165. Amts- und Anzergeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 87. Jahrgang.
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Erscheinungsweise: 6mal wöchentlich. Anzeigenpreis: Im Oberamtsbezirk Calw für die einspaltige Borgiszeile 10 Pfg., außerhalb desselben 12Pfg., Reklamen 25 Pfg. Schluß sur Jnseratonnahme 10 Uhr vormittags. Tclefor, 9.
Mittwoch, den 17. Juli 1912.
Bezugspreis: In der Stadt mit Trägerlohn Mk. 1.25 vierteljährlich. Postbezugspreis für den Orts- und Nachbarortsverkehr Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellgeld in Württemberg 30 Pfg., in Bayern und Reich 42 Psg.
Die Strafgesetznovelle.
- (Eine populäre Betrachtung von W. Z.)
(Schlich.)
Noch milder wird behandelt, wer Gegenstände hauswirtschaftlichen Verbrauches in geringer Menge oder von unbedeutendem Werte entwendet, d. h. stiehlt oder unterschlägt. Der tz 370 Ziff. 5 St.G.B., der seither nur für Nahrungs-Eenußmittel galt, ist auch auf die genannten Gegenstände, also z. B. Holz, Kohlen, Beleuchtungsmittel, Heilmittel usw. ausgedehnt worden. Hervorzuheben ist, daß keine dieser Taten den Rückfall begründen kann und daß die Staatsanwaltschaft sie nur auf Grund des Antrages des Verletzten verfolgen kann. Wer sie gegen einen Verwandten absteigender Linie (also Kinder und Kindeskinder) begeht oder gegen seinen Ehegatten, bleibt sogar überhaupt straflos. An die Stelle un- beitreibbarer Geldstrafen kann Haft treten. Es wird wohl von keiner Seite bezweifelt werden, daß diese Neuerungen dem Rechtsgefühl unseres Volkes Rechnung tragen und eine angemessene Bestrafung dieser Not delikte zulassen. Auch der Richter wird sie mit Freude begrüßen.
2. Auch das Delikt des Hausfriedensbruchs hat eine zweckmäßige Umgestaltung erfahren. Wer seither einen Hausfriedensbruch, gemeinschaftlich (z. B. mit seiner Ehefrau) oder mit einer Waffe (etwa einem starken Stocke) versehen, begangen hatte, mußte wegen schweren Hausfriedensbruches von Amtswegen verfolgt werden und der Richter mußte ihn zu einer Gefängnisstrafe von mindestens einer Woche verurteilen. Die Novelle beseitigt diese Härten. Sie stempelt den Hausfriedensbruch in allen Fällen zum Antragsdelikt und bedroht den einfachen mit Geldstrafe (an elftere Stelle) bis zu 300 Mk. oder Gefängnis bis zu 3 Monaten, den erschwerten mit Geldstrafe bis zu 1000 Mk. oder Gefängnisstrafe bis zu einem Jahre. Sie läßt die Zurücknahme des Antrages zu, weil häufig Strafanträge im ersten Zorn gestellt werden, was nachher bereut wird. Sie erweitert jedoch auch den Schutz des tz 123 St.G.B. indem sie den Räumen des öffentlichen Dienstes die des öffentlichen Verkehrs gleichstellt (z. B. Eisenbahnwagen, Omnibusse). Auch diese Neuerung enthält einen wirklichen Fortschritt und beseitigt eine große Härte. Die Ausdehnung des Schutzes ist durchaus gerechtfertigt. Nach den Erklärungen des Staats
sekretärs des Reichsjustizamts ist die Einbringung des Entwurfs zu einem neuen Strafgesetzbuch nicht vor dem Jahre 1917, das endgiltige Zustandekommen des Gesetzes nicht vor dem Jahre 1919 oder 1920 zu erwarten. Wenn die Verlangsamung zu einer gründlicheren Durcharbeitung des Rechtsstoffes und zu einer kritischen Stellungnahme gegenüber den kriminalistischen Modeströmungen des Tages führen würde, so wäre dies zu begrüßen. Eine Zeit wie die unsere, in der die sittlichen Erundanschauungen weiter Volkskreise sich widersprechen, ja ins Wanken geraten sind, die von kommunistischen Ideen durchsetzt ist, erscheint dem, Eeschichtskenner wenig geeigner zu grundlegenden Reformen auf dem Gebietet des Strafrechts. Möge die Novelle, auch von diesem Standpunkte betrachtet, Segen bringen.
Stadt, Bezirk und Nachbarschaft.
Calw, 17. Juli 1912.
