Deutscher Reichstag.
Berlin, 11- Februar.
Der Reichstag genehmigte heute weitere Titel des Militäretats und nahm eine Resolution, nach der die K o n tr o ll v e rs a mmlu n g e n der Personen des Beurlaubtenstandes nur einmal im Jahre abgehalten werden sollen, an. Kriegsminister von Heeringen gab verschiedene Erklärungen ab, so auch zu dem von den sozialdemokratischen Rednern Emmler und Ledebour wieder angeschnittenen Fall Oldenburg.
Berlin, 12. Februar.
Der Reichstag erledigte heute die 2. Lesung des Militäretats bei den gemeinsam zur Diskussion gestellten Kapiteln „Artillerie- und Waffen- wesen" und „Technische Institute" und genehmigte den Etat. Die Debatte drehte sich wie üblich in der Hauptsache um die Verhältnisse der Arbeiter in den Werkstätten der Heeresverwaltung. Bemerkenswert ist die in Aussicht genommene Vermehrung der Kraftwagen im Heere. Montag 1 Uhr: Kaligesetz und Stellenvermittlung. Schluß gegen dreiviertel 7 Uhr.
Landesnachrichten.
Mrenkleig, 14. Februar.
* Die neuen Postkarten, die demnächst im Reichspostgebiet und auch in Württemberg ausgegeben werden, erhalten einen 6,3 Zentimeter vom linken Seitenrand entfernten senkrechten Trennungsstrich und rechts von diesem die Ueberschrift „Postkarte" oder „Postkarte mit Antwort". In ähnlicher Weise werden die neuen Weltpostkarten hergestellt.
* Hornberg, 12. Febr. Bei der heute stattgefundenen Ortsvorst eh er wähl wurde Gemeindepfleger Joh. Georg Lutz zum Ortsvorsteher fast einstimmig gewählt.
si Freudenstadt, 12. Febr. Dem Vernehmen nach wird das Zentrum bei der bevorstehenden Landtagsersatzwahl den Reichs- und Landtagsabgeordneten Gröber als Zählkandidaten aufstellen.
ss Calw, 13. Febr. In Hirsau brachte der zweijährige Knabe des Küfers Lutz die rechte Hand in die Rübenmühle, während sein fünf Jahre alter Bruder das Schwungrad in Bewegung setzte. Die Hand wurde an drei Fingern so übel zugerichtet, daß der Zeigefinger abgsnommen werden mußte. — Einen Fastnachtsscherz machte sich ein stellenloser Kellner, indem er einen Bauern aus Schmieh überredete, ihn in seinem Fuhrwerk nach Teinach zu fahren, wo er ihn hinter die Flasche setzte und mit Pferd und Chaisle talabwärts davonfuhr. Das Telephon machte aber der Lustfahrt bereits in Neubulach ein Ende und der Landjäger sorgte für die Rückbeförderung des Fuhrwerks samt dem ungebetenen Wagenlenker.
ss Rottwerl, 12. Febr. Gestern vormittag hantierte ein lbjähriger aus Villingendorf gebürtiger
Metzgerlehrling im Hause seines hiesigen Meisters mit einem Revolver, von dem er nicht wußte, daß er geladen war; die Waffe entlud sich plötzlich und der junge Mann wurde so unglücklich ins rechte Auge getroffen, daß dieses verloren sein dürfte. Der Schwerverletzte wurde sofort in die Augenklinik nach Tübingen verbracht.
sf Rottenmiinster, OA. Rottweil, 12. Februar. Gestern starb nach längerem Leiden ein langjähriger Patient der Heilanstalt, Prinz Carl Egon zu Hohenlohe-Waldenburg. Er hatte als Adjutant im Bonner Husarenregiment Nr. 13 den Feldzug 1870/71 mitgemacht und war wegen seiner Tapferkeit mehrfach dekoriert worden. Bald nach der Rückkehr aus Frankreich brach die unheilvolle Krankheit aus, von der ihn nun der Tod erlösen sollte. Die Beerdigung fand heute nachmittag zwei Uhr von der Anstalt aus im Altstädter Gottesacker statt.
ss Stuttgart, l 2. Febr. Der heute abend kurz nach fünf Uhr nach Ludwigsburg abgefahrene Personenzug ist bei der Einfahrt in den Bahnhof von Feuerbach entgleist, weshalb beide Gleise gesperrt sind. An der Freimachung der Gleise wird energisch gearbeitet. Die Ursache der Entgleisung ist noch nicht festgestellt.
