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4.

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

88. Jahrgang.

Wrjchelnungswkts«: 6mal wöchentlich, «nzelgenpr-i«: Sqirk «lalw für di . " ' ' ""..

Amvberamts-

Seztr« italw für die einspaltige Borgiszeile'10 Pfg., außerhalb desselben 1L Pfg., Reklamen 28 Pfg. Schluß für Jnseratannahme 10 Uhr vormittags. Telefon g.

Dienstag, den 7. Januar 1913.

Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mt. 1.28 vierteljährlich, Post­bezugspreis für den OrtS- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Pfg.

Amtliche Bekanntmachungen

Die Maul- und Klauenseuche ist in Martinsmoos erloschen. Der Bezirk ist wieder seuchenfrei.

Die wegen der Seuche in Wenden vom Kgl. Ober­amt Nagold angeordneten Schutzmaßregeln bleiben be­stehen; in den 15-Kilometer-llmkreis um den Seuchenort Wenden fallen sämtliche Gemeinden des Bezirks Calw mit Ausnahme der Orte: Dennjächt, Liebenzell, Mo- nakam, Möttlingen, Neuhengstett, Ostelsheim, Sim- mozheim, Stammheim, Unterhaugstett, Unterreichenbach.

In diesen Gemeinden ist die Abhaltung von Märk­ten, der Hausierhandel mit Kleinvieh und das Wegge­hen von nicht ausreichend erhitzter Milch aus Sammel­molkereien an landwirtschaftliche Betriebe verboten.

Ca l w, den 3. Jan. 1913.

K. Oberamt.

Amtmann Rippmann.

Bekanntmachung,

betr. die fortlaufende Statistik der Taubstummen.

Nach K 1 der Verfügung der K. Ministerien des Innern und des Kirchen- und Schulwesens vom 1. Feb­ruar 1912 (Reg.-Bl. S. 18) ist im Januar jeden Jahres eine statistische Aufnahme der Taubstummen zu veran­stalten, bei welcher jedes taubstumme oder der Taub- stummmheit verdächtige Kind gezählt wird, das in dem betreffenden Kalenderjahr in das schulpflichtige Alter der Vollsinnigen eintritt, d. h. am 1. Mai des Jahres das 6. Lebensjahr vollendet und das 7. noch nicht über­schritten hat, und noch nicht in einer Taubstummenan­stalt untergebracht ist. Der Zählung unterliegen alle in einer Gemeinde vorhandenen taubstummen oder der Taubstummheit verdächtigen Kinder ohne Unterschied ihres Geburtsortes oder ihrer Staatsangehörigkeit. Die statistische Aufnahme erfolgt mittelst Fragebogen, die vom Oberamt auf Ansuchen abgegeben werden. Der Kopf des Fragebogens ist in dreifacher Fertigung von den beiden Vorsitzenden des Ortsschulrats auszufüllen. Die Ortsoorsteher haben die Fragebögen alsdann bis spätestens 15. Januar dem Herrn Oberamtsarzt zu über­senden. Fehlanzeigen sind nicht erforderlich.

Ca l w, den 3. Jan. 1913.

Für das K. gem. Oberamt in Schulsachen:

Regierungsrat Binder.

Die Orlsbeyörden

werden beauftragt bis spätestens 15. Januar d. I. die Verzeichnisse der im Jahre 1912 ausgestellten Quit­tungskarten für Selbstverstcherung und deren Fortsetzung

(Formular 6), Abteilung II beurkundet, hieher vorzu­legen.

^ Calw, den 3. Januar 1913.

Versicherungsamt:

Amtmann Rippmann.

Landesversammlung der Fortschrittlichen Dolkspartei Württembergs.

Stuttgart, 6. Januar.