Vom Realprogymnasium. Beide Schüler des Real- vrogymnasiums haben das Landexamen bestanden: Keller, Waldemar, Sohn des Präzeptors a. D. Dr. Keller in Murrhardt (von hier gebürtig) und Wid- mann, Hermann, Sohn des Professors hier. Sie werden zusammen mit den übriegn 36 Zöglingen ins evang.-theol. Seminar in Schöntal aufgenommen werden, wo sie am 13. September einzutreten haben.
Mumenpflege in der Schule. Dem Beipiele anderer Städte folgend, haben hiesige Gärtner (die Herren Mast, Hägele und Steck) an die Schülerinnen der Mädchenoberklassen Blumenstöcke ausgeteilt, um den Mädchen Gelegenheit zu geben, sich in der selbständigen Blumenpflöge zu üben. Als Belohnung für besondere Sorgfalt sollen im Herbst einige Preise in Gestalt von schönen Blumen vergeben werden. Es ist höchst erfreulich, daß sich auch andere Stände als Lehrer und Geistliche an der öffentlichen Jugenderziehung beteiligen: darum herzlichen Dank den freundlichen Gebern!
«. Vergeudet das Wasser nicht! Dieser Mahnruf ist bei der anhaltenden Hitze und Trockenheit wohl angezeigt und zu beherzigen.. Die Niederschläge der letzten Zeit haben zwar der Vegetation das zum Wachstum erforderliche Wasser gebracht, aber nicht ausgereicht, um das Erundwasser und die Quellen zu speisen. Infolge der langen Trockenperiode des Vorjahrs und der Winterfeuihte ist die Ergiebigkeit
der Quellen in diesem Jahre gering. Dies läßt sich ohne weiteres an dem niedrigen Wasserstand der Flüsse erkennen. Um einem Wassermangel möglichst vorzubeugen, muß daher tunlichst sparsam mit dem Wasser umgegangen werden. Jede Verschwendung ist zu vermeiden.
Mutmaßliches Wetter. Der Hochdruck steht nunmehr über Schottland. Von der Biscaya her dringt eine Depression gegen Südweftdeutschland vor und scheint sich mit einem zweiten Tief an der Donaumündung vereinigen zu wollen. Dadurch ist die Wetterlage unsicher geworden. Für Donnerstag und Freitag steht zwar noch meist trockenes, aber vielfach trübes und gewitteriges Wetter bevor.
m. Annahme von Eisenbahnanwärtern. Kandidaten für den Eisenbahnanwärterdienst (Eisenbahnanwärter) werden wieder angenommen. Für Bewerber, die nicht auf Grund befriedigender Zeugnisse von Latein-, Real- und Bürgerschulen angenommen werden können, wird im Herbst ds. Js. eine Aufnahmeprüfung abgehalren. Gesuche um Zulassung zu dieser Prüfung sind bis spätestens 10. August durch Vermittlung der Eisenbahnbetriebsinspektionen bei der Eeneraldirektionen der Staatseisenbahnen einzureichen.
u >. Der Höhepunkt des Jahres liegt hinter uns und die Tage neigen sich abwärts und werden wieder kürzer. Die Dämmerung, welche es bis jetzt nie ganz Nacht hat werden lassen, bält noch bis zum 20. d. M. an. von da ab wird es aber um Mitternacht wieder vollkommen finster. Am 25. Juli tritt die Sonne in das Zeichen des Löwen und damit beginnen die „Hundstage". Die Bezeichnung „Hundstage" schreibt sich von alter Zeit her. Bei den Griechen wurde die entsprechende Zeit „Qpora" genannt. Sie wird durch den Aufgang des Hundssterns „Sirius" bestimmt. Die Opora der Griechen fing nämlich mit dem Aufgang des Hundesternes an, der nahe mit dem Eintritt der Sonne in das Gestirn des Löwen zusammenfällt, und endigte mit dem Aufgang des Acturus, der freilich viel später ist als das Ende unserer Hundstage. Die Zeit der Hundstage ist in Griechenland durch große Hitze und nach Hippokrates auch durch schwere Gallenkrankheiten ausgezeichnet. Auch bei uns werden diese als die heißesten Tage des Jahres angesehen; im Mittelalter ruhte an mehreren Orten selbst der Gottesdienst während dieser
Da; NWeiil von Skuderi.
Erzählung aus dem Zeiialter Ludwigs XIV. 21) Von E. T. A. Hoffmann.
