Aus den Tannen :: Sonntagsblatt.

Nr. 264 (45.)

Altensteig, S. November

i Jahrgang 1912.

Wenn die Seele rein dle ivt.

Wenn die Seele rein bleibt und heimkehrt, wie hat

ste's gut!

Heim zu dem Tiefsten und Stillsten, das in ihr ruht! Nach ruhlosem Flattern, nach heißem, stürmischen Tag Wieder heim zu sich selbst, wie die Taube zu ihrem

Schlag,

Ohne daß ihr ver Sturm das weiße Gefieder zerriß. Heim von den Bergen der Angst, den Seen der Bitternis, Zu der reinen eigenen Tränke nach Augst und Glut. Wenn die Seele rein bleibt und heimkehrt, wie hat

sie's gut!

Frieda Schanz.

Ein 3ahr des Glücks.

Novelle von Maria Hellmuth.

(Fortsetzung.) «Nachdruck verboten.)

Böse? Ach nein ! Nanni Brandt vergißt so leicht ' nicht, daß sie bei Mütterchen Rackow eine zweite Heimat gefunden, als sie müde gehetzt von Härte und Lieblosigkeit der Fremde hierherkam. Da kann sie dem lieben, aber so törichten Pflegeschwesterchen gar nicht böse sein. Aber die Kleine sollte auch verständig sein und auf die Alte hören. Na, kommen's nun doch mit mir ?"

Hetta schüttelt den Kopf.Gerade jetzt möchte ich noch ein Weilchen allein sein!"

Und während Nanni ihren Schirm schulternd zurück über das Brachfeld stapft, geht Hetta langsam unter den Fichten hin, den Blick zu Boden geheftet und eine kleine Falte zwischen den feingezeichneten Brauen.

Sie ist keineswegs so ruhig, wie sie sich Nanni gegen­über gezeigt hat. Aber braucht sie es denn zu gestehen, wie sie gekämpft hat gegen dies übermächtige Gefühl das sie in Banden hält? Gegen das Sehnen nach einem Blick seiner Augen oder gar einem Wort seines Mundes? Und hat nicht gerade die Erzählung der andern bewiesen, daß die Liebe stets über Vernunft unS bessere Einsicht siegt? Alles, was Nanni vorgebracht, hat sie sich in selbstquälerischem Grübeln hundertfach gesagt. Änd dennoch wenn wieder einmal unter den Kolleginnen gewispert wurde über ein neues Liebesabenteuer des schönen Mr. Wood, dann fühlt sie einen brennenden Schmerz in der Brust: Zorn über seine Unbeständigkeit, doch fast mehr noch Neid gegen die, der seine augenblickliche Auszeichnung gilt.

Ihre glückliche Harmlosigkeit, die Freude und die Befriedigung, die sie bisher für ihren Beruf gefühlt, sind ihr verloren, seit er an jenem Morgen an der Seite des Chefs an ihren Arbeitstisch getreten.

Es hatte sie durchzuckt, als treffe sie ein elektrischer Schlag, als sie aufschauend feinem Blick begegnete. War es das Erwachen ihrer bis dahin schlummernden ^Seele gewesen? Es kamen häufig Fremde in den Zeichensaal, nie hat sie etwas anderes empfunden, als einen gewissen Stolz, wenn man ihr Zeichentalent rühmte. An jenem Morgen hatte sich ihrer eine solche Verwirrung bemächtigt, daß sie kaum verstanden, was Herr Alten gesagt. Nur einzelne Sätze sind in ihrem Gedächtnis haften geblieben: von einem vereinfachten System, das Mr. Frank Wood einführen werde. Dann sprach auch der Fremde mit einem Wohllaut in der Stimme, wie sie ihn einem Engländer gar nicht zugetraut. Sie hörte den sonoren, weichen Tonfall immer noch, als die Herren längst den Raum ver- lassen. Und erst seit dem Tage scheint es ihr, als ob sie wirklich lebe, als wäre ihr Dasein bisher ein Nichts ge­wesen, dem jeder Inhalt gefehlt.

Dabei hatte man oft ihr Glück gepriesen. Ihr Glück! Daß Herr Alten für ihre Ausbildung gesorgt, seit sie den Vater verloren, der bei dem großen Brande der Fabrik sein Leben eingebüßt. Die Leute sagen, er habe sich für den Chef geopfert, indem er ihn mit dem eigenen Leibe gegen einen herabstürzenden Balken gedeckt.

Aus Dankbarkeit zahlt Herr Alten nun der Mutter eine Rente, und sie Hetta hat zwei Jahre hindurch eine Kunstschule besuchen dürfen und würde, ohne die Gunst des Chefs, wohl schwerlich mit ihren achtzehn Jahren eine so angenehme und gutbezahlte Stellung gefunden haben, wie sie sie hier einnimmt.