ss Stuttgart, 13. Febr. Bei der gestrigen Entgleisung des Personenzuges 180 Stuttgart-Bietigheim bei der Einfahrt in die Station Feuerbach wurde niemand verletzt. Die Entgleisung dürfte aus die vorzeitige Umstellung der Einfahrtsweichs zu- rückznführen sein und betraf nicht den ganzen Zug, sondern nur zwei Personenwagen dritter Klasse. Der Materialschaden ist nicht bedeutend. Die Verkehrsstörung beschränkte sich, da die Züge zum Teil über die Guterbahn Münster-Untertürkheim geleitet wurden und von den beiden gesperrten Gleisen das eine schon nach dreiviertel, das andere nach zwei Stunden frei war, auf einige größere Zuasverspä- tungen.
ss Stuttgart, 12. Febr. Da das Geburtsfest des Königs in diesem Jahre auf einen Freitag fällt, hat der Landesbischof die Diözesanen an diesem Tage vom Abbruchsfasten dispensiert und die an Festmählern und festlichen Veranstaltungen aus diesem Anlaß teilnehmen, auch vom Abstinenzgebot befreit.
1s Stuttgart, 12. Febr. Nach einer Verfügung der Generaldirsktion der Staatseisenbahnen ist das Einstsllen der Heizungsregnlierhebel in den Eisenbahnwagen aus Kalt oder Warm, sowie das Umlegen der unter den Sitzen befindlichen Mänteln durch die Reisenden nicht zu beanstanden. Bei etwaigen Streitigkeiten unter den Reisenden entscheidet das Zugspersonal.
ss Stuttgart, 12. Febr. (Strafkammer.) Angeklagt einer Reihe Betrügereien war der ledige Bäcker Robert Schuhmacher von Sindelfingen. Der Angeklagte hat eins große Vorliebe für Offiziersuniformen, in denen er auf der Straße herumläuft. Anfang Oktober veranlaßt? er die Inhaber von zwei Garderobeverleihungsgeschäften durch das Vorbringen, er sei der Oberingenisur Fischer und müsse eine Reserveübung mitmachen, ihm je eine
hatte. Schuhmacher wurde v. I. wegen Geistesschwäche entmündigt, er hat ein Vermögen von 20 000 Mark. Die Strafkammer verurteilte ihn wegen dreizehn Verbrechen des Betrugs i. R. und wegen eines Vergehens des Diebstahls zu 9 Monaten Gefängnis.
Dragoneroffiziersuniform mit Säbel zu verleihen. Die Uniformen chat er nicht mehr zurückgegeben. Eines Tages ging er ohne Säbel in einer Dragonerunteroffiziersuniform einher und bestimmte einen ihm begegnenden Dragoner ihm seinen Säbel zu leihen. Hier und in Cannstatt mietete er unter falschen Namen Zimmer mit Pension und verschwand dann nach einiger Zeit ohne zu bezahlen, auch vergaß er, die ihm gewährten Darlehen zurückzuer-- statten. In einigen Fällen pumpte er den Vermieter gleich beim Einmieten um ein Darlehen an und ließ sich dann nicht mehr sehen. In einem Fall brachte er ein Fahrrad mit, das er im Vorbeigehen von einem Nachbarhaus weggenommen
st Obereßlingen, 12. Febr. Das 4jährige Kind des Taglöhners Löffler, das gestern durch eigene Schuld von einem Automobil angesahren wurde, ist gestern mittag seinen Verletzungen erlegen. Ein warnendes Beispiel für die Eltern und Kinder!
si Göppingen, 12. Febr. Tödliche Brandwunden erlitt die Webersehefrau Ernestine Zehender in ihrer Wohnung in der Gerberstraße. Sie hantierte vorgestern mit ihrer Petroleumlampe, die ihr infolge irgend eines unglücklichen Zufalls entfallen sein muß. Die Lampe explodierte und setzte die Kleider der Frau in Brand; obwohl Hilfe bald geleistet werden konnte, waren die Brandwunden doch derartig schwer, daß die Frau, die sofort ins Bezirkskrankenhaus verbracht wurde, noch im Laufe des Tages ihren Verletzungen erlag.
si Jebenhausen, OA. Göppingen, 12. Febr. Die hauptsächlich von Göppingen aus vielbesuchte Wirtschaft mit Saalbau zum „Adler" hier ging durch Kauf auf Malermeister Flederwisch hier, der aus Amerika unerwartet eine größere Erbschaft machte, über.