„Verzeiht," sprach Miossens, indem er sich mit soldatischem Anstand verbeugte, „verzeiht, mein Fräulein, wenn ich Euch so spät, so zu ungelegener Zeit überlaufe. Wir Soldaten machen es nicht anders, und zudem bin ich mit zwei Worten entschuldigt. — Olivier Brusson führt mich zu Euch." Die Scuderi, hochgespannt, was sie wieder erfahren werde, rief laut: „Olivier Brusson? der Unglücklichste aller Menschen? — was habt Ihr mit dem? — „Dacht ich's doch," sprach Miossens lächelnd weiter, daß Eures Schützlings Name hinreichen würde, mir bei Euch ein geneiotes Ohr zu verschaffen. Die ganze Welt ist von Brussons Schuld überzeugt. Ich weiß es, daß Ihr eine andere Meinung hegt,, die freilich nur auf Beteuerungen des Angeklagten stützen soll, wie man gesagt hat. Mit mir ist es anders. Niemand als ich kann besser überzeugt sein von Brussons Unschuld an dem Tode Cardillacs." „Redet, o redet," rief die Scuderi, indem ihr die Augen glänzten vor Entzücken. „Ich," sprach Miossens mit Nachdruck, „ich war es selbst, der den alten Goldschmied niederstieß in der Straße St. Honoröe unfern Euerem Hause." Um aller Heiligen willen, Ihr —
Ihr! rief die Scuderi. „Und," fuhr Miossens fort, „und ich schwöre es Euch, mein Fräulein, daß ich stolz bin auf meine Tat. Wisset, daß Cardillac der verruchteste, heuchlerischste Bösewicht, daß er es war, der in der Nacht heimtückisch mordete und raubte, und so lange allen Schlingen entging. Ich weiß selbst nicht, wie es kam, daß ein innerer Verdacht sich in mir gegen den alten Bösewicht regte, als er voll sichtlicher Unruhe den Schmuck brachte, den ich bestellt, als er sich genau erkundigte, für wen ich den Schmuck bestimmt, und als er auf recht listige Art meinen Kammerdiener ausgefragt hatte, wann ich eine gewisse Dame zu besuchen mlege. — Längst war es mir ausgefallen, daß die unglücklichen Schlachtopfer der abscheulichen Raubgier alle dieselbe Todeswunde trugen. Es war mir gewiß, daß der Mörder auf den Stoß, der augenblicklich töten mußte, eingeübt war und darauf rechnete. Schlug der fehl, so galt es den gleichen Kampf. Dies ließ mich eine Vorsichtsmaßregel brauchen, die so einfach ist, daß ich nicht begreife, wie andere nicht längst darauf fielen und sich retteten vor dem bedrohlichen Mordwesen. Ich trug einen leichten Vrustharnisch unter der Weste. Cardillac siel mich von hinten an. Er umfaßte mich mit Riesenkraft, aber der sicher geführte Stoß glitt ab von dem Eisen. In demselben Augenblick entwand ich mich ihm, und stieß ihm den Dolch, den ich in Bereitschaft hatte, in die Brust." „Und Ihr schwiegt," fragte die Scuderi, „Ihr zeigtet
den Gerichten nicht an, was geschehen?" „Erlaubt," sprach Miossens weiter, „erlaubt, mein Fräulein, zu bemerken, daß eine solche Anzeige mich, wo nicht gerade ins Verderben, so doch in den abscheulichsten Prozeß verwickeln konnte. Hätte la Regnie, überall Verbrechen witternd, mir's denn geradehin geglaubt, wenn ich den rechtschaffenen Cardillac, das Muster aller Frömmigkeit und Tugend, des versuchten Mordes angeklagt ? Wie, wenn das Schwert der Gerechtigkeit seine Spitze wider mich selbst gewandt?" „Das war nicht möglich," rief die Scuderi, Eure Geburt — Euer Stand —" „O," fuhr Miossens fort, „denkt doch nur an den Marschall von Luxemburg, den der Einfall, sich von der le Sage das Horoskop stellen zu lassen, in den Verdacht des Giftmords und in die Bastille brachte. Nein, beim St. Dionys, nicht eine Stunde Freiheit, nicht meinen Ohrzipfel geb ich preis dem rasenden la Regnie, der sein Messer gern an unserer aller Kehlen setzte." „Aber so bringt Ihr ja den unschuldigen Brusson aufs Schaffst?" fiel ihm die Scuderi ins Wort. „Unschuldig," erwiderte Miossens, „unschuldig, mein Fräulein, nennt Ihr des verruchten Cardillacs Spießgesellen? — der ihm beistand in seinen Taten? der den Tod hundertmal verdient hat? — Nein, in der Tat, der blutet mit Recht, und daß ich Euch, mein hochverehrtes Fräulein, den wahren Zusammenhang der Sache entdeckte, geschah in der Voraussetzung, daß Ihr, ohne mich in die Hände der