Aber Glück? O, Glück bedeutet für sie etwas «mderes, seit Mr. Wood ihren Lebenspfad gekreuzt. Vier Monate ist er nun schon hier, und was sie bei seinem ersten Anblick empfunden, hat sich in ihrem Herzen nur noch stärker gefestigt, wenngleich sie bisher kaum andres als Geschäftliches gesprochen haben.

Anfänglich wurde es ihm schwer, sich in der deutschen Sprache auszudrücken, und sie traute sich mit ihrem Englisch nicht recht hervor. Andern gegenüber würde sie über das gegenseitige Radebrechen herzlich gelacht haben, Unter seinen Blicken fühlte sie sich aber von einem Zauber umsponnen, der ihr jede Unbefangenheit raubte, sie un- pcher und verlegen machte. Er hält sie gewiß für dumm und beschränkt, daher geht sein Benehmen auch nie über formelle Höflichkeit hinaus, obgleich er sich jetzt schon ziemlich korrekt der deutschen Sprache bedient, und sie die halben -rächte zur Vervollkommnung ihrer englischen Sprach- kenntnisse benutzt hat.

Daß diese Zurückhaltung nicht seiner eigensten Natur ""spricht, hört sie täglich, denn er macht gar viel von sich ^oen. Ex fehlt bei keinem geselligen Zusammensein der segliche ^ Margen gerade mcht mit Vergnügungen

M Henriette bedauert jetzt lebhaft, sich von Verkehr is fern geholtes LN. haben».

Man hat ihr dies für Dünkel ausgelegr, uno es war doch nur Gleichgültigkeit. Die jungen Herren vermochten ihr Interesse nicht zu erregen, und die Mädchen, die heute herzlich zueinander taten und sich morgen gegenseitig durchhechelten, waren ihr erst gar unsympathisch. Da blieb ihr Nanni Brandt, mit dem derben, aber gutherzigen Humor, noch die liebste. Nur in letzter Zeit waren ihr deren halb verschleierten und doch recht deutlichen Warnungen unbequem geworden.

Was tat sie denn Unrechtes? Daß sie ihre Spazier­gänge nach dem Wasser lenkte, um Wood in seiner Kraft und Gewandtheit, mit der er das Ruder oder Segel hand­habte, verstohlen zu bewundern?

Herr Men beabsichtigte seinem Personal ein Sommer- fest zu geben, das mit einem Wettrudern eingeleitet werden sollte, da sich zugleich der Stiftungstag des Rudervereins jährte. Nun hatte Wood natürlich für nichts anderes Sinn, als für die Ruderei. Es scheint allen als selbstverständlich, daß er den Hauptsteg erringen werde.

Herr Alten, der dem Wassersport eine große Vorliebe entgegenbringt, hat für die Teilnehmer an dem Wettrudern die Arbeitszeit gekürzt, um ihre Uebungen systematisch aus- führen zu können. Wood vor allem benutzt jede freie Stunde, Md darum zieht es Hetta so unwiderstehlich dort, hin. wo sie selbst ungesehen das Treiben der Ruderer beobachten kann. Nanni mochte sich wohl etwas ganz anderes einbilden. Nun immerhin! Gerade diese bisher völlig grundlosen Warnungen hatten sie gereizt und sie ver­anlaßt, ihr Empfinden so offen auszusprechen.

Ach, ob Wood sie jemals beachten wird?!

Da sind ganz andere Hilde Dallwitz zum Beispiel die kann sich hervortun sie spielen Tennis zusammen.

O, wozu quält sie sich mit diesem fortwährenden Denken an ihn-Ja, wie kann man nur so töricht sein.

Hetta beschleunigt auf einmal ihre Schritte, als könne sie dadurch den eigenen Gedanken entrinnen, und steht nun am Flußufer. Sie atmet tief auf. Es ist hier etwas frischer, wie unter den Bäumen, wenn die Sonne auch noch auf dem Wasser gleißt und flimmert.

Nanni hat wohl die Wahrheit gesprochen, heute ist es hier sehr still. Nur einige kleine Boote, sogenannte Seelen­verkäufer, mit denen sich junge Burschen vergnügen, kreuzen umher. Und dem Ufer ziemlich nahe gleitet ein mit Ziegeln beladener Lastkahn vorüber. Die lange Ruderstange an die Seite gestemmt, schreiten die Schiffer mit gekrümmtem Rücken das Schiff hinauf und wieder hinab, die Stange in den Grund bohrend und dadurch das schwere Fahrzeug vorwärtstreibend. Auf dem Verdeck der kleinen Kajüte, die zugleich den Wohnraum der Schiffersfamilie bildet, steht eine junge Frau und hängt Wäsche auf eine ausgespannte Leine; dabei ruft sie einem Kinde, das auf dem Boden kauert. Scherzworte zu. Das Kind kräht lustig, wenn der Wind die Wäsche aufbläht, und die Mutter lacht schallend mit. Dann wendet der eine Mann an der RpdeHtange wohl der Vater den Kopf, und auch über sein braun­gebranntes, wetterhartes Gesicht fliegt ein frohes Lächeln. Hetta schaut sinnend hinüber. Dies schwere Brot und doch sind sie glücklich, weil sie sich liebhaben, denkt sie. Also wieder ein Beweis, daß nur die Liebe-

