Schwarzwälder Sonntagsblatt.
herumkommen und daß dieser Stein ihm immer * ein Stein des Anstoßes sein werde. Die Frage ist nur, wie die Wahlreform beschaffen sein wird. Davon wird es abhängen, ob die Angelegenheit ihre scharfe Rückwirkung auf die gesamte innerpolitische Situation künftig verliert oder nicht.
Die Bergarbeiter und der Zentralarbeitsnachwe-s.
Unter den Bergarbeitern des Ruhrreviers herrscht große Gärung, und wenn die Konjun-tur nicht so ungünstig wäre, würden wir bald wieder einen Riesenstreik erleben. So aber zügelt man die Streitlust für einen geeigneteren Zeitpunkt. Es handelt sich um den Zentralarbeitsnachweis, den der Zechenverband schaffen will, und zwar ohne Mitwirkung der Arbeiterorganisationen. Die Arbeiter hegen nun den Verdacht, daß dieser Arbeitsnachweis nicht nur zur Regelung des Arbeitsmartts dienen soll, sondern auch zur Ausmerzung und Maßregelung mißliebiger Elemente, das heißt solcher, oie agitatorisch hervortreten. Sie haben den Wunsch, daß die Regierung eingreife und den Arbeitsnachweis gesetzlich regele. Der Staatssekretär Delbrück hat sich indessen im Reichstage in seiner Antwort auf die Interpellationen des Zentrums und der Sozialdemokratie diesen Forderungen gegenüber ablehnend verhalten. Er steht zwar dem paritätischen Arbeitsnachweis sympathisch gegenüber, erklärte aber, die Sache sei noch nicht spruchreif. Im übrigen stellte er sich .auf den Standvunkt,. daß das Vorgehen des Zechenverbandes mit dem 'Gesetze im Ein klang stehe und daß die Regierung daher nichts tun könne. Ob diese formalistische Behandlung der Sache angebracht war und ist, mag dahingestellt bleiben: man muß jedenfalls vorläufig damit rechnen. An die Antwort des Staatssekretärs haben sich mehrfach Betrachtungen geknüpft, ob in der Sozialpolitik ein neuer Kurs eingeleitet werde. Ein wenig Wahres mag wohl daran sein, insofern, als auf den Stand Punkt der Arbeitgeber jetzt ersichtlich mehr Rücksicht genommen wird als früher.
Der Tod Leopolds II.
Die Leiche des Königs der Belgier ist am Mittwoch feierlich beigesetzt worden in Anwesenheit von Vertretern einer Reihe fremder Staatsoberhäupter, darunter Prinz Heinrich von Preußen als Vertreter Kaiser Wilhelms. König Leopold hatte zwar ein ganz stilles Begräbnis gewünscht, allein man hat sich darüber hinwegzusetzen zu sollen geglaubt. Sein Ableben hat allerlei merkwürdige und unerbauliche Erscheinungen gezeitigt. Da war zunächst die Baronin Baughan, seine letzte Favoritin. Sie weilte auf seinen Wunsch ständig am Krankenlager und entfernte sich nur für einen Augenblick, wenn „richtige" Familienangehörige kamen. Es hat sich als Tatsache herausgestellt, daß sich König Leopold in San Remo in Italien mit Karoline Lacroix, der späteren Baronin Vaughan, hat kirchlich trauen lassen. Diese Ehe hat indessen, da sie nicht auch zivilrechtlich geschlossen ist, keine Rechtsgültigkeit und auch mit dem Titel „Baronin Vaughan" soll es hapern, da die Verleihung nicht vom Ministerium gegengezeichnet und auch nicht ordnungsmäßig veröffentlicht ist. Ebenso soll es sich mit den Titeln verhalten, die der König den zwei Söhnen, die ihm die Baronin Vaughan schenkte, verlieh: Graf p. Tervueren und Graf v. Ravenstein. Reeller steht es um das Geld, das König Leopold seiner Geliebten geschenkt hat. Wie viel es ist, weiß man nicht: man spricht von 30 Mill. und großen Liegenschaften in