st Klaffenbach, OA. Welzheim, 12. Februar. Ein schrecklicher Unglückssall ereignete sich vorgestern nachmittag. Der 27jährige ledige Holzhauer Gottlob Klotz, ein fleißiger, überall beliebter Mann, geriet unter eine stürzende Tanne und erlitt hiebei so schwere Verletzungen, daß er gestern früh 2 Uhr- unter großen Schmerzen gestorben ist.
si Tuttlingen, 12. Febr. Die K. Bahnhofverwaltung Tuttlingen hatte bis anfangs Dezember 1909 nach und nach eine größere Anzahl nach gern achter 10 Pfennig st ücke dem auf dem Bahnhof Tuttlingen ausgestellten Warenautomaten entnommen und dies zur Anzeige gebracht. Vorgestern wurden nun zwei 19 Jahrs alte Burschen von Mühlheim, ein Steinbildhauer und ein Flaschner, als Verfertiger falscher 10 Pfennigstücke ermittelt. Sie hatten auch auswärts, z. B. in Beuron und Schwenningen, verschiedene Automaten damit mit Erfolg probiert. Hergestellt wurden die Falsifikate mittels zweier Gipsblättchen, zwischen die ein echtes 10 Pfennigstück eingedrückt, und wenn die Form gebildet war, wieder hsrausgenommen wurde, worauf
Das Enkelkind.
Von G. Struder.
(Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)
Herr Neubert hatte sich kaum in sein Zimmer begeben, als Frau Reiz ihm meldete, daß ein Herr ihn zu sprechen wünsche, und wenige Minuten später trat Thomas mitdreister und selbstbewußter Miene vor den Hausherrn.
„Ich komme, um mein Geld in Empfang zu nehmen," sagte er indem er sich zwanglos auf einen Stuhl niederließ. „Ihr Enkelkind ist gefunden." —
„Was Sie sagen!" erwiderte Neubert ironisch. „Und wo ist der liebe Junge und wie heißt er?"
„Ich denke, wir lassen alle Beide die Verstellung bei Seite," fuhr Thomas in anmaßendem Tone fort, „denn wir verlieren hiermit nur überflüssige Zeit. Wenn ich
Ihnen damals sagte, daß das Kind Ihrer Tochter ein
Junge sei, so geschah dies allein deshalb, um zu verhindern, daß Sie von selbst auf die richtige Spur gerieten. Daß Sie diese Spur trotzdem gefunden haben, das hätte ich aus Ihren letzten Worten sofort geinerkt, wenn es mir auch
nicht bekannt gewesen wäre, daß Sie die frühere Gouver
nante der Baronin zu sich genommen haben, und sie mit den kostbarsten Geschenken aller Art überhäufen."
„Nun ja, ich habe eben Glück gehabt und zufällig hier in der Nähe eine Enkelin von mir entdeckt, und ist Ihnen das Glück ebenso günstig gewesen, das heißt haben Sie den versprochenen Enkel gefunden, so sollen Sie, sofern Sie mir die nötigen Beweise für Ihre Entdeckungen vorlegen, die versprochene Belohnung sofort haben."
„Ist das Ihr Ernst?"
„Sehe ich vielleicht aus wie Jemand, der Spaß macht?"
„Dann muß ich Ihnen erklären/ versetzte Thomas wütend, „daß Ihr Versuch, mich um meine Provision zu bringen. Ihnen schlecht bekommen soll. Sie haben sich schriftlich verpflichtet, mir für den Fall, daß ich den Aufenthaltsort Ihres Enkelkindes ermittle, 30,000 Mark bar auszuzahlen, in diesem Kontrakte ist mit keiner Silbe die Rede davon, daß dieses Enkelkind ein Junge sein müßte,
und wenn Sie daher jetzt diesen Kontrakt nicht halten wollen, so ist das eben ein . . ."