Ihren Gedankengang jäh unterbrechend, schreit sie leise aus. Das Kind hat mit den unbeholfenen Händchen nach einem Wäschestück gefaßt, die Mutter es ihm schäkernd ent­zogen ^ abermals faßt es zu, will sich daran aufrichten, mach! ein paar unsichere Schritte rückwärts, und bevor die Mutter helfend zuzuspringen vermag, ist es über Bord ins Wasser gekollert. Einige Sekunden scheinen die Menschen auf dem Schiff vor Schreck erstarrt zu sein. Als sich der Vater setzt über den Rand des Fahrzeuges schwingen will, taucht von der ander« Seite her ein dunkler Kopf auf, zwei Arme halten das zappelnde, schreiende Kind der Mutter entgegen.

Hetta, die sofort in dem Retter Frank Wood erkennt, sieht, wie er, wohl den Dankesäußerungen der Frau sich entziehend, pfeilschnell seinem weitertreibenden Boot nach­schwimmt und bald hinter dem Landungssteg des nahen Bootshauses verschwunden ist.

Eine Weile steht das junge Mädchen noch reglos und sieht auf jene Stelle, an der das Kind ins Wasser gefallen, dann wendet sie sich mit einem leichten Seufzer ab. Da hat sie nun den fremden Schiffersleuten ihre Aufmerksam­keit geschenkt und ihn, um den sie hergegangen, übersehen. Wo er nur auf einmal hergekommen ist? Er muß den nur langsam oorwärtstreibenden Lastkahn überholt haben. Schade, daß ihr das entgangen ist.

Und wie ritterlich er sich wieder benommen! Sie be- dachte nicht, daß jeder des Schwimmens Kundige ebenso gehandelt hätte. Aufs neue umkleidet ihre Phantasie seine Person mit einer Strahlenglorie.

Inzwischen ist sie an einer Stelle angelangt, die sie sich bei ihren Spaziergängen häufig als Ruheplatz erkoren. Ein moosbewachsener Stein, neben dem knorrigen Stamm einer Weide, deren Zweige fast bis zur Erde hängen, hierdurch eine natürliche Laube bildend. Ringsum wuchert dichtes niedriges Gebüsch, den unter der Weide Sitzenden den Blicken etwa Vorübergehender völlig verdeckend. Nach der Wasserseite gewährt das lauschige Plätzchen einen freien Ausblick, und nur, wer hart am Uferrand daherkam, hatte einen Blick in das Versteck tun können. Doch das geschah selten, der obere Waldweg wurde vorgezogen.

Hier hat Hetta schon manche Stunde verträumt, und auch heute zieht es sie unwiderstehlich dorthin, obgleich sie sich sagt, daß die Mutter ihr langes Ausbleiben tadeln wird. -

Ein Viertelstündchen nur l entschuldigt sie ihr Tun vor sich selbst, und schon biegt sie die Zweige auseinander und schlüpft in die Grotte.

Wie schön es hier ist! Sie nimmt den Hut ab und lehnt den Kopf an den Weidenstamm, aber sie muß die Augen schließen, denn das Flimmern und Glitzern des leicht bewegten Flusses blendet.

Und nun ist ihr erster Gedanke: Wie herrlich müßte es erst sein, hier zu zweien zu sitzep. eng aneinander

geschnnegk Herz an Herz leise Koseworte tauschend. Sie berauscht sich förmlich an dieser Vorstellung. Wie der Gläubige auf eine Gnadenbotschaft, so hofft sie auf ein« solche Stunde, obgleich er ihr bisher durch kein Wort an­gedeutet, daß er ihr ein wärmeres Interesse entgegen­bringe. Nur seine Augen fixieren sie zuweilen so eigen­tümlich, und sie deutet dies nur zu gern nach eigenen Wünschen.

Er klappert mit den Augen, wie ein kokettes Frauen­zimmer," hatNanni neulich gesagt, Nanni, die natürlich kein« Gelegenheit versäumt, ihn herabzusetzen.

Jetzt weiß sie, aus welchem Grunde.

