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Nr. 3i».
die Reichstagsfraktion zur Erbschaftssteuer hätte nehmen sollen, wenn es im Reichstag zu einer dritten Lesung gekommen wäre. Bei der zweiten Lesung hat die sozialdemokratische Fraktion bekanntlich dafür gestimmt. Für die dritte Lesung aber verlangten die Radikalen in der Fraktion, daß dagegen gestimmt werde. Darüber hat es in der Fraktion, wie nachher herausgekommen ist, heftige Auseinandersetzungen gegeben, und in Leipzig haben sie ein Nachspiel bekommen, da die Unentwegten derartigen Steuerbewilligungstendenzen in der Fraktion den Garaus machen wollten. Sie haben damit freilich kein Glück gehabt, denn es wurde ihnen nachgewiesen, daß die Erbschaftssteuer einer Forderung des Parteiprogramms entspricht und daß es töricht gewesen wäre, auch aus taktisch-politischen Gründen, wenn die Fraktion dagegen gestimmt hätte. Bebel selbst erklärte, daß er die Zustimmung zur Erbschaftssteuer auch in der dritten Lesung für notwendig gehalten habe. Die Radikalen wollten sich freilich noch nicht belehren lassen. Soviel weiß mau nun, daß die Fraktion der Sozialdemokratie bei einer dritten Lesung der Erbschaftssteuer in der Abstimmung auseinander gefallen wäre; die Sozialdemokratie kann sich bei dem schwarzblauen Block bedanken, daß der bösen Welt dieses Schauspiel erspart geblieben ist. Noch deutlicher als bei dieser Frage trat die gekräftigte Stellung der Revisionisten bei der Verhandlung über das Verhältnis der Sozialdemokratie zum Liberalismus hervor.
Die Genossen des ersten Berliner Wahlkreises hatten eine Resolution beantragt, der den Liberalismus inGrund undBoden verdammte, dessen bisherige Politik eine ununterbrochene Kette des Verrats von Arbeiterinteressen sei. Die Liberalen aller Schattierungen seien nichts als ein fester Bestandteil der einen, reaktionären Masse, und die Zumutungsozialdemokratischer Abgeordneter, mit dieser Sorte Liberaler zusammenzugehen und die Kritik einzustellen, mute wie eine blutige Verhöhnung der Partei an. Diese Resolution, die an Radikalismus nichts zu wünschen übrig läßt, wurde angenommen, aber es stellte sich heraus, daß es gewissermaßen aus Versehen geschehen war. Die Revisionisten setzten eine neue Abstimmung durch, und nun wurde die Resolution abgelehnt. Das war zweifellos eine schwere Niederlage der Radikalen, die schwerste, die sie vielleicht je erlitten. Daß der sozialdemokratische Parteitag es abgelehnt hat, sich unter allen Umständen gegen jedes Zusammengehen mit dem Liberalismus festzulegen, ist zweifellos von großer politischer Bedeutung, wenn es auch durchaus verfehlt ist, nun, wie es einige phantasievolle Blätter getan haben, schon den Block „von Bassermann bis Bebel" der Verwirklichung nahe zu sehen. Die teilweise ausschweifenden Erwartungen, die in der linksliberalen Presse an diese Entscheidung des Leipziger Parteitages geknüpft worden sind, hat zur Folge gehabt, daß dem Beschluß alsbald eine Art authentischer Interpretation nachgeschickt wurde. Ein Genosse beantragte nämlich, auszusprechen/ daß durch den Beschluß in keiner Weise eine Abschwächung der Resolution des Dresdener Parteitages über die Taktik der Partei erfolgt sei. Die Revisionisten parierten diesen Schlagsehr geschickt, indem sie ohne weiteres für diesen Antrag stimmten und sich auf keine Auseinandersetzungen einließen. Bei den Erörterungen über die Haltung der Partei platzten die Gegensätze lebhaft aufeinander; immerhin ging es noch verhältnismäßig glimpflich ab. Man hatte eben das Bestreben, sich diesmal vor den Gegnern nicht durch allzu reichliche Schimpfereien zu kompromittieren. So wurde auch die Affäre der schwäbischen Hofgänger still abgetan. Die württembergischen Genossen gaben eine gewundene Erklärung ab, die eine Abbitte in sich schloß, und damit war die Sache abgetan. Uebrigens hat der Abg. Lindemann von sich aus kund getan, daß ihm die Erklärung nicht vorgelegt worden sei, und daß er sie in
Schwarzwälder Sonntagsblatt.