Heute fand im Konzertsaal der Liederhalle die Lan- desverfammlung der Fortschrittlichen Volkspartei Würt­tembergs statt, der gestern abend eine gesellige Vereini­gung der Parteifreunde im großen Saal der Bauhütte vorangegangen war. Zu der heutigen Versammlung waren die Parteifreunde aus allen Teilen des Landes in großer Zahl erschienen; der Saal und die Galerie waren dicht besetzt. Unter den Erschienen bemerkte man viele Reichs- und Landtagsabgeordnete, u. a. auch Geh. Rat v. Payer. Um 11 Uhr eröffnete der Parteivorstand, Chefredakteur Schmidt, die Versammlung,, die ein Zeichen für die Geschlossenheit der Partei sei, mit Wor­ten der Begrüßung. Auch die Freunde in Bayern hät­ten einen Delegierten entsandt. Dr. v. Staden- München überbrachte darauf die Grüße der bayerischen Parteifreunde und sagte weiter, die württ. Volkspartei sei die geschlossenste und entschlossenste unter den deut­schen Volksparteien. Bei der Bildung des Bureaus wurde Landtogsabgeordneter Schees-Tübingen zum Vor­sitzenden der Versammlung gewählt. Hierauf erstattete Chefredakteur S ch m i d - Stuttgart den Geschäftsbericht des engeren Ausschusses, der gedruckt vorlag. In dem Bericht wird hervorgehoben, daß das Jahr 1912 im Zeichen der Wahlen stand. Bei den Reichstagswahlen habe das liberale Wahlabkommen gut funktioniert und reiche Früchte getragen, wenn auch die Wahlen den noch nicht verschmerzten Verlust von Heilbronn gebracht hät­ten. Durch das Abkommen sei eine gewisse Klärung der Grenzlinie zwischen Rechte und Linke erfolgt und in der Mehrzahl der Bezirke eine Zersplitterung der Wähler vermieden worden. Bei den Nachwahlen sei ein partielles Abkommen mit der Sozialdemokratie nur in einem Fall von Erfolg begleitet gewesen. Der Ausfall der Landtagswahlen mit seinem Verlust von 4 Manda­ten sei kein Grund zur Entmutigung. Der Rückgang der Eesamtabstimmungsziffer in der Hauptwahl gegenüber der Landtagswahl von 1906 erkläre sich daraus, daß die Partei 1906 in 61, diesmal aber infolge des Ab­kommens nur in 38 Bezirken mit eigenen Kandidaten in den Wahlkampf eingetreten sei, ohne in der natio­nalliberalen Unterstützung einen entsprechenden Aus­gleich zu finden. Schließlich dankte der Referent allen

Kandidaten für ihre Mitarbeit und hofft, wenn diese auch teilweise keinen Erfolg gehabt habe, daß sie ihre wertvollen Dienste der Partei auch weiterhin leihen würden. Hierauf verlas er noch die Liste der verstor­benen Parteiangehörigen, zu deren Ehrung sich die Ver­sammlung von ihren Sitzen erhob. Den Kassenbericht erstattete Herr Paul Ilg - Stuttgart. Die Reichstags­wahlen, die Stichwahlen, die Landtags- und die Pro- porzwahlcn hätten bedeutende Anforderungen an die Kasse gestellt, doch deckten sich die Einnahmen und die Ausgaben dank der Opferfreudigkeit der Parteiangehö- rigen so ziemlich. Landtagsabgeordneter Fischer- Heilbronn referierte sodann über den Ausbau der Or­ganisation und führte aus, keine Partei in Württem­berg habe bessere Arbeit geleistet als die Volkspartei. Es frage sich daher, wie es komme, daß die Wahlen einen solchen Ausgang hätten nehmen können. Redner kommt zu dem Schluß, daß die Organisation noch sehr viel zu wünschen übrig laste und fordert die Heranbildung ge­eigneter Personen zu Agitatoren und Führern, die An­stellung noch zweier Parteisekretäre zur Durchführung einer strafferen Organisation. Der rein technischen Or­ganisation müsse die größte Aufmerksamkeit zugewandt werden. Redner empfiehlt die Veranstaltung von Licht­bildervorträgen, von geselligen Vereinigungen usw., die es ermöglichten, die Wähler draußen auf dem Lande an die Volkspartei heranzuziehen und sie so allmählich mit deren politischen Zielen vertraut zu machen. Eine Jugendorganisation sei unbedingt notwendig, ebenso die Frauen, die ein Element der Znkunrtscntwicklung seien, für die Partei zu gewinnen. Es sei auch kein Zweifel, daß die Volkspartei unter den Arbeitern Freunde habe und deshalb müßten auch diese für die Partei gewonnen werden. Der gestrige Delegierten- tag und die heutige Versammlung zeigten, daß die Volksparrei nicht mutlos sei und sich nicht geschlagen fühle. Die Volkspartei werde eine neue Vegeisterungs- fähigkeit ins Volk tragen. Parteisekretär Varnholt- Ulm brachte hierauf eine Resolution ein: Die Landes­versammlung der Fortschrittlichen Volkspartei Würt­tembergs begrüßt ebenfalls freudigst die Gründung des Reichsvereins liberaler Arbeiter und Angestellten, die vor einiger Zeit im engen Anschluß and ie Gesamtpartei erfolgte. Nach kurzer Diskussion über die Frage der Jugendorganisation wurde die Resolution einstimmig angenommen, ebenso ein Antrag von Bibliotheksekretär H i l s - Stuttgart, die vorzügliche Rede des Arbeiter­sekretärs und Landtagsabgeordneten Fischer-Heilbronn drucken und im ganzen Lande verbreiten zu lasten. Hie­rauf ergriff Reichs- und Landtagsabgeordneter Lie­sch i u g das Wort zu seinem Referat überReichspoli- tik." Die 2. Hälfte des Jahres 1912 werden zu den be­deutsamsten Epochen der Weltpolitik gezählt werden

