtigen.
ihr Herz, dessen überlautes Pochen sie fast schmerzhaft empfand.
Mitternacht. Da hatte sie voriges Jahr auf der Veranda ihres väterlichen Hauses gestanden und Percys schlanker Gestalt nachgeblickt. Es war das erste Mal gewesen, daß sie sich gesehen, sie aber hatte ihm schon auf dem Heimwege nach der lustigen Eondelfahrt die heiße Liebe aus den strahlenden Augen gelesen.
Und als sie ihm dann nachgeschaut, die Seele durchwogt von nie geahntem, seligem Glücke, da war es ihr gewesen, als ob eine innere Stimme ihr zujauchzte: „In einem Jahre bist du seine Braut." Und sie hatte die Arme in sehnsüchtigem Verlangen nach ihm ausgebreitet und gerufen: „O, wäre es doch erst übers Jahr!"
Toska stöhnte in wildem Schmerze auf. Was hatte dieses eine kurze Jahr ihr nicht alles geraubt, die Eltern, den Bruder, Heimat, Reichtum, alles, alles! Jetzt hätte sie die Arme zum Himmel erheben mögen und rufen: „Herr, Herr, lösche nur dieses eine Jahr aus meinem Leben!"
Und plötzlich erfaßte sie eine namenlose, unwiderstehliche Sehnsucht nach den Stätten ihres Glückes. Ihr war es, als ob der Dod sanfter sein müsse in des geliebten Rheines grünen Fluten, als könne sie leichter sterben, wenn sie einmal noch die Sterne hatte leuchten sehen über den Gräbern ihrer Eltern. Schneller eilte sie die Straße hinab, angstbeflügelten Schrittes, denn hinter ihr wurden Stimmen laut, lallende, weinheisere Stimmen.
Sie hörte, wie man sie anrief, ihr lachend und johlend nachzulaufen begann, und in sinnloser Angst stürzte
sie vorwärts, ohne zu bedenken, wohin sie ihr Weg führte.
Und immer näher kamen die Verfolger, ihre zitternden Füße versagten ihr fast den Dienst und schaudernd sah sie sich nach der lärmenden, halbtrunkenen Schar um, die nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. In zwei, drei Minuten mußten sie sie erreicht haben.
Da bog eine Droschke um die Straßenecke, und ohne zu fragen, ob der Wagen besetzt sei oder nicht, stürzte ihr Toska mit dem Aufgebote ihrer letzten Kräfte entgegen.
„Kutscher, halten!" rief sie atemlos, und ehe der erstaunte Rosselenker von seinem Bocke klettern konnte, schwang Toska sich schon auf das Trittbrett, riß den Schlag auf und sank zu Tode erschöpft in die Polster der glücklicherweise leeren Droschke. „Nach dem Lehrter Bahnhofe," rief sie dem Kutscher zu, „und doppeltes Fahrgeld, wenn Sie schnell fahren."
Der Mann schmunzelte vergnügt, während er auf sein mageres Pferd einhieb, und sah mit breitem Grinsen auf die jungen Leute herab, die jetzt ebenfalls die Straßenecke erreicht hatten und mit verblüfften Gesichtern dem davonrasselnden Gefährt nachschauten.
Toska aber lag hochatmend in den harten Kissen, ihre Zähne schlugen wie im Fieber zusammen. Die endlose Fahrt durch die unzähligen Straßen der Riesenstadt dehnte sich zur Ewigkeit aus, als endlich die Lichter des Bahnhofes vor ihr aufflammten und die Droschke vor dem großen, dunklen Tunnel hielt.
Toska stieg aus, bezahlte den Kutscher und eilte,
! schnell ihre Füße sie zu tragen vermochten, dem Per- m zu. Bei jedem Pfiff einer Lokomotive fuhr sie zu- immen, nach jedem schnell hinter ihr gehenden Men- hen sah sie sich entsetzt um, immer fürchtend, es könne in Verfolger sein, der sie in die Gefangenschaft zurück- hleppen wolle. Endlich stand sie unter der taghell er- -uchteten Glaskuppel des Bahnhofes, umwogt vom untesten Leben.
„Einsteigen Hannover, Köln," hörte sie aus dem ärm heraus die schnarrende Stimme des Beamten, nd in rasender Eile stürzte sie nach dem ersten besten »illettschalter.
„Billett nach Köln," rief sie atemlos.
„Da müssen Sie dorthin gehen, dieser Schalter rst ir die Nordbahn," antwortete die gleichgültige Stimme es Billetteurs.
Toska eilte an den bezeichneten Schalter und nne- erholte ihre Bitte.
Der Villetteur zögerte. Diese Todesangst, diese zit- rrnde Hast kamen ihm im höchsten Grade verdächtig or, und er begann zu fürchten, es mit einem jener Lesen zu tun zu haben, die aus irgendeinem Grunde em Auge des Gesetzes entfliehen wollen.
Doch nein, diese Züge trugen nicht den Stempel es Lasters, und ergriffen von der flehenden Brite rhrer ne im Fieber glühenden Augen legte er das Billett r ihre bebende Hand, die Mahnung hinzufügend: „Es t die höchste Zeit, wenn Sie fortkommen wollen, igentlich hätte ich Ihnen gar kein Billett mehr verrufen dürfen." ^ ^ ^
(Fortsetzung folgt.)