„Halt, Bursche," fiel ihm hier Neubert in die Rede. „Keine Schimpfworts, denn sonst mühte ich Sie vor die Türe werfen, und dann wäre es mit unseren weiteren Verhandlungen definitiv zu Ende. Auch Ihre Drohungen sind ganz und gar überflüssig, denn einschüchtern lasse ich mich nicht, am allerwenigsten von einem solchen grünen Jungen, den ich schon einmal mit einem Stocke zur Raison gebracht habe, und den ich nicht fürchte, selbst wenn er, wie in diesem Moment, so unmutig die Zähne fletscht. Also, was ich sagen wollte: Meine Bemerkungen von vorhin sollten Sie nur darauf Hinweisen, - daß Sie eigentlich auf die festgesetzte Belohnung gar keinen Anspruch haben. Sie werden sich deutlich erinnern, daß bei unserer Abmachung nur von einem Enkel die Rede war, und Sie werden mir auch ferner zugestehen, daß ich meine Enkelin nicht durch '.ihre Hilfe, sondern ganz gegen ihren Willen wieder gefunden habe. Sie wollten das Mädchen heiraten, um sich mir dann später als den Mann meiner Enkelin präsentieren zu können und nach meinem Tode in den Besitz meines Vermögens zu gelangen, damit sich dies aber ermöglichen ließe, war es unbedingt nötig, daß der wahre Name des Mädchens mir unbekannt bliebe. Denn Sie wußten recht gut, daß ich mich aus allen Kräften gegen die Heirat meiner Enkelin mit einem solchen Lumpen gesträubt haben würde, und darum arbeiteten Sie in Wirklichkeit die ganze Zeit über geg:n mein Interesse und gegen die eigentlichen Intentionen unseres Kontraktes.
Ich schulde Ihnen nicht das Geringste, aber ich bin gleichwohl bereit, Ihnen die Hälfte der ausbedungenen Summe auszuzahlen, jedoch nur unter folgenden Bedingungen:
Erstens legen Sie mir sofort den Kontrakt auf den Tisch.
Zweitens händigen Sie mir die Papiere aus, welche den Beweis liefern, daß das frühere Fräulein Winter meine Enkelin ist. Daß Sie mit diesen Papieren hierher gekommen sind, betrachte ich als selbstverständlich.
Drittens verpflichten Sie sich, diese Gegend sofort zu verlassen und mit dem nächsten Dampfer nach Amerika zurückzureisen. Damit Ihnen aber die Eingehung dieser Ver
pflichtung und das Festhalten derselben möglichst erleichtert werden, gebe icb Ihnen kein bares Geld, sondern einen Brief an mein Bankhaus in Ncwyork, worin ich dasselbe ersuche, dem Herrn Richa d Thomas, insofern sich derselbe persönlich mir dem Briese dort einfindet, 25,000 Mark, also circa 6000 Dollars, auszuzahlen. Also nur, wenn Sie in Person zu den Herren kommen, erhalten Sie Geld, das heißt, Sie müssen von hier abreisen, nm in den Besitz jener Summe zu gelangen. Das sind meine Bedingungen, von denen ich nicht abgehe, und nun entscheiden Sie sich."
Thomas hatte diese stellenweise sehr derbe Rede schweigend, aber mit vor Zorn und Aerger funkelnden Augen angehört. Jetzt, als Neubert geendet, sprang er auf und stellte sich dicht vor ihn hin.
„Und wenn ich mich nun weigere, auf Ihre Bedingungen einzugehen?" fragte er hastig. „Wenn ich auf unserem Kontrakte bestehen bleibe?"
„Dann," versetzte Neubert ruhig, „dann werde ich Sie zunächst ersuchen, die Türe von außen hinter sich zuzumachen, und wenn Sie alsdann später versuchen sollten, mir irgendwie lästig zu werden, so werde ich mir die Freiheit nehmen, die Polizei ein wenig auf Sie aufmerksam zu machen. Der Straßenraub ist noch nicht verjährt mein Bester."
Mit einer heftigen Bewegung schleuderte Thomas ein Päckchen Papiere auf den Tisch und dann sagte er:
„Hier ist Alles, was Sie wünschen. Schreiben Sie mir den Brief, ich füge mich."
„Nun ja, ich wußte ja doch, daß Sie ein verständiger junger Mensch sind," erwiderte Neubert in bester Laune, worauf er die Papiere sorgfältig durchsah und sie hierauf in seinem Kassenschrank verschloß. Alsdann setzte er den Kreditbrief für Thomas auf und übergab ihm denselben mit dem freundlichen Wunsch, daß es ihm drüben recht wohl ergehen, und daß er sein junges Leben dort nicht am Galgen beschließen möchte.
„Vielleicht hören Sie vorher nochmals von mir," rief ihm Thomas mit einem haßerfüllten Blicke zu, worauf er die Türe hinter sich zuschlug und die Treppe hinunter eilte.
(Fortsetzung folgt).