Frankreich. Auch diese Besitztümer werden der Baronin Vaughan übrigens von den rechtmäßigen Erben des Königs Leopold streitig gemacht werden. Die eine Prinzessin Luise von Koburg hat sich beeilt, kaum, daß der König die Augen geschlossen hatte, an die Villa der Baronin Vaughan in Laeken die Siegel anlegen zu lassen. Jedenfalls- wird es eine Reihe von Prozessen geben, denn der König hat seinen Töchtern nur die 15 Millionen überlassen, die er als Erbteil von seinem Vater überkommen bezeichnet. Was aus dem sonstigen Riesenvermögen des Königs geworden ist, weiß mau nicht, denn er hat dafür gesorgt, daß alles bm feite, schafft und verschleiert wurde, damit seine Töchter nichts weiter erhalten sollten. Der neue König Albert hat am Donnerstag den Eid auf die Verfassung vor dem Parlament geleistet und damit die Regierung angetreten. Er wird sympa-hisch ausgenommen. Den Töchtern Leopolds hat er sich freundlich gezeigt und sogar der Prinzessin Luise ermöglicht, nach Brüssel zu kommen. Allerdings stellte er die Bedingung, daß sie ihren Galan, den cbemaligen Leutnant Mattassitsch, nicht mitbringe, wozu sie sich nur schwer entschloß. Die Baronin Vaugban hat einen Wink bekommen, daß ihre Anwesenheit in Belgien nicht erwünscht -sei und sie ist daber nach Paris abgsreist. Sie hat dort übrigens eine Anzahl Geschwister, von denen die eine Grünkramhändlerin ist.
Denkwürdige Tage in Oesterreich.
Im österreichischen Abgeordnetenhause hat inan in der vorigen Woche nicht weniger als 86 Stunden ohne Unterbrechung getagt und „genächtet". Es war etwas, wie es die parlamentarische Geschichte noch Nicht erlebt hat. Der Zweck dieser Dauersitzung war, die tschechischen Agrarier, die durch Obstruktion mit Dauerreden — ekner sprach 13 Stunden — stne Arbeit des Abgeordnetenhauses verhinderten, zu überwinden. Plötzlich aber nahm die Szene eine merkwürdige Wendung. Von slawischer Seite, die die Obstruktion begünstigte, wurde plötzlich der Antrag auf Abänderung der Geschäftsordnung gestellt als ein Mittel, eben diese Obstruktion zu überwinden. Des Rätsels Lösung ist die, daß, auf diese Weise den Deutschen, die im Parlament die Minderheit bilden nnd in der bisherigen Geschäftsordnung eine Notwehrwaffe besaßen zum Schutze gegen Vergewaltigung, eben diese Waffe zerschlagen werden sollte. Das hat man schon oft versucht, aber immer vergebens. Diesmal aber gelang es dank der diabolisch geschickten Taktik der Slawen. Die Sozialdemokraten ließen sich für den Antrag auf Abänderung der Geschäftsordnung gewinnen, nnd die Christlichsozialen ebenfalls, und ehe die deutschfreiheitlichen Parteien nur recht zur Besinnung kamen, war die Abänderung der Geschäftsordnung schon beschlossen. Sie gibt dem Präsidenten weitgehende Befugnisse, so daß er es künftig ganz in der Hand hat, ob und wann er Odstruktionsversuchen ein Ende machen will. Das sieht äußerlich nicht einmal schlimm aus, im Gegenteil: die Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments ist eine erstrebenswerte Sache. Aber in der Wirkung wird sich die Neuerung gegen die deutsche Minderheit richten, denn es wird darnach gestrebt werden, die slawische Mehrheit zu einem eisernen Ring gegen die Deutschen zusammenzuschließen.
Amtliches.
Ueb ertragen wurde dein Oberreallehrer Steurer an der Oberrealschule in Reutlingen die Oberrcallshrersstelle an der Realschule in Wildbad.
Landesnachrichten.