dieser Form nicht unterschrieben haben würde. Das heißt also wohl, daß Lindemann die löbliche Unterwerfung nicht mitmacht. Auch die Maifeier hat natürlich den Parteitag wieder beschäftigt. Das ist ein schmerzliches Kapitel, denn mit dem „Weltfeiertag" hat man Fiasko gemacht. Das sieht nach gerade jeder, aber aufgeben mag man die Sache immer noch nicht ganz. Man will es noch einmal weiter versuchen, und hat zu diesem Zwecke in Leipzig Beschlüsse gefaßt. Dann ist noch eines sehr bemerkenswerten und rühmlichen Beschlusses Erwähnung zu tun, der dahin geht, daß die Arbeiter sich des Schnapsgenusses enthalten sollen. Auf die Weise sollen die agrarischen Schnapsbrenner und der Reichssäckel gestraft werden. Der Schnapsboykott ist also mehr politischer als ethischer Art. Immerhin ist er zu loben, denn es ist verdienstlich, den Verwüstungen des Schnapses entgegenzuwirken. Es wird interessant sein zu sehen, ob die Parole Erfolg hat.
* Oberndorf, 24. Sept. Der türkische Genera- lrssismus Mahmud Schewket Pascha ist heute zum Besuch der Mauserschen Waffenfabrik eingetrofsen,
st Schramberg, 24. Sept. In dem Hause des Stefan Huber in der Kirnbachstraße brach vorgestern abend Feuer aus, das das ganze Gebäude säst vollständig vernichtete.
fl Stuttgart, 24. September. Der Polizeibericht schrerbt- Aus dem Volksfestplatz wurde gestern abend ein 46 Jahre alter Bauer beim Füttern seines auf die landwirtschaftliche Ausstellung gebrachten Ebers von diesem in den rechten Oberschenkel gebissen. Nach Anlegung eines Notverbandes auf der Sanitätswache der Berufsfeuerwehr mußte der Mann ins Krankenhaus übergesührt werden.—Gestern abend 8 Uhr wollte sich ein Vizefeldwebel eines hiesigen Truppenteils in der Kaserne erschießen und mußte schwerverletzt ins Garnisonlazarett gebracht werden.
* Cannstatt, 24. Sept. Der heutige erste Tag des Volksfestes hatte noch keinen besonders starken Besuch auszuweisen und man konnte bequem überall durchkommen. Es sind von den 3 Rindviehrassen, (Fleckvieh, Braunvieh und Limpurgervieh) etwa 70 Farren, 130 Kühe und 110 Kalbeln ausgestellt, dazu kommen noch etwa 60 Schweine und über 100 Ziegen. 4 Stuten und Stutfohlen des Land- und kaltblütigen Schlags, die im laufenden Jahr prämiiert wurden, sind, wie üblich, ebenfalls zu sehen, außerdem noch 8 Hengste aus dem Kgl.
Landgestüt, während die Remonten aus dem Depot Breithülen diesmal nicht zur Vorführung kommen. Reich beschickt ist die Ausstellung von landwirtschaftlichen Maschinen und Geräten, an der sich große und kleine Firmen beteiligen, und auch hervorragend schönes Obst und andere Früchte sind zur Besichtigung aufgestellt. Die Sonderausstellung für landwirtschaftliches Bauwesen fehlt Heuer.
fl Degerloch, 24. Sept. Als gestern abend zwei Knaben von Möhringen nach Plieningen gingen, wurden sie von einem Automobil überfahren und beide schwer verletzt, so daß sie in einem Fuhrwerk nach Hause gebracht werden mußten.