Die Schule des Lebens.

20) Roman von Herbert v. Osten.

Adrian saß ihr gegenüber in dem einsamen, durch die kleine Lampe matt erhellten Coupe und ein Gefühl wilden triumphierenden Frohlockens erfaßte ihn bei dem Gedanken, daß dieses berückend schöne, junge Wesen sein ihm recht­mäßig vor Gott und Menschen anaetrautes Weib war.

Er vermochte es noch gar nicht zu fassen, daß das ihm selbst zuerst unmöglich Dünkende wirklich geschehen, er Toska Weyherr in Wahrheit sein eigen nennen durfte. Und dann durchschüttelte ihn plötzlich eine heiße, sinnlose Angst, als er das Fieberlicht in ihren Augen aufleuchten sah.

Wie, wenn Gott, dessen Gebote er frevelnd verletzt, ihm nun zeigte, daß er ein starker Gott war, der sich nicht spotten ließ, und während er sich schon am Ziele dünkte, mit starker Hand das ganze kunstvoll aus Lug und Trug aufgeführte Ge­bäude in den Staub schmetterte?

Besorgt beugte er sich zu Toska nieder.

Fehlt dir etwas? Kann ich dir helfen?"

Ein müdes Lächeln irrte um ihre Lippen, während sie leise verneinend das Haupt schüttelte. Scheu aber, wie vor seiner Berührung zurückschreckend, schmiegte sie sich tiefer in die samtgepolsterte Ecke des Waggons.

Es wurde Nacht. Feucht wogte es auf den taufunkeln­den Wiesen. Gespenstisch wie graue, silberdurchwebte Schleier umspielten die Nebel die friedlich schweigenden Dörfer, deren Ichilfumkränzte Weiher, mit ihrem dunklen geheimnisvollen Wasser träumend im Mondenlichte lagen.

Dann pfiff die Lokomotive, Häuser tauchten auf, Lichter umslammten das Kupee, laute, durcheinander schwirrende Menschenstimmen erklangen, der Zug hielt.

..Bahnhof Friedrichstuaße " riefen die Schaffner, welche ine Türen der Waggons aufrifsen, und auf den lichtüberflute­

ten Perron ergossen sich in bunten Schwärmen die Insassen der zallosen Kupees, aus aller Herren Länder stammend, reich und arm, vornehm und gering, Männer und Frauen, Greise und Kinder, alles hastete, schob und drängte durchein­ander, in stets bewegten, wechselvollen Bildern.