* Wei h n achten ist nun herbeigekommen, aber auf ein richtiges Weihnachts Wetter scheinen wir verzichten zu müssen, wenn nicht das Christkind- letn über Nacht noch eine Ueberraschung bringt- Bis jetzt sieht es freilich eher aus, als ob es weiter- regneu wollte. Wenn die Witterung die Weihnachtsstimmung auch noch nicht aufkommen ließ, so wird sie doch sicher unter dem strahlenden Christbaum nicht ausbleiben. — Heute wurde uns. ein blühendes H imbeer st räußchen in die Redaktion gebracht das von Schernbacher Jägern bei einer gestrigen Treibjagd gefunden wurde. — Auch eine Weihnachtsüberraschung!
-n. Ebhausen, 23. Dez. Von 228 wahlberechtigten Bürgern haben heute bei der Gemeinderatswahl 1.85 abgestimmt. Am meisten stimmenerhielten und sind somit gewählt: Glasermeister Ehr. Schill 08 St. (neu gewählt), Hirschwirt I. Kleiner 88 St. (seith. Gemeindrrath Johs. Feuerbacher, Schmiedmeister 82 St. (neu gewählt). Weitere Stimmen erhielten: Ehr. Kemps. Mühlebesitzer 77 St., Tuchscherer I. Dengler 66 St., Schmiedmeister Stempflc 56 St. und Fabrikant Schick Hardt 34 St.
* Wildbad, 22. Dez. Hei der gestrigen Ge- mcindcratswcchl wurden gewählt: Aberle, Karl, Kaufmann, Schmid, Hermann, zur Eintracht, Brachhold Ehr., Kaufmann, Riexinger, Gnst., Buchbinder, Kuch. Fr., Zimmermeister, Rath, Karl, Gerber. Aberle, Riemnger und Kuch waren seither im Gemeinderat.
!s Tübingen, 23. Dez. Acht Wirte von Wild- bad, gegen die Anzeige wegen Glückspiels mittels Automaten erstattet worden war, mußten wegen Verjährung freigesprochen werden.
tz Stuttgart, 23. Dez. An Stelle des jäh aus dem Leben geschiedenen Ministerialdirektors von Stierling ist zum Vorstand der Verwckltungs- abteilung der Generaldirektion der Staatseisenbahnen der Regierungsdirektor von Zlnhan, bisheriger Vorstand der Verwaltungsabteilung der Generaldirektion der Posten und Telegraphen ernannt worden. Nachfolger des Regierungsdirektors von Zlnhan wurde Ministerialrat Metzger unter gleichzeitiger Beförderung znm Direktor.
!s Stuttgart, 23. Dez. Dis Königin hat auf Weihnachten an 54 weibliche Dienstboten das Ehrenzeichen verliehen und zwar 5 das goldene für 50jährige Dienstzeit und an 49 das silberne für mindestens 25jährige Dienstzeit in derselben Familie oder in demselben Anwesen.
ss Stuttgart, 23. Dezbr. Die Landesversammlung der Nationalliberalen (Deutsche Partei) wird am 9. Januar im Stadtgarten abgehalten werden. Professor Dr. Hieber wird über die politische Lage im Reich und Lande und Professor Wetzel über staatsbürgerliche Erziehung sprechen. Ein Referat über Neckarkanal- und Stromgemein- fchaften ist gleichfalls in Aussicht genommen.
si Stuttgart, 23. Dez. Der Maurer Epple, der bei dem Gerüsteinsturz in der Kornbergstraße schwere Verletzungen erlitten hat, ist diesen Verletzungen gestern abend erlegen. Auch der Maurer Schmied schwebt noch in Lebensgefahr.
js Schechingen, OA. Aalen, 23. Dez. Der frühere Schultheiß Krieger wird seit drei Wochen vermißt. Nachdem alles Suchen bisher vergebens war, fand man endlich vorgestern zwischen Abtsgmünd und Leinroden feinen Hut in einem Stranch- gestrüpp neben der Leiche.