Arme Nanni l Immerhin war die Schwester Ilse glück­licher. Ein Jahr schrankenlosen Glückes und dann vergehen, wie eine Blume beneidenswertes Los l

Die Schwüle, die Stille, die sie umgibt, nur von dem leisen Glucksen des Wassers, dem Wispern in den be­weglichen Zweigen der Weide unterbrochen, wirken ein­schläfernd.

Hettas Köpfchen neigt sich seitwärts, ihr waches Träumen geht in einen wohligen Halbschlaf über.

Da ist es ihr auf einmal, als fühle sie ein heißes Augen­paar auf ihrem Antlitz brennen. Sie versucht sich auf­zurichten, doch noch hält sie die Müdigkeit in ihrem Bann. Und dies Ankämpfen dagegen zaubert ein holdbefangene» Lächeln über ihre Züge. Jetzt öffnen sich die Augen zaghaft zuerst, dann in aufstrahlendem Entzücken.

Träumt sie noch ? Ihr Blick begegnet einem andern Mr. Woods.

Er hat den schmalen Uferweg zum Heimgehen benutzt und den Saum eines blaßroten Kleides unter dem Gebüsch hervorlugen sehen. Vorsichtig ist er näher geschlichen, um nun, wie gebannt, auf das sich ihm darbietende Bild zu schauen.

Wie ein verkörpertes deutsches Märchen!

Die zierliche Mädchengestalt im rosenroten Kleide, von grünem Gerank umrahmt. Ein vereinzelter Sonnenstrahl, der sich durch die Blätter stiehlt, streut Goldfunken in das licht­blonde Haar. Die tiefroten Lippen sind leicht geöffnet, und das Lächeln, welches sie umspielt, scheint ein sehnsüchtiges Verlangen auszudrücken.

Vermischtes.

s Tie Pariser Festungswerke sollen, wie in die­sen Tagen rnitgjeteilt ist, geschleift werden, und das betreffende "Terrain wird in den Besitz der Stadt übergehen. Unter diesen Werken ist der vor über 75 Jahren unter der Regierung des' Königs ' ouis Philipp angelegte Wall zu verstehen, der Paris unmittelbar umgibt, den auch unsere Veteranen von 1870-71 genau kennen. In deutschen Fest­ungen sind ebenfalls diese nahen Werke meist ge­schleift, die durch die weit hinausliegenden Forts überflüssig geworden sind, und das Gelände haben die Stadtverwaltungen zu Bebauungszwecken er­halten. Es ist den Parisern nicht leicht geworden, sich mit der bevorstehenden Schleifung dieser Werke, die auch die Grenze für die städtische Accise bil­deten, zu befreunden. Die große Masse der Be- oöl^'rung der Seinestadt tummelte gern im Ge­biete derEnceinte", es war eine romantische Stätte, wenn sie auch nicht mehr die Ueberzeugung von der Unbezwingbarkeit der Festung Paris pflegte, die 1871 durchbrochen worden war. Diese Ueberzeugung wieder zu beleben, sind die wahr­haft großartigen Anlagen der neuen Festung Paris tzervorgerufen, die selbst die alte Königsstadt Ver­sailles, 1870 Sitz unseres Hauptquartiers, noch mir einschließen. So weit hinaus gehen die Wälle und Werke. Den ungeheuren Jnnenraum dieses Geländes füllen militärische Etablissements jeder Art, so daß die Stadt bei einer eventuellen neuen Belagerung an Munition, Proviant usw. alles aus sich selbst heraus zu leisten vermag. Die Ent­fernungen sind dermaßen groß, daß man darauf baut, eine nochmalige Beschießung des eigentlichen Paris sei in Zukunft nicht mehr durchzuführen, in dem auch eine Millionen-Armee Platz hat. Die alten Forts, an der Spitze derOnkel Bullerjahn" (Mont Valerien), dessen tiefe Stimme sich in den Kämpfen von 1870 immer besonders bemerkbar machte, sind natürlich nicht wertlos geworden, wie der Ringwall, haben aber auch nicht mehr die große Bedeutung wie einst, da sie heute ziemlich weit von der etwaigen Einschließungslinie zurück- liegen. Immerhin behalten sie ihren historischen Ruf, und bei uns wird so lange von ihnen er­zählt werden, als ein deutscher Krieger aus jener Zeit noch lebt. Ob in der heutigen Zeit der Zeppeline" Paris, für dessen neue Fortifikation Milliarden ausgegeben sind, wirklich uneinnehmbar ist, kann nur die Praxis lehren. Daß Deutschland nicht daraus brennt, die Probe zu machen, braucht nicht erst weiter gesagt zu werden.

Gemeinnütziges.

8 Gegen geschwollene Mandeln wird folgendes einfache Mittel empfohlen: Man siede Leinsamen und Eibischwurzeln in Wasser und stoße es zu einem Brei, streiche es auf ein Tuch und lege es um den Hals. Nach kurzer Zeit wird das Uehek behoben sein. ^