Hier wurden Wiedersehen gefeiert, dort Abschiedsgrüße ausgetauscht, und sobald Toskas umflorter Blick auf lachende, fröhliche Menschengruppen fiel, wandte sie sich hastig ab, denn der Anblick des Glückes berührte ihre verzweifelte Seele wie ein physischer Schmerz.

Mechanisch hatte sie sich von Adrian aus dem Kupee heben und durch das wirbelnde Gedränge zu dem Droschken­platz führen lasten.

So glücklich und sorglos wie jene plaudernden, lachenden Mädchen dort, war sie auch oft von Vergnügungsreisen heim­kehrend, mit den Eltern ihrer Wohnung zugeeilt, wie jenes jubelnde Kind an des zärtlichen Vaters Hand, strahlend ein­hergehüpft! Würden all die, deren Herzen jetzt noch so Hoff­nungsfroh der Zukunft entgegenschlugen, auch einst so ver­losten, so elend werden wie sie?

Ihr schmerzender Kopf vermochte nicht länger nachzuden­ken, sie fühlte, wie das Fieber durch die Adern jagte und das Blut so wild gegen Schläfe und Pulse hämmerte, als wolle es die feinen Gefäße sprengen.

Vielleicht kann ich bald sterben," klang es trostreich durch die Seele.

Das Leben ist schön, man muß es nur versteh'n!" sang ein dralles Landmädchen, welches einen kleinen Butterwa­gen den Markthallen zulenkte. Toska zuckte bei den bekann­ten Klängen zusammen. Wie oft hatte sie selbst diese Worte aus übervollem, glückerfülltem Herzen hinausgejubelt, heute kamen ihr die harmlosen kindlichen Strophen wie bittere Ironie vor.Das Leben ist so schön, man muß es nur ver­stehn!" Sie verhüllte das Gesicht mit den Händen, sie wollte nichts mehr sehen und hören.

Da schwang sich Adrian, atemlos vom schnellen Gehen, neben sie in die Droschke. Zärtlich beugte er sich zu ihr nieder und zog ihre zitternden Hände von dem Gesicht.

Um Gottes willen, bist du krank!" rief er aus und zu dem Kutscher gewandt, fügte er hastig hinzu:Fahren Sie zuerst zu einem Arzt, dem berühmtesten, besten Adresse Sie kennen und dann Kochstraße 11, so schnell wie möglich."

Der Kutscher brummte eine Bejahung und setzte sein lah­mes Pferd in Trab. Fort rollte der Wagen, durch die tag­hell erleuchteten, glänzenden Straßen der Weltstadt.

Toska lehnte mit geschlossenen Augen an Adrians Seite, die in Angstschweiß gebadeten Hände wie zum Gebet ge­faltet. Welchem Leben fuhr sie entgegen, zu welch unüber­legtem Schritt hatte sie sich von der Verzweiflung Hinreißen lasten?

Sie hielten vor einem hohen, prunkvollen Hause der Wilhelm-Straße.

Hier in der ersten Etage wohnt der Geheimrat Berg," sagte der Kutscher, sich auf dem Bock umwendend.Ader ob er Sie zu dieser Stunde annehmen wird, ist eine andere Sache."

Adrian sprang aus dem Wagen und zog die Nachtglocke. Ist der Herr Geheimrat in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen?" fragte er den nach einer Weile austauchenden schlaftrunkenen Portier.

lleber Land gefahren," lautete die lakonische Antwort, aber er kommt vielleicht in einer Stunde wieder."

So bitten Sie ihn, wenn er zurückkehrt, sofort nach der Kochstraße 11 zu fahren. Sagen Sie ihm, es hinge Tod und Leben von seinem Kommen ab, denn meine Frau ist aus der Hochzeitsreise schwer erkrankt."

Er drückte dem Portier ein für seine Verhältnisse fürst­liches Trinkgeld in die Hand, und dieser versprach sein Mög­lichstes tun zu wollen, um den Geheimrat zu einem baldigen Besuche zu veranlassen.