st Wangen-Stuttgart, 24. Sept. Der 67 Jahre alte Weingärtner Karl Burkhardsmaier von Untertürkheim fand gestern hier auf tragische Weise den Tod. Er begab sich gestern vormittag neun Uhr auf sein hier gelegenes Gemüse- und Baumgut und versprach beim Fortgehen seiner Frau, bis 11 Uhr wieder nach Hause zu kommen. Wie es scheint, hat er auf seinem Grundstück einen Wasserhahnen in einem ca. 1 Meter tiefen Schacht öffnen wollen und ist mit dem Kops voraus in den Schacht hinuntergestürzt, wobei er sich bedeutende Verletzungen am Kopfe zuzog und beide Hände brach. Durch den Sturz scheint er das Bewußtsein verloren zu haben und so konnte er sich, da niemand zugegen war, aus seiner Lage nicht befreien. Der Tod muß nach kurzer Zeit eingetreten sein. Ein mittags den Vater' suchender Sohn fand ihn tot in dem Schacht, die Füße nach oben herausschauend. Der Verstorbene war ein in allen Kreisen beliebter und geehrter Mann.
st Zuffenhausen, 24. Sept. Folgende Warnung, die für die Hausfrauen, die Näharbeiten zu vergeben haben, nicht gerade aufmunternd wirkt, erschien dieser Tage in einem hiesigen Blatt. Sie lautet: „Warnung! Wer meine Frau noch einmal zum Ausnähen bestellt ohne mein Wissen, dem lasse ich den Kopf abschneiden. Achtungsvoll Wilhelm Brekle, Backofenbaugeschäft, Zuffenhausen-Crailsheim."
st Heilbronn, 24. Sept. Aus de schwäbische Eise- bahna! Zwischen Talheim und Rauher Stich soll sich, der Heilbronner Zeitung zufolge dieser Tage ein ergötzliches Stückchen zugetragen haben. Bei Rainers Mühle hatte das Züglein angeblich das Mißgeschick, aus freier Strecke stehen zu bleiben. Führer und Heizer stiegen ab und schauten nach dem Fehler, stellten in der Eile den Dampf aber nicht ab. Sie entdeckten bald den Fehler, der eine Wagen war gebremst. Sie lösten die Bremse und was geschah — der Zug ging allein von dannen, Talheim zu. Führer und Heizer mußten springen, daß sie ihrer Maschine nachkamen.
fl Friedrichshafen, 24. Sept. Heute ist großer Ruhetag in Manzell, alsdann wird „Z. 3" einer gründlichen Nachschau in allen seinen Teilen unterzogen und etwa eingetretene Mängel beseitigt. Auch einige Neuerungen werden dann noch angebracht, u. a. ein weiterer Motor und zwei Propeller in die mittlere Ausbuchtung des Laufsteges. Hierauf findet die Fahrt nach Luzern statt, die wohl auch wie die Frankfurter Fahrt im Interesse der künftigen Luftschifflinie Luzern-Friedrichshafen ausgeführt wird. Wann sie aber stattfindet, daran denkt heute noch niemand. Mit der Luzerner Fahrt ist dann Schluß des diesjährigen vielseitigen Programms der Luftschiffbaugesellschaft, die kommende freie Zeit wird zum Ausbau von neuen Luftschiffen und zu Studienzwecken verwendet. ?,
fl Pforzheim, 24. Sept. Hier hat die Nachricht, daß in Hanau ein großer Streik der Goldschmiedarbeiter droht, allgemeines Interesse gefunden. Sollte der Streik in Hanau wirklich ausbrechen, so würden sich seine Folgen, ob gute oder schlimme, auch hier fühlbar machen. Pforzheim, Hanau und Gmünd als die drei wichtigsten deutschen Goldschmiedstädte, haben ja verwandte Interessen.
* München, 24. Sept. Die mit der Deutschen Brauerei-Ausstellung verbundenne Spezialausstellungen bayerischer Gersten und Hopfen sind heute eröffnet worden.
* Gießen, 24. Sept. Der Feldwebel Debus, der von dem Musketier Kreuz gestochen wurde, ist gestern abend seinen Verletzungen erlegen.
Da- französische lenkbare Luftschiff geplatzt.
La Palisse, 25. Sept. Der Lenkballon La Re- publique, der vormittags 9 Uhr 30 Min. mit vier Personen aufgestiegen war ist in der Luft geplatzt und aus einer Höhe von 100 Metern herabgestürzt. Die Gondel fiel auf die Straße, die ganze Besatzung ist tot.
/LSS