* Waldshnt, 23. Dez. In dem Rheinfelder Streikkrawallprozeß wurden heute nachmittag 2 0 Angeklagte zu Gefängnisstrafen von sechs Wochen bis zu ein Jahr ein Monat Gefängnis verurteilt. Ein Angeklagter wurde freigesprochen.
* Berlin, 23. Dez. Ein Gewittersturm mit Schnee und Hagel bei einer Temperatur von vier Grad unter Null bei schneidendem Süd Süd-Ost verursachte gestern abend im Weihnachtsgeschäftsverkehr und besonders im Straßenbahnbetrieb umso größere Störungen, als sich an vielen Stellen der Stadt und ihrer Umgebung Glatteis gebildet hatte.
Eisenbahnunglück bei Scheesfel.
* Bremen, 23. Dez. Bei der Staion Scheesiel fuhr heute früh der D-Zug 9l auf den Schluß eines Güterzuges auf. Die Lokomotive und zwei Wagen des D-Zuges, sowie mehrere Wagen des Güterzuges wurden beschädigt. Sämtliche Telegravhsnlini.n sind abgeschnitten. Amtlich wird dazu gemeldet, daß bei dem Unglück der Rittmeister Ernst v. Maltzahn vom 9. Dragoner-Rgt. in Metz und der Oberstabsarzt Dr. Otto Kölping von der Provinzialheilanstalt in Bonn getötet worden sind. Leicht verletzt wurden die Gattin des getöteten Dr. Kölping, sowie der Oberarzt Braundorf aus Rostok und ein Packmeister. Der Betrieb ist wieder hergestelkt.
Ausländisch ru.
* Wien, 23. Dezbr. Zum Ministerpräsidenten wurde Lukacs vom Kaiser ernannt.
* St. Gallen, 23. Dez. Beim Föhn sturm und 12 Grad Wärme ist rapide Schneefchmelze eingetreten. In den Graubündner und Appenzeller Bergen gehen zahlreiche Lawinen nieder. Die Flüsse der Ostschweiz führen Hochwasser.
ss London, 23. Dez. Der Schatzkanzler Lloyd George erklärte in einer Rede, die er gestern in Shanelly hielt, den Versuch, Unfrieden zwischen Großbritannien und Deutschland zu stiften, für verbrecherisch. Diejenigen, die um eines zeitweiligen Parteivorteils willen einen solchen Versuch unternehmen, seien Verräter an ihrem eigenen Land und an der Menschheit.
si London, 23. Dez. Der Präsident der Lokal- verwaltnng, Burns, hielt gestern in Battersea eine Rede, in der er die in einem Londoner Blatte veröffentlichten Artikel des Sozialisten Blatchford verurteilt. Blatchford stelle zu seiner, eigenen Schande einen Krieg mit Deutschland, das Englands freundlicher Nachbar sei, als unmittelbar bevorstehend hin und gehe in mutwilliger Weise mit einem gefährlichen Feuerbrande um, den die Torypresse benutze, um ein großes Unheil anzurichten.
Regierungsantritt König Alberts von Belgien.
* Brüssel, 23. Dez. Prinz Albert verließ heute vormittag zehn Uhr Schloß Laeken, um seinen Einzug in die Hauptstadt zu halten. In der Uniform eines Generalissimus und umgeben vom Regiment der Guides begab er sich durch die Straßen der unteren Stadt nach dem Parlament. Ihm voraus fuhr, von der Leibeskadron geleitet, seine Gemahlin. Beide wurden von der überaus zahlreichen Menschenmenge begeistert begrüßt.
* Brüssel, 23. Dez. Heute früh traten Senat und Kammer zu einer feierlichen gemeinsamen Sitzung zusammen, um die Eidesleistung des Königs Albert entgegenzunehmen.
si Brüssel, 23. Dez. Die kgl. Familie und die ausländischen Fürstlichkeiten, mit denen der König in der Sitzung erschien, wurde lebhaft und andauernd begrüßt. Dann leistete der König in franz. und hierauf in vlämischer Sprache den Eid auf die Verfassung und verlas